Einloggen / Registrieren

Startseite

Schlagzeilen
Messen & Termine
Themen
Wir für Euch
Sonstiges

Stilllegung 2024 Agrardiesel-Debatte Bürokratieabbau

Aus dem Heft

Landwirte stellen auch künftig Wasserstoff her

Windstrom lässt sich über die Elektrolyse in Wasserstoff umwandeln. Wir sprachen mit Ove Petersen, Geschäftsführer der GP Joule aus Reußenköge (Schleswig-Holstein) über Chancen für die Landwirtschaft.

Lesezeit: 9 Minuten

Windstrom lässt sich über die Elektrolyse in Wasserstoff umwandeln. Wir sprachen mit Ove Petersen, Geschäftsführer der GP Joule aus Reußenköge (Schleswig-Holstein) über Chancen für die Landwirtschaft. Petersen ist auch Landwirt und erzeuget Biogas-, Wind- und Solarstrom.

 

 

 

Welche Vorteile bietet aus Ihrer Sicht die Wasserstoffproduktion aus Windstrom?

 

 

Petersen:  Wenn wir überschüssigen Wind- und Solarstrom, also Strom, der in Folge von Netzüberlastung gar nicht eingespeist werden kann, in der Elektrolyse (Power-to-Gas genannt) nutzen, können Windparks und PV-Anlagen, die durch den Netzbetreiber abgeregelt werden, weiter Strom erzeugen. Die Abregelung von erneuerbare Energien-Anlagen  ist gerade hier in Schleswig-Holsteins ein immer größer werdendes Problem. Der Strom, der nicht erzeugt werden kann, wird dann nach § 15 EEG dennoch vergütet und die Kosten dafür müssen die Verbraucher über die Netzentgelte tragen – allein in der ersten Jahreshälfte 2015 über 250 Millionen Euro.

Den produzierten Wasserstoff können Landwirte bspw. im BHKW einer Biogasanlage mit bis zu 30 % Anteil im Gasgemisch einsetzen und damit ein Drittel der Rohstoffe wie Mais ersetzen. Darüber  hinaus gibt es noch die Option, anschließend Wasserstoff und Kohlendioxid reagieren zu lassen, also daraus synthetisches Methan für die Einspeisung ins Erdgasnetz herzustellen.

 

Welche Vorteile hätte das für die Landwirte?

 

Petersen:  Während wir bei Wind- und Solarstrom noch großes Wachstumspotenzial haben, ist es bei der Anbaufläche für Biomasse begrenzt. Auch wird der technische Fortschritt bei Wind- und Solarstrom größer sein  als der Zuchtfortschritt bei den Energiepflanzen. Die Wasserstoffproduktion mit Power-to-Gas ist eine Riesenchance für uns Landwirte, weil wir nicht nur überschüssigen Windstrom nutzen, sondern mit dem Biogasanlagen eine wichtige Speicherfunktion für die Energiewende bereitstellen. Wir können also die erneuerbaren Energien, die auf vielen Höfen vorhanden sind, stärker vernetzen. Dazu gehört z.B., mit der Abwärme einer Biogasanlage ein Gewächshaus zu betreiben und so die Wertschöpfung aus der Landwirtschaft zu erhöhen.  

Biogasanlagen werden dabei nicht mehr in Dauerlast, sondern nur noch dann laufen, wenn Wind- und Solarstrom nicht zur Verfügung stehen. Statt 8700 Stunden im Jahr gehen wir von 2000 oder 3000 Stunden aus. Damit holen wir das meiste aus der Produktion von Wind-, Solar- und Biogasstromproduktion heraus, da kein Segment mehr Überschüsse produziert.

 

 

Die Zahl der Power-to-Gas-Projekte wächst stetig. Auch Sie haben ja mit dem „Stromlückenfüller“ ein Pilotprojektim kleinen Leistungsbereich angestoßen Wo sehen Sie noch Hemmnisse für den Durchbruch?

 

 

