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Strom vom Hof nebenan

Lesezeit: 9 Minuten

Mit der regionalen Stromvermarktung an Bürger vor Ort erhoffen sich Betreiber von Wind-, Solar- und Biogasanlagen höhere Erlöse. Wir stellen aktuelle Probleme und Lösungen vor.


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Sieben Windräder, ein Solarpark und eine Biogasanlage stehen im Energiepark im nordrhein-westfälischen Saerbeck. Die Gemeinde produziert genug Strom, um die Bürger zu versorgen. „Das fördert die Akzeptanz für neue Energien vor Ort“, weiß Hendrick Uhlenbrock, Geschäftsführer der Gemeinschaftsbiogasanlage Saergas und Mitarbeiter vom Maschinenring Steinfurt-Bentheim, der mit 17 Landwirten und dem Hersteller Envitec Biogas Gesellschafter der Saergas ist.


Chance für Altanlagen:

Die Strom-Direktvermarktung hat weitere Vorteile:


  • Sie ist eine Chance für Anlagen, die keine Stromvergütung nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) mehr erhalten. Das EEG sieht eine Förderung für 20 Jahre vor. Ende 2020 erreichen die ersten Anlagen diese Grenze.
  • Die dezentrale Erzeugung macht lange Stromleitungen überflüssig.
  • Mit einer besseren Koordination von Erzeugung und Verbrauch vor Ort könnte Windstrom auch zum Heizen oder für Elektrofahrzeuge genutzt werden, sodass weniger Windräder abgeschaltet werden müssten.


Doch der regionalen Stromvermarktung liegen viele Steine im Weg. Das beginnt mit der Konkurrenzfähigkeit. Zwar ist der reine Strompreis nur ein Teil des Endpreises für Verbraucher (Übersicht 2). Aber dennoch liegen die Erzeugungskosten für Windstrom bei 6 bis 8 ct, für Solarstrom bei 9 bis 12 ct und für Biogasstrom bei rund 15 ct/kWh. Die Versorger kaufen heute Kohle- oder Atomstrom an der Börse dagegen für ca. 4 ct/kWh ein.


Um gegenüber abgeschriebenen Kohle- oder Atomstromwerken wettbewerbsfähig zu sein, brauchen erneuerbare Energien also noch eine Förderung. Nutzen die Anlagenbetreiber das EEG, dürfen sie den Strom aber nicht als „Ökostrom“ vermarkten.


Grund ist das Doppelvermarktungsverbot im EEG. Wind-, Solar- oder Biogasstrom, den die Betreiber ins öffentliche Stromnetz einspeisen, verliert seine „grüne“ Eigenschaft und wird zu Grau­strom, wie er offiziell heißt (siehe Übersicht 2).


Zur Unterstützung von regionalen Stadtwerken gab es bis zum Jahr 2012 das „Grünstromprivileg“, das u. a. eine Ermäßigung bei der EEG-Umlage vorsah. Damit konnten Stadtwerke und andere Anbieter vor allem Windstrom ohne EEG-Förderung wirtschaftlich anbieten. Doch diese Möglichkeit hat der Gesetzgeber gestrichen mit der Begründung, dass die EEG-Umlage für die Verbraucher ansonsten zu stark ansteige.


Eine weitere Förderung für Ökostrom ist die Stromsteuerbefreiung, wenn der Strom aus Anlagen „in räumlicher Nähe“ zu den Verbrauchern stammt sowie Verbrauch und Erzeugung gleichzeitig stattfinden. Aber auch diese Option soll wegfallen: mit großer Wahrscheinlichkeit rückwirkend zum 1. Januar 2016. Denn das Bundesfinanzministerium plant eine Änderung des Stromsteuergesetzes.


Neue Wege:

Dennoch geben sich Energieerzeuger nicht geschlagen und suchen nach neuen Wegen, um Bürgern ihren Strom anbieten zu können. „Wir müssen heute schon die Strukturen schaffen für die Anlagen, die in wenigen Jahren keine Stromvergütung nach dem EEG mehr erhalten“, betont Robert Spanheimer von der Energiegenossenschaft „Regionalstrom Franken“. In der Gemeinschaft sei es einfacher, sich um den Stromabsatz zu bemühen. Die im Oktober 2015 mit aktuell 120 Mitgliedern gegründete Genossenschaft bündelt beispielsweise Anlagen im Großraum Nürnberg.


Angeschlossen sind rund 20 größere Photovoltaik-, Wind- und Biogasanlagen. Sie vermarkten ihren Strom gemeinsam über die Stadtwerke „N-Ergie“ aus Nürnberg. Derzeit erhalten die Betreiber die übliche EEG-Vergütung nach dem Marktprämienmodell. Die Vergütung setzt sich aus folgenden Komponenten zusammen: dem durchschnittlichen Börsenpreis, einem Teil der Managementprämie sowie der Marktprämie, die die Differenz zwischen dem Börsenstrompreis und der Festvergütung darstellt, die dem Betreiber nach dem EEG zustehen würde. „Aber auch nach dem Marktprämienmodell wird der Strom zum Graustrom und kann nicht als Ökostrom vermarktet werden“, bemängelt Spanheimer.


