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Energiewende: So sieht die Zukunft aus

Lesezeit: 7 Minuten

In einem Forschungsprojekt wollen über 60 Unternehmen und Wissenschaftler die vollständige Energieversorgung von Hamburg und Schleswig-Holstein mit erneuerbaren Energien erproben. Das Projekt NEW 4.0 gilt als Blaupause für ganz Deutschland.


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Rund 3500 Windräder drehen sich in Schleswig-Holstein. Doch nicht jedes davon produziert auch Strom: Denn der Ausbau der Stromnetze hält nicht mit dem Zubau der Windparks Schritt. „Wir haben 6100 MW installierte Windenergieleistung. Doch schon bei rund 2000 MW Einspeisung müssen wir Anlagen herunterregeln, um Schäden an Netzen oder Trafos zu vermeiden“, sagt Andreas Sünderhauf von der Netzleitstelle Rendsburg der Schleswig-Holstein (SH)Netz AG.


An den 51000 km Stromtrassen der SH-Netz sind 33500 der 36000 Betreiber von regenerativen Kraftwerken angeschlossen. Rund 3 Mrd. Kilowattstunden (kWh) Strom haben die Anlagen im Jahr 2015 nicht produziert, weil das Netz den Strom nicht aufnehmen konnte. Für den nicht eingespeisten Strom haben die Betreiber 2015 rund 295 Mio. € Entschädigungen erhalten.


Hamburg benötigt Strom:

Nur rund 150 km südlich von Nordfriesland liegt Hamburg mit einem gigantischen Strombedarf von 13 Mrd. kWh pro Jahr. Allein einzelne Industrieunternehmen wie der Stahlhersteller ArcelorMittal brauchen mit 730 Mio. kWh im Jahr so viel Strom wie eine Großstadt. „Die Region zeigt ein typisches Problem: Wegen fehlender Leitungen und mangelnder Systemintegration kommen Strom-überschüsse aus ländlichen Regionen nicht in Metropolregionen an“, erklärt Prof. Werner Beba vom Competence Center für Erneuerbare Energien und Energie-Effizienz (CC4E) an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW).


Modell für Deutschland:

Abhilfe soll seit Dezember 2016 das Forschungsprojekt „Norddeutsche Energiewende (NEW) 4.0“ schaffen. Rund 60 Partner aus Industrie, Wissenschaft und Politik wollen in dem vierjährigen Großtest zeigen, wie sich Schleswig-Holstein und Hamburg bis zum Jahr 2035 vollständig mit erneuerbaren Energien versorgen lassen. NEW 4.0 ist eines von fünf Projekten des Förderprogramms „Schaufenster intelligente Energie“ (Sinteg), das das Bundeswirtschaftsministerium mit insgesamt 200 Mio. € fördert. Allein bei NEW 4.0 sollen die Fördermittel Investitionen von bis zu 300 Mio. € anstoßen.


Das Projekt könnte auch eine Blaupause für ganz Deutschland sein. „Im Jahr 2020 werden wir bundesweit die Probleme mit der Netzintegration haben, die jetzt in Schleswig-Holstein auftreten“, sagt Projektleiter und Koordinator Beba.


Zwar kommt der Netzausbau hier außergewöhnlich zügig voran. Denn die Landesregierung hat den Ausbau mit innovativen Verfahren, z.B. einem Bürgerdialog, stark beschleunigt. Damit war es möglich, Übertragungsleitungen an der West- und Ostküste sowie in der Mitte des Landes von Nord nach Süd bis Hamburg in nur drei Jahren ohne Klagen von Bürgerinitiativen bis zur Genehmigung zu bringen. Der Bau selbst dauert ein weiteres Jahr und soll Ende 2018 abgeschlossen sein.


Dennoch soll auch die Windenergieleistung noch weiter zunehmen. Gleichzeitig gibt es ab 2022 in Norddeutschland keine Atomkraftwerke mehr und die noch bestehenden 8000 MW-Kohlekraftwerke sollen allmählich abgeschaltet werden. Daher muss das Energiesystem der Zukunft auch Aufgaben wie Spannungshaltung und andere Aufgaben im Stromnetz übernehmen. Am Ende soll ein Stromsystem stehen, bei dem sich die Abnehmer nach dem Stromangebot richten und nicht umgekehrt.


Sektorenkopplung im Fokus:

Anders als die Bundesregierung legen die Partner von NEW 4.0 den Fokus nicht nur auf die Stromversorgung. „Wir wollen von Anfang an mit der sogenannten Sektorenkopplung dafür sorgen, dass der regenerativ erzeugte Strom auch im Wärme- und Verkehrssektor eingesetzt wird“, sagt Beba. Auch dafür ist die Region gut geeignet: Allein in Hamburg werden 18% der Haushalte über ein Fernwärmenetz versorgt. Daher gibt es ein gewaltiges Potenzial für Power-to-Heat-Anlagen, bei denen große Wasserspeicher über eine mit Strom betriebene Heizung den Warmwasserbedarf in Zeiten günstiger Strompreise decken könnten.


Eine andere Möglichkeit sind Batteriespeicher. „Wir testen beispielsweise auf der Insel Pellworm den Einsatz von großen von Lithium-Ionen-Akkus und Redox-Flow-Speichern“, erklärt Jan Gratenau, Projektleiter bei der Hansewerk AG. „Technisch funktioniert das, jetzt geht es darum, das System in den Markt zu integrieren“, sagt er. Die Ergebnisse des Inselnetzes sollen sich dann auf ganz Schleswig-Holstein übertragen lassen.


