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Praxisfall

Einstieg in die flexible Fahrweise

Lesezeit: 10 Minuten

Die Biogasanlage Gelchsheim hat noch elf Jahre EEG-Laufzeit vor sich. Die Betreiber prüfen jetzt, inwieweit sie jetzt noch von der Flex-Prämie profitieren können.


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Lohnt sich der Einstieg in die flexible Fahrweise? Welche Investitionen kommen auf mich zu und welche Erlöse sind möglich? Fragen wie diese beschäftigen derzeit viele der 8000 Biogasanlagenbetreiber in Deutschland – so auch Sebastian Fenner aus Gelchsheim bei Ochsenfurt (Bayern), der mit acht Berufskollegen seit dem Jahr 2007 eine Biogasanlage mit 537 Kilowatt (kW) betreibt.


Wie andere Betreiber auch will Fenner dabei von der Flexibilitätsprämie (kurz: Flex-Prämie) im Erneuerbare- Energien-Gesetz (EEG) profitieren. Sie beträgt zehn Jahre lang jährlich 130 € pro kW, das zusätzlich installiert wird. Je nach Höhe der zusätzlichen Leistung (auch Überbauung genannt) bedeutet die Prämie bei einer 500 kW-Anlage zusätzliche Einahmen zwischen 60000 und 163000 € im Jahr (Übersicht 1). „Wir wollten kalkulieren, ob wir mit der Flex-Prämie ein neues Blockheizkraftwerk (BHKW) finanzieren können“, erklärt Fenner. Denn das alte musste bereits nach 45000 Betriebsstunden generalüberholt werden. Bis zum Ende der EEG-Laufzeit wäre auf jeden Fall eine weitere Revision oder ein Tausch nötig gewesen, das BHKW hat bereits 70000 Betriebsstunden auf dem Zähler.


Sinnvoll erweitern:

Natürlich reizt es viele, das Maximum an Prämie mitzunehmen. „Aber das ist nicht immer sinnvoll“, erklärt der freie Berater Michael Tiedemann aus Hannover, der die Gelchsheimer beim Einstieg in die Flex-Prämie unterstützt. Er begründet das so: Um die maximale Prämie zu erzielen, müsste die Anlage fünffach überbaut werden. Bei einer 500 kW-Anlage wie in Gelchsheim hätte das eine Aufstockung auf 2,5 Megawatt (MW) bedeutet. In diesem Fall würde die Anlage nicht mehr rund um die Uhr betrieben werden, sondern nur noch knapp fünf Stunden am Tag. „Das war uns definitiv zu groß – nicht nur wegen der deutlich anspruchsvolleren Fahrweise, sondern auch wegen der immensen Kosten, die auf uns zugekommen wären“, meint Fenner.


Dies bestätigt auch Carsten Bahlburg, Vertriebsleiter bei der Biogas Service Tarmstedt GmbH (kurz: BST), mit der Fenner die Umbaumaßnahmen an der Gärstrecke plant. Bei den meisten seiner Kunden liegt die Überbauung aktuell auch beim zwei- bis dreifachen der Bemessungsleistung, also sind nach der Flexibilisierung bei einer 500 kW-Anlage 1 MW bis 1,5 MW installiert. „In diesem Bereich bleiben die Kosten des Umbaus überschaubar, die gasführenden Rohrleitungen und weitere Anlagenteile müssen in der Regel nicht komplett ausgetauscht und weitere teure Komponenten wie zusätzliche Gasspeicher nicht eingeplant werden.“ Das ist bei der maximalen Überbauung anders.


„Bei dieser Überlegung spielt auch die verbleibende EEG-Laufzeit eine Rolle“, ergänzt Tiedemann. Das bedeutet: Die BHKW-Größe sollte so gewählt werden, dass es bis zum Ende der EEG-Laufzeit abgeschrieben ist. Ist es zu groß bzw. hat unter 35000 Betriebsstunden, ist eine Abschreibung im Vergütungszeitraum nicht möglich. Ist es dagegen zu klein bzw. kommt auf mehr als 60000 Betriebsstunden, muss es wahrscheinlich bis zum Ende der Vergütungslaufzeit noch einmal für einen sechsstelligen Betrag generalüberholt oder sogar ausgetauscht werden. Gibt es keine Anschlussförderung nach 20 Jahren, würde sich das für den Betreiber nicht rechnen.