Petersen: Das Thema ist sehr komplex und für viele Politiker nicht leicht zu durchschauen. Wir müssen ihnen aber klar machen, dass sie ihr Regelwerk anpassen müssen, z.B. das Energiewirtschaftsgesetz. Derzeit werden Elektrolyseure wie ein Letztverbraucher betrachtet, der EEG-Umlage und alle weiteren staatlich induzierten Steuern und Abgaben zahlen muss. Das bedeutet: Kauft der Betreiber einer Power-to-Gas-Anlage oder eines Speichers Windstrom ein, muss er darauf alle Steuern und Abgaben zahlen. Wenn man dann den Wasserstoff in der Mobilität, dem Wärmebereich oder in der Industrie einsetzt und damit einen wertvollen Beitrag zur Dekarbonisierung dieser Sektoren leistet, verteuern diese Abgaben den Wasserstoff so sehr, dass es praktisch nicht gelingen kann, mit aus fossilem Erdgas erzeugtem Wasserstoff zu konkurrieren. Denn auf den tatsächlichen Letztverbraucher kommen ja dann nochmals die gleichen Letztverbraucherabgaben zu.  Die Politik muss aber erkennen, dass die Wasserstoffproduktion das Stromnetz entlastet, den CO2-Ausstoß reduziert und weitere Vorteile für die Energiewende bringt. So haben wir damit die Möglichkeit, die Energiewende auch endlich im Wärme- und im Verkehrssektor voranzubringen. Daher fordern wir eine Abschaffung dieser massiven Benachteiligung mit Letztverbraucherabgaben auf den Strombezug von Power-to-Gas-Anlagen – übrigens genau wie bei den großen Pumpspeicherkraftwerken, die für den genutzten Strom keine Netzentgelte zahlen müssen. Auch fordern wir, dass die Bundesregierung Power-to-Gas stärker im neuen Strommarktgesetz berücksichtigt, das derzeit im Entwurf vorliegt. Dabei könnten die 8000 Biogasanlagen in Deutschland mit einer entsprechenden Flexibilisierung diesen Part auch leisten.

 

Schon heute stoßen viele Landwirte ja mit ihren angestammten Produktionszweigen an ihre Grenzen, z.B. bei der Arbeitszeit. Wie sollen sie da mit der Wasserstoffproduktion noch einen weiteren Produktionszweig aufbauen, zumal ja auch Know-how dazu häufig fehlt?

 

Petersen: Die Sorge haben in der Tat viele Berufskollegen. Aber die Landwirte sind doch seit je her gewohnt, in Gemeinschaft zu produzieren – sei es bei Getreidemühlen oder bei Molkereien. Ich könnte mir vorstellen, dass sich mehrere Biogaserzeuger mit Windparkbetreibern in der Umgebung zusammenschließen und in Form einer Genossenschaft oder wie auch immer arbeitsteilig Wasserstoff produzieren. Das muss nicht jeder Landwirt selbst machen.

 

Vor genau zehn Jahren gab es ähnliche Argumente für die Produktion von Biomethan, als die erste Anlage aufbereitetes Biogas ins Gasnetz eingespeist hat. Dieses lässt sich auch vielfältig im Strom-, Wärme- und Verkehrssektor einsetzen und hervorragend speichern. Trotz der vielen Vorteile hat die Politik aber immer die Stromproduktion forciert, während Biomethan auch heute noch ein Nischendasein fristet. Was macht Sie sicher, dass das nicht auch beim Wasserstoff passiert?

 

Petersen: Weil Wasserstoff deutlich günstiger ist als Biomethan. Denn Biomethan muss ja aus Biomasse wie Energiepflanzen hergestellt werden. Da diese teuer sind, sind auch die Erzeugungskosten pro m3 Gas doppelt oder dreimal so hoch wie beim Wasserstoff, der aus Windstrom produziert wird. Auch ließe er sich ohne aufwändige Aufbereitung zu einem Anteil von 3 bis 17 % direkt ins Erdgasnetz einspeisen. Aber wir wollen den Wasserstoff möglichst direkt nutzen. Biomethan muss sich außerdem immer gegen das deutlich günstigere Erdgas behaupten. Das ist beim Wasserstoff nicht der Fall, hier gibt es deutlich mehr Absatzmöglichkeiten und Verwendungen.

 

Aber heute produziert Deutschland ja auch schon Wasserstoff für viele Anwendungen. Wie konkurrenzfähig ist da der „Bio-Wasserstoff“?

 

Petersen: Der heute verwendete Wasserstoff wird vor allem aus Erdgas hergestellt. In Deutschland werden jährlich 8 Milliarden Kubikmeter Erdgas, das zu 90 Prozent importiert wird,  nur zur Wasserstoffproduktion verwendet. Zu den enormen Ausgaben für den Kauf des Erdgases aus teilweise politisch instabilen und autoritär regierten Staaten kommen also auch erhebliche CO2-Emissionen, die bei der Reformierung des Erdgases zu Wasserstoff entstehen. Wenn wir für die Produktion sauberen Wind- und Solarstrom verwenden, der zu Grenzkosten anfällt, sind wir auf jeden Fall langfristig günstiger – und gleichzeitig klimaschonender.

 

Wie lässt sich der Wasserstoff – außer zur Einspeisung ins Gasnetz – noch verwerten?

