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„Ich habe jetzt ein teures Denkmal“

Lesezeit: 7 Minuten

Landwirt Michael Bienemann wollte mit seiner Windenergieanlage Geld verdienen. Doch der Netzbetreiber schaltet sie immer häufiger ab. Von dem Beispiel können andere Betreiber viel lernen.


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Verwundert schaut Michael Bienemann auf die Flügel seiner 45m hohen Windenergieanlage: Sie drehen sich! „An einem sonnigen und windigen Tag wie heute ist es eigentlich normal, dass die Anlage abgeschaltet wird“, sagt der Milchviehhalter aus Humtrup bei Niebüll im äußersten Nordwesten Schleswig-Holsteins.


Die Gegend in der Nähe der Nordseeküste ist flach, fast baumlos und gesegnet mit viel Wind – ideal für die Windstromproduktion. Das war für den Landwirt auch der Grund, im Jahr 2007 in die Produktion einzusteigen.


Gebrauchtes Windrad


Bienemann plante eine Anlage mit 150 kW Leistung. „Da es die damals nicht neu gab, habe ich ein gebrauchtes Windrad gekauft“, sagt er. Er konnte im Jahr 2007 auf dem damals noch jungen Gebrauchtmarkt das Modell NTK 150 des ehemaligen dänischen Herstellers Nordtank erstehen, für das er bei Selbstabbau rund 30000 € gezahlt hat. Das Windrad stammte aus dem Jahr 1992. Da er für Modernisierung der Anlage, Netzanschluss usw. rund 110000 € zahlte und damit mehr als das Doppelte der Investitionskosten aufbrachte, galt sie im Jahr 2007 als Neuanlage, für die er rund 8 ct/kWh als Einspeisevergütung nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) erhält.


Eigenverbrauch im Fokus


Aber die Einspeisung stand für ihn nicht im Vordergrund. „Ich wollte vor allem Strom für den Betrieb selbst erzeugen“, sagt er. Das war auch nötig, da er zum privilegierten Bauen mindestens 50% der Strommenge selbst produzieren muss. Die Anlage produziert im Jahr rund 250000 kWh Strom. Sein Konzept sah so aus:


  • Der Stromverbrauch im Betrieb mit 70 Kühen liegt bei 60000 kWh. Bienemann wollte rund 40000 kWh mit dem Windrad selbst produzieren.
  • Er rüstete Güllepumpen und Rührwerke vom Zapfwellen- auf Elektroantrieb um, damit er mehr Strom verbrauchen kann.
  • Er hat einem Warmwasser-Pufferspeicher zwei Heizaggregate mit je 12 kW installiert, die das Wasser mit Strom erhitzen. Damit wollte er die Betriebsgebäude und das Altenteilerhaus behei-zen – beides Altgebäude mit hohem Wärmebedarf. Hierfür benötigte er rechnerisch rund 100000 kWh Strom.


Immer mehr Abschaltungen


Der Plan ging anfangs auch auf. Vorher musste er ca. 40000 kWh Strom und 8000 l Heizöl kaufen. Mit dem Windrad sank der Stromzukauf in guten Jahren auf 8000 kWh, der Heizölverbrauch auf 1000 l pro Jahr.


Doch nach gut drei Jahren wendete sich das Blatt. „Im Jahr 2010 begann der Netzbetreiber, die Anlage bei viel Wind abzuschalten, weil das Netz überlastet war“, blickt Bienemann zurück. Anfangs waren es 200 Stunden pro Jahr, an denen die Anlage keinen Strom produzierte, ab 2015 lag die Zahl bei rund 1400 Stunden. Bis zu 500-mal schaltete der Netzbetreiber die Anlage im Jahr ab.


Rechtliche Grundlage für dieses Einspeisemanagement (kurz: „Eisman“) ist §14 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes 2017 (EEG). „Das Einspeisemanagement dient einer sicheren Stromversorgung für die Kunden. Hierbei reduzieren wir gezielt bei einer drohenden Überlastung des Stromnetzes die Einspeiseleistung von Erneuerbare-Energien-Anlagen. Bevorstehende, unzulässige Überlastungen des Netzes werden automatisiert überwacht und bei Erreichen von Grenzwerten entsprechende Maßnahmen eingeleitet“, sagt ein Sprecher der Schleswig-Holstein Netz AG auf top agrar-Anfrage.


Mehrfacher Schaden


Der Netzbetreiber schaltet Anlagen zwar nicht immer komplett ab, es gibt auch Einspeisemanagementmaßnahmen, bei der die Leistung nur auf 60 oder 30% gedrosselt wird. Doch Bienemanns ältere Anlage kann die Leistung nicht regeln. „Jede Abregelung bedeutet daher ein Notaus mit totalem Stillstand“, sagt der Landwirt.


Damit hat er mehrfachen Schaden:


  • Die Anlage produziert während der Abschaltung keinen Eigenstrom, weshalb er wieder teuren Netzstrom kaufen muss. Dieser ist heute teurer als bei Inbetriebnahme der Anlage.
  • Die Anlagentechnik ist so konzipiert, dass sie zu Wartungszwecken vielleicht ein- oder zweimal pro Jahr abgeschaltet wird. Heute erfolgt der Notaus mehrmals pro Woche, was den Verschleiß erheblich erhöht.


