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Fischschutz hemmt weiteren Ausbau

Lesezeit: 10 Minuten

Während die Energiebranche einen Ausbau der Klein-Wasserkraft fordert, sehen Fischerei- und Naturschutzverbände das eher problematisch. In einem Streitgespräch diskutierte top agrar mit vier Experten*.


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Was bedroht unsere Natur mehr: Der globale Klimawandel oder regionale Energieanlagen? Letzere produzieren zwar grünen Strom, greifen aber in den Naturhaushalt ein.


Im Falle von Klein-Wasserkraftanlagen sehen Fischerei- und Naturschutzverbände die Gewässerökologie gefährdet. Für Landwirte mit bestehenden Wasserkraftanlagen oder älteren Wasserrechten stellt sich daher die Frage: Wie ist es um die Technologie bestellt? Ist ein Ausbau möglich und wenn ja, wie könnte er aussehen?


Um die Argumente der einzelnen Interessengruppen näher zu beleuchten, hat top agrar vier Wasserkraftexperten zu einem Streitgespräch geladen.


Streit ums Potenzial:

Klein-Wasserkraft hat großes Ausbaupotenzial, betont die Vereinigung „Eurosolar“ in einem aktuellen Grundsatzpapier. Wie Wasserkraft-Interessengemeinschaften sieht auch Eurosolar darin Vorteile:


  • Die Technologie ist eine politisch krisensichere, heimische Energiequelle, die die Importabhängigkeit von fossilen Rohstoffen reduziert und Arbeitsplätze gerade in strukturschwachen Regionen schafft.
  • Die Technik ist ausgereift, hat einen mit 90 % sehr hohen Wirkungsgrad und kann rund um die Uhr bedarfsgerecht Strom liefern.


Nach Ansicht von Eurosolar hat die Wasserkraft gerade an kleineren Bächen und Flüssen noch Potenzial. „Die Zahl der Anlagen ließe sich insgesamt verdoppeln, eine Verzehnfachung wäre erstrebenswert“, argumentiert Dr. Axel Berg, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Wasserkraftwerke Baden-Württemberg und Mitautor des Eurosolar-Positionspapiers.


Das sehen Naturschutz- und Fische-reiverbände anders. „Neue Wasserkraftwerke sind mit uns nicht zu machen, schon eine Verdopplung der heutigen Anlagenzahl ist eine absolut unsinnige Forderung“, erwidert Paul Kröfges, Gewässer-Experte beim BUND-Landesverband Nordrhein-Westfalen.


Die Wasserkraftanlagen versperren den Fischen den Weg, verschlechtern ihre Fortpflanzungsbedingungen und verletzen oder töten Tiere in den Turbinen. „Wenn wir den globalen Klimawandel nicht stoppen, nützt der Naturschutz auf lokaler Ebene gar nichts!“, hält Berg dagegen. Die Abkehr von Kohle- und Atomkraftwerken müsse daher im Vordergrund stehen. Wasserkraft kann dazu einen Beitrag leisten. Eine einzelne Anlage bringe sicher nicht den Effekt. „Aber die Masse macht es, genau wie bei der Photovoltaik“, ist er überzeugt und fordert: „Wenn Naturschutzverbände vor Ort erneuerbare Energien verhindern, müssen sie sagen, woher künftig der Strom kommen soll. Ansonsten unterstützen sie Kohle- und Atomkraftwerke.“


Klimaschutzeffekt fraglich:

Dem widerspricht der BUND nicht grundsätzlich. „Aber der Klimaschutzbeitrag der Kleinwasserkraft ist verhältnismäßig gering, die Schäden überwiegen“, argumentiert Kröfges. Denn anders als bei Windrädern oder Photovoltaikanlagen könnten die im Fluss lebenden Tiere nicht ausweichen.


