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Klimaschutz: Gülle in den Fermenter

Lesezeit: 7 Minuten

Gülle ist als Substrat für Biogasanlagen sehr interessant. Doch die Betreiber stehen vor einem Dilemma: Politisch gibt es Rückenwind, rechtlich viele Hürden.


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Gülle ist derzeit Problem und Rettung zugleich: In Veredelungsregionen im Überfluss, in Biogasanlagen vergoren ein wichtiges Element im Klimapaket der Bundesregierung: „Der stärkere Einsatz von Wirtschaftsdüngern in Biogasanlagen und die gasdichte Lagerung von Gärresten sollen mit bisherigen und neuen Instrumenten gefördert werden.“ Mit dem Klimaschutzgesetz will die Bundesregierung die jährlichen Emissionen in der Landwirtschaft bis 2030 gegenüber 2014 um 14 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente (kurz: CO2) reduzieren.


Die Wirtschaftsdüngervergärung ist dabei ein wichtiger Hebel: Denn Rohgülle emittiert Methan und Ammoniak, Festmist dagegen Methan, Ammoniak und Lachgas. Mit der Vergärung von Gülle vermeidet die Landwirtschaft heute zwischen 4 und 6 Mio. t CO2. Eine Verdopplung der Güllevergärung könnte dafür sorgen, dass mit dem Einsparen von weiteren 6 Mio. t CO2 fast die Hälfte des Sektorziels erreicht wird – vorausgesetzt, der Gesetzgeber würde die Emissionsminderung künftig der Landwirtschaft anrechnen und nicht, wie bislang, dem Energiesektor.


Heute wird jedoch nur ein Drittel der anfallenden Gülle als Biogassubstrat genutzt. Von den rund 8500 landwirtschaftlichen Biogasanlagen in Deutschland setzen 5600 mehr als 30% Gülle oder Mist ein, hat das Deutsche Biomasseforschungszentrum (DBFZ) festgestellt. Nur in Ostdeutschland liegt der Anteil eher bei 50% und mehr. „Diesen Status Quo sollte die Bundesregierung unbedingt bei der Ausgestaltung künftiger Rahmenbedingungen berücksichtigen. Werden die Anlagen aufgrund fehlender Perspektiven stillgelegt, gibt es wieder große Güllemengen, die Methan ausstoßen“, mahnt Jaqueline Daniel-Gromke, Leiterin der Arbeitsgruppe Systemoptimierung beim DBFZ.


Vor- und Nachteile der Gülle


Gülle bringt einerseits prozessbiologische Vorteile. Sie enthält Spurennährstoffe, hat eine hohe Pufferkapazität und sorgt für eine geringe Viskosität des Fermenterinhalts, der sich besser rühren lässt. „Auch gibt es einen ständigen Zufluss von aktiven Mikroorganismen“, zählt Agrarwissenschaftler Dr. Walter Stinner vom DBFZ auf.


Andererseits ist der hohe Wassergehalt der Grund, warum sich damit wenig Strom erzeugen lässt. Laut DBFZ liefert die Gülle insgesamt in Deutschland aktuell 4 Terawattstunden (TWh) im Jahr, während die gesamte Stromerzeugung aus Biomasse bei 32 TWh liegt.


Darum fördert die Bundesregierung die Güllevergärung über den Güllebonus (bei einem Anteil von mindestens 30 Massen-% im Fermenter) im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Diese Grenze ist der Grund für den aktuellen Anteil der Gülle in deutschen Fermentern. „Gerade in viehreichen Regionen hätten 61% der Betreiber noch Potenzial, aber es ist für sie nicht wirtschaftlich, noch mehr Gülle einzusetzen“, sagt Daniel-Gromker.


Eine noch höhere Vergütung von über 22 ct/kWh erhalten Betreiber von Güllekleinanlagen bis 75 kW. Hierbei müssen sie mindestens 80% Gülle oder Mist einsetzen. Es ist zwar das einzige Anlagensegment, bei dem es seit dem EEG 2014 einen nennenswerten Neubau gab. Rund 900 Anlagen existieren davon heute. Allerdings erzeugen sie nur 0,4 Terawattstunden (TWh) Strom im Jahr – für den großen Durchbruch bei der Güllevergärung sorgt das Anlagensegment nicht.


Was Gülle unattraktiv macht


Es gibt viele Gründe, warum Anlagenbetreiber nicht mehr Gülle einsetzen. Hier nur eine kleine Auswahl:


  • Der hohe Wassergehalt und die geringe Gasausbeute verschlechtern die Wirtschaftlichkeit.
  • Die große Flüssigkeitsmenge führt zu einem höheren Wärmebedarf.
  • Die Leistungsbegrenzung bei Güllekleinanlagen auf 75 kW ist zu starr: Für viele Betriebe in Veredelungsregionen ist sie zu klein, um die gesamte Gülle zu vergären, für andere dagegen zu groß. Bei 100% Gülleeinsatz wären bei einer Leistung von 75 kW rund 500 Großvieheinheiten nötig.
  • Das EEG 2017 schreibt eine Verweilzeit von 150 Tagen im gasdichten System vor. Das betrifft u.a. Anlagen, die am Ausschreibungsverfahren teilnehmen wollen, um eine Anschlussvergütung zu erhalten. Gülle ist aber schon nach 50 Tagen ausgegoren. Die Regelung verschlechtert die Wirtschaftlichkeit ebenfalls.
  • Das Mehr an Flüssigkeit im Input erhöht den Lagerbedarf. Gerade die Dünge-Verordnung mit ihren strengeren Vorgaben zur Lagerdauer von sechs oder neun Monaten sorgt dafür, dass einige Anlagenbetreiber den Gülleeinsatz sogar reduzieren, um kein neues Endlager bauen zu müssen.
  • Die Verordnung über Anlagen zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen (AwSV) behandelt Gülle und Gärreste ungleich: So ist eine Lagerung von Gärresten in Güllebehältern ohne Genehmigungsverfahren oft nicht möglich. Unter Umständen ist sogar eine Nachrüstung mit Leckageerkennung usw. nötig.


