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„Der Nawarobonus war Fluch und Segen für uns“

Lesezeit: 7 Minuten

Horst Seide, Präsident beim Fachverband Biogas, blickt auf 20 Jahre EEG zurück und zeigt Wege in die Zukunft auf. Sein Fazit: Die Branche wird vielfältiger.


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Herr Seide, das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) ist in diesem Jahr 20 Jahre alt geworden. Sie produzieren selbst seit 1998 Biogas in Ihrer Anlage in Lüchow-Dannenberg. Was waren für Sie die herausragenden Ereignisse in der Biogasbranche der vergangenen zwei Jahrzehnte?


Seide: Für mich gab es zwei große politische Entscheidungen. Das war das EEG 2004 mit dem Bonus für Nachwachsende Rohstoffe, den Nawarobonus. Erstmals kam damit eine spezielle Förderung für angebaute Energiepflanzen. Damals haben wir uns hier in der Region gefragt: Wie soll man denn feste Stoffe vergären können? Aber es war ein Meilenstein, der die ganze Biogasszene verändert hat. Das Zweite war die Änderung der Gasnetzzugangsverordnung im Jahr 2006. Sie verpflichtete den Gasnetzbetreiber erstmals, eine Biomethaneinspeisung zuzulassen.


Wobei nicht so ganz viele Betreiber diesen Weg eingeschlagen haben.


Seide: Immerhin haben wir rund 210 Biomethananlagen in Deutschland. Nicht jeder hat diesen Weg gewählt, weil die Gaserzeugung gegenüber dem Stromverkauf mit der gesetzlich festgelegten Einspeisevergütung nicht so lukrativ war.


Warum war der Bonus für Nachwachsende Rohstoffe so ein Erfolg?


Seide: Es war wie ein Turbozünder, damit wurde die Biogaserzeugung auf einmal wirtschaftlich. Zeitgleich stürzten im Jahr 2005 die Roggenpreise auf 6 €/t ab. Das hat den Getreideanbau unwirtschaftlich gemacht. Damit haben sich viele Landwirte entschieden, Ackerfrüchte in einer Biogasanlage zu verwerten, weil die Wertschöpfung stieg. Damit begann auch zeitgleich eine große technische Entwicklung.


Welche technischen Lösungen waren für Sie besonders entscheidend?


Seide: Es gab nicht die eine Entwicklung. Im Jahr 1999 habe ich Feststoffe mit einem umgebauten Miststreuer in eine Vorgrube eingebracht und mit einer Pumpe in den Fermenter befördert. Das waren individuelle, handgemachte Lösungen. Wir sind nach Schweden gefahren, um uns Ideen für die Gasaufbereitung zu holen, in Deutschland gab es das nicht.


Beim einsetzenden Bauboom ab dem Jahr 2005 haben die hiesigen Firmen dann aber immer professionellere Techniken entwickelt, die heute Industriestandard haben. Das beginnt beim Bau der Siloanlagen und geht über die Aufbereitung und Einbringtechnik, Rührwerke, Fermentersteuerung, Laboranalysen und Spurenelemente bis hin zu den Motoren. Anfangs hatten sie 30% Wirkungsgrad, heute reden wir teilweise von über 45%. Und heute werden sie von Stromvermarktern ferngesteuert mit Anbindung an die Leipziger Strombörse – undenkbar noch vor zehn Jahren. Zudem wurde die Technik zum Exportschlager.


Ab 2012 setzte in der Branche eine tiefe Krise ein. Was hat dazu geführt?


Seide: Letztlich war es auch der Nawarobonus in Kombination mit dem Güllebonus, der im Jahr 2009 eingeführt wurde. Er sollte ja die Güllevergärung anreizen. Aber weil er für den gesamten erzeugten Strom gezahlt wird, hat er indirekt auch den Anbau von Energiepflanzen befördert. Das hat in den Jahren nach 2009 zu einem unglaublichen Bauboom mit über 1000 neuen Anlagen pro Jahr geführt. Unterstützt wurde der Prozess wieder von einem starken Rückgang der Getreidepreise ab dem Jahr 2008. Daraufhin sind viele Landwirte in die Biogasproduktion eingestiegen, die es vorher immer abgelehnt hatten, darunter Ackerbauern und Milchviehhalter. Heute wissen wir, dass damals viele Biogasanlagen anstelle von Kuhställen gebaut wurden.


Weil damit viele Anlagen in Regionen kamen, in denen es ohnehin schon viel Mais gab, hat das eine Diskussion über die „Vermaisung“ losgetreten.


Sie selbst sind ja seit acht Jahren Präsident im Fachverband. Wie hat sich die Verbandsarbeit verändert?