Zudem liege der Anteil der Wasserkraft an der deutschen Stromproduktion bei nur 3,5 %, wobei 86 % der Leistung von großen Anlagen über 1 MW Leistung kämen. „Die rund 7 000 Kleinwasserkraftanlagen in Deutschland tragen nur 0,5 % zur Stromerzeugung bei. Selbst wenn wir die Zahl verdoppeln würden, wäre die Stromer-zeugung und damit der Klima-schutzeffekt immer noch verschwindend gering“, rechnet er vor.


Die Schäden an der Biodiversität würden dazu in keinem Verhältnis stehen. „Das globale Klima werden wir mit Wasserkraft auch nicht beeinflussen, im Gegenteil: Im Staubereich der Wasserkraftanlagen kann durch anaerobe Faulungsprozesse Methan entstehen, das viel klimaschädlicher als Kohlendioxid ist“, ergänzt Dr. Olaf Niepagenkemper vom Fischereiverband NRW.


Fischfreundliche Technik:

In Nordrhein-Westfalen hält auch die Landesregierung das Potenzial der Wasserkraft mit heutiger Technologie aufgrund dieser Probleme für begrenzt. Dennoch will sie das Thema nicht aufgeben. „Die Regierung will, dass in jedem Regierungsbezirk eine oder mehrere Anlagen mit modernster Technik errichtet werden. Sie sollen zeigen, wie sich Wasserkraftstrom nachhaltig und möglichst fischfreundlich erzeugen lässt“, erklärt Stefan Prott vom Büro für Wasserkraft der Energieagentur NRW.


Schäden nur an Besatzfischen?

Es gibt Wasserkraft-Technologien, die fischfreundlicher sind. Dazu zählen z.B. Wasserräder oder Wasserkraftschnecken, die die Fische weniger schädigen als Turbinen mit ihren schnell laufenden Propellern. Auch bei Schnecken sind Verletzungen nicht vollständig auszuschließen. „Aber wir kommen bei modernen Anlagen auf sehr geringe Schadensraten“, erklärt Prott.


Die Schäden an den Fischen sind inzwischen in vielen Gutachten belegt. Uneinig sind sich unsere Gesprächspartner aber über die Ursache. „Die ursprünglich vorkommenden Fischarten sind unseren begradigten und mit Abwässern belasteten Gewässern fast alle ausgestorben. Sie waren in der Regel standorttreu und brauchten keine Fischtreppen“, sagt Berg. Besatzfische aus der Zucht scheitern seiner Meinung nach an der Auswilderung und schwimmen in die Turbinen. „Wir sollten besser die Laichgründe von heimischen Fischen renaturieren anstatt dem Zuchtfisch Fischtreppen zu finanzieren“, fordert Berg.


„Das ist Unsinn und auch biologisch falsch. Der Anteil an Besatzfischen ist gegenüber den Wildformen in den Gewässern verschwindend gering“, hält Niepagenkemper dagegen. Im Übrigen wanderten alle Fische im Gewässer zu verschiedenen Jahreszeiten. Beispielsweise würden Aale, Lachse oder Meerforellen immer den Weg ins Meer suchen. Der Lachs dagegen wandert vom Meer flussaufwärts in seine Laichgebiete.


Bei ausgebauten, aufgestauten Flüssen, aber auch in den langen Ausleitungsstrecken der Wasserkraftwerke, finden anspruchsvolle Fischarten wie Lachs, Bachforelle und Neunaugen keine Fortpflanzungsmöglichkeiten. „Sie benötigen besondere Laichsubstrate wie Kiessedimente“, argumentiert der Fischerei-Experte. Diese werden vom Hochwasser von Zeit zu Zeit umgelagert, sodass ausreichend Sauerstoff für Eier und Fischlarven im Kies enthalten sind. Bei Querverbauungen im Fluss kommt der Transport der Sedimente zum Erliegen.


