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„Die Biogasanlage war mein Ruin“

Lesezeit: 5 Minuten

Ein Landwirt aus Bayern hat nach einem 15 Jahre schwelenden Nachbarschaftsstreit um eine kleine Biogasanlage seinen Hof aufgegeben. Chronik eines besonderen Falls.


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Es ist still in der schmucklosen Küche. Der alleinstehende Landwirt Josef Hötzl schaut lange schweigend auf den Aktenberg, den er für unser Gespräch vor sich aufgetürmt hat. „Darin stecken 15 Jahre Kampf, der mich den Hof gekostet hat“, sagt er mit gesenkter Stimme.


Der Landwirt aus Germaringen bei Kaufbeuren im Allgäu sieht sich ungerechtfertigt einem Justiz- und Behördenskandal ausgeliefert.


Was war geschehen? Im Jahr 2001 hatte der heute 67-Jährige eine Biogasanlage mit einer Leistung von 62 Kilowatt (kW) in Betrieb genommen. Als Einsatzstoffe nutzte der Pionier Rückstände aus der Lebensmittelindustrie, Mais, Gras sowie Gülle von einem Nachbarbetrieb.


Beschwerden der Nachbarn:

Die ordnungsgemäß genehmigte und behördlich abgenommene Anlage lief rund sechs Monate, da begannen die Probleme für den Betrieb in Ortslage. „Drei der direkten Nachbarn, alles Nicht-Landwirte, beschwerten sich über Geruch und Krach“, blickt er zurück. Zu ihnen hatte er vorher ein gutes Verhältnis, sie hatten sich mit dem Bau der Anlage einverstanden erklärt. Noch sah Hötzl keine Gefahr, es kam zu einem gerichtlichen Vermittlungsverfahren.


Aber dieses brachte nichts ein. Die Nachbarn beschwerten sich über wackelnde Kaffeetassen im Schrank oder über Silagesickersaft, der angeblich durch eine Grundstücksmauer in ihren Garten lief. Der Landwirt würde die Anlage unprofessionell betreiben, allein wegen des Anblicks seien die Grundstücke der Nachbarn unverkäuflich.


Der Streit führte bereits damals zu Schriftverkehr mit vielen Behördenvertretern und Rechtsanwälten. Im Jahr 2003 dann legte das Landratsamt die ersten Auflagen fest: Hötzl durfte die Silage nur noch an der den Wohnhäusern abgewandten Hofseite in die Biogasanlage füllen. Auch musste er den Silostock nach der Entnahme sofort wieder schließen. „Die heftigste Auflage aber war, dass ich die Silage an Sonn- und Feiertagen nicht entnehmen und einfüllen durfte“, blickt Hötzl zurück.


Gasproduktion geht zurück:

Denn das brachte seine gesamte Wirtschaftlichkeit ins Wanken: Da er keinen ausreichend großen Vorratsbehälter hatte, fiel die Gasproduktion am Wochenende ab. „So eine Auflage ist deutschlandweit einmalig“, ist der Landwirt überzeugt. Daher wehrte er sich mit Stellungnahmen, Widersprüchen bis hin zur Klage vor dem Verwaltungsgericht. Doch die Justiz folgte ihm nicht. „Der Richter warf mir sogar Gewinnsucht vor, weil ich sonntags arbeiten wolle“, sagt der Landwirt kopfschüttelnd.


Damit nicht genug. Es kamen immer mehr Auflagen, fast wöchentlich flatterten neue Briefe von Rechtsanwälten ins Haus. Immer wieder gab es Ortstermine mit Vertretern von Ämtern, Gutachtern usw. Ein Beispiel : Hötzl musste wegen angeblicher Geruchsbelästigung seine ursprünglich genutzten Einfüllschächte stilllegen und stattdessen einen stationären Futtermischwagen in einer Scheune errichten. Da das Scheunentor aber dem Fahrsilo abgewandt liegt, musste er die Silage mit dem Frontlader auf einen Anhänger laden, diesen dann um den Hof herumfahren, das Material vor dem Mischer auskippen und dann wieder per Frontlader einfüllen. „Dafür habe ich pro Tag drei Stunden gebraucht“, erklärt er.


Allein dieser Umbau hat ihn über 50000 € gekostet. Gebracht hat es nichts: Das Umfüllen der Silage und der Transport verursachten neue Geruchsbelästigungen und wieder neue Briefe der gegnerischen Anwälte. Die Nachbarn führten inzwischen Protokoll über jede Arbeit, die Hötzl auf seinem Hof ausführte. Die Folge: Er durfte in der Woche nur noch von 6.30 Uhr bis 15.00 Uhr, samstags nur bis 12.00 und am Sonntag nur zwei Stunden lang Silage entnehmen. Die Gasproduktion sackte weiter ab, die Einnahmen schrumpften auf die Hälfte des einst geplanten Erlöses ab. „Es war die Hölle“, sagt er heute.


Haftbefehl angedroht:

Weil Hötzl angeblich gegen diese Auflagen verstieß und festgesetztes Zwangsgeld in Höhe von 10000 € nicht zahlen konnte, erließ das Amtsgericht Kaufbeuren gegen ihn im Jahr 2011 einen Haftbefehl. Er wurde zwar nie umgesetzt, weil Hötzl das Geld dank der Hilfe eines Berufskollegen aufbringen konnte. Aber es folgten Einträge ins Grundbuch, der Schufa und ins polizeiliche Führungszeugnis. Daraufhin verweigerte die Bank jegliche Unterstützung und kündigte nach fast sechs Jahrzehnten Kundschaft sämtliche Kredite. Das hatte wiederum fatale Folgen, weil seine Energiepflanzenernte in den Jahren 2011 und 2013 von mehreren Hagelschauern fast gänzlich zerstört wurde, er aber mangels Geld kein Ersatz kaufen konnte. In seiner Not wandte er sich sogar an den Petitionsausschuss des Bayerischen Landtags – erfolglos.


Die Abwärtsspirale drehte sich immer schneller. Die psychische Belastung blieb nicht ohne Folgen: Im Jahr 2009 kam er mit Verdacht auf Schlaganfall ins Krankenhaus, seine Anlage stand fünf Monate still und führte zu weiteren großen Verlusten.


Statt in einen zukunftsfähigen Betriebszweig zu investieren, hat Hötzl seine vier Hektar Eigentumsflächen im Laufe der letzten zehn Jahre verkaufen müssen, um zu überleben. Als im Jahr 2015 neue Auflagen bezüglich Sicherheitstechnik und anderem drohte, entschied er sich zur Aufgabe. Hof und Maschinen sind im Sommer 2016 verkauft worden. Hötzl klappt den Deckel des letzten Aktenordners zu. Das Kapitel Biogasproduktion ist für ihn endgültig beendet.


Hinrich Neumann


Hinrich Neumann


Der Fall des Landwirts Hötzl ist sicherlich in seiner Dramatik eine Ausnahme. Konflikte gibt es aber immer wieder bei vielen Bauprojekten. Lesen Sie im folgenden Interview, ob und wie sich die Konflikte vermeiden lassen.

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