Seide: Massiv! Als mein Vorgänger Josef Pellmeyer den Verband im Jahr 2001 übernahm, musste in der schnell wachsenden Branche zunächst eine schlagkräftige Struktur entstehen. Das waren ganz andere Aufgaben als heute. Im Jahr 2012 konnte ich dann einen handlungsfähigen Verband übernehmen. Wir kamen aber in eine schwierige Zeit. Die Arbeit konzentrierte sich darauf, hemmende politische Rahmenbedingungen abzuschwächen. Ein Beispiel war das EEG 2014. Der damalige Wirtschaftsminister Siegmar Gabriel hatte öffentlich kundgetan, dass die Biogasbranche ihre Chance hatte, jetzt aber nicht mehr benötigt werde. Wir mussten damals stark um das weitere Bestehen kämpfen. Heute dagegen geht es darum, ein neues Energiesystem aufzusetzen. Dabei geraten auch andere Bereiche wie Kraftstoff oder Wärme in den Fokus. Um das abzudecken, rücken alle erneuerbaren Verbände unter dem Dach des Bundesverbandes Erneuerbare Energien stärker zusammen. Im nächsten Jahr werden wir in ein gemeinsames Haus in Berlin ziehen. Die Zusammenarbeit soll die Verbandsarbeit effizienter machen. Gleichzeitig wird sie mehr auf Europa ausgerichtet.


Inwiefern?


Seide: Viele Rahmenbedingungen, die wir in Deutschland haben, wurden vorher auf EU-Ebene diskutiert und beschlossen. Gibt es erst einmal eine EU-Richtlinie, ist der nationale Spielraum gering. Darum müssen wir bei politischen Diskussionen früher einhaken – und das eben in Brüssel und nicht in Berlin. Uns hilft dabei, dass wir mit Harm Grobrügge einen deutschen Präsidenten im europäischen Biogasverband EBA haben.


Die ersten Betreiber geben frustriert auf, weil sie keine Perspektive sehen. Lässt sich dieser Prozess aufhalten?


Seide: Wir arbeiten mit den anderen Verbänden daran, dass alle erneuerbaren Energien zumindest auf dem heutigen Stand bleiben. Die ersten Voraussetzungen dazu haben wir geschaffen. Denn wir haben jetzt im EEG 2021 einen Ausbaupfad. Doch dafür müssen viele Betreiber ihre Anlage jetzt fit machen für die Zukunft und sich auf neue Rahmenbedingungen einstellen. Es ist verständlich, dass einigen das unternehmerische Risiko zu hoch ist.


Wie wird denn die Biogasproduktion in Zukunft aussehen?


Seide: Die Standardanlage mit 500 kW wie in den Jahren 2004 bis 2010 wird es nicht mehr geben. Die Produktion wird vielfältiger, es gibt mehr Varianten bei der Leistung, bei den Einsatzstoffen oder der Gasverwertung. Der Gesetzgeber will vor allem eine stärkere Flexibilität in der Stromerzeugung, das sind die klaren Signale im EEG 2021. Wir kämpfen zudem um bessere Rahmenbedingungen im EEG. Aber auch wenn sie kommen, ist für einen wirtschaftlichen Betrieb Kreativität gefragt. Mit zusätzlichen Einnahmen auf dem Strommarkt, dem Verkauf von CO2-Zertifikaten oder von Wärme müssen Betreiber Zusatzerlöse erwirtschaften. Das wird in jeder Region je nach Struktur der Landwirtschaft anders aussehen.


Welche Rohstoffe halten Sie künftig für möglich?


Seide: Zum einen sind das die Wirtschaftsdünger. Allein mit der Abdeckung von Güllebehältern in der Tierhaltung lassen sich die CO2-Emissionen in der Landwirtschaft um 3 Mio. t reduzieren – ein wichtiger Hebel, um in diesem Sektor die Klimaziele zu erreichen. Wenn die Behälter schon abgedeckt sind, können wir daraus auch Energie in Form von Biogas erzeugen. Das würde helfen, die großen Investitionssummen, die auf die Landwirtschaft zukommen, zu finanzieren.


Ebenso interessant ist der Aufwuchs von Blühflächen. Es ist bekannt, dass sie im Sommer zwar den Insekten helfen, aber im Herbst zu erheblichen Lachgas- und CO2-Emissionen führen, wenn sie ungenutzt auf der Fläche verrotten. Darum ist es sinnvoll, den Aufwuchs in Biogasanlagen zu verwerten. Genau wie bei Gülle und Mist vermeiden wir damit Emissionen und erzeugen gleichzeitig noch Energie.


Sie erzeugen seit vielen Jahren Biomethan für den Kraftstoffmarkt. Das Thema hat durch die Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED II) der EU neuen Auftrieb bekommen. Wird sich Biogas als Kraftstoff behaupten?


Seide: Ja, Biomethan wird als Kraftstoff eine Rolle spielen. Aus Sicht des Kraftstoffmarktes ist sie vielleicht klein, aber der Markt ist riesig. Es wird künftig mehr Anlagen geben, die vom Strommarkt in die Gaserzeugung wechseln. Doch Biomethan wird auch im Wärmemarkt eine Rolle spielen, z.B. bei Hochtemperaturwärme in der Industrie. Dazu kommt bis zum Jahr 2030 die Kombination mit dem Wasserstoffmarkt. Der Biogasbranche steht ein Strauß von Möglichkeiten zur Verfügung, die wir jetzt nutzen müssen.


hinrich.neumann@topagrar.com

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