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Neue Abschaltregeln für Tausende von Anlagen

Lesezeit: 9 Minuten

Mit dem Redispatch 2.0 startet jetzt ein völlig neues Netzmanagement im Strombereich. Betroffen sind alle Anlagen über 100 kW. Betreiber müssen jetzt reagieren.


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Auf dem Weg zu 100% erneuerbaren Energien im Strombereich braucht Deutschland jede Kilowattstunde Ökostrom – sollte man meinen. Denn heute decken die Erneuerbaren erst knapp 50% des Verbrauchs. Doch allein im Jahr 2020 wurden rund 6,1 Mrd. kWh Strom nicht produziert, weil die Netzbetreiber Anlagen im Rahmen des Einspeisemanagements (kurz: EinsMan) „abgeregelt“, also für Stunden oder sogar Tage abgeschaltet haben. Das waren über 2% der produzierten Strommenge von 251 Mrd. kWh erneuerbarer Energien.


Mit der voranschreitenden Energiewende wächst das Problem, da der Netzausbau mit dem Zuwachs der Erneuerbaren nicht Schritt hält. Gleichzeitig wird es für die Verbraucher teurer. Denn die Anlagenbetreiber erhalten für den nicht produzierten Strom eine Entschädigung, die im Jahr 2020 immerhin bei 761 Mio. € lag.


Anlagen ab 100 kW betroffen


Das soll sich jetzt ändern. Denn das „Netzausbaubeschleunigungsgesetz“ (NABEG) aus dem Jahr 2019 legt fest, dass die vier Übertragungsnetzbetreiber und 875 Verteilnetzbetreiber in Deutschland bis zum 1. Oktober ein neues Netzengpassmanagement einführen sollen. Ziel ist es, mit dem „Redis-patch 2.0“ die Zahl der Abschaltungen zu reduzieren und die Kosten dafür insgesamt zu senken.


Das Redispatch 2.0 hat auch große Auswirkungen auf landwirtschaftliche Biogasanlagen, Solaranlagen, Windräder, Speicher oder Erdgas-BHKW. Denn alle bestehenden und neuen Anlagen ab 100 kW Leistung werden dabei einbezogen. Im Mai und Juni haben viele Netzbetreiber erste Daten zu den Anlagen abgefragt. Denn im Juli beginnt bereits die Übergangszeit, in der das neue System aufgebaut wird. Für Anlagenbetreiber sind jetzt folgende Infos wichtig, die wir im Folgenden erläutern:


  • Wie unterscheidet sich das Redispatch 2.0 vom Einspeisemanagement?
  • Welche Anlagen sind wie betroffen?
  • Wie läuft ein Abruf ab?
  • Wie unterscheiden sich Prognose- und Planwertmodell?
  • Wie erfolgt die Entschädigung?
  • Wie ist der Stand der Umsetzung?


So funktioniert „Einsman“


Übersicht 1 fasst die Unterschiede auf einen Blick zusammen. Oberhalb des blauen Pfeils ist das bisherige Management abgebildet. Dieses hat aber Grenzen, wie Dr. Stefan Börries vom Verteilnetzbetreiber EWE Netz aus Oldenburg erläutert: „Heute können wir nur kurzfristig auf einen Netzengpass reagieren, den wir anhand von Grenzwertüberschreitungen in der Stromleitung oder an einem Transformator feststellen.“


Zur Beseitigung des Netzengpasses werden heute nur Großanlagen ab 10 MW Leistung einbezogen. Sollte diese Maßnahme nicht ausreichen, können auch Erneuerbare-Energien- und KWK-Anlagen abgeregelt werden. Anschließend ermitteln der Netzbetreiber oder der Anlagenbetreiber die Ausfallarbeit und die Höhe der Entschädigungszahlung.


Das ist „Redispatch 2.0“


Beim Redispatch 2.0 müssen die Netzbetreiber auf Basis von Prognosen und Planungsdaten ca. 36 Stunden im Voraus eine Netzzustandsanalyse vornehmen. Mögliche Engpässe sollen so im Vorfeld aufgespürt werden.


Neu ist, dass jetzt auch die Verteilnetzbetreiber aktiv beim Netzengpassmanagement mitarbeiten und sich mit anderen Netzbetreibern stärker abstimmen. Weil auch kleine Anlagen ab 100 kW beteiligt sind, soll sich ein Engpass schneller auf lokaler Ebene auflösen lassen als es bisher der Fall war. Das soll die Kosten und die Zahl der Netzeingriffe senken, aber auch die Systemstabilität erhöhen.


Viele Erneuerbare betroffen


Beim Redispatch 2.0 gibt es jede Menge neue Begriffe. Jede einzelne Stromerzeugungseinheit wird als „Technische Ressource“ (TR) bezeichnet. Das ist also ein einzelnes BHKW einer Biogasanlage, ein Windrad oder eine Photovoltaikanlage. Mehrere BHKW, die zusammengeschlossen sind oder ein Windpark aus mehreren Anlagen gelten als „Steuerbare Ressource“ (SR).


