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Kilowatt trifft Kilobyte

Lesezeit: 10 Minuten

Ohne Digitalisierung ist die Energiewende nicht möglich. Betreiber profitieren von der Fernwartung oder einer intelligenten Steuerung. Aber es gibt noch viele offene Fragen.


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Nachts um drei Uhr kommt der Alarm: Der Dosierer der Biogasanlage ist ausgefallen. Der Servicetechniker in der 200 km entfernten Leitwarte schwenkt die lokale Überwachungskamera und stellt fest: Im Behälter ist noch Material, also könnte die Schnecke gebrochen sein. Mit einem Blick in die Stammdaten findet er schnell die Modellbezeichnung des Dosierers. Damit kann er das passende Ersatzteil ermitteln und die Servicetechniker informieren. Diese brechen früh am Morgen mit der richtigen Ausrüstung im Servicefahrzeug auf. „Das ist ein Szenario, das in vielen Teilen heute bei uns schon Alltag ist“, sagt Roman Ringen, IT-Spezialist beim Dienstleister Biogas Service Tarmstedt, der 900 Biogasanlagen betreut. Die meisten davon haben einen Vertrag über die Fernwartung abgeschlossen. „Wenn wir wissen, welches Bauteil ausgefallen ist und wie viel Personen für die Reparatur nötig sind, können wir sie mit dem richtigen Ersatzteil zur richtigen Adresse losschicken. Das spart Zeit und Kosten und hilft dem Anlagenbetreiber schnell“, sagt der Fachmann.


Sensoren stellen Fehler fest


Möglich ist das durch eine Vielzahl von digitalen Prozessen. Sensoren messen an verschiedenen Stellen u.a. die Stromaufnahme von Komponenten oder andere Betriebszustände und geben die Ergebnisse an die Anlagensteuerung weiter. Bei Ausfällen oder dem Überschreiten von eingestellten Grenzwerten gibt es Alarm beim Anlagenbetreiber und beim Dienstleister. Zudem hat dieser Zugriff auf das digitale Betriebstagebuch und kann nachvollziehen, ob Probleme auch auf eine Umstellung der Fütterung zurückzuführen sind.


Auch können Berater Tipps zur richtigen Einstellung geben, z.B. mit dem „Teamviewer Pilot“. Damit kann der Betreiber oder Monteur dem Experten in der Zentrale über die Kamera seines Smartphones Hebel- oder Displayeinstellungen zeigen. „Der Techniker gibt dann per Telefon Anweisungen, welcher Knopf zu drücken oder welcher Schieber zu öffnen ist“, sagt Ringen.


Die Fernwartung ist nur ein Beispiel. Es gibt weitere Anwendungen:


  • Digital erhobene Daten lassen sich – anders als handschriftliche Notizen auf einem Klemmbrett – auswerten. Damit können Experten Trends erkennen, unnötige Stromverbraucher ermitteln, Kennzahlen aus mehreren Werten errechnen und so den Anlagenbetrieb optimieren. Ein Beispiel ist die erzeugte Strommenge je Tonne geernteter Rohstoffe in Biogasanlagen. Sinkt sie ab, kann es an der Futterqualität, an Silageverlusten oder an anderen Fehlern, wie z.B. einem Gasleck, liegen.
  • Webbasierte Anwendungen statt einer Software auf dem Rechner sind nützlich, wenn der Nutzer den Zustand der Anlage auch über mobile Geräte wie Smartphone oder Tablet abrufen will. So lassen sich verschiedene Datenquellen sinnvoll zusammenführen wie Stromproduktion, Laboruntersuchungen oder Wartungsprotokolle.
  • Die Daten brauchen nur einmal erhoben werden, z.B. Stammdaten der Anlagen. Darauf können – je nach Zugangsberechtigung – verschiedene Akteure zurückgreifen wie die Anlagenhersteller, Wartungsdienstleister, Berater, Umweltgutachter, Netzbetreiber oder Genehmigungsbehörden.
  • Statt weniger Großkraftwerke gibt es Millionen von Energieanlagen, die vielfach am Verteil- und Mittelspannungsnetz angeschlossen sind. Künstliche Intelligenz hilft, die Stromproduktion dieser Anlagen zu erfassen und zu steuern, um eine Netzüberlastung zu vermeiden bzw. die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Das kann u.a. in einem virtuellen Kraftwerk geschehen, bei dem die Anlagen und Speicher in Clustern zusammengefasst sind.
  • Steuerungsprozesse im Stromnetz oder bei der Stromvermarktung finden innerhalb von Sekunden statt. Zudem ist die Datenmenge riesig. Das lässt sich nicht mehr von Hand wie früher in einer Leitzentrale bewältigen.
  • Künstliche Intelligenz hilft bei der Sektorkopplung: Bei wenig Stromverbrauch, aber viel Wind produzieren Elektrolyseure aus Strom Wasserstoff. Oder innerhalb von großen stromintensiven Industrieunternehmen werden Prozesse verlagert, um den günstigen Strom kurzfristig zu nutzen.


Im Folgenden stellen wir Beispiele aus verschiedenen Bereichen vor.


