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Direktvermarktung: Erste Erfahrungen der Praxis

Lesezeit: 10 Minuten

Seit einem Jahr wird der Stromverkauf an der Börse besonders gefördert. Wie kommen Landwirte mit dem neuen System zurecht? top agrar hat nachgefragt.


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Im Technikcontainer ist es ruhig. Das Blockheizkraftwerk (BHKW) ist aus. Die meisten Biogasanlagenbetreiber wären jetzt beunruhigt: Schließlich erzeugt das BHKW dann keinen Strom, die Einnahmen bleiben aus. Michael Borgard dagegen ist zufrieden. „Wir bekommen den Stillstand sogar bezahlt“, erklärt der Geschäftsführer der Bioenergie Stötze GmbH aus dem Landkreis Uelzen (Niedersachsen). Die Biogasanlage, an der elf Landwirte beteiligt sind, gehört zu den ersten in Deutschland, die bedarfsgerecht Strom erzeugen. Diese neue Produktionsweise wird seit Anfang 2012 mit dem sogenannten Marktprämienmodell (siehe Kasten auf Seite 22) gefördert.


Borgard hat sich mit seinen Mitgesellschaftern im Jahr 2011 für den Einstieg in die Direktvermarktung entschieden. Die Biogasanlage hat eine installierte Leistung von 960 Kilowatt (kW). „Unser Ziel ist es, den Strom nur noch an den Zeiten zu produzieren, an denen er möglichst viel Wert ist“, berichtet Borgard. Von den drei BHKW der Biogasanlage wird ein BHKW mit 300 kW per Zeitschaltuhr nachts abgestellt.


Diesen neuen Weg beschreitet Borgard nicht allein. Mit über 70 weiteren Berufskollegen ist er an der „Genossenschaft Deutscher Grün-Energie-Erzeuger“ (GDGE) beteiligt. Der Strom wird gemeinsam über Energy2Market (E2M) in Leipzig vermarktet.


Mittlerweile haben sich viele Anlagenbetreiber in Vermarktungsgemeinschaften zusammengeschlossen. Im Januar 2013 waren rund 2 Gigawatt Biomasse-Strom in der Direktvermarktung – mehr als doppelt so viel wie im Januar 2012. Der Anteil der Biogasanlagen daran dürfte sehr hoch sein.


„Den Einstieg haben letztes Jahr die meisten Betreiber über die Managementprämie gemacht“, berichtet E2M-Geschäftsführer Bodo Drescher. Damit die Landwirte Vertrauen in das neue Modell gewinnen, haben Stromhändler wie E2M einen Mehrerlös von mindestens 0,15 Cent je kWh zuzüglich zur sonst gezahlten EEG-Vergütung garantiert. Bei einer Biogasanlage mit 500 kW waren damit rund 6 000 € pro Jahr Mehrerlös möglich. Die 0,15 Cent sind die Hälfte der Managementprämie, die sich Stromerzeuger und Händler teilen.


Prämie nur der Einstieg:

E2M bietet diese Garantie inzwischen nicht mehr. „Wir wollen, dass die Betreiber höhere Erträge erzielen und ihre Anlage so umstellen, dass sie bedarfsgerecht Strom erzeugt“, begründet Drescher dieses.


Aber auch die Landwirte selbst haben festgestellt, dass sie bei der Managementprämie kaum von den Möglichkeiten profitieren, die der Markt bietet. „Nur rund 10 % der bei uns angeschlossenen Betreiber nimmt inzwischen nur noch die Markt- und Managementprämie in Anspruch“, erklärt auch Jan Aengenvoort von Next Kraftwerke, einem weiteren Stromhändler aus Köln.


Regelenergie verkaufen:

Der nächste Schritt ist die Vermarktung von Regelenergie. „Das machen bei uns rund 85 % der Betreiber“, berichtet Aengenvoort. Die Regelenergie dient dazu, kurzfristige Schwankungen im Stromnetz auszugleichen. Bislang übernehmen das Pumpspeicher- oder Gaskraftwerke.


