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Vom Wind zum Wasserstoff

Lesezeit: 7 Minuten

Über die Elektrolyse lässt sich Windstrom in Wasserstoff umwandeln. Aktuelle Projekte in Deutschland zeigen, welche Chancen darin für Windmüller liegen.


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Sauerstoff, Wasser und Wasserstoff steht auf farbigen Aufklebern auf den Edelstahlleitungen des 2 m hohen und 6 m langen Elektrolyseurs. Die containergroße Anlage steht in einer etwas unscheinbaren Halle im Gewerbegebiet des bayerischen Städtchens Haßfurt. Sie ist aber keineswegs unbedeutend: In dem 14000-Seelen-Ort steht eine der ersten kommerziellen Power-to-Gas-Anlagen (PtG) in Deutschland, die ohne Förderung entstanden ist und sich in zehn Jahren amortisiert haben soll. „Hier produzieren wir im Schnitt 80 m3 Wasserstoff pro Stunde“, erklärt Norbert Zösch, Geschäftsführer der Stadtwerke Haßfurt, die die Anlage seit 2016 mit dem Energieversorger Greenpeace Energy betreiben.


Das Gas wird vielseitig genutzt: Ein Teil wird an ein Wasserstoff-BHKW geliefert, das in der benachbarten Mälzerei steht und dort Strom und Wärme erzeugt. 5% des Gases wird außerdem an ca. 22000 Gaskunden von Greenpeace Energy vermarktet. Sie zahlen für das „Pro-Windgas“ 5,9 ct/kWh (Brennwert) plus den Grundpreis von 9,90 €/Monat. „Das Windgas ist 0,4 ct je kWh teurer als Erdgas, womit wir auch den Elektrolyseur finanzieren“, erklärt Nils Müller, Vorstand von Greenpeace.


35 Anlagen in Deutschland


In ganz Deutschland gibt es momentan 35 PtG-Anlagen, hat die Deutsche Energieagentur ermittelt, weitere sind in Planung. Als Stromquelle dient fast immer die Windenergie. Denn Windparks können Strom für teilweise unter 5 ct/kWh produzieren.


Schon heute werden erste Elektrolyseure an bestehenden Windparks in Schleswig-Holstein aufgebaut. Denn im Jahr 2017 beispielsweise wurden hier rund 2,9 Gigawattstunden Strom aus Wind-, Solar- und Biogasanlagen abgeregelt, weil die Netze die Energie nicht aufnehmen konnten. Das heißt: Die Stromproduktion hätte 13% höher sein können, wenn die Anlagen ohne Stopps weiterproduziert hätten. Dieser bislang ungenutzte Strom ließe sich in PtG-Anlagen ideal nutzen, weil Wasserstoff als gutes Speichermedium gilt.


Der Nachteil, wenn die Elektrolyseure nur mit „Überstrom“ versorgt werden, sind die geringen Betriebsstunden. Da die Anlagen aber noch sehr teuer sind (Siehe „Funktionsweise und Kosten der Elektrolyse“, S. 39), ist eine hohe Laufzeit anzustreben.


Mehr Laufzeit des Elektrolyseurs ist bei Anlagen möglich, die nach 20 Jahren keine Förderung mehr erhalten („Ü20-Anlagen“). Sie sind in der Regel abgeschrieben. „Wir sehen in der Veredelung von Windstrom zu Wasserstoff und seinen Einsatz im Verkehr sehr großes Potenzial“, sagt Reinhard Christiansen, Initiator und Geschäftsführer vom Windpark Ellhöft aus Schleswig-Holstein. Dieser ist im Jahr 2000 in Betrieb gegangen und erreicht im Jahr 2021 das Ende der Förderung. Am Windpark wird im Frühjahr 2019 ein PEM-Elektrolyseur mit 225 kW elektrischer Leistung aufgestellt, der am Tag 100 kg Wasserstoff und 1400 kWh Wärme produzieren kann. „Die Nachfrage nach Elektrolyseuren wird stark steigen, wenn die ersten Anlagen keine Förderung mehr bekommen“, erklärt Ilona Dickschas von der Abteilung Hydrogen Solutions bei der Siemens AG.


Wassserstoff ist gefragt


Doch Wasserstoff ist nicht nur in der Stromerzeugung ein begehrtes und vielseitiges Produkt. Das kleinste und leichteste aller Elemente hat einen hohen spezifischen Energiegehalt und besitzt die mit Abstand höchste Energiedichte (pro Kilogramm) aller heute verwendeten Energieträger. Rund 44 Mio. t werden aktuell weltweit verbraucht. Es gibt unterschiedliche Nutzungspfade für den per Elektrolyse hergestellten Wasserstoff (siehe Grafik auf S. 38):


  • Er lässt sich in BHKW oder Brennstoffzellen zur Stromerzeugung nutzen.
  • Er dient als Kraftstoff in Brennstoffzellenfahrzeugen.
  • Er ist ein Rohstoff für die chemische Industrie.
  • Er kann direkt oder nach der Synthese zu Methan ins Gasnetz eingespeist und dann wie Erdgas weitergenutzt werden.


Günstiger als Diesel


Größte Verbraucher für Wasserstoff in Deutschland sind heute die Düngemittel- und die Stahlindustrie. Aber auch die Mobilität wird eine immer wichtigere Anwendung. Großes Potenzial für Biomethan und Power-to-Gas liegt vor allem im Verkehr und in der Industrie, zeigt u.a. die Analyse „Die Rolle erneuerbarer Gase in der Energiewende“ der Agentur für Erneuerbare Energien (AEE). Die AEE vergleicht darin die Aussagen von 26 Studien zur Rolle und zu den Potenzialen biogener und synthetischer Gase bis zum Jahr 2050.


