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Gärrest im Gewächshaus

Lesezeit: 8 Minuten

Das Unternehmen Terragie aus Nordrhein-Westfalen will mit einem neuartigen Konzept Gülle und Gärrest komplett aufbereiten. Ein Baustein dazu ist die Produktion von Wasserlinsen im Gewächshaus.


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Hanspeter Maas macht sich schon länger Gedanken über die Entsorgung des Problemstoffs Gülle. Er ist Geschäftsführer der AgriV Raiffeisen eG aus Sonsbeck am Niederrhein (Nordrhein-Westfalen), die in den Kreisen Wesel, Kleve und Borken tätig ist. In der Region stehen 55% aller Kühe und 23% aller Schweine des Landes, die Viehdichte erreicht mit 2,5 bis 3 Großvieheinheiten pro ha Spitzenwerte.


Außerdem grenzt das Gebiet an die Niederlande, die jährlich 1,5 Mio. m3 Gülle nach Deutschland exportiert. „Zudem haben Landwirte in den vergangenen Jahren die Zahl ihrer Kuhplätze verdoppelt bis verdreifacht. Auch verschärfen die neuen Höchstgrenzen der geplanten Dünge-Verordnung das Problem“, sagt Maas. Gülletourismus hat Hochkonjunktur. Aber die Fracht ist wegen des hohen Wassergehalts teuer – egal, ob mit dem Schiff oder per Sattelzug. Daher suchen die Landwirte dringend nach Lösungen.


Neuartige Aufbereitung:

Hilfe könnte ein neuartiges Konzept der Terragie aus Kalkar bringen. Das Unternehmen, das die AgriV gemeinsam mit der Agravis Raiffeisen eG aus Münster gegründet hat, behandelt Gülle oder Gärrest aus Biogasanlagen in fünf Schritten:


  • Zunächst trennt ein Pressschneckenseparator den Wirtschaftsdünger in eine feste und eine flüssige Phase.
  • Die Festphase verarbeitet die Terragie weiter zu einem streufähigen Dünger und transportiert ihn per Lkw in Ackerbauregionen.
  • Die flüssige Dünnphase gelangt dagegen in einen speziell entwickelten „Absetzer“. Hierin hält ein Filter die restlichen Feststoffe zurück, die Terragie ebenfalls mit der Festphase nach der Separation zu Dünger verarbeitet.
  • Die zurückbleibende Flüssigkeit dient in eigens entwickelten Gewächshäusern als Nährlösung für Wasserpflanzen wie z.B. Wasserlinsen.
  • Diese Pflanzen lassen sich zu Eiweißfuttermittel oder als Leistungssteigerer in Biogasanlagen weiterverarbeiten.


Herzstück des neuen Verfahrens ist der „Absetzer“. Die eingepumpte Dünnphase muss hierin zunächst einen Zyklon durchfließen, der nach oben spitz zuläuft. Die Flüssigkeit wird wegen der runden Zyklonform verwirbelt.


Fällung mit Eisenchlorid:

Über eine ca. 20 cm lange Injektionsnadel aus säurebeständigem Kunststoff wird Eisen-III-Chlorid in den Zyklon automatisch zudosiert. Die Eisenchloridfällung des organischen Materials ist nicht neu. „Bislang gibt man das Mittel aber in einem Vorratsbehälter dazu. Bei unserem Verfahren brauchen wir wegen der guten Durchmischung deutlich weniger von der Chemikalie“, sagt Maas. Denn das Mittel gelangt in den Flüssigkeitsstrom und kann innerhalb von Sekunden mit der Dünnphase reagieren. Dabei flockt die organische Masse sofort aus, die sich im Absetzbecken oben anreichert und einfach abscheiden lässt.


Bei Rindergülle beispielsweise gehen zwei Drittel der Nährstoffe aus der Dünnphase in das ausgeflockte Material über, vor allem der Phosphor. Stickstoff in Form von Ammonium ist dagegen in dem Wasser gelöst. Die flüssige Phase wird nach dem Absetzen noch durch ein Sieb mit 11 Mikrometer (µm) Maschenweite gefiltert, um die letzten Sedimente heraus zu reinigen.