Entschädigung reicht nicht


Offiziell bekommt er bei der Abschaltung eine Entschädigung über die Härtefallregelung im EEG. Diese kann bis zu 95% der entgangenen Einnahmen betragen. Hierbei gibt es zwei Verfahren, die die Bundesnetzagentur vorgegeben hat: Die Spitzabrechnung und das pauschale Verfahren. Die Spitzabrechnung ist zwar genau, aber sehr aufwendig. Denn der Betreiber muss die aktuelle Windgeschwindigkeit an der Gondel messen können, die für die Abrechnung zugrunde gelegt wird. Zusammen mit der Leistungskennlinie der Anlage kann in einer komplizierten Berechnung viertelstundenscharf die entgangene Vergütungshöhe bestimmt werden. Das Verfahren ist so kompliziert, dass sich Dienstleister auf die Berechnung spezialisiert haben.


Bienemann musste erfahren, dass sich die Kosten dafür aber nur für größere Windräder lohnen. Daher hat er sich für das pauschale Verfahren entschieden. Hierbei wird nur die Leistung zugrunde gelegt, die die Anlage eine Viertelstunde vor der Einspeisemaßnahme hatte. „Häufig schaltet der Netzbetreiber schon bei wenig Wind, sodass meine Anlage bei der Abschaltung nicht selten nur 20 kW produziert“, hat er festgestellt. Nach dem Abrechnungsverfahren bekommt er dann für die Dauer der Abschaltung auch nur 20 kW vergütet – deutlich weniger, als er im Normalbetrieb erwirtschaftet hätte. „Heute kaufen wir wieder über 30000 kWh Strom dazu, auch der Heizölverbrauch ist wieder auf 4000 l pro Jahr angestiegen“, sagt er.


Allein für Strom zahlt er jetzt 1000 € pro Monat, in guten Zeiten waren es nur 200 €. Zudem ist der Einspeiseerlös unterm Strich um ca. 50% gesunken: Früher hat er im Jahr 17000 bis 22000 € an Einspeisevergütung bekommen, heute sind es einschließlich der Entschädigung nur noch 10000 bis 12000 €. „Damit kann ich nicht einmal mehr den Kapitaldienst und die Wartungskosten decken. Damit ist mein Windrad zu einem teuren Denkmal geworden!“


Die Lehren aus dem Fall


Es gibt mehrere Ratschläge, die sich daraus für Betreiber von bestehenden, aber auch von neuen Anlagen ableiten lassen. Wir haben dazu verschiedene Experten befragt. „In den meisten Fällen lohnt sich die Spitzabrechnung, auch bei Anlagen ab 150 kW Leistung“, sagt Dr. Peter Brodersen von der iTerra GmbH aus Niebüll, die die Abrechnungen für Anlagenbetreiber übernimmt. Die jährlichen Kosten liegen zwischen 1000 und 2000 € für Anlagen dieser Größenordnung. Für die eigene Liquiditätsplanung muss der Betreiber prüfen, ob die EisMan-Abrechnungen nur einmal im Jahr oder – bei vermehrten Abschaltungen – monatlich erstellt werden sollen.


Einspeiseleistung reduzieren


Anlagenbetreiber könnten einen Parkregler hinter dem Netzverknüpfungspunkt installieren. „Damit lässt sich die Energieflussrichtung und Leistung am Netzverknüpfungspunkt überwachen“, teilt ein Sprecher der SH Netz AG mit. Damit ist es möglich, nur die überschüssige Leistung einer Anlage ins Netz einzuspeisen. Denn für den Netzbetreiber sei entscheidend, welche Strommenge am Netzverknüpfungspunkt ankommt.


Würde eine Anlage z.B. 150 kW erzeugen und der Kunde zeitgleich 100 kW Leistung selbst verbrauchen, würden am Netzverknüpfungspunkt nur 50 kW Einspeisung signalisiert werden. Bei einem Einspeisemanagementeinsatz würde der Parkregler dann nur die 50 kW reduzieren, die 100 kW Leistung Eigenbedarf hinter dem Netzverknüpfungspunkt würden weiterhin möglich sein. „Hier könnten Netzbetreiber und Anlagenbetreiber vertraglich regeln, dass eine Anlage maximal 100 kW einspeisen darf, dies wäre durch einen entsprechenden technischen Einspeisebegrenzer sicherzustellen“, ergänzt Rechtsanwalt Dr. Helmut Loibl aus Regensburg.


Damit könnte eine Anlage mit einer installierten Leistung von 150 kW maximal 100 kW tatsächlich einspeisen, sie könnte jedoch mehr produzieren, sofern der Überschuss selbst verbraucht werden würde. „Die einzig wirksame Möglichkeit von EEG-Anlagenbetreibern, die Eisman-Abschaltung zu umgehen, ist die Reduzierung der Einspeiseleistung auf maximal 100 kW“, sagt Loibl. Denn nur Anlagen mit mehr als 100 kW Leistung müssen am Einspeisemanagement teilnehmen und dürfen demzufolge in der Leistung reduziert werden, sobald Netzengpässe vorliegen. „Bei bestehenden Anlagen mit einer Leistung von knapp über 100 kW wäre in jedem Einzelfall kritisch zu überprüfen, ob eine Leistungsreduzierung auf unter 100 kW im Ergebnis günstiger wäre als die aktuelle Situation mit permanenten Abschaltungen“, sagt er. Beim Neubau rät Loibl dazu, die Leistung falls möglich auf 100 kW zu beschränken.


hinrich.neumann@topagrar.com

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