Rohstoffe im Blick


Bei der Ernte von Rohstoffen für die Biogasanlage herrscht großes Durcheinander: Mehrere Lohnunternehmerketten sind auf den vielen Schlägen verschiedener Rohstofflieferanten unterwegs. Die Rohstoffqualität kann dabei je nach Standort und Reifegrad stark schwanken. „Mit der richtigen Technik kann der Lohnunternehmer oder der Anlagenbetreiber in der Ernte sehen, wo welche Fahrzeugketten arbeiten, und sie besser koordinieren“, nennt Entwickler Markus Große Gorgemann vom Dienstleister energielenker aus Münster ein Beispiel. Damit ist es auch möglich, in der Ernte zu dokumentieren, von welchem Schlag das jeweilige Abfuhrfahrzeug gekommen ist und wie hoch die Erntemenge war.


Hierzu arbeitet das Unternehmen mit kleinen Bluetoothsendern an den Fahrzeugen (Beacons). Tablets auf den Zugfahrzeugen und Erntemaschinen erfassen die jeweiligen Beacons und speichern, welche Abfuhrwagen wie lange in der Nähe waren. Zudem melden sich die Fahrer an der Waage mit einer Fernbedienung an und geben die Feldnummer durch. Bei jeder Wiegung wird automatisch ein Foto gemacht, während die Wiegedaten sowie die Uhrzeit gespeichert werden. Gleichzeitig ziehen Mitarbeiter von jedem Wagen eine Probe, um u.a. den TS-Gehalt festzustellen. Die Laborwerte werden digital übermittelt und automatisch in der Datenbank hinterlegt.


Am Ende hat der Anlagenbetreiber eine genaue Übersicht über die eingelagerte Rohstoffmenge und deren Qualität. Das hilft bei der späteren Abrechnung oder in Streitfällen, ist aber auch ein Indikator dafür, ob es in der Anlage Probleme gibt. Das wäre der Fall, wenn die erzeugte Strommenge stark von der theoretisch errechneten Menge abweicht.


Andersherum kann die gleiche Technik auch bei der Dokumentation der Gärrestausbringung helfen. Dabei wird gemessen, welche Güllefässer mit welchem Inhalt welche Flächen gedüngt haben.


Digitale Netzauskunft


Wer eine Erneuerbare Energien-Anlage ans Stromnetz anschließen will, erhält von seinem Netzbetreiber eine Auskunft über den technisch möglichen Netzanschlusspunkt. Die Prüfung dazu kann Wochen und Monate dauern. Der Netzbetreiber E.DIS aus Brandenburg hat gemeinsam mit dem Unternehmen envelio einen digitalen Netzanschlussmonitor entwickelt. Der Planer oder zukünftige Anlagenbetreiber gibt dafür online die Adresse, den Anlagentyp (z.B. Solar- oder Windkraftanlage) und die geplante Leistung in Kilowatt ein.


Dann wählt er in der Luftbildgrafik per Maus auf dem Bildschirm den genauen Standort der Anlage. Die Antwort erhält er innerhalb von Sekunden. Diese könnte so aussehen: „Die Anlage kann vermutlich im Mittelspannungsnetz angeschlossen werden. Entfernung zum Netzanschlusspunkt: 200 m.“


Steuerung des Verbrauchs


Seit Anfang 2019 läuft im Nordwesten Niedersachsens das groß angelegte Forschungsprojekt Enera. Bei diesem liefert die EWE als zuständiger Verteilnetzbetreiber rund 30000 moderne Messeinrichtungen (Smart Meter) an seine Kunden aus. Zudem wird ein für Enera entwickeltes Kommunikationsmodul eingebaut. Das Stromnetz wird zudem mit einigen tausend Sensoren bestückt, um stets einen Überblick über die Auslastung zu haben. Entstehen soll ein intelligentes Netz (Smart Grid), das auch Speicher und andere Technologien einbinden kann.


Stromkunden können via App den genauen Stromverbrauch am Hausanschluss überwachen. Die Daten werden im System gespeichert, womit Hausbesitzer ihren Stromverbrauch über einen längeren Zeitraum genau analysieren können. Ziel des Projekts ist es, die Nutzer in Echtzeit ins Energiesystem einzubinden. Stromkunden sollen ihren Stromverbrauch kennenlernen und Tipps erhalten, wie sie ihn künftig je nach Strompreis an die Erzeugung anpassen können. Dafür sind die Landkreise Friesland, Aurich und Emden prädestiniert: Der Anteil der erneuerbaren Energien gemessen am regionalen Verbrauch liegt bei 170%.


Daten von Windrädern


In modernen Windenergieanlagen werden große Mengen an Betriebsdaten gespeichert, aber meistens nicht ausgewertet. Dazu gehören Wetterdaten, Informationen aus Reparatur- und Wartungsberichten und Sensormessungen wie Rotordrehzahl, Leistung oder Temperatur. In dem Verbundprojekt „WiSA big data“ will das Zentrum für Windenergieforschung an der Uni Oldenburg diese Daten mit neuen Verfahren analysieren. „Das soll uns helfen, Fehler im Betrieb der Anlagen frühzeitig festzustellen und vorherzusagen“, erklärt Projektkoordinator Prof. Joachim Peinke.