Die richtige BHKW-Größe hängt auch von der geplanten Laufzeit pro Tag ab (Übersicht 2). Beispiel Gelchsheim: Die Anlage hat noch elf Jahre Restlaufzeit. Bei einer 12-Stunden-Fahrweise pro Tag würde sie im Jahr 4380 Betriebsstunden laufen, nach elf Jahren wären das 48180 Stunden. „Damit ließe sich das BHKW bis zum Ende der EEG-Laufzeit betreiben“, erklärt Tiedemann die Vorgehensweise. Bei einem 8-Stunden-Betrieb kommt das BHKW in diesem Beispiel auf zu wenig Betriebsstunden, bei einem 16-Stunden-Betrieb auf zu viele.


900 kW Zusatzleistung:

Eingerechnet werden muss dabei immer die bestehende Höchstbemessungsleistung. Das ist die im Jahr produzierte Kilowattstundenzahl geteilt durch 8760 Stunden, die ein Jahr maximal hat. Bei 4,5 Mio. kWh geteilt durch 8760 Stunden läge die Höchstbemessungsleistung also bei 513 kW – in etwa dem, was Fenner und seine Kollegen in Gelchs-heim produzieren dürfen. Alle darüber hinaus produzierten Kilowattstunden werden laut EEG nur mit dem Börsenstrompreis von ca. 3 ct/kWh vergütet.


Fenner strebt pro Tag eine Laufzeit von 14 Stunden an, um in Zeiten mit hohem Strompreis zu produzieren und Regelenergie anzubieten. Daher hat er sich für ein Jenbacher-BHKW mit 900 kW entschieden. Um auf die rund 4,5 Mio. kWh zu kommen, die er mit seiner Höchstbemessungsleistung im Jahr produzieren darf, würde dieses BHKW bei etwa 13 Stunden pro Tag im Jahr rund 4900 Stunden laufen (4,5 Mio. kWh geteilt durch 900 kW). Die fehlende Strommenge würde das alte BHKW produzieren (etwa 150 Betriebsstunden im Jahr).


Hätte er dagegen die nächst kleinere Größe gewählt (637 kW), müsste das BHKW 80000 Betriebsstunden bis zum Ende der EEG-Laufzeit durchhalten.


Das BHKW mit 900 kW ist zudem das kleinste Modell einer Serie mit deutlich besserem Wirkungsgrad, von dem Fenner profitieren möchte. „Der Wirkungsgrad dieses neuen Aggregats ist selbst in Teillast besser als bei einem kleineren BHKW“, ergänzt Bahlburg. Diese Erfahrung hat er in seiner eigenen Biogasanlage gemacht.


Viele Möglichkeiten:

„Bei dieser Größe hat der Betreiber viele Möglichkeiten“, erklärt Tiedemann. Das wären z.B.:


  • Saisonale Fahrweise: Er könnte im Winter bei besserer Wärmenutzung und tendenziell höheren Strompreisen mehr Strom produzieren als im Sommerbetrieb.
  • HT/NT-Fahrweise: Er könnte gezielt an den zwölf Stunden am Tag Strom produzieren, an denen der Strompreis am höchsten ist.
  • Regelleistung: Er könnte Primärregelleistung (PRL) anbieten, mit der Netzbetreiber die Frequenz im Stromnetz aussteuern. Diese muss innerhalb von 30 Sekunden zur Verfügung stehen. Das funktioniert, indem das BHKW auf ca. 70 % der Leistung fährt, um dann vom Netzbetreiber bei Bedarf kurzzeitig um 200 kW hoch- oder heruntergeregelt werden zu können. Von allen Regelleistungsarten (Primär-, Sekundär- und Minutenreserve) bietet die PRL derzeit die höchsten Erlösmöglichkeiten.


