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Wasserstoff: Nur heiße Luft aus dem Ausland?

Lesezeit: 10 Minuten

Die Bundesregierung setzt in ihrer Wasserstoffstrategie auch auf Importe und Wasserstoff aus Erdgas. Viele Studien zeigen, dass damit Windmüller und Biogaserzeuger das Nachsehen haben.


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Wasserstoff wird eine unerschöpfliche Quelle von Wärme und Licht sein!“ Mit dieser Vision stellte sich der Science Fiction-Autor Jules Verne bereits 1874 vor, was jetzt Realität werden könnte: Bis zum Jahr 2030 soll Wasserstoff bei der Energiewende eine entscheidende Rolle spielen. Damit Produktion, Verteilung und Verbrauch in Gang kommen, haben die EU-Kommission und die Bundesregierung jeweils eigene Pläne vorgestellt. Mit der „Nationalen Wasserstoffstrategie“ will die Bundesregierung bis 2030 mindestens fünf Gigawatt (GW), spätestens bis 2040 sogar 10 GW Elektrolyseleistung in Deutschland aufbauen. Das entspricht laut Deutscher Energieagentur dem 200fachen der aktuellen Kapazitäten. Dafür will die Regierung 10 Mrd. € investieren.


Die Vorteile von Wasserstoff


Wasserstoff hat auf den ersten Blick viele Vorteile:


  • Er verbindet erstmals den Strom-, Wärme- und Kraftstoffmarkt.
  • Ein Kilogramm Wasserstoff enthält mit rund 33 kWh (Heizwert) rund dreimal so viel Energie wie 1 kg Erdöl.
  • Die Reichweite eines Wasserstoffautos liegt – wie beim Dieselfahrzeug – bei bis zu 750 km und damit deutlich höher als bei einem Elektrofahrzeug. Auch geht das Tanken deutlich schneller als das Laden einer Batterie.
  • In Wasserstoff oder Methan umgewandelt lässt sich Strom länger speichern und für eine Vielzahl von Anwendungen nutzen.


Was neu ist und was nicht


Auch wenn es sich nach einem Zukunftsthema anhört: Schon heute werden 70 Mio. t Wasserstoff in Reinform verbraucht, zusätzlich 45 Mio. t in Gemischen. Die größten Verbraucher davon hierzulande sind die Düngemittel- und die Stahlindustrie. Die Nachfrage hat sich seit 1990 verdoppelt, zeigt eine Studie des Hamburger Forschungs- und Beratungsbüros EnergyComment.


Heute wird der meiste Wasserstoff mithilfe der Dampfreformierung von Erdgas produziert. Die Produktion von 1 kg dieses „grauen“ Wasserstoffs kostet ca. 1,50 €. Allerdings verursacht sie rund 13 kg CO2-Emissionen je kg H2 (siehe nebenstehende Übersicht).


Neu ist dagegen seit einigen Jahren die Produktion von „grünem“ Wasserstoff: Er wird auf Basis erneuerbarer Energien hergestellt – z.B. über die Elektrolyse. Hierbei werden Wind- oder Solarstrom („Power“) verwendet, um Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff aufzutrennen. Darum heißt das Verfahren auch „Power-to-Gas“. Mit regenerativ erzeugtem Strom fallen bei der Herstellung nur 0,9 kg CO2/kg H2 an. Dafür ist dieser Weg laut EnergyComment mit 5 bis 6 €/kg etwa dreimal so teuer wie grauer Wasserstoff.


„Grüner“ Wasserstoff ist also noch nicht wirtschaftlich. Es gibt laut dena bislang nur 26 Pilotprojekte, im Bau sind weitere 34 Projekte. Deutschland ist hiermit allerdings weltweit Vorreiter.


Umstrittene Herkunft


Grüner Wasserstoff wird aber kein dauersubventioniertes Luxusgut bleiben: „Sollten in Europa die Preise für Elek-trolyseure bis 2030 von derzeit 500 bis 1500 €/kW auf 200 €/kW sinken, wären konkurrenzfähige Preise für grünen Wasserstoff ab 2030 möglich“, heißt es in der EnergyComment-Studie. Zudem wird der ab 2021 eingeführte CO2-Preis den Einsatz puschen. Wenn z.B. Stahlhersteller grünen Wasserstoff einsetzen, sparen sie Ausgaben für CO2-Zertifikate, die die Produktion ansonsten verteuern würden.