Zudem sorgt die geringere Fließgeschwindigkeit für einen Temperaturanstieg und damit für eine schlechtere Sauerstoffversorgung im Gewässer. Die These, dass die Staubereiche und Ausleitungsstrecken von Wasserkraftanlagen die Gewässerökologie sogar verbessern könnten, stehe im deutlichen Widerspruch zu allge-mein gewäs­serökologischen Grund­kenntnissen, meint Niepagenkemper: „Stattdessen beobachten wir in den degradierten Flüssen nur Allerweltsarten ohne besondere Standortansprüche wie Brasse, Rotauge, Döbel oder Hasel“, erklärt er.


Nicht nur Wasserkraft

: Berg stellt aber infrage, ob Wasserkraftanlagen allein für den schlechten Zustand der Gewässerökologie verantwortlich gemacht werden können. „Kühlwasser aus Kondensationskohle- und Atomkraftwerken heizt die Flüsse auf. Dazukommen eingeleitete Chemikalien wie Quecksilber. Auch das setzt den Fischen zu“, argumentiert er.


„Das kann man heute so pauschal nicht mehr behaupten, zumindest in Nordrhein-Westfalen haben einige große Kraftwerke Siebrechenanlagen eingebaut und von Durchfluss- auf Verdunstungskühlung umgestellt“, erwidert Niepagenkemper.


Beim Kohlekraftwerk Hamm-Uentrop an der Lippe beispielsweise sei damit die Wassermenge für die Kühlung von ehemals 5,6 m3 pro Sekunde auf wenige 100 l gesunken. Die Fische würden außerdem nicht mehr in den Kühlkreislauf gelangen.


Fischabstieg ungelöst:

Fischtreppen sollen für den Aufstieg der Tiere entgegen der Strömung sorgen. Beim Abstieg in Fließrichtung dagegen gibt es laut Niepagenkemper noch keine funktionierende Technik. „Die Fische folgen immer der Hauptströmung. Da das meiste Wasser bei Wasserkraftanlagen durch die Turbinen geht, müssen auch die Fische dadurch.“ Selbst wenn es einen Fischweg um die Anlage herum gäbe, würden die meisten Tiere immer in der Anlage landen. Ohne geregelte Ausweichmöglichkeit können bis zu 50 % der Fische von der Turbine verletzt werden, fasst er Untersuchungsergebnisse von einer größeren Wasserkraftanlage aus Kostheim am Main zusammen. Hier wurde die Zahl der geschädigten Tiere mithilfe von „Hamen-netzen“ (spezielle Netze zum Fischfang) am Ausgang der Turbine festgestellt.


Ein zusätzliches Problem: Es gibt keine pauschalen Fischschutz für alle Arten, je nach Gewässer, Standort, Fischpopulation und Anlagentechnik sind individuelle Lösungen gefragt. Künstliche Barrieren wie Strom, Licht, Schall oder anderes funktionieren auch nicht ausreichend, zeigen verschiedene Gutachten. Am meisten Erfolg verspricht ein mechanischer Rechen. In einem Pilotprojekt bei der Wasserkraftanlage Unkelmühle an der Sieg soll jetzt u. a. ein Rechen mit 10 mm Stababstand verhindern, dass Fische flussabwärts in die Turbine gelangen. Das Projekt wird drei Jahre lang wissenschaftlich begleitet.


Geringe Wirtschaftlichkeit:

Genau wie der BUND macht auch der Fischereiverband als anerkannter Umweltverband von seinem Klagerecht Gebrauch. So hat er kürzlich in einer Klage gegen eine Untere Wasserbehörde erreicht, dass der Betreiber eines Wasserkraftwerks die Anlage nur ein halbes Jahr nutzen darf und die Hauptwassermenge an der Anlage vorbeifließen muss. Doch dabei sinken natürlich die Stromerzeugung und damit auch der Klimaschutzeffekt dieser Anlage – ein Teufelskreis.


Zudem verteuert der Fischschutz die Anlage schnell um bis 50 %. Dazu kommt die oftmals reduzierte Wassermenge, die noch durch die Anlage fließt. Bei der ohnehin schon sehr knappen Einspeisevergütung von unter 13 ct/kWh (siehe Grafik auf S. 40) sind die Anlagen schnell unwirtschaftlich.