Den Bedarf an Regelenergie schreiben die Übertragungsnetzbetreiber gemeinsam aus. Er wird an einer Ausschreibungsplattform online gehandelt. Bei der Regelenergie unterschiedet man die drei Formen Primär- und Sekundärregel-energie sowie Minutenreserve. Außerdem gibt es positive und negative Regel-energie: Positive wird bei zu wenig Strom aufgeschaltet, negativ bedeutet, dass Kraftwerke abgeschaltet werden.


Die Primärregelleistung muss innerhalb von 30 Sekunden zur Verfügung stehen, die Sekundärregelleistung innerhalb von 5 Minuten und die Minutenreserve innerhalb von 15 Minuten. „Sowohl die Sekundärregelleistung als auch die Minutenreserve können Biogas-BHKW übernehmen, da sie in diesen Zeiträumen hoch- oder heruntergefahren werden können“, erläutert Ulrich Gerigk, Bereichsleiter virtuelles Kraftwerk bei E2M.


Bei der Minutenreserve liegt der Mehrerlös bei etwa 0,16 Cent je kWh, bei der Sekundärregelleistung bei 0,3 bis 0,4 Ct je kWh. Dafür wird die Minutenreserve nur zwei- bis dreimal pro Monat abgerufen. Der Abruf der Sekundärregelleistung dagegen kann bis zu dreimal am Tag fällig werden. „Zurzeit sind die Mehrerlöse bei der negativen Regelleistung höher, weil einfach zu viel Strom im Netz ist“, weiß Bodo Drescher.


Auch die Biogasanlage Stötze bietet Sekundärreserveleistung an. „Wir wurden in den ersten vier Monaten fünfmal geschaltet, wir haben davon gar nichts mitbekommen“, schildert Borgard.


Zuverlässig produzieren:

Auf den ersten Blick wirkt diese Betriebsweise sehr einfach. Doch wenn die Anlage nicht die Strommenge liefert, die vorausgesagt war und der Händler zu spät davon erfährt, muss er Ausgleichsenergie kaufen. „Das haben wir im Januar 2012 erlebt, als das System noch nicht richtig eingespielt war. Da haben wir bei sechs Biogasanlagen versehentlich die installierte Leistung von je 470 kW verkauft, obwohl die Anlagen nur 400 kW erzeugt haben“, berichtet Bernhard Temmen von der Gela Energie, einer Vermarktungsgemeinschaft aus Lünne (Niedersachsen).


Im Januar 2012 war die Stromnachfrage hoch und Ausgleichsenergie mit etwa 7 Cent je kWh teuer. „Da der Strom für ca. 4 Cent verkauft wurde, haben wir mit dem Händler zusammen 3 Cent je kWh Verlust gemacht“, berichtet Temmen.


In der Folge haben die Anlagen nur einen kleinen Teil der Managementprämie erhalten. Da die Preise für Ausgleichsenergie erst am 15. des Folgemonats veröffentlicht werden, ist es wichtig, Strommengen möglichst genau zu melden.


Bedarfsgerecht erzeugen:

Weitere Erlöse sind möglich, wenn der Strom nur zu den Stunden produziert wird, an denen er an der Strombörse EPEX Spot besonders teuer ist. Das geht z.B. mit der Verlagerung der Stromproduktion auf den Tag. „Bis zum Jahr 2011 lagen 90 % der teuersten Stunden zwischen 8 und 20 Uhr. Aber das Bild hat sich inzwischen verschoben“, stellt Uwe Holzhammer vom Fraunhofer Institut für Windenergie und Systemtechnik (IWES) in Kassel fest. Denn wegen der verstärkten Einspeisung von Solarstrom ist die bisherige Preisspitze am Mittag verschwunden. Stattdessen gibt es zwei Preishochs am Morgen und am Abend. „Man kann künftig mehr erlösen, wenn das BHKW zweimal am Tag ab- und wieder angestellt wird“, ist er überzeugt.