Neu ist ebenfalls die Rolle des „Einsatzverantwortlichen“ (EIV), der der Ansprechpartner für den zuständigen Netzbetreiber wird. Er steuert die Energieerzeugung einer TR auf Basis von Fahrplänen. „Theoretisch kann dieses der Anlagenbetreiber selbst sein, aber in der Regel wird diese Aufgabe der Direktvermarkter übernehmen“, sagt Börries. Denn der Einsatzverantwortliche muss die nötige IT sowie die notwendigen Schritte zur Datenübermittlung beherrschen.


Ebenfalls bestimmt werden muss der „BTR“ (Betreiber technischer Ressourcen). Dieses kann der Anlagenbetreiber selbst sein. Teile der Aufgaben kann aber auch der Direktvermarkter übernehmen. Wichtig ist nur: Jeder Betreiber einer Anlage, die vom Redispatch 2.0 betroffen ist, muss bis zum 1. Juli seinem zuständigen Netzbetreiber den Namen von EIV und BTR melden. Der EIV kümmert sich dann um die weiteren Schritte. 90% der Windparks und über 50% der Biogasanlagen haben einen Direktvermarkter, der diese Dienstleistung übernehmen kann. „Jeder Anlagenbetreiber sollte auf jeden Fall mit dem Vermarkter sprechen, ob und wenn ja, welche Aufgaben dieser übernehmen kann“, rät Florian Strippel vom Fachverband Biogas.


Problematisch wird es für Betreiber älterer Windräder oder von fast allen Photovoltaikanlagen, die meist nicht in der Direktvermarktung sind. „Sofern Sie als Anlagenbetreiber die elektronischen Kommunikationsprozesse nicht selbst bedienen möchten, treten Sie bitte für weitere Informationen in Austausch mit Ihrem Anschlussnetzbetreiber bzw. einem Dienstleister (z.B. Direktvermarkter)“, rät der federführende Bundesverband der Energiewirtschaft (BDEW).


Wer die Marktrollen des EIV und des BTR nicht meldet, hat zwar nicht unmittelbar mit einer Strafe zu rechnen. „Bei Nichtumsetzung kann die Bundesnetzagentur aber Zwangsmittel ansetzen“, heißt es auf top agrar-Anfrage.


Nötige Infos und Daten


Der Knotenpunkt für den gesamten Informationsfluss zwischen Anlagen- und Netzbetreibern sind die Datenplattformen „Connect+“ bzw. im Gebiet der TransnetBW in Baden-Württemberg die „DA/RE“. Die Abkürzung steht für „Datenaustausch Redispatch“.


Der EIV muss zum einen Stammdaten melden, also die allgemeinen Infos zu der Anlage und zum Betreiber, aber z.B. auch die Art der technischen Steuerbarkeit, den Wirkungsgrad von Speichern, Anfahrzeiten usw. Später kommen „Bewegungsdaten“ hinzu wie „Nichtverfügbarkeiten“. Dieses entspricht den Angaben, die Betreiber ihrem Direktvermarkter heute schon übermitteln: Wann steht eine Wartung an? Bei Biogasanlagen oder anderen KWK-Anlagen könnte hinzukommen: Wann muss das BHKW zwecks Wärmelieferung auf jeden Fall produzieren?


Wie läuft ein Abruf ab?


Ein Abruf bedeutet, dass der Netzbetreiber bei einem Netzengpass die Leistung der Anlage reduziert bzw. sie ganz abschaltet (negativer Redispatch) oder deren Einspeiseleistung erhöht (positiver Redispatch). Dafür nutzt der Netzbetreiber die bereits eingebauten Rundsteuerempfänger oder andere Fernwirktechnik. Zum Start von Redispatch 2.0 müssen die Anlagenbetreiber daher in der Regel keine neue Fernsteuerung installieren lassen. Ob sich das später ändert, ist noch offen.


Die Auswahl, welche Anlagen wann abgeschaltet werden, ist ein komplizierter Prozess und hängt letztlich von den Kosten ab. Mit der Einführung von Mindestfaktoren bleibt der Einspeisevorrang von KWK- und EE-Anlagen erhalten. Das bedeutet: In der Regel ist es für die Netzbetreiber günstiger, konventionelle Kraftwerke abzuregeln.


Für den Abruf und die Entschädigung ist außerdem entscheidend, auf welches Bilanzierungsmodell sich Anlagenbetreiber und Einsatzverantwortlicher (also der Direktvermarkter) geeinigt haben. Auch diese Wahl muss der EIV im Juli dem Netzbetreiber melden.


Die zwei Bilanz-Modelle


Für die Planung, den Abruf und die Entschädigung der Ausfallarbeit spielt das Bilanzierungsmodell eine Rolle. Der Anlagenbetreiber und sein EIV müssen zwischen Prognose- und „Planwertmodell“ wählen (Übersicht 2).