Grüne Zertifikate:

Einen Schritt weiter geht die Saergas aus Saerbeck. Die Biogasanlage mit 1 MW Leistung erzeugt Strom für theoretisch rund 2 000 Vier-Personen-Haushalte. Rund 300 Haushalte beziehen seit Anfang Mai 2015 indirekt Strom der Marke „SaerVE“ aus der Biogasanlage. „Unser Ziel ist es, mindestens 1 000 Haushalte in der Region zu versorgen“, erklärt Ralph Würthen, Vertriebsleiter bei der Envitec Stromkontor.


Den Strom vermarkten die Saerbecker über Umwege an die Bürger. Zunächst speisen sie den Strom ins Netz ein und kassieren die Vergütung nach dem EEG. Die identische Strommenge, die die Saergas einspeist, kauft Envitec am Strommarkt zu und liefert den Strom an die Endkunden. Derzeit bezahlen diese dafür 6,35 ct/kWh (ohne Steuern und Abgaben). Darin ist auch eine kleine Marge enthalten, die sich Envitec und die Saergas teilen.


Da die Kunden aber auch Ökostrom haben wollen, muss Envitec für jede verbrauchte Kilowattstunde zusätzlich „Grünstromzertifikate“ einkaufen. Erst mit diesen Zertifikaten wird der Grau- zu „Grünstrom“. So will es das Energiewirtschaftsgesetz (§42). Die Zertifikate werden getrennt von der Strommenge gehandelt. Das Umweltbundesamt (UBA) führt darüber ein Herkunftsnachweisregister. Fast 90 % der Herkunftsnachweise des in Deutschland gelieferten Ökostroms stammen aus skandinavischen Wasserkraftwerken. Die Zertifikats-Preise liegen bei 0,02 bis 0,03 ct/kWh.


Zeitgleiche Einspeisung:

Um die deutschen EEG-Anlagen dennoch für die regionale Stromvermarktung zu nutzen, setzen einige Stromanbieter auf die zeitliche Übereinstimmung von Einspeisung und Verbrauch, z. B. der Berliner Dienstleister Grundgrün. De facto erhalten auch die aktuell rund 10 000 Grundgrün-Kunden Graustrom, der mit Herkunftsnachweisen zu Ökostrom wird. „Wir garantieren den Verbrauchern aber, dass parallel zu mindestens 95 % des Stroms, den sie verbrauchen, zeit- und mengengleich Strom aus Wind- oder Solaranlagen aus unserem Direktvermarktungsportfolio eingespeist wird“, erklärt Sprecherin Kirsten Hering. Diese Übereinstimmung lässt Grundgrün vom TÜV zertifizieren.


Die zeitgleiche Produktion gibt jedoch den Verbrauchern nur das Gefühl, regional erzeugten Strom zu nutzen. Weder der Anlagenbetreiber vor Ort noch der Verbraucher haben finanziell etwas davon. „Daher muss der Gesetzgeber möglichst schnell die Möglichkeit schaffen, dass auch EEG-Strom einen Nachweis erhält und damit einen Mehrwert vor Ort schafft“, fordert Hering. Die zeitgleiche Einspeisung sieht sie als wichtigen Einstieg in eine künftige Vor-ort-Vermarktung und die Integration der Erneuerbaren in das Stromsystem. Grundgrün arbeitet auch mit regionalen Stromanbietern zusammen, beispielsweise mit der Sunfarming aus Erk-ner bei Berlin, die zusammen mit Grundgrün den Stromtarif „Sunfarming Green Energy“ anbietet, bei dem 55 % des Stroms zeitgleich aus den eigenen Solarparks eingespeist wird.


Und es gibt weitere Beispiele:


  • Die Energiegenossenschaft Zollernalb eG aus Baden-Württemberg baut mit dem Kapital der Genossen Photovoltaikanlagen auf größeren Dächern oder Solarparks auf ehemaligen Deponien. Diese Anlagen vermietet die Genossenschaft zu einem Preis je kWh an eine Firma, die als Betreiber den Strom für die Eigenproduktion nutzt. Mit diesem Mietmodell bekommt der Unternehmer günstigeren Ökostrom, als wenn die Genossenschaft den Strom erzeugen und ihm verkaufen würde.
  • Die „Bürgerwerke eG“, zu der 43 Energiegenossenschaften mit 280 Wind- und Solaranlagen gehören, bieten auch einen eigenen Stromtarif aus deutschen Wasserkraftwerken, Bürgerwind- und -solarparks an.


Kunden warten nicht:

Anders, als sich viele Anbieter erhoffen, sind die Stromkunden nur schwer zu einem Wechsel zu bewegen. „Nur rund ein Drittel der Bevölkerung liest überhaupt die Stromrechnung“, weiß Gabriela Cramm von Landstrom aus Gevensleben (Niedersachsen), einer Tochter der Landwind GmbH, die Windparks plant, Strom vermarktet und Ökostrom anbietet.


