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Flaute im Freistaat

Lesezeit: 11 Minuten

Noch vor Kurzem galt die Windenergie als Heilsbringer für die bayerische Strom­versorgung. Jetzt sorgen politische Entscheidungen für einen jähen Ausbaustopp. Die Kehrtwende könnte Bauern und Bürger Millionen kosten.


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Ein weiter Panoramablick von der Berghütte über Wälder, kristallklare Seen und gezackte Alpen unter weißblauem Himmel: So stellt man sich bayerische Heimat vor. Und so soll es nach Meinung von Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) auch bleiben. Mit seinem Namen soll „die Zerstörung der wunderschönen Landschaft durch erneuerbare Energien“ nicht verbunden werden, verkündete er in der Presse. Dabei stören ihn besonders die bis zu 200 m hohen Windräder.


Das war aber nicht immer so: Nach den Eindrücken des Atomunglücks in Fukushima im Jahr 2011 stampfte seine Regierung ein 80-seitiges „Bayerisches Energiekonzept“ aus dem Boden, das selbst grüne Politiker aufhorchen ließ. Das Ziel: Die Stromversorgung weg von der Kernenergie hin zu erneuerbaren Energien umzustellen. Die Windenergie sollte dabei eine wichtige Rolle spielen: Bis zum Jahr 2021 will Bayern ganze 10 % seines Strombedarfs damit decken. Dafür müssten rund 1 500 neue Windräder gebaut werden. Heute erreichen die 661 Windräder erst knapp 2 % Anteil im Strommarkt.


Politische Vollbremsung:

Doch das ehrgeizige Ziel ist im Juli 2013 in weite Ferne gerückt. In einer Bundesratsinitiative forderte die bayerische Regierung zusammen mit Sachsen eine Änderung des Baugesetzbuches, wonach Länder künftig einen pauschalen Abstand der zehnfachen Windradhöhe („10H“) zur Wohnbebauung festlegen dürfen. Bei den im Binnenland üblichen 200 m hohen Anlagen wäre das ein Abstand von 2 000 m. Diese Initiative zog Seehofer zwar vor der Landtagswahl zurück, sorgte aber dafür, dass eine Länderöffnungsklausel wenig später im Koalitionsvertrag der schwarz-roten Bundesregierung zementiert wurde. Damit könnten Bundesländer ihre eigenen Abstände definieren.


Auch das bayerische Kabinett stimmte im Februar 2014 für die umstrittene 10H-Regelung. Begründung: Der Ausbau der neuen Energien habe jetzt nicht mehr oberste Priorität. Statt-dessen stünden Kostendämpfung für die Bürger und Versorgungssicherheit im Vordergrund.


Die geplante Abstandsregelung ist zwar noch nicht in Kraft, es fehlt eine Änderung des Baugesetzbuches auf Bundesebene. Die soll aber schon Anfang August in Kraft treten. Auch das bayerische Umsetzungsgesetz dazu soll bis zum 1. August rechtskräftig sein. „Vertrauensschutz soll es nur für die Anlagen geben, bei denen zum Stichtag 4. Februar 2014 ein vollständiger Antrag auf bau- oder immissionsschutzrechtliche Genehmigung vorlag“, erklärt hierzu Rechtsanwalt Dr. Bernd Wust aus München.


Doch auch schon heute halten sich viele Genehmigungsbehörden an die Abstandsregelung. Kein Wunder: Seehofer selbst hatte bereits im Jahr 2013 per Erlass dazu aufgefordert, dass die Behörden vor Inkrafttreten der Regelung kein Windrad mehr genehmigen sollen. „Ein absolut rechtswidriges Vorgehen, weil es keine Rechtsgrundlage dafür gibt“, kritisiert nicht nur Dr. Helmut Loibl, auf Energierecht spezialisierter Rechtsanwalt aus Regensburg.


Projekte in Gefahr:

„Bei Planungszeiträumen von drei bis fünf Jahren sind viele begonnene Projekte akut gefährdet“, moniert Sylvia Pilarsky-Grosch, Präsidentin des Bundesverbandes Wind-energie. Ein typisches Beispiel dafür ist der Windpark Langenzenn (siehe Kasten links).