Peripherie muss passen:

Tiedemann hat für die Anlage in Gelchsheim berechnet, wie wirtschaftlich die Flexibilisierung wäre (Übersicht 3). Zunächst hat er analysiert, welche Kosten auf den Betrieb zukämen. Der größte Block wäre das BHKW mit 570000 €. Dazu kommen Netzanschluss und Trafo mit 80000 €. Um das produzierte Gas über einen längeren Zeitraum speichern zu können, benötigt die Anlage auch ein größeres Gaslager. Dazu wäre eine neue Abdeckung auf dem Gärrestlager nö-tig, die mit 65000 € zu Buche schlagen würde. „Sollten wir nach der neuen Düngeverordnung noch ein weiteres Gärrestlager bauen müssen, dann würde ich das Dach allerdings nicht tauschen, mit dem zweiten Lagerbehälter hätten wir genügend Gasspeicher“, erklärt Fenner.


Wie sich bei der Anlage der Gasspeicherfüllstand im flexiblen Betrieb darstellen würde, zeigt Übersicht 4. Würde das BHKW nachts von 0 Uhr bis 8 Uhr morgens stillstehen, wäre ein zusätzliches Volumen von rund 2300 m3 nötig, um das kontinuierlich produzierte Biogas speichern zu können. „Außerdem sollte man 25 % Reserve einrechnen, weil sich das Gas im Sommer bei Sonneneinstrahlung ausdehnt und mehr Speicherplatz benötigt“, rät Tiedemann. Momentan sind auf den vorhandenen Behältern 3200 m3 Gasspeicher installiert. Mit einem neuen Dach mit mehr Volumen käme er auf 5360 m3.


Wärmenetz einbinden:

In der Anlage müsste Fenner außerdem die Gasüberläufe vergrößern, über die das Gas von Behälter zu Behälter strömt. „Empfehlenswert ist je ein weiterer Überlauf mit 250 mm Durchmesser“, erklärt Bahlburg. Denn das größere BHKW benötigt mehr Gas in kürzerer Zeit. Außerdem müssten Gaskühlung und Entschwefelung an die größere Gasmenge angepasst werden.


Weitere Kosten verursachen die Einbindung des neuen BHKW in den Strom- und Wärmekreislauf. Das BHKW ist an ein Wärmenetz angeschlossen. „Wir verkaufen derzeit 50 bis 60% der anfallenden Wärme an Hausbesitzer“, erklärt Fenner. Ein Ingenieurbüro hat den Betreibern geraten, zusätzlich zu dem vorhandenen Pufferspeicher mit 40 m3 noch einen mit mindestens 20 m3 zu ergänzen, damit beim Stillstand des BHKW auch an kalten Tagen noch genügend Wärme vorhanden ist. „Je mehr Wärme ein Betreiber verkauft, desto wichtiger ist der Pufferspeicher“, ergänzt Tiedemann. Dabei muss man immer genau rechnen, ob sich bei einer guten Wärmenutzung die Flexibilisierung überhaupt lohnt. Denn die Wärmeerlöse sind – zumindest in der Laufzeit der EEG-Vergütung – häufig pro Kilowattstunde deutlich höher als die Stromerlöse. Auch hier könnte dann die PRL mit einem großen Motor, der nur in Teillast läuft, sinnvoll sein. Auf diese Weise produziert er kontinuierlich Wärme.


Auch muss Fenner 25000 € für die Genehmigung sowie 15000 € für ein Anlagenzertifikat nach der Mittelspannungsrichtlinie für das neue BHKW zahlen. Die Kosten summieren sich am Ende auf knapp 900000 €. „Man kann sich bei vielen Positionen fragen, ob sie nur der Flexibilisierung zuzurechnen sind oder ob sie ohnehin anfallen würden. Aber sinnvoll ist es, sehr konservativ zu kalkulieren“, meint der Berater.