Feststoffe zu Blumenerde:

Alle anfallenden Feststoffe (nach dem Separator und dem Absetzer sowie der Filterkuchen) lassen sich am Ende wieder zusammenführen. „Wir wollen das als Torfersatz bzw. Blumenerde vermarkten, vorwiegend an den Profigartenbau“, erklärt Maas. Erste Versuche haben gezeigt, dass die darin gezogenen Pflanzen vitaler sind und besser wachsen als in handelsüblicher Gartenerde. Schon im Jahr 2016 hat Terragie 1600 m3 davon in Säcken mit je 40 l Inhalt bzw. 20 kg Gewicht an verschiedene Abnehmer geliefert, die diese unter deren Label auf den Markt gebracht haben.


Um dem Handel aber gleichbleibende Qualitäten anbieten zu können, nimmt Terragie dafür nur Feststoffe aus Biogasanlagen. Denn während des Gärprozesses werden viele Unkrautsamen abgetötet. Auch nimmt Terragie nur Material aus Biogasanlagen, bei denen der Input bekannt ist. Denn Hemmstoffe aus Klauenbädern z.B. können den Blumensamen schaden. Oder Hirsesamen aus Hühnerfutter überstehen die Gärtemperatur von 40°C.


Um ein handelsfähiges Produkt anbieten zu können, behandelt Terragie die Feststoffe in einem Erdenmischer. Dieser zerschlägt nicht nur faustgroße Steine zu Mehl, sondern mischt auch die Zuschlagsstoffe wie Spezialsande unter. Gesteinsmehle sorgen dafür, den restlichen Ammoniak zu binden und damit Geruch zu vermeiden.


Nährlösung für Gewächshaus:

Das übrigbleibende Nährwasser kann der Landwirt entweder auf dem Acker verregnen. Es enthält z.B. mit Rindergülle als Ausgangsstoff noch 1,3 kg N und 0,55 kg P pro kg, auf Basis von Schweinegülle noch 2,1 kg N, auf Basis von Gärrest noch 1 kg N. „Phosphor ist so gut wie nicht mehr enthalten“, erklärt Maas.


Oder es dient als Nährlösung für Wasserpflanzen. Dazu wird es in ein Gewächshaus geleitet. Terragie hat sich in dem patentierten Verfahren für sogenannte Venloblocks in Stahl-Glas-Bauweise entschieden.


In diesen Blocks wachsen verschiedene Pflanzen in ca. 15 cm hohen, 80 cm breiten und 30 m langen Becken. Davon sind bis zu zehn Stück regalartig übereinander in einem Spezialgestell angeordnet. „Auf einer Gewächshausfläche von 1600 m2 Grundfläche, schaffen wir damit ca. 4800 m2 Fläche für die Pflanzen“, erklärt Maas. Pro Tag wächst auf den 4800 m2 rund 1 t Pflanzenmasse nach, also umgerechnet 840 t Frischmasse pro Hektar und Jahr – ein Vielfaches z.B. von Silomais. Der TS-Gehalt liegt bei 14 bis 15%.


Pro Tag verarbeiten die Pflanzen je nach Pflanzenart und Umgebungstemperatur zwischen 6 und 20 l Flüssigkeit pro m2. Das Kondenswasser, das die Pflanzen abgeben, sammelt sich am Gewächshausdach und wird weiter genutzt, z.B. um die Nährlösung für empfindliche Pflanzen zu verdünnen.


Passt zur Biogasanlage:

Ein Gewächshaus dieser Größe reicht aus, um den Gärrest einer Biogasanlage mit 500 kW elektrischer Leistung komplett verarbeiten zu können. Der Gesamtdurchsatz des Systems beträgt 4 m3 Gärrest bzw. Gülle pro Stunde, also ca. 40 m3/Tag. Die Abwärme der Biogasanlage mit 500 kW reicht auch aus, um das Gewächshaus zu beheizen. Die Pflanzen benötigen ganzjährig eine Temperatur von 30°C. Anlagen, die weniger Wärme zur Verfügung haben, könnten die Sonnenwärme im Sommer nutzen, um das Gewächshaus auf Volllast zu betreiben. Im Winter dagegen könnten sie die Pflanzenproduktion reduzieren.