Die Photovoltaik sorgt auch dafür, dass der Preisunterschied zwischen Tag und Nacht sinkt. Lag er vor einigen Jahren noch bei 2 Cent, ist er mittlerweile auf rund 0,5 Cent je kWh gesunken.


Auch innerhalb eines Jahres kann sich der Preis verändern, hat Henrik Borgmeyer erfahren. Borgmeyer ist Geschäftsführer des Anlagenherstellers BioConstruct. Das Unternehmen betreibt am Firmenstandort in Melle eine Versuchsanlage mit vier BHKW, die zusammen 1 080 kW Leistung haben. Sie laufen vorwiegend tagsüber. Darum liegt die Jahresleistung nur bei 600 kW. „Im Januar 2012 hatten wir noch einen Mehrerlös über den Tagstromverkauf von 2 138 €. Im Mai war die Differenz auf 371 € zurückgegangen.“ Borgmeyer geht davon aus, dass der Schnitt bei etwa 0,5 Ct/kWh liegt, was bei seiner Anlage im Jahr 27 000 € ausmachen würde.


„Bei mehr Windstrom im Netz und steigender Nachfrage nach Strom z. B. beim Ausbau der Elektromobilität könnte dieser Preisunterschied aber wieder steigen und immer schwerer zu planen sein“, ist Sven Nefigmann überzeugt. Auch der Geschäftsführer der Biogasanlage Bioenergie Steinfurt (Nordrhein-Westfalen) produziert seit Februar 2012 Strom möglichst dann, wenn er teuer ist.


Mehr Strom im Winter:

Eine weitere Möglichkeit ist, den Strom überwiegend im Winter zu produzieren. Das ist interessant, wenn auch die Abwärme aus dem BHKW verkauft werden kann. Die Anlage von BioConstruct versorgt u. a. eine Küchenfabrik, die im Winter 2,5 MW Wärme benötigt. „Wir lassen ein oder zwei BHKW im Sommer stehen“, berichtet Borgmeyer. Um die Gasproduktion anzupassen, wird im Sommer mit 20 t pro Tag auch nur ein Drittel der Maismenge gefüttert.


Im Winter dagegen geht die Menge auf 60 t hoch. Damit er auch an kalten Tagen die BHKW nicht rund um die Uhr laufen lassen muss, gibt es an jedem BHKW-Standort einen Wärmepufferspeicher mit 21 m3 Volumen.


Die Verlagerung kostet jedoch auch Geld. Für ein zusätzliches BHKW mit 500 kW, ein abgedecktes Gärrestlager mit Gasspeicher sowie einen neuen Trafo muss Leonhard Wiedemann beispielsweise 700 000 € investieren. Wiedemann betreibt mit seinem Bruder Johannes und Landwirt Benjamin Kastner eine Gemeinschaftsanlage mit 250 kW in Wes­tendorf bei Augsburg, die jetzt zur flexiblen Stromproduktion erweitert wer-den soll. „Wir wollen im Jahresschnitt 350 kW erzeugen“, rechnet er vor.


Flexprämie als Zuschuss:

Zur Unterstützung dieser Investitionen hat der Gesetzgeber die Flexibilitätsprämie (kurz: Flexprämie) eingeführt (siehe Kasten, S. 22). Bei 700 kW installierter Leistung und 350 kW tatsächlicher Jahresleistung würde diese Anlage rund 41 000 € im Jahr erhalten. Der Betrag wird als Abschlag monatlich für die nächsten zehn Jahre gezahlt.


„Beim Einstieg in die Direktvermarktung hilft aber auch der höhere Wirkungsgrad des größeren und neueren BHKW. „Er kann den Gewinn im Jahr um mehrere 10 000 € steigern. Dazu kommt, dass der Betreiber die Revision für das alte BHKW spart, was auch 50 000 bis 120 000 € kosten kann“, rechnet Bodo Drescher (E2M) vor.