Aber auch Neuanlagen dürfte es kaum noch geben: Mit der 10H-Regelung reduziert die Regierung das verfügbare Potenzial in Bayern enorm. „Weniger als 0,1 % der Landesfläche ständen dann noch für die Windenergie zur Verfügung“, befürchtet Dr. Thomas Banning, Vorstandsvorsitzender der Naturstrom AG und Mitbegründer der Initiative „Rückenwind für Bayern“. Potenzial gibt es dagegen laut Bundesverband Windenergie außerhalb von Schutzgebieten und Wäldern auf 6,4 % der Landesfläche.


Auch die Städte und Gemeinden waren von Seehofers Kehrtwende überrascht. Die Höhenbegrenzung „unterläuft alle bisherigen Bemühungen um einen Ausbau der Windenergie“, kritisiert Dr. Ulrich Maly, Vorsitzender des Bayerischen Städtetages. Die 10H-Regelung sei eine Verhinderungsplanung, die den Kommunalpolitikern plötzlich die Unterstützung entziehe.


Zwar kann eine windenergie-freundliche Gemeinde diese Regelung umgehen. Denn sie gilt nur für privilegierte Vorhaben im Außenbereich. „Weist die Gemeinde einen Bebauungsplan für die Windenergienutzung aus, ist der Standort nicht mehr im Außenbereich, sodass sich die Genehmigungsfähigkeit allein nach dem Bebauungsplan richtet“, erklärt Rechtsanwalt Loibl.


Allerdings legt die Staatsregierung mit einer solchen Regelung die gesamte Windkraftnutzung in Bayern in die Hände der Kommunen, befürchtet er: „Wenn eine Gemeinde keinen Bebauungsplan aufstellt, lässt sich damit ganz schnell ein Windpark verhindern. Denn es gibt mit der 10H-Regelung kaum Standorte in Bayern, bei denen sich eine privilegierte Anlage bauen ließe.“


Kein Grund für Regelung:

Der politische Druck wäre dabei gar nicht nötig gewesen. Experten und Politiker hatten für Bayern in den letzten zwei Jahren mit dem Winderlass und dem Windatlas einen Kompromiss erarbeitet, um einen Ausgleich der Interessen von Anliegern, Natur, Tierwelt und Investoren zu schaffen. Und erst im Jahr 2011 hatte die Landesregierung in den „Hinweisen zur Planung und Genehmigung von Windkraftanlagen“ notwendige Mindestabstände definiert. Sie bezieht sich damit auf die allgemeingültige Technische Vorschrift zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm).


Nach der Vorschrift darf die Lautstärke an der Fensteraußenseite eines Hauses einen Wert von 45 Dezibel nicht überschreiten. Das entspricht der Gesprächslautstärke. Dieser Wert wird in der Regel bei einem Abstand 800 m zu einem allgemeinen Wohngebiet und bei 500 m zu einem Misch- oder Dorfgebiet erreicht.


Zusätzlich lassen sich nachts Anlagen im sogenannten schalloptimierten Betrieb fahren, indem die Leistung gedrosselt wird – falls sich die Schall-grenzwerte ansonsten nicht einhalten lassen.


Zudem hat die bayerische Staatsregierung selbst sogar mehrere Windstützpunkte zur Information der Bevölkerung eingerichtet mit dem Ziel, die Akzeptanz der Bevölkerung zu steigern.


Dabei haben die Windräder in Bayern nicht mehr oder weniger Akzeptanzprobleme als in anderen Regionen. Nur in einigen Hotspot-Regionen könnte die Stimmung kippen, beispielsweise im Landkreis Neumarkt (Oberpfalz): Hier sind 50 Windräder installiert, 30 weitere genehmigt und 30 bis 40 in Planung. „Viele Bürger fürchten um die Qualität am Wohnort, wenn die Anlagenzahl wegen der günstigen Windverhältnisse in unserer Region in Richtung 150 wächst“, sagt Axel Koch, bei der Regierung Oberpfalz zuständig für die Raumordnung. „Man darf aber nicht ein paar laute und kritische Stimmen in der Tagespresse mit der gesamten Volksmeinung verwechseln“, mahnt Wolfgang Degelmann von der Kreisgruppe Hof des Bundes Naturschutz in Bayern.