Kundenakquise kostet auch viel Zeit. „Wir haben nicht nur mit unserer Internetseite, sondern auch auf regionalen Messen und Wochenmärkten dafür geworben“, berichtet Saergas-Geschäftsführer Uhlenbrock. Die Erfahrung: Nicht nur ein günstiger Preis lässt die Kunden umsteigen, sondern auch das Vertrauen in ein vor Ort verankertes Unternehmen. Dazu geht auch die Saerbecker Gemeindeverwaltung seit dem 1. Januar 2016 als Vorbild voran, indem sie Saergasstrom bezieht. Für wichtig hält Uhlenbrock einen Partner für den Kundenservice. Das Lastschriftverfahren, die Kundenabrechnung mit Mahnwesen usw. übernimmt z. B. Envitec.


Was sich ändern muss:

Die Stromvermarktung ist am wirtschaftlichsten mit älteren Windkraftanlagen. „Um ein sinnloses Verschrotten noch funktionsfähiger Anlagen zu verhindern, wäre es aber notwendig, dass sie nach 20 Jahren EEG eine Anschlussförderung von 1,5 bis 2 ct/kWh bekämen. Damit wären die Anlagen selbst bei einem niedrigen Börsenstrompreis von 2,5 ct konkurrenzfähig“, erklärt Winfried Gödde, Geschäftsführer der Westfalenwind Strom aus Lichtenau bei Paderborn. Sollte dagegen bei Abschaltung der alten Kohlekraftwerke der Börsenstrompreis wieder steigen, könnten alte Windräder auch ohne Förderung konkurrenzfähig werden. „Mit einem Vollwartungsvertrag lässt sich Strom aus bestehenden, abgezahlten Anlagen für 6 ct/kWh produzieren. Diesen Börsenpreis hatten wir bereits 2008“, rechnet Lisa Frehe von der Projektberatungsgesellschaft BBWind aus Münster vor.


Auch müsste der internationale Zertifikatehandel unterbunden werden. „Unseren bundesdeutschen Graustrom durch den Kauf norwegischer Wasserkraft-Papiere grün zu waschen, ist Verbrauchertäuschung. Dadurch wird hier bei uns keine zusätzliche Erneuerbare-Energien-Anlage gebaut“, moniert Gödde.


Wichtig wäre auch, dass die Stromsteuerbefreiung für Regiostrom bestehen bleibt. Die Abschaffung ist ohnehin umstritten: Für konventionelle Kraftwerke, die nach dem Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz gefördert werden, bleibt die Befreiung weiterhin möglich, während sie für erneuerbare Energien abgeschafft wird. „Das ist nicht nachzuvollziehen – vor allem, weil die Stromsteuer eine ökologische Steuerungsfunktion haben sollte“, kritisiert Daniel Hölder vom Direktvermarkter Clean Energy Sourcing (Clens) aus Leipzig.


Marktmodell bleibt aus:

Viele Regiostromanbieter haben zudem auf ein Grünstrommarktmodell gehofft. Das Bundeswirtschaftsministerium ist nach dem EEG dazu ermächtigt, hierzu eine Verordnung zu erlassen. Doch seit Inkrafttreten des EEG 2014 hat sich nichts getan. Einen Vorschlag von vielen Strom-anbietern für ein echtes Grünstrommarktmodell (www.gruenstrom-markt- modell.de) hat das Bundeswirtschaftsministerium im Sommer 2015 abge-schmettert. „Das BMWi denkt nur noch über ein regionales Grünstrom-Kennzeichnungsmodell für EEG-Strom nach. Eine echte Vermarktung von Strom aus EEG-Anlagen an Stromkunden soll offenbar verhindert werden“, moniert Hölder.


Auch technisch sind noch nicht alle Voraussetzungen erfüllt. „Wir bräuchten regional ein virtuelles Kraftwerk, also einen Erzeugungspool aus Wind-, Solar- und Biogasanlagen, die gemeinsam Strom produzieren, damit wir Strom jederzeit anbieten können“, ist Gabriela Cramm (Landstrom) überzeugt.


Ergänzend dazu müssten Speicher kommen, die sich in Zeiten von Windstromüberschüssen füllen ließen. Doch diese sind derzeit noch zu teuer. „Mit ihnen könnten wir günstigen Strom einlagern und bei hoher Nachfrage verkaufen. So wie es die Ackerbauern mit ihrem Getreide auch machen“, ergänzt Landwind-Geschäftsführerin Bärbel Heidebroek. An den Stromspeichern könnte man auch wieder Landwirte bzw. Bürger vor Ort beteiligen.


Die Beispiele zeigen, dass Regio-stromanbieter sehr kreativ sind – gerade, weil die Politik ihnen ständig Steine in den Weg legt. Immer mehr schließen sich zusammen, um gemeinsam den Weg für die Vermarktung frei zu machen. Hinrich Neumann

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