Und wenn das BHKW in Zukunft nur noch halbtags läuft, spart der Betreiber auch Wartungskosten. Dagegen muss man allerdings die Mehrkosten z. B. für Verschleiß der Motoren beim häufigeren Start/Stop-Betrieb oder den Mehrverbrauch an Zündöl einrechnen.


Noch einige Hürden:

Im Januar haben erst etwa 40 Biogasanlagen die Flexibilitätsprämie in Anspruch genommen. „Das liegt zum Teil an der Zurückhaltung der Banken gerade bei zusätzlichen Investitionen für die Direktvermarktung. Wir haben mit Banken teilweise acht Monate nur über Verträge verhandelt“, kritisiert Daniel Hölder, Leiter Energiepolitik beim Vermarktungsunternehmen Clean Energy Sourcing GmbH aus Leipzig. j


Dem begegnen erste Hersteller wie MT Energie, indem sie z. B. BHKW mit Leasingvertrag anbieten. Damit soll die Abhängigkeit von den Banken reduziert werden.


Außerdem haben die gesunkene Preisdifferenz zwischen Tag- und Nachtstrom sowie die Umsatzsteuer-Problematik gebremst. Denn bis zum Herbst 2012 war unklar, ob auf die Markt- und Flexprämien eine Umsatzsteuer gezahlt werden muss. Inzwischen ist entschieden, dass die Steuer nicht fällig wird.


Nicht geklärt ist aber, wie Regelenergie und Einspeisemanagement zusammenpassen. So kann es passieren, dass eine Biogasanlage vom Verteilnetzbetreiber im Rahmen des Einspeisemanagements abgeregelt wird. Wenn die Anlage aber gleichzeitig vom Übertragungsnetzbetreiber für die Regelenergie aufgerufen wird, gibt es ein Problem.


Weiter gibt es auch noch Unsicherheiten beim Ummelden der Anlage zur Direktvermarktung. „Im Moment geht das noch von Hand, das ist ein gewisses Risiko für Betreiber und Direktvermarkter“, erklärt Hölder. Denn wenn da ein Formfehler passiert, könnte es sein, dass der Betreiber weder die bisherige EEG-Vergütung noch die neue Markt- und Managementprämie erhält. Bislang ist dazu aber kein Fall bekannt. Und ab Oktober 2013 soll ein einheitliches, elektronisches Verfahren eingeführt werden, dass die Fehler beim Ummelden ausschließt.


Und jetzt droht eine neue Hürde. Aktuell kümmert sich die Clearingstelle EEG um die Frage, ob ein Satelliten-BHKW, wenn es ausgetauscht wird, seine bisherige Vergütung verliert. Bislang galten die Satelliten-BHKW als Einzelanlage. Das BMU hat den Wegfall des Status in einer Stellungnahme befürwortet. Beim Austausch des BHKW würde dann die gesamte Leistung aller BHKW zur Berechnung der Vergütung zusammengezählt. Die Folge: Alle Anlagen mit Satelliten-BHKW würden schlagartig einen Teil der Vergütung verlieren und unwirtschaftlich werden. Noch ist das Thema nicht durch, aber allein die Diskussion darüber dürfte für weitere Verunsicherung sorgen.


Große Chance:

Dabei wäre der Einstieg jetzt mehr als sinnvoll, meint Hölder. „Politisch ist die bedarfsgerechte Stromerzeugung die Lebensberechtigung für die Biogasbranche.“


Eine Chance ist das auch für Anlagen, die die Rohstoffe nicht zusammenbekommen oder wegen der hohen Preise beim Substratzukauf sparen wollen. So kann eine 500 kW-Anlage als 300 kW-Anlage gefahren werden und trotzdem mindestens den gleichen Erlös erzielen wie vorher. Genauso können Anlagen, die in wenigen Jahren 20 Jahre alt werden und aus der EEG-Vergütung herausfallen, jetzt schon einmal den Einstieg in die freie Stromvermarktung üben. Hinrich Neumann

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