Ziel ist es, einen virtuellen Assistenten für die Windindustrie zu entwickeln. Er soll helfen, Unregelmäßigkeiten in den Anlagen festzustellen und eine vorausschauende Wartung zu planen.


Heizung wird digital


Eine moderne Heizungssteuerung reduziert den Energieverbrauch, verspricht der Verband für Gebäudetechnik VdZ. Die digitale Heizung erkennt nicht nur, wenn der Besitzer das Haus verlässt, sondern greift auch auf Wetterdaten zu. Zudem lässt sich der Kessel via App vom mobilen Endgerät aus steuern. Über WLan kann der Hausbesitzer Energieerzeuger und Verbraucher im Haus miteinander verknüpfen wie zum Beispiel Wärmepumpe, Photovoltaikanlage und Waschmaschine oder sogar das E-Auto. Ein Home Energy Management System (HEMS) regelt das Zusammenspiel der Geräte. Bei viel Sonne heizt z.B. die Wärmepumpe und speichert überschüssige Wärme auf Vorrat im Speicher.


Wo es noch Probleme gibt


So hilfreich digitale Lösungen sind: Bei der Umsetzung hakt es an vielen Stellen. „Das System mit der Erntelogistik hat sich auf unseren Anlagen bewährt. Trotzdem gibt es immer wieder kleinere Probleme im Ablauf“, schildert Markus Große Gorgemann von energielenker. So ist die Internetabdeckung in einigen Regionen so schlecht, dass die Tablets auf den Fahrzeugen die Daten nur zeitversetzt an die Zentralsteuerung senden können. In dem Fall kann der Disponent beim Lohnunternehmer auch nicht sehen, wo welche Kette arbeitet.


Ein weiteres Problem ist, dass einige Waagen-Modelle keine Schnittstelle zu einer fremden Steuerung besitzen. Wiegedaten lassen sich in dem Fall nicht mit den Felddaten verknüpfen. „Wir haben hierfür selbst eine Software entwickelt, die sich universell auf allen Anlagen einsetzen lässt“, sagt er. Damit kommen jedoch extra Kosten auf den Betreiber zu, die schnell im fünfstelligen Bereich liegen können.


Das Problem tritt auch immer wieder bei anderen Komponenten in Biogasanlagen auf, die nicht miteinander kommunizieren können. Viele Anlagenhersteller haben kein Interesse an Standardschnittstellen, um zu verhindern, dass die Kunden Produkte von Miterwerbern einsetzen. Aus diesem Grund bieten immer mehr Dienstleister neue universelle und herstellerübergreifende Lösungen an.


Roman Ringen (Biogas Service Tarmstedt) sieht ein weiteres Problem in den veralteten Anlagensteuerungen. „Wenn der zentrale Rechner noch Windows XP als Betriebssystem nutzt, müssen wir das gesamte System nach außen abschirmen“, erklärt er. Denn wenn sich die Betriebssoftware von nur einer Komponente automatisch updatet, kann es passieren, dass die ganze Anlage nicht mehr funktioniert. Ein Update des ganzen Systems kann schnell Kosten von 10000 € übersteigen. „Das ist dann wie eine neue Inbetriebnahme der Anlage, da jede einzelne Komponente auf Funktionsfähigkeit geprüft werden muss“, sagt Ringen.


Als sicherste Verbindung zwischen Biogasanlage und Serviceunternehmen bzw. cloudbasierter Datenbank sieht er einen VPN-Tunnel. „Das ist eine direkte Verbindung zwischen beiden Partnern ohne Internetzugang“, sagt er. Problematisch wird es hingegen, wenn der Anlagenbetreiber auf seinem Betriebsrechner E-Mails abruft oder im Internet surft. „Das ist ein Einfallstor für Viren. Am sichersten ist es, für E-Mails einen Extrarechner zu verwenden.“


Auch energielenker nutzt cloudbasierte Datenbanken und VPN-Tunnel. „Auswertungen sind unkritsch, da sie historische Daten betreffen, ein Eingriff in die Anlage ist nicht möglich“, sagt Markus Große Gorgemann.


Neben technischen Problemen mangelt es an einigen Stellen auch an den richtigen Rahmenbedingungen. Der Bundesverband Erneuerbare Energien fordert in einem Diskussionspapier zur Digitalisierung der Energiewende von der Politik einen geeigneten gesetzgeberischen Rahmen, dass die Industrie ihr Know-how einsetzen kann – mit modernen Digitalisierungstechnologien und innovationsfreundlichen Regeln. Für die digitale Transformation des Energiesystems müssten die Energiemärkte umgestaltet und eine leistungsfähige Strategie zur Digitalisierung entwickelt werden.


Denn: Je größer der Anteil erneuerbarer Energien, desto wichtiger werde die bedarfsgerechte Abstimmung zwischen Erzeugung, Speicherung und Verbrauch.


hinrich.neumann@topagrar.com

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