Auch im Landkreis Hof, der Region mit den meisten Windrädern in Bayern (siehe Kasten unten) gibt es laut Degelmann drei aktive Bürgerinitiativen, die aber nur einen ganz kleinen Teil der Bevölkerung repräsentieren. „Die große Masse dagegen schweigt“, erklärt er. Das zeigt ganz deutlich eine Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes TNS Emnid, das im Februar 2013 in Bayern 1 000 Bürger befragt hat. Ergebnis: 76 % der befragten Bayern sind für einen verstärkten Ausbau der Windkraft. Über 83 % sehen in der Windenergie keine oder nur eine geringe Beeinträchtigung des Landschaftsbildes. „Für uns die wichtigste Aussage“, erläutert Degelmann, dessen Kreisgruppe einer der Auftraggeber der Umfrage war.


Ähnliches zeigt auch die Initiative „Rückenwind für Bayern“: Innerhalb von sechs Wochen trugen sich nach Seehofers Bundesratsinitiative auf der Internetplattform rund 7 000 Bürger ein, die sich für die Windenergie ausgesprochen haben.


Allerdings müsse man der Bevölkerung auch reinen Wein einschenken, meint Mitinitiator Banning. Denn Bayern ist überproportional stark von der Atomkraft abhängig. „Was bleibt noch übrig, wenn man jetzt nach den Solarfreiflächenanlagen und der Energiepflanzennutzung in Biogasanlagen auch noch die Windenergie eindampft?“, fragt er kritisch.


Bayern hat Potenzial:

Dabei hat die Windenergie selbst im Süden viel Potenzial – auch wenn Windkraftgegner anders argumentieren. „In einer Höhe von 120 m und mehr sind auch im südlichen Binnenland mittlere Windgeschwindigkeiten von 5,8 bis 6,7 m/s möglich“, erklärt Peter Herbert Meier, Abteilungsleiter WindCert Services beim TÜV Süd. In Kombination mit größeren Rotordurchmessern würden so Erträge wie in Küstenregionen erreicht.


Gerade Bayern hat zudem viel Potenzial im Wald. Die Standorte sind häufig sehr weit von der Wohnbebauung entfernt. Heute stehen bereits 30 Windräder mit einer Leistung von 70 MW allein im bayerischen Staatsforst.


Allerdings müssen die Anlagen an diesen Standorten sehr hoch sein. Denn oberhalb von 100 Metern ist laut TÜV Süd nicht nur die Windgeschwindigkeit deutlich besser, weil es dort eine andere Luftschicht beginnt. Auch nehmen hier die Turbulenzen deutlich ab, die über den Bäumen auftreten und die empfindlichen Rotorblätter schädigen können.


Außerdem lässt sich laut einer aktuellen Studie der „Deutschen Windguard“ nur mit entsprechend hohen Türmen an einem windschwachen Standort Windstrom zu Kosten von 9 bis 11 Cent je Kilowattstunde erzeugen – ein wichtiges Argument, da Seehofer ja auch die Stromkosten der Verbraucher im Blick hat. Kleinere Anlagen wären also aus Verbrauchersicht unsinnig.


Ein möglichst hoher Stromertrag ist vor allem wegen der Investitionskosten nötig. „Viele Hersteller sind aus Norddeutschland andere Winderträge gewöhnt. Für Binnenstandorte sind Schwachwindanlagen zu bezahlbaren Preisen nötig“, berichtet Andreas Böhm, Geschäftsführer des Windparkprojektierers Fronteris aus Regensburg.


Hemmschuh Regionalplan:

Doch nicht nur die 10H-Regelung bereitet den Projektierern, Landwirten und Bürgern Kopfschmerzen: Am 1. September 2013 ist das neue Landesentwicklungsprogramm in Kraft getreten. Es schreibt vor, dass Flächen für Windenergieanlagen über Regionalpläne und damit überregional festgelegt werden müssen. Die Regionalplanung gibt Vorrang-, Vorbehalts- und Ausschlussflächen vor. In Vorrangflächen darf auf jeden Fall gebaut werden, in Ausschlussflächen dagegen gar nicht: Bei einem Vorbehalt kann beispielsweise der Artenschutz dagegen sprechen.