Eiweißfutter erzeugt:

Derzeit favorisierte Pflanze in den Becken für die Nutzung der aus Gärresten hergestellten Nährlösung ist „Alligator Weed“ (Alternanthera philoxeroides). Diese unkomplizierte Pflanze macht wenig Arbeit. Für die Produktion von Proteinpflanzen wird die Wasserlinse verwendet (Gattung: Lemna). Sie wird nur einmal eingebracht. Nach wenigen Tagen ist die Wasseroberfläche komplett bedeckt. Zur „Ernte“ schieben die Mitarbeiter den Belag einfach ab. Die Reste im Wasser reichen aus, um die nächste Partie wachsen zu lassen.


Die feuchten Wasserlinsen werden mit der Wärme des Gebläses getrocknet, über das die warme Luft ins Gewächshaus strömt. Die Linsen enthalten 46% Protein. Daraus lässt sich Eiweißfutter für die Tierernährung herstellen. „Die Agravis will das Material in ihren Futtermittelwerken einsetzen und gibt eine Abnahmegarantie“, erklärt Maas.


Eine andere Verwendung wäre ein „Booster“ für Biogasanlagen. Wie Versuche zeigen, soll das Material den Gärprozess stabilisieren. Denn neben leicht verdaulicher Biomasse liefere er auch Spurenelemente, verspricht Terragie.


Vorteile für Landwirte:

Sollte das System marktreif werden, hätte es mehrere Vorteile:


  • Der Gärrest aus Biogasanlagen lässt sich ideal verwerten. Als Produkte bleiben Blumenerde und Eiweißfutter zurück, die sich vermarkten lassen.
  • Das System ist modular aufgebaut: Sokönnen beispielsweise viehhaltende Betriebe auch nur den Absetzer nutzen, um Nährstoffe in die Festphase zu überführen und an Biogasanlagen zu vermarkten. Die stickstoffhaltige Nährlösung könnten sie auf den eigenen Flächen verregnen.
  • Nicht nur die Dünnphase nach dem Absetzer, sondern sämtliches Abwasser vom landwirtschaftlichen Betrieb lässt sich als Nährlösung im Gewächshaus einsetzen. Dazu gehört beispielsweise auch verschmutztes Regenwasser von Siloflächen oder Fahrwegen.
  • Es gibt Interesse von Industriebetrieben an dem Gewächshaus, die viel Abwärme haben und die Biomasse als Rohstoff für chemische Produkte nutzen wollen. Sie könnten wiederum Nährlösung aus der Landwirtschaft abnehmen.
  • Im Gewächshaus lassen sich neben Wasserlinsen auch andere Pflanzen für verschiedene Zwecke erzeugen, z.B. als Industrierohstoffe oder Tierfutter.


Das Verfahren ist praxisreif. Allerdings gibt es noch ein paar Kinderkrankheiten. Dazu zählt beispielsweise die Filtration im Absetzer. „Viele Filter aus der Klärtechnik lassen sich auf landwirtschaftliche Gülle oder Gärreste nicht anwenden, wir suchen noch an einer praxistauglichen und bezahlbaren Variante“, so Maas.


Für wen interessant?

Das Paket mit Separator, Absetzer und Gewächshaus mit 1600 m2 wird mehr als 500000 € kosten, schätzt Terragie. Daher kommt es nicht für jeden Betrieb infrage. Das Unternehmen hält aber folgende Konstellationen für denkbar:


  • Es ist interessant für Landwirte, die jährlich ab 35000 € Gülleentsorgungskosten haben. In der Region gibt es Betriebe mit jährlich 150000 bis 200000 € Kosten, für die das System auf jeden Fall interessant wäre.
  • Auch könnten sich mehrere, benachbarte Betriebe zusammenschließen und ihre Gülle gemeinsam verarbeiten. Wichtig wäre, dass die Produktion auch im Seuchenfall weiterlaufen kann und die Ausgangsgülle bzw. der Gärrest immer die gleiche Qualität haben, da das gesamte System einschließlich Gewächshaus darauf abgestimmt wird.


Hinrich Neumann

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