 

Petersen: Es gibt viele Möglichkeiten: Man kann ihn auf Flaschen ziehen und als Kraftstoff  für Brennstoffzellenfahrzeuge verkaufen. Die Zahl der geeigneten Fahrzeuge und der Tankstellen wächst vor allem in Ballungszentren, weil damit nicht nur Pkw, sondern auch Busse fahren wie z.B. in Berlin und Hamburg. Bereits drei Automobilhersteller haben serienreife Brennstoffzellenfahrzeuge auf dem Markt, die Zahl wächst. Man kann daraus aber auch Dimethylester als synthetischen Kraftstoff produzieren, der sich als Ersatz für Benzin oder Diesel einsetzen lässt. Diesen Weg treibt u.a. die Automobilindustrie voran. Außerdem sollten wir auch den Weg der Rückverstromung durch Brennstoffzellen oder eben durch die Mitverbrennung in Biogas-BHKWs nicht außer Acht lassen – denn so können wir wirklich 100 Prozent erneuerbare Energien volkswirtschaftlich günstig und versorgungssicher erreichen.

Ich sehe daher noch viel Potenzial für diesen Weg.

 

Was ist mit den Kosten für eine Power-to-Gas-Anlage? 

 

Petersen: Die Kosten für eine solche Anlage sind in den letzten Jahren rapide gesunken und dieser Trend wird sich weiter fortsetzen. Die konkreten Kosten für schlüsselfertige Anlagen sind natürlich individuell abhängig von der installierten Leistungsklasse. Momentan können Sie von einem Richtwert von etwa 1000 Euro je installiertem kW Leistung inklusive Installation für einen PEM-Elektrolyseur ausgehen.

 

Wann lohnt es sich, über den Kauf nachzudenken? Sind die Anlagen serienreif?

 

Petersen: Es lohnt sich bereits jetzt, über eine solche Investition nachzudenken. Die Technologie ist als solche ausgereift und funktioniert sicher und zuverlässig, wie unsere umfangreichen Tests und seit mehr als einem halben Jahr der Betrieb unserer Pilotanlage in Reußenköge zeigen.

In absehbarer Zeit wird es die ersten Windparks, aber auch Biogasanlagen geben, die das Ende ihres EEG-Förderzeitraums erreichen.  Außerdem ist seit dem 1. Januar die sog. Paragraf 24-Regelung im EEG für Neuanlagen in Kraft. Dies bedeutet, dass seit 2016 in Betrieb genommene Anlagen keinen Anspruch auf EEG-Vergütung mehr haben, wenn sechs Stunden in Folge negative Börsenstrompreise vorliegen. Diese Zeiträume werden künftig immer häufiger und über längere Zeiträume auftreten, wie auch mehrere aktuelle Studien prognostizieren. Da macht es absolut Sinn, sich frühzeitig mit einer Investition in eine Power-to-Gas-Anlage auseinander zu setzen, die längerfristig ein zweites Erlös-Standbein sein kann, das stabile Einnahmen erwirtschaftet.

 

Wie viele Biogasanlagen benötigt man für eine Anlage? 

 

Wenn man z. B. PEM-Elektrolyseure in der Leistungsklasse von 200 kW installiert, reicht eine Biogasanlage mit einem BHKW von 500 kW vollkommen aus. Die PEM-Elektrolyse-Technologie ist leicht und vollständig skalierbar, es können also Elektrolyseure von 20 kW bis in den Megawattbereich nahezu beliebig installiert werden. Es ist also möglich, die Leistung der Power-to-Gas-Anlage auf die Leistung des Biogas-BHKW abzustimmen.

 

Wo muss die Anlage stehen? Direkt an der Biogasanlage? 

 

Für das Konzept eines „Stromlückenfüllers“ wie unserer Power-to-Gas-to-Power-Anlage in Reußenköge ist das dringend notwendig, da Wasserstoff dem Biogas direkt beigemischt wirdmit einem Anteil von bis zu 30 Prozent. Aber auch wenn man auf eine Mitverstromung des Wasserstoffs verzichtet, rate ich dringend dazu, den PEM-Elektrolyseur an einer Wärmesenke zu installieren, also einen möglichst unmittelbaren Zugang zu einem Nah- oder Fernwärmenetz zu haben. Auf diese Weise kann die bei der Elektrolyse anfallende Wärme – immer 25 Prozent der eingesetzten Energie – optimal genutzt und damit auch Erlöse erzielt werden. Wenn es nicht genügend Nachfrage nach Raumwärme gibt, kann damit auch die Biogasanlage beheizt und damit Energie gespart werden. Insofern macht eine Installation in unmittelbarer Nähe der Biogasanlage grundsätzlich immer Sinn.

 

 

Die Fragen stellte Hinrich Neumann.

 

Die Redaktion empfiehlt

top + Letzte Chance: Nur noch bis zum 01.04.24

3 Monate top agrar Digital + 2 Wintermützen GRATIS

Wie zufrieden sind Sie mit topagrar.com?

Was können wir noch verbessern?

Weitere Informationen zur Verarbeitung Ihrer Daten finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Vielen Dank für Ihr Feedback!

Wir arbeiten stetig daran, Ihre Erfahrung mit topagrar.com zu verbessern. Dazu ist Ihre Meinung für uns unverzichtbar.