Trotz des Potenzials setzt die Bundesregierung nur begrenzt auf die inländische Produktion: Mit den anvisierten 5GW Elektrolyseleistung lassen sich bis zu 14 Terawattstunden (TWh = 1 Mrd. kWh) grüner Wasserstoff erzeugen. Dafür wären bis zu 20 TWh erneuerbarer Strom nötig. Das ist etwa ein Zehntel dessen, was die Erneuerbaren im Jahr 2019 produzierten (244 TWh).


Den Bedarf sieht die Regierung dagegen bis 2030 bei ca. 90 bis 110 TWh Wasserstoff. Die fehlende Menge soll importiert werden. Herkunftsländer könnten EU-Mitgliedstaaten mit Offshore-Windenergienutzung, aber auch Südeuropa oder Nordafrika sein. Das schafft nach Ansicht von Kritikern nicht nur neue Importabhängigkeiten. Auch erhöht allein der Schiffstransport die Kosten laut EnergyComment um 50 bis 150%, da der Wasserstoff verflüssigt werden muss. Der anschließende Lkw-Transport von den Seehäfen zu den Verbrauchern verursacht ähnliche Kosten. Die geplanten Terminals, die zum Entladen von flüssigem Erdgas (LNG) aus Schiffen gebaut werden sollen, sind wegen der unterschiedlichen physikalischen Eigenschaften nicht ohne Weiteres für Wasserstoff geeignet.


Unterm Strich sehen die Autoren selbst für sehr günstig produzierten grünen „Wüsten“-Wasserstoff keine Kostenvorteile.


Chance für ländlichen Raum


„Wenn wir diese Potenziale jetzt nur ausländischen Akteuren überlassen, werden wir die Verlierer der Energiewende sein“, befürchtet Ove Petersen, Landwirt, Gründer und Geschäftsführer der Firma GP Joule aus dem schleswig-holsteinischen Reußenköge.


Das Unternehmen will mit dem Projekt „eFarm“ zeigen, wie eine Wasserstoff-Wertschöpfungskette Chancen für den ländlichen Raum hierzulande bietet: Hierbei wird Ökostrom aus älteren Solar- und Windkraftanlagen direkt vor Ort in Elektrolyseuren in grünen Wasserstoff umgewandelt. Die Abwärme, die bei der Wasserstoffproduktion entsteht, wird zum Beheizen von Gebäuden genutzt, was die Wirtschaftlichkeit der Elektrolyse verbessert.


Der Wasserstoff wird an zwei Wasserstoff-Tankstellen in Niebüll und Husum zur Verfügung stehen. Mit dem Projekt werden zusätzlich auch zwei Wasserstoff-Busse als Verbraucher angeschafft und ab September an den Betreiber des ÖPNV vermietet.


Doch neben diesen dezentralen Ansätzen bringt sich auch die Industrie in Stellung: In Rotterdam beispielsweise will der internationale Kraftstoffkonzern Neste Biokraftstoffe aus Wasserstoff herstellen. Er plant mit Industriepartnern in seiner Raffinerie eine Hochtemperatur-Elektrolyse (SOEC). Anfangs hat die Anlage 2,6 MW Leistung, geplant sind 100 MW.


In Oslo will der Industrieverbund Norsk e-Fuel eine Anlage bauen, um mit grünem Wasserstoff und CO2 synthetisches Kerosin für Flugzeuge herzustellen. Ab 2023 sollen 10 Mio. l, ab 2026 sogar 100 Mio. l des erneuerbaren Kraftstoffs produziert werden.