Wasserstofffahrzeuge sind im Prinzip Elektroautos, die ihren Strom in Brennstoffzellen selbst produzieren. „Auf 100 km verbraucht ein Pkw rund 1 kg Wasserstoff“, erklärt Dickschas. Das entspricht also 6 oder 7 l Benzin oder Diesel. Mit Preisen von 9,50 €/kg, die aktuell an der Tankstelle bezahlt werden, ist das Gas damit heute schon günstiger als fossile Kraftstoffe.


Der Markt wächst mittlerweile schnell: Im Jahr 2017 gab es in Deutschland noch 27 öffentliche Wasserstofftankstellen, 2018 waren es schon 60, 2019 sollen es 100 werden.


Für den Schwerlastverkehr


Allerdings sind für die Herstellung von 1 kg Wasserstoff 50 bis 60 kWh Strom nötig. Pro 100 km verbraucht ein Brennstoffzellenauto also 60 kWh Strom, während ein batterieelektrisches Auto mit 15 kWh nur ein Viertel davon benötigt. Darum gilt heute für den Nahverkehr der Batterie-Elektroantrieb vom Wirkungsgrad her als unschlagbar. Dafür ist seine Reichweite aufgrund der Batteriekapazitäten im Vergleich zum Wasserstoffantrieb begrenzt. Wasserstoff ist daher eine Lösung für die Langstrecke und den Schwerlastverkehr.


Im Transportsektor ist die Brennstoffzelle prinzipiell für alle Verkehrsmittel geeignet. Momentan gibt es den größten Bestand an Brennstoffzellen-Fahrzeugen bei Gabelstaplern, heißt es in der Studie „Nachhaltige Mobilität durch Brennstoffzelle und H2“ des Mineralölkonzerns Shell. Allein in Nordamerika würden davon inzwischen über 11000 fahren. Busse sind – aufgrund von öffentlichen Förderprojekten – das am intensivsten mit Wasserstoff und Brennstoffzellen in Fahrzeugflotten erprobte Verkehrsmittel. Ein Lkw benötigt 8 bis 15 kg/100 km, ein Stadtbus sogar 23 kg Wasserstoff, zeigen aktuelle Beispiele. Zudem gibt es erste Züge, die mit Wasserstoff fahren: „Das ist immer da interessant, wo die Strecke nicht elektrifiziert ist“, sagt Dickschas.


Eine andere Kraftstoffalternative auf Basis von Wasserstoff könnten E-Fuels werden. Damit sind „strombasierte“, flüssige Kraftstoffe gemeint, bei denen regenerativer Wasserstoff zu Diesel- oder Benzinersatz synthetisiert bzw. den fossilen Kraftstoffen beigemischt wird. Das Vorgehen hat den Vorteil, dass Wasserstoff heute schon nach und nach in fossilen Raffinerien eingesetzt werden kann, um diese Kraftstoffe „grüner“ zu machen. Das wäre auch eine Möglichkeit, um die heute existierende Fahrzeugtechnologie und die Infrastruktur weiternutzen zu können.


Erneuerbarer Strom wichtig


Allerdings ist Wasserstoff heute überwiegend aus fossilen Quellen produziert. Der für die Produktion von Wasserstoff wichtigste Primärenergieträger ist heute das Erdgas mit einem Anteil von rund 70%. Das wichtigste Herstellverfahren ist die Dampfreformierung. „Bei der Herstellung von 1 kg Wasserstoff werden 8 bis 10 kg CO2 freigesetzt“, erklärt Dickschas.


Daher ist Wasserstoff – genau wie der Strom bei der Elektromobilität – nur dann eine klimafreundliche Lösung, wenn er zu 100% aus erneuerbaren Energien hergestellt wird.


Reform des Abgabesystems


Was die Wirtschaftlichkeit hierzulande verbessern könnte:


  • In der Industrie ist derzeit ein Preis von 2 €/kg Wasserstoff der Richtwert. Er ist deswegen so niedrig, weil Erdgas als Rohstoff sehr günstig ist und die Industriebetriebe für die Dampfreformierung zur Wasserstoffproduktion keine CO2-Zertifikate kaufen müssen. An-dere Rahmenbedingungen könnten dafür sorgen, dass „grüner“ Wasserstoff interessant wird.
  • Umlagen wie die EEG-Umlage oder Netzentgelte verteuern den Wasserstoff künstlich. Zusammen machen sie über 12 ct/kWh aus. Ohne sie ließe sich Wasserstoff erheblich günstiger produzieren. Daher plädieren viele Verbände und Unternehmen auf eine Reform des Umlage- und Abgabesystems.


Noch steht die Wasserstoffwirtschaft am Anfang. Aber sie könnte eine Chance für viele Windparkbetreiber werden – vor allem als Perspektive für Ü20-Anlagen. Da die PtG-Technologie derzeit noch sehr teuer ist, dürften Gemeinschaftsanlagen oder Kooperationen mit Stadtwerken momentan die bessere Lösung sein. Stadtwerke haben den Vorteil, dass sie sich um die Gaseinspeisung und -vermarktung kümmern können – das Beispiel Haßfurt ist ein Paradebeispiel dafür.


hinrich.neumann@topagrar.com

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