Wasserstoff ins Gasnetz:

In Hamburg dagegen testet die Hansewerk AG zusammen mit dem Energieversorger Uniper die Erzeugung von Wasserstoff in einer „Power-to-Gas“-Anlage. Hierbei erzeugen rund 5 kWh Strom 1 m³ Wasserstoff aus 1 l entionisiertem Wasser. Der bei der Elektrolyse frei werdende Sauerstoff wird in der Versuchsanlage noch an die Umgebung abgegeben. Aber auch dieser ließe sich künftig vermarkten, so Uniper.


Das Power-to-Gas-Verfahren hat den Vorteil, dass sich das Gas ins vorhandene Gasnetz einspeisen und darin wesentlich besser speichern und leiten lässt als Strom. Den Wasserstoff kann die Industrie entweder direkt nutzen oder in Blockheizkraftwerken (BHKW) zu Strom und Wärme umwandeln.


Der erzeugte Wasserstoff lässt sich zur Einspeisung ins Erdgasnetz zu Methan weiterverarbeiten. „Wir können ihn aber auch direkt ins Erdgasnetz bringen“, sagt Jörg Rudat, Innovationsmanager bei der SH Netz AG. Damit würde sich ein Aufbereitungsschritt erübrigen.


Derzeit schreibt eine Norm vor, dass der Anteil Wasserstoff im Gasnetz nur 2% betragen darf. Dieser Anteil ist aber nur für bestimmte Anwendungen entscheidend, z.B. für Gasfahrzeuge oder die Glasindustrie. In einem dreijährigen Projekt hat die SH Netz AG in der Gemeinde Klanxbüll mit 150 Haushalten nachgewiesen, dass BHKW, Gasherde und andere Anwendungen auch bei einem Wasserstoffanteil von 10% problemlos funktionieren. „Wir wollen den Anteil jetzt auf 30% erhöhen“, sagt Rudat. Das würde nicht nur sehr großes Potenzial für Power-to-Gas-Anlagen an Windparks schaffen, sondern auch den regenerativen Anteil im fossilen Erdgas erhöhen.


Ein weiteres Thema sind neue Kommunkationseinheiten, mit denen Verbraucher und Betriebe angeregt werden sollen, bei hohem Stromanfall den Stromverbrauch kurzfristig zu erhöhen. Dafür sollen auch Prognosemodelle entwickelt werden. „Wir wollen Industriebetrieben oder BHKW-Betreibern sagen können, dass wir z.B. in 6 bis 12 Stunden mit mehr Wind und damit mit günstigem Strom rechnen. Dann können sie ihren Verbrauch entsprechend anpassen“, sagt Gratenau. Betreiber von Nahwärmenetzen könnten dann bei günstigem Strom das BHKW ausstellen. Für den Wärmebedarf könnten sie den Strom aus dem Netz nehmen und über ein Power-to-Heat-Modul zum Heizen verwenden.


Stromheizung im Keller:

Die ARGE Netz ist ebenfalls Projektpartner bei NEW 4.0. Sie vertritt 300 Energieerzeuger und hat Schnittstellen zu Verbrauchern, Stromhändlern und Netzbetreibern eingerichtet. Sie liefert darüber u.a. Echtzeitdaten aus Windparks wie deren aktuelle Leistung an den Netzbetreiber. „Wir hoffen, dass dieser uns im Gegenzug mehrere Stunden im Voraus sagt, wann ein Netzengpass droht. Dann können wir rechtzeitig auf der Verbraucherseite nötige Flexibilitäten anfordern“, sagt Dr. Martin Grundmann, Geschäftsführer ARGE Netz.


Flexible Abnehmer können nicht nur Stromspeicher, Kühlhäuser oder Elektrolyseure in Power-to-Gas-Anlagen sein, sondern auch Heizstäbe im Wärmespeicher von Privathaushalten. Hierzu will die ARGE Netz in einem ersten Projekt 200 Haushalte zu einer Einheit zusammenfassen, die dann gezielt angesteuert werden können. „Bei hohem Windstromangebot würde dann die Ölheizung im Heizungskeller automatisch abschalten und dafür der Heizstab für Warmwasser sorgen“, erklärt der ARGE Netz-Geschäftsführer.


Anreize fehlen:

Genauso wollen die Projektbeteiligten Modelle entwickeln, um Industriebetriebe und andere Stromverbraucher für die flexible Abnahme von Strom zu belohnen. Wenn Strom z.B. lokal verbraucht und nicht durch das Netz geleitet wird, entfallen Netzentgelte. Und ohne Abschaltungen entfallen auch die Entschädigungszahlungen. „Unternehmen brauchen die neuen Umsatzströme, weil ein günstiger Strompreis allein noch keine Investitionen in neue Produktionsabläufe rechtfertigt“, sagt Gratenau.


Aktuell ist es auch nicht wirtschaftlich, mit Strom zu heizen. Denn die Wärme kostet aus Strom hergestellt rund 25 ct/kWh, mit einer Ölheizung dagegen 5 ct/kWh. „Der Gesetzgeber muss über die Umschichtung von Abgaben den Strompreis für Wärme mit dem Preis für fossile Energieträger wettbewerbsfähig machen“, fordert Grundmann daher.


Umsetzung läuft:

Die einzelnen Teilprojekte werden seit Anfang Dezember 2016 umgesetzt und anschließend vier Jahre modellhaft erprobt. Schleswig-Holsteins Energiewendeminister Robert Habeck fasst zusammen: „Das Beispiel Schleswig-Holstein zeigt, wie schnell wir sowohl Stromnetze als auch erneuerbare Energien ausbauen können, wenn es politisch gewollt ist. Wir hoffen, dass NEW 4.0 Wege aufzeigt, wie wir die Energiewende in ganz Deutschland schneller voranbringen können.“


Hinrich Neumann

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