Verbesserungen in puncto Fischschutz verlangt die Politik jedoch bereits seit dem Jahr 2004. Schon nach dem damals verabschiedeten Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) bekommen Betreiber von Laufwasser-Anlagen mit einer Leistung bis 5 MW nur dann eine Vergütung, wenn sie für Fischdurchgängigkeit und damit nachweislich für einen guten ökologischen Zustand bzw. eine Verbesserung sorgen.


„Wir kennen aber Beispiele aus Bayern mit Pseudo-Fischtreppen, die zu keiner Verbesserung geführt, dem Betreiber aber mit der EEG-Vergütung viel Geld beschert haben“, kritisiert Kröfges. Das Problem sei dabei nicht das EEG, sondern die mangelnde Kon-trolle vor Ort. Um zu praktikablen Lösungen zu kommen, gibt es seit mehreren Jahren das Forum „Fischschutz und Fischabstieg“ am Umweltbundesamt, in dem über 200 Wissenschaftler, Planer, Wasserkraftler, Umweltschützer und Fischereiverbände über Fischpopulationen, Anlagenkonzepte und Erfahrungen aus anderen Ländern diskutieren.


Technisch ist zwar in Deutschland noch viel Wasserkraftpotenzial vorhanden. Berücksichtigt man dagegen das Wasserhaushalts- und das Naturschutzgesetz, bleiben nur wenige Standorte übrig.


Potenzial für Altstandorte:

Allerdings gibt es überall an Flüssen und Bächen Querbauwerke, die eine Fischwanderung verhindern. Allein in Nordrhein-Westfalens Gewässern standen bei der letzten Erhebung aus dem Jahr 2005 rund 13 600 Wehre, Staudämme und andere Bauten. Die meisten haben einen geringen Höhenunterschied, der für Fische keine Barriere darstellt. „Nur rund 1 600 Querbauwerke sind für eine zusätzliche Wasserkraftnutzung interessant, weil sie ein Gefälle von einem Meter haben“, erklärt Prott. Viele von diesen Bauwerken können nicht entfernt werden, weil sie z. B. dem Hochwasserschutz dienen.


Laut EU-Wasserrahmenrichtlinie aus dem Jahr 2000, die Deutschland im Wasserhaushaltsgesetz umgesetzt hat, müssen bis zum Jahr 2015 sämtliche Gewässer fischdurchgängig sein. Heute hat Deutschland das laut Umweltbundesamt noch nicht einmal bei 20 % der Gewässer erreicht.


Daher gibt es Überlegungen, die Querbauwerke mit einem Wasserkraftwerk zu kombinieren und so nicht nur energetisch zu nutzen, sondern auch mit einem Fischdurchgang zu kombinieren. „Das ist jedoch nur bei wenigen Bauwerken und auch nur unter strengen Auflagen möglich“, meint Kröfges.


Kürzlich hat es zudem ein Urteil vom Europäischen Gerichtshof (EUGH) bezüglich des Weser-Ausbaus gegeben. Darin machen die Richter deutlich, dass sich jedes Vorhaben verbindlich an die Umweltziele der Wasserrahmenrichtlinie halten muss. „Wenn das die deutschen Genehmigungsbehörden auf die Wasserkraft übertragen, gibt es keine neuen Wasserkraftanlagen mehr“, befürchtet Berg. Neue Anlagen sieht auch Prott kritisch. Vielmehr müsse es darum gehen, alte Anlagen zu modernisieren oder neue an bestehenden Querbauwerken zu errichten. „Wenn, dann muss sich an den Wasserkraft-Standorten aber die Gewässerqualität verbessern“, macht Kröfges den Standpunkt des BUND klar. Ansonsten müssten für eine dezentrale Energieversorgung andere Technologien wie z. B. Wind- oder Solarenergie den Vorrang vor der Wasserkraft haben.

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