Die Kosten werden auf zehn Jahre abgeschrieben, unabhängig von der Restlaufzeit der Anlage. Denn die Flex-Prämie wird nur für zehn Jahre gewährt. In der Zeit sollte die Anlage bezahlt sein. Bei einem Zinssatz von 1,8% errechnet sich ein Kapitaldienst pro Jahr von 108000 €.


Demgegenüber stehen folgende Einnahmen: Wichtigster Block ist die Flexprämie. Da Fenner die installierte Leistung um 900 kW auf 1438 kW und damit um mehr als 50% erhöhen will, wird die jährliche Flexprämie so berechnet: Installierte Leistung geteilt durch 2 ergibt die zusätzliche Leistung, in diesem Fall 719kW. Multipliziert mit 130€/kW käme Fenner auf 93470 €.


Außerdem hat er einen Erlös von 0,6ct/kWh über den Stromverkauf eingerechnet. „Das erscheint mir als Minimum realistisch, wenn ich den Strom an Zeiten mit hoher Nachfrage produziere und zusätzlich PRL anbiete“, erklärt er. Diese Einnahmen würden sich bei den rund 4,5 Mio. kWh im Jahr auf 27000 € aufsummieren.


Wegen des um 2,5 Prozentpunkte höheren Wirkungsgrades des neuen BHKW spart er zudem rund 600t Mais ein. Bei einem ortsüblichen Preis von 38€/t reduziert das die Kosten gegenüber heute um fast 23000 €. Dazu kommen 18000 € weniger Wartungskosten. Diese liegen bei Fenner aktuell bei 7€ pro Betriebsstunde des BHKW ohne Kosten für das Motoröl. Das schlägt mit weiteren 2€/Betriebsstunde zu Buche.


Die Erlöse bzw. Einsparungen summieren sich bei dieser Kalkulation auf 161000 €. Zieht man davon die Kosten von knapp 109000 € im Jahr ab, bleiben etwas über 50000 € übrig. Geht man pessimistisch davon aus, dass es keine Markterlöse gäbe, bliebe unterm Strich immer noch ein Plus von 26000€.


Das Ergebnis zeigt: Der Kapitaldienst ist um 15000 €/Jahr höher als die jährlichen Einnahmen durch die Flexprämie. Diese Mehrkosten müssen über Einsparungen und eventuelle Mehrerlöse vom Stromverkauf gedeckt werden. „Aber für die Bank ist es wichtig, dass es sich bei der Flex-Prämie um eine gesetzlich abgesicherte Einnahme handelt“, erklärt Tiedemann.


Doch für Fenner steht fest: Selbst wenn am Ende nur eine schwarze Null stände, hätte er die Flexibilisierung gewählt: „Denn ein neues BHKW hätten wir in der EEG-Restlaufzeit auf jeden Fall benötigt. Diese Kosten spare ich mir mit der Flex-Prämie.“ Darum will er die Investition jetzt in Angriff nehmen.


Weitere Vorteile:

Und die Umstellung bringt im weitere Pluspunkte:


  • Die Effizienz der Anlage erhöht sich, da der Betreiber wegen des zweiten BHKW bei Überproduktion kein Gas mehr abfackeln muss. Bei Bedarf stellt er einfach das zweite BHKW an.
  • Fällt ein BHKW aus oder wird gewartet, hat er eine Redundanz, was die Verfügbarkeit der Anlage erhöht. Er kann damit seine Höchstbemessungsleistung (also die maximal mögliche Strommenge, die er produzieren darf) voll ausschöpfen.
  • Die 2,7-fache Überbauung macht es ihm möglich, je nach Marktentwicklung verschiedene Stromprodukte und Vermarktungsoptionen zu wählen.
  • Sollte es eine Anschlussförderung nach Ablauf der 20 Jahre für ihn geben, ist die Anlage für künftige Aufgaben rechtzeitig umgerüstet und er hat die Kosten gedeckt. Hinrich Neumann

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