Kritik an blauem Wasserstoff


Zwar hält die Bundesregierung nur „grünen“ Wasserstoff auf Dauer für nachhaltig. Übergangsweise könnte allerdings auch „blauer“ Wasserstoff zum Einsatz kommen, der sowohl hierzulande hergestellt oder international gehandelt wird. Dieser wird in der Wasserstoffstrategie als „CO2-neutral“ bezeichnet. Gemeint ist „grauer“, also aus Erdgas hergestellter Wasserstoff, bei dem die Produzenten das entstehende CO2 zum größten Teil abscheiden und unterirdisch speichern. Das macht die Herstellung teurer: 1 kg „blauer“ H2 kostet laut EnergyComment rund 2,10 €. Die Treibhausgasemissionen liegen im Schnitt bei 5,1 kg CO2/kg H2, also deutlich niedriger als beim grauen Wasserstoff. Da aber immer noch Emissionen entstehen, ist die Technik keineswegs klimaneutral. „Nicht nur die Umweltrisiken sind unzureichend untersucht, auch ist das Verfahren ökonomisch nicht konkurrenzfähig“, kritisiert der BUND.


Zudem entstehen jährlich Milliarden Kubikmeter von reinem CO2. Die Risiken der Speicherung sind nicht ausreichend erforscht, warnt Prof. Dr. Clemens Hoffmann, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik IEE in Kassel.


Überschussstrom ist Illusion


Aus Sicht von Kritikern sollte heute außerdem kein erneuerbarer Strom verwendet werden, um Wasserstoff zu produzieren. Ökostrom sollte eher Kohlestrom ersetzen. Nur Wasserstoff aus Stromüberschüssen sei hierfür sinnvoll. In Deutschland könnten vor allem Windenergieanlagen jährlich 6,4 TWh Strom mehr produzieren, wenn die Anlagen nicht zum Schutz der Stromnetze in Zeiten von viel Wind abgeregelt würden. Daraus ließen sich bei einem Elektrolyse-Wirkungsgsgrad von 70% rund 4,5 TWh Wasserstoff herstellen.


Allerdings sind nach Angaben der Denkfabrik Agora Energiewende für den wirtschaftlichen Betrieb einer Elektrolyse Laufzeiten von 3000 bis 4000 Volllaststunden pro Jahr nötig. Windparks an Land kommen jedoch selten über 1500 Volllaststunden. Eine Elek-trolyse gekoppelt an einen Windpark ist also nicht wirtschaftlich. Anders ist es bei Offshore-Windparks oder kombinierte Wind- und Solarparks im Nahen Osten oder Nordafrika: Sie erreichen 4000 Volllaststunden.


Eine intelligente Einbindung in den Strommarkt könnte die Wirtschaftlichkeit verbessern, zeigt ein Pilotprojekt des Stromkonzerns E.ON. Hierbei steuert E.ON in der Industrie installierte Elektrolyseure automatisch an: Bei einem hohen Strombedarf im Netz fährt die Anlage die Wasserstoffproduktion herunter und umgekehrt. Der Anlagenbetreiber kann die Bereitschaft vermarkten, sich flexibel dem Bedarf anzupassen. Das bringt zusätzliche Einnahmen am Strommarkt.


Interessant könnte auch die Wasserstoffproduktion aus Biomasse sein. In Österreich gibt es ein Pilotprojekt, bei dem Holz vergast und aus dem Gas im BHKW Strom erzeugt wird. Der Strom könnte eine Elektrolyse antreiben. Vorteil: Das BHKW liefert 8000 Volllaststunden und mehr.


Ein anderes Verfahren kommt ohne Elektrolyse aus: Im Projekt HyPerFerMent I arbeitet das Fraunhofer-Institut für Fabrikbetrieb und -automatisierung (IFF) an der Vergärung von organischen Reststoffen. Als Stoffwechselprodukt von Bakterien entsteht ein Gemisch aus H2 und CO2 mit 50 bis 60% Wasserstoffanteil. Der Wasserstoff wird bei der CO2-Abtrennung gewonnen.


Wasserstoff als Kraftstoff


Darüberhinaus gibt es erhebliche Diskussionen um die Verwendung von Wasserstoff. Die Bundesregierung hält die Einführung von Brennstoffzellenfahrzeugen dort für sinnvoll, wo batterieelektrische Antriebe an ihre Grenzen stoßen: Im Öffentlichen Personennahverkehr (Busse, Züge), in Teilen des Straßenschwerlastverkehrs (LKW), bei Nutzfahrzeugen (z.B. für den Einsatz auf Baustellen oder in der Land- und Forstwirtschaft) oder in der Logistik (Lieferverkehr und andere Nutzfahrzeuge wie Gabelstapler). Auch bei einigen PKW könne der Einsatz von Wasserstoff eine Alternative sein.