Die Regionalplanung verzögert aktuell den Windkraftausbau. „Denn die Kommunen müssen jetzt ihre Planung an die Regionalpläne anpassen. Sie dürfen nicht andere Flächen als die des Regionalplans für die Windkraft ausweisen“, erklärt Rechtsanwalt Loibl. In dem Fall wäre die Planung unwirksam.


Auch das Ziel, dass mit der Regionalplanung ein möglichst konfliktfreier Ausbau der Windenergie gelingt, lässt sich nicht überall verwirklichen. Das zeigt das Beispiel der Genossenschaft „Windpark Streu & Saale“ aus Bad Neustadt (Landkreis Rhön-Grabfeld) sehr eindrucksvoll (siehe Kasten), bei dem vor allem der Artenschutz das Projekt fast verhindert hätte.


Dabei gibt es durchaus die Möglichkeit, Windenergie und Naturschutz in Einklang zu bringen. Beispielsweise im Landkreis Hof: Hier hat Fronteris Bayerns größten Windpark bestehend aus fünf einzelnen Windparks mit zusammen 23 Windrädern mit 60 MW errichtet. Darunter befindet sich auch der Bürgerwindpark „Trogen II“, der in einem sturmgeschädigten Fichtenwald steht. Pro Windrad müssen die Betreiber einen hohen, fünfstelligen Betrag zahlen, den die entsprechenden Behörden gezielt für Naturschutzprojekte verwenden – z. B. für das Aufforsten von artenarmen Fichtenwäldern. „Damit leisten die Windräder auch einen wichtigen Beitrag für den Naturschutz“, ist Geschäftsführer Böhm überzeugt.


Kehrtwende nötig:

Die Zustände im Freistaat geraten immer stärker in die Kritik. „Die bayerische Genehmigungspraxis für Windkraft widerspricht der Bundesgesetzgebung und ist damit rechtswidrig“, meint nicht nur Hans-Josef Fell, Sprecher der neu gegründeten Klagegemeinschaft „Pro Windkraft“. Mit der Klagegemeinschaft will er mit Mitinitiator Patrick Friedl gerichtlich gegen die „rechtswidrige Verordnungs- und Genehmigungspraxis“ der Behörden vorgehen. Nach ihrer Ansicht würden großflächige Ausschlussgebiete für Windkraft in Regionalplänen der im Baugesetzbuch geforderten Privilegierung der Windkraft widersprechen. Das gleiche beträfe den pauschalen und großflächigen Ausschluss von Windkraft in Landschaftsschutzgebieten, Naturparks oder Biosphärenreservaten. „Wir sehen gute Chancen, behindernde Regionalpläne sowie Beschlüsse und Erlasse der Staatsregierung als rechtsunwirksam zu Fall zu bringen“, meint Fell.


Langsam wird auch die Zeit knapp. Im Jahr 2015 soll das nächste Atomkraftwerk in Grafenrheinfeld vom Netz. Eine Strategie, wie die dadurch entstehende Stromlücke gedeckt wird, gibt es bis jetzt nicht. Seit einigen Wochen hat CSU-Energieministerin Ilse Aigner ein neues Gaskraftwerk in Grafenrheinfeld in die Diskussion gebracht, das die Versorgungssicherheit im Lande erhöhen und den Bau zusätzlicher Stromtrassen wie die in Bayern heiß diskutierte Trasse „Suedlink“ überflüssig mache.


Der Bayerische Städtetag fordert mehr Verlässlichkeit, wie der Vorsitzende Dr. Ulrich Maly deutlich macht: „Die Politik darf die im Konsens gesteckten großen Ziele der Energiewende nicht sofort aus den Augen verlieren, sobald erste Bedenken laut werden.“


Auch andere Regionen wundern sich über das Vorgehen im Freistaat. „In Bayern dreht sich kein Windrad schneller als Seehofer“, spottete unlängst Werner Brinker, Chef des norddeutschen Energiekonzerns EWE aus Oldenburg. Die Windkraft-Befürworter hoffen jetzt auf eine letzte „Drehung“ Seehofers: Und zwar endlich wieder in Richtung Windenergie.

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