Beim Prognosemodell schätzt der Netzbetreiber die Stromproduktion der Anlage im Voraus. Bei der Entschädigung bestimmt der Netzbetreiber die „Ausfallarbeit“ als Differenz der prognostizierten und der abgeregelten Leistung. Als Basis für die Leistung, die die Anlage voraussichtlich erbracht hätte, wenn sie nicht abgeregelt worden wäre, nimmt der Netzbetreiber die letzte Viertelstunde vor der Abregelung. Zur Berechnung nutzt der Netzbetreiber u.a. Wetterdaten. Damit wird dieses Modell voraussichtlich der Standard für Wind- und Solaranlagen werden, aber auch für andere kleinere Anlagen.


Beim Planwertmodell übermittelt der EIV einen individuellen Fahrplan an den Netzbetreiber. Dieser kann damit genau bestimmen, welche Leistung die Anlage während der Redispatchmaßnahme hätte bereitstellen sollen. „Jeder Anlagenbetreiber sollte sich hier mit dem Direktvermarkter absprechen, welches Modell sinnvoll ist“, rät Strippel.


Daneben müssen Anlagenbetreiber und EIV wählen, ob die Anlage nach dem „Duldungsfall“ oder nach dem „Aufforderungsfall“ abgeregelt werden soll. Im Duldungsfall informiert der Netzbetreiber den EIV über die bevorstehende Abregelung, führt diese aber eigenständig durch. Dieses Vorgehen entspricht dem heutigen Einspeisemanagement.


Beim Aufforderungsfall erhält der EIV dagegen die Info, dass er die Leistung der Anlage bzw. der Anlagen zu einem bestimmten Zeitpunkt auf bzw. um einen vorgegebenen Wert zu ändern hat.


Wie entschädigt wird


Bei der Entschädigung soll der Anlagenbetreiber unterm Strich finanziell so gestellt werden, als hätte es die Abregelung nicht gegeben. Er erhält vom Netzbetreiber die Marktprämie und vom Direktvermarkter den Börsenstrompreis bzw. die vertraglich vereinbarte Vergütung. Speziell bei KWK- bzw. Bioenergieanlagen werden eingesparte Brennstoffkosten abgezogen. Denn wenn das BHKW abgeregelt ist, verbraucht es kein Gas. Dagegen erhalten Betreiber mit entsprechendem Nachweis Kosten erstattet, die sie z.B. für eine Ersatzwärmeversorgung aufwenden müssen. Wie die Abrechnung und die Nachweisführung erfolgt, ist noch offen. Feststeht nur, dass es bei der Abrechnung drei Modelle zur Auswahl gibt:


  • Bei der Spitz-Abrechnung werden zur Berechnung der Ausfallarbeit an der Anlage gemessene Wetterdaten (z.B. Sonneneinstrahlung oder Windgeschwindigkeit) als Grundlage genommen.
  • In der vereinfachten „Spitz-Abrechnung light“ werden Wetterdaten von Referenzanlagen oder aus vereinbarten Wettermodellen genutzt.
  • In der Pauschalabrechnung wird die Produktion der letzten Viertelstunde vor der Maßnahme über die Zeit der Maßnahme fortgeschrieben.


Stand der Umsetzung


Mittlerweile haben viele Netzbetreiber die Betreiber von betroffenen Anlagen angeschrieben und mit dem EIV die ersten Stammdaten final abgestimmt. Zudem haben sich die Direktvermarkter positioniert und bieten sich als EIV bzw. BTR für die Marktkommunikation an. „Um unseren Kunden den Einstieg zu erleichtern, starten wir im Prognosemodell, dem pauschalen Abrechnungsverfahren sowie dem Duldungsfall. Im weiteren Verlauf prüfen wir, ob Änderungen zielführend sind“, teilt beispielsweise die Wemag aus Schwerin mit.


Ähnlich äußert sich Kurt Kretschmer, zuständig für Energiepolitik beim Vermarkter Energy2Market (e2m) aus Leipzig: „Das Planwertmodell ist in der Theorie zwar das geeignetere Modell für flexible Biogasanlagen, in der Praxis ist der administrative Mehraufwand im Vergleich zum Prognosemodell aber nur für Anlagen mit hoher Abrufwahrscheinlichkeit sinnvoll.“ e2m hat daher entschieden, zunächst die Einführungsphase abzuwarten und zu prüfen, wie der Ansatz zur Vermeidung tatsächlicher Redispatchabrufe durch Regelleistungsvermarktung auf den Biogaspool des Vermarkters wirkt.


Die EWE aus Oldenburg und Next Kraftwerke aus Köln dagegen halten das Prognosemodell für fluktuierende Einspeiser (also Wind- und Solaranlagen) für richtig, für flexible Biogasanlagen das Planwertmodell.


Die Kombination „Prognosemodell“ und „Duldungsfall“ könnte auch bei Betreibern von Anlagen infrage kommen, die bisher nicht in der Direktvermarktung sind. „Hier übernimmt die Einsatzprognose und die Steuerung der Anschlussnetzbetreiber, der teilweise auch die verbleibenden Funktionen des EIV übernehmen kann“, teilt ein BDEW-Sprecher mit.


Derzeit ist allerdings noch viel in Bewegung, da noch massiv Klärungsbedarf besteht. In jedem Fall ist eine frühzeitige Kontaktaufnahme mit Direktvermarkter und zuständigem Netzbetreiber wichtig!


hinrich.neumann@topagrar.com

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