Das sind keine reinen Zukunftsaussichten. In Deutschland fahren bereits die ersten 500 Brennstoffzellen-Pkw. Zudem gab es Mitte Januar 2020 deutschlandweit bereits 81 Wasserstofftankstellen, 24 Anlagen waren im Bau.


Nach Berechnungen des Verbandes der Deutschen Biokraftstoffindustrie (VDB) würde die in der Strategie der Bundesregierung vorgesehene Wasserstoffproduktion im Jahr 2030 ausreichen, um über 7 Mio. Brennstoffzellen-Pkw zu betanken. Allerdings wäre dies bei weitem nicht genug, um den Individualverkehr mit seinen derzeit 47,7 Mio. Autos klimafreundlich zu gestalten. „Wir müssen alle alternativen Antriebe und Kraftstoffe nutzen. Dazu gehören neben Wasserstoff und Elektromobilität auch Biokraftstoffe“, sagte Elmar Baumann, Geschäftsführer beim VDB.


Auch eine Studie des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung (ISI) im Auftrag des Biogasrats sieht in Wasserstoff aus erneuerbarem Strom bei Brennstoffzellenfahrzeugen eine sinnvolle Alter- native zu batterieelektrischen Fahrzeugen, auch weil sie sich sehr schnell wieder betanken lassen. Das wäre bei großen, schweren Fahrzeugen mit hohen Reichweitenanforderungen sinnvoll. Bezüglich Wirtschaftlichkeit und Treibhausgasminderung errechneten die Forscher aber Vorteile bei Gasfahrzeugen mit Biomethanantrieb.


Kritik an der Nutzung


Es gibt aber auch Kritik daran: „Grüner Wasserstoff hat in Pkw nichts zu suchen. Denn die Mengen sind begrenzt und müssen dort zum Einsatz kommen, wo keine Alternativen bereitstehen“, fordert Dorothee Saar, Leiterin Verkehr und Luftreinhaltung der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Sie kritisiert auch den Ansatz von synthetischen Kraftstoffen aus Wasserstoff (E-Fuels) als lebensverlängernde Maßnahme des Verbrennungsmotors. Politik und Industrie müssten sich anstelle von E-Fuels und Wasserstoff auf batterieelektrische Antriebe konzentrieren.


Die gleiche Kritik gibt es bei der Idee, Wasserstoff oder daraus hergestelltes Methan als Erdgasersatz zur Gebäudebeheizung zu nutzen. Nach einer Studie des Fraunhofer-Instituts für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik (IEE) sind Wärmepumpen fünf- bis sechsmal effizienter, als die Nutzung von Power-to-Gas (PtG). Denn bei der Umwandlung von Strom über Wasserstoff und Methan bis zur Wärme gäbe es viele Verluste.


Vielfältige Nutzung nötig


Eine vorzeitige Festlegung auf bestimmte Technologien und Sektoren hält das Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität (IKEM) für falsch. Den Gebäudesektor und Teile des Verkehrssektors auszuschließen, reduziere ohne Not das Marktpotenzial. Maßstab sollte der CO2-Fußabruck und damit das Pariser Klimaschutzabkommen sein. „Man kann heute noch nicht vorhersehen, wo Wasserstoff eingesetzt wird. Das wird der Markt entscheiden“, sagt Simon Schäfer-Stradowksy, Geschäftsführer des IKEM. Vielmehr müsse die Produktion von Wasserstoff in Gesetzen berücksichtigt werden wie im Energiewirtschaftsgesetz und im EEG, im Emissionshandel, in Steuergesetzen und in Förderrichtlinien.


In vielen Vorschriften gibt es heute auch nach Ansicht von anderen Experten große Hürden. Demnach bringt es der Bundesregierung also nichts, nur 10 Mrd. € in den Markt zu pumpen. Sie muss vor allem bei den rechtlichen Rahmenbedingungen ansetzen. Zudem ist ein massiver Ausbau von Wind- und Solarstromleistung nötig, um ausreichend grünen Wasserstoff produzieren zu können. Nur dann wird Jule Vernes Vision Wirklichkeit.


hinrich.neumann@topagrar.com

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