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Kamera an Anlage: „Rotmilan im Anflug!“

Lesezeit: 7 Minuten

Radar- oder Kamerasysteme an Windkrafttürmen können geschützte Vogelarten erkennen und die Anlagen rechtzeitig vor einer Kollision abschalten. Jetzt liegen erste Erfahrungen damit vor.


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Langsam nähert sich ein Rotmilan dem Windpark Helfta in Sachsen-Anhalt. Noch ist er 1000 m entfernt. Doch schon reduzieren die äußeren, in seiner Flugrichtung stehenden Anlagen automatisch ihre Drehzahl. Als der Vogel nach 20 Sekunden die erste Anlage erreicht, sind die Rotorblätter aus dem Wind gedreht, die Flügel bewegen sich nur noch leicht im „Trudelbetrieb“. Dann dreht der Greifvogel ab und sucht auf anderen Flächen nach Beute. Kurze Zeit später produzieren alle Kraftwerke wieder Strom. „So bringen wir Arten- und Klimaschutz unter einen Hut“, erklärt Dr. Tim Ebert, Geschäftsführer der Ebert Erneuerbare Energien-Unternehmensgruppe mit Büros in Kiel und Cremlingen, die den Windpark geplant hat.


Kameras erfassen Vögel


Basis der automatischen Abschaltung sind Kameras in etwa 5 m Höhe am Windkraftturm oder auf einem Mast. Das in Helfta erprobte System „IdentiFlight“ hat der Hersteller Boulder Imaging bereits im Jahr 2012 in den USA zum Erkennen von Stein- und Weißkopfseeadlern entwickelt (siehe Zusatzinfo auf S. 56)


Die Technik besteht aus acht Weitwinkelkameras und einer beweglichen, hochauflösenden Stereokamera. Die Weitwinkelobjektive überwachen einen Umkreis von 360 Grad. Sie können Flugobjekte in bis zu 1000 m Entfernung erkennen und Flugzeuge, Blätter, Wolken und Vögel unterscheiden.


Nähert sich ein als „relevant“ eingestuftes Objekt, richtet sich die Stereokamera automatisch darauf aus. Sie ermittelt anhand von zehn Aufnahmen pro Sekunde Entfernung, Winkel, Größe und Vogelart. „Die jeweils zu schützenden Arten können einprogrammiert werden“, erklärt Ebert. In Deutschland können das Arten wie Rotmilan, Schwarzstorch oder Seeadler sein.


Flügelspannweite, Flugbild und Silhouette sind für jede Art typisch. Je mehr Aufnahmen sich einer bestimmten Art zuordnen lassen, desto genauer wird das lernfähige Programm.


Kurze Reaktionszeit


Die Zeitspanne zum Austrudeln der Rotoren beträgt laut Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende (KNE) je nach Anlagentyp zwischen 20 und 40 Sekunden. Da auch die Flugrichtung des Vogels bestimmt wird, müssen nicht alle Anlagen eines Parks gleichzeitig stillgelegt werden.


Einem Bericht der Arbeitsgruppe für regionale Struktur- und Umweltforschung (ARSU) aus Oldenburg und dem TÜV Nord zufolge können die Kameras heranfliegende Vögel schneller und zuverlässiger bestimmen als menschliche Beobachter. Beim Windpark Helfta erkannte das System schon im ersten Jahr der Erprobung über 90% der heranfliegenden Rotmilane. Von diesen erfassten Vögeln stufte es 98% richtig ein. 2% der als „Rotmilan“ klassifizierten Vögel waren andere Arten wie Bussarde, Schwarzmilan, Weihen, Adler oder Krähen.


Weitere Systeme im Test


Mittlerweile sind mehrere Systeme in Deutschland in der Entwicklungs- oder Erprobungsphase. In einer Übersicht des KNE vom Juni 2020 sind acht Kamerasysteme, drei Radarsysteme, zwei Systemkombinationen sowie ein GPS-gestütztes System aufgeführt. Sie befinden sich in verschiedenen Entwicklungsstadien (siehe Zusatzinfo).


Naturschützer begrüßen das. „Mithilfe von Detektionssystemen lassen sich die tödlichen Unfälle von Vögeln an Windkraftanlagen reduzieren“, erklärt Sebastian Scholz, stellvertretender Fachbereichsleiter Naturschutz & Umweltpolitik beim Naturschutzbund Deutschland (NABU).


Technische Systeme können in Zweifelsfällen aber auch dazu beitragen, Untersuchungsergebnisse zu objektivieren und Prognoseunsicherheiten über die Flugaktivität zu mindern, heißt es in einer Veröffentlichung des KNE, des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) und der Fachagentur Windenergie an Land über Techniken zur Vermeidung von Vogelkollisionen.


Darauf setzen auch Anlagenbetreiber. Denn bei der Planung wird der Artenschutz von Bürgerinitiativen und anderen Windkraftgegnern oft missbraucht, um einen Windpark zu verhindern. „Da sind viele Emotionen im Spiel und es ist zu hoffen, dass technische Systeme die Diskussion versachlichen“, sagt Ebert.