Um die Nachteile zu beseitigen, gibt es derzeit etliche Vorschläge von verschiedenen Verbänden und Instituten. Sie gehen von einer Erweiterung der Leistungsklasse für Gülleanlagen (mindestens 80% Anteil) über eine treibhausgasabhängige Vergütung (je mehr Gülle, desto mehr THG-Einsparung, desto höher die Vergütung) bis hin zu einer Abgabe von Verbrauchern oder der Vorgabe, dass Tierhalter neue Ställe nur mit Biogasanlage bauen dürfen.


Biomethan als Alternative


Neben dem EEG gibt es auch Rückenwind aus Brüssel: Die neue Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED II) bescheinigt der Vergärung von Reststoffen wie Gülle oder Mist eine sehr gute THG-Minderung. Das könnte die Produktion von Biomethan und die Vermarktung im Kraftstoffsektor als Alternative zur Stromerzeugung beflügeln. Denn Mineralölkonzerne müssen künftig noch stärker als heute beim Verkauf von Kraftstoffen eine Treibhausgasminderung nachweisen. „Sie können dafür mehr Biokraftstoffe wie Biodiesel und Ethanol beimischen oder Quoten von Biomethanerzeugern kaufen, die das Gas über eine Tankstelle vermarkten“, erklärt Dr. Stefan Rauh, Geschäftsführer beim Fachverband Biogas (siehe dazu Beitrag ab S. 42).


Noch ist die RED II nicht in deutsches Recht umgesetzt. Das muss bis zum Jahr 2021 passieren. „Wir spüren aber schon heute ein steigendes Interesse an der Vermarktung von Biomethan als Kraftstoff“, sagt Rauh.


Unabhängig von den rechtlichen Rahmenbedingungen steigen aktuell immer mehr Betriebe auf Wirtschaftsdünger um. „Der Trend ist bei uns seit gut zwei Jahren zu beobachten. Neben Mist sind vor allem abseparierte Güllefeststoffe beliebt“, sagt Carsten Bahlburg vom Planungs- und Dienstleistungsunternehmen BST Innova aus Westertimke (Landkreis Rotenburg, Niedersachsen).


Projekt zur Güllevergärung


Bahlburg, selbst Landwirt und Biogasanlagenbetreiber, nimmt auch an einem Projekt teil, bei dem die Landkreisverwaltung zusammen mit dem 3N-Kompetenzzentrum, dem Maschinenring Zeven und 20 Landwirten untersucht, wie sich der Gülleanteil erhöhen lässt. „Die Landwirte arbeiten eng mit den Behörden zusammen, sodass während der Projektzeit das erforderliche Genehmigungsverfahren für eine Inputänderung ausgesetzt werden kann“, sagt Koordinatorin Ulrike Jungemann vom Landkreis Rotenburg.


Ziel des Projekts ist ein Leitfaden für Tierhalter und Anlagenbetreiber. Dabei geht es u.a. um die Vermittlung der anfallenden Wirtschaftsdüngermengen und die Logistik zwischen Tierhalter und Biogasanlagen. Hierfür ist der Maschinenring Zeven zuständig. „Es geht nicht nur um den Transport, sondern auch um die Frage, welche Nährstoffe wir sinnvoller Weise wohin liefern können. Denn mit dem Wirtschaftsdünger kommen viele Nährstoffe in den Betrieb“, erklärt Maschinenringschäftsführer Ralf Schomaker. „Wir wollen aber auch aufzeigen, wie die Rahmenbedingungen z.B. der AwSV praxistauglicher gestaltet werden müssen, damit mehr Wirtschaftsdünger in die Anlagen kommt“, sagt Jungemann.


Schon heute zeigt sich unter anderem, dass die Standardwerte aus der Düngeverordnung beim Nährstoffinput bei Rindergülle nicht passen. Der Klimaschutzbeitrag durch THG-Minderung ist nur ein Aspekt. Die Betriebe sollen auch Wege finden, um mit Wirtschaftsdünger wirtschaftlich Mais zu ersetzen oder den Gärrest zu Dünger aufzubereiten, um ihn anstelle von Mineraldünger zu nutzen.


Die Projektergebnisse könnten eine Blaupause für andere Landkreise werden: Mit über 140 Biogasanlagen (dem zweithöchsten Wert in Niedersachsen nach dem Landkreis Emsland) und intensiver Tierhaltung sowie hohen Ni-tratwerten im Grundwasser ist die Region in vielerlei Hinsicht ein Hotspot. Was hier gelingt, lässt sich auch auf andere Regionen übertragen. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt das Projekt Enegüll in Schleswig-Holstein. Ziel ist es, Gülle und Mist vor und in der Biogasanlage so behandeln, dass möglichst viel Stickstoff, Phosphat und Wasser entzogen werden. Gleichzeitig sollen die Biogasanlagen mit Wirtschaftsdünger die Maismenge reduzieren und transportwürdige Düngemittel aus Gülle und Mist erzeugen.


Auch heute schon zeigen die Erfahrungen der Biogasanlagenbetreiber: Ob der Umstieg von Energiepflanzen hin zu mehr Wirtschaftsdünger gelingen wird, hängt ganz entscheidend von den rechtlichen Rahmenbedingungen ab.


hinrich.neumann@topagrar.com


Im folgenden Beitrag stellen wir exemplarisch einige Lösungen zur Gülle- und Gärrestaufbereitung vor.

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