Zudem könnten sich damit die Planungskosten verringern lassen. Das zeigt das Beispiel des geplanten Bürgerwindparks Beuchte. Die Planungen für den Park mit elf Anlagen hat Landwirt Clemens von König zusammen mit Planer Ebert bereits im Jahr 2011 begonnen. „Allerdings hat das regionale Raumordnungsprogramm, das zehn Landkreise umfasst, zehn Jahre gedauert. Erst jetzt stehen hier die ausgewiesenen Windvorranggebiete fest“, sagt von König.


Da nicht klar war, dass sich diese Planung so lange hinzieht, hatten von König und Ebert schon früh vogelkundliche Gutachten für eine Genehmigung erstellen lassen. Doch ein Untersuchungsergebnis ist nur fünf Jahre gültig, dann müssen die Ornithologen erneut prüfen. Das war in Beuchte im Jahr 2016 der Fall. Bislang sind dafür Kosten von über 250000 € aufgelaufen, die die Planungsgesellschaft – wie bei anderen Windparks auch – in Vorleistung gezahlt hat.


Teuer werden die Gutachten vor allem deshalb, weil die künftigen Parkbetreiber nicht nur vorkommende Greifvogelhorste zählen lassen, sondern auch eine Raumnutzungsanalyse erstellen müssen. Denn die Region zählt zu den bevorzugten Jagdgebieten des Rotmilans. Bei dieser Analyse erfassen vier bis fünf Vogelkundler rund 20 Tage lang, wie oft welcher Vogel in welcher Flugbahn wie fliegt. Das Ergebnis hat Auswirkungen darauf, wo welche Anlage stehen darf. ▶


Hilfe bei der Kartierung


Ein Kamerasystem kostet zwar auch mehrere Zehntausend Euro. Je nach Größe des Windparks können zudem mehrere Kameras nötig sein, um alle Anflugrichtungen abzudecken. Allerdings könnte das System schon vor dem Bau der Anlagen installiert werden und so die vogelkundlichen Untersuchungen unterstützen.


Ebenso könnte es dazu beitragen, die Stromproduktion im Park zu erhöhen. Denn in Regionen mit vielen schützenswerten Arten wie den Rotmilan oder den Seeadler werden Anlagen zwar genehmigt, bekommen aber oft pauschale Abschaltauflagen. „Diese können die Wirtschaftlichkeit in Frage stellen. Damit kann man ein Projekt, das vordergründig genehmigt wird, auch verhindern“, erklärt Ebert.


Teilweise mehr Verschleiß


Auch wenn Naturschutzvereinigungen, Betreiber und Behörden große Hoffnung auf die Technik setzen, gibt es auch eine gewisse Skepsis. Laut KNE sei die Frage zu klären, inwieweit sich die automatisierte Vogelerfassung in Verbindung mit bedarfsgesteuerten Abschaltungen dazu eignet, das Tötungs- und Verletzungsrisiko zu reduzieren.


Bei der Entscheidung, ob die bedarfsgerechte gegenüber der pauschalen Abschaltung wirtschaftlicher ist, sind laut KNE neben der Abschaltzeit und -häufigkeit auch die Kosten für die Anschaffung und Instandhaltung sowie höhere Betriebskosten zu berücksichtigen. Im Vergleich zum Notstopp sei die Beanspruchung und damit auch die Verschleißwirkung beim Übergang in den Trudelmodus zwar deutlich geringer. Aber aufgrund des Lastwechsels entstehen laut KNE mechanische Belastungen, die ebenfalls einen höheren Verschleiß zur Folge haben können.


Aus Sicht des Bundesverbandes Windenergie wird bei den Kamera- und Radarsystemen zu wenig darüber diskutiert, dass mit den unvorhersehbaren Abschaltungen die hohe Prognosesicherheit der Windstrom-Einspeisung ins Netz massiv gefährdet wird.


Anerkennung fehlt noch


Noch ist die bedarfsgerechte Abschaltung zudem nicht offiziell anerkannt in Deutschland. Damit sie eingeführt werden kann, sind eine Reihe von fachlichen, juristischen und wirtschaftlichen Fragen zu beantworten. Alle Erfahrungen werden u.a. durch Forschungsprojekte wie „NatForWINSENT“ im Forschungsschwerpunkt Naturschutz und erneuerbare Energien gesammelt.


Diese Forschungen werden ergänzt durch Erprobungen in der Praxis durch Hersteller und Betreiber, indem Vogelbeobachtungen und Leistungsmerkmale der Systeme an verschiedenen Standorten in Deutschland verglichen werden. „Diese vielfältigen Teilergebnisse sollen in den kommenden zwei Jahren schrittweise zusammengeführt werden. Damit wird ein weiterer Baustein geschaffen, um den notwendigen Ausbau der Windenergie naturverträglich zu gestalten“, resümiert Dr. Beate Jessel, Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz.


Die Planer aus Beuchte hoffen, dass die Anerkennung keine zwei Jahre mehr dauert. „Wir brauchen schnellere Genehmigungsverfahren. Die Ergebnisse der ARSU-Untersuchung und die achtjährigen Erfahrungen aus den USA lassen uns hoffen, dass IdentiFlight schon eher in Deutschland anerkannt wird“, sagt Ebert.


hinrich.neumann@topagrar.com

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