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Windparks: So funktioniert die faire Beteiligung

Lesezeit: 8 Minuten

Für mehr Akzeptanz der Windenergie plant Wirtschaftsminister Altmaier ein neues Beteiligungsmodell für Kommunen. Die Branche hält wenig davon und bringt Alternativen ins Gespräch.


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Die Windenergie hat ein Akzeptanzproblem: Über 1000 Bürgerinitiativen kämpfen gegen neue Anlagen. Damit wankt eine wichtige Säule der deutschen Energiewende.


Dass nicht mehr Abstand zwischen Häusern und Windparks, dafür aber eine finanzielle Beteiligung der Anwohner für Abhilfe sorgt, ist selbst in der Regierung angekommen: Schon im Koalitionsvertrag haben CDU/CSU und SPD eine stärkere Beteiligung der Standortgemeinden beschlossen.


Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier will das jetzt gesetzlich regeln. Nach dem Ende August veröffentlichten Referentenentwurf zum Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG 2021) sollen Betreiber neuer Windenergieanlagen, die ab 2021 einen Zuschlag erhalten, 0,2 ct/kWh der erzeugten Strommenge an die Standortgemeinde zahlen. Optional sollen sie einen Bürgerstromtarif anbieten. Kommen 80 Stromlieferverträge zustande, soll die Abgabe an die Kommune auf 0,1 ct/kWh sinken.


Kritiker werfen ein, dass Altmaier sich mit diesem Vorschlag „das Wohlwollen der Öffentlichkeit erkaufen“ wolle. Ähnliche Kritik gab es auch schon beim Vorschlag der SPD zu einem „Windbürgergeld“ Anfang des Jahres. „Intransparente Geldgeschenke an die Kommunen sollen das Allheilmittel der lokalen Teilhabe an Windparks werden. Die direkte Beteiligung der Menschen vor Ort wird hingegen ausgebremst“, kritisiert beispielsweise Josef Baur, Gründer des Münchner Dienstleisters eueco und Experte für Bürgerbeteiligungen.


Keine echte Beteiligung


Auch nach Ansicht des Bündnisses Bürgerenergie und des Deutschen Genossenschafts- und Raiffeisenverbandes bedeuten die Vorschläge keine echte Beteiligung und sorgen damit nicht für mehr Akzeptanz, da keine „tiefergehende Identifikation mit den Projekten“ erreicht werde. Zudem könnten die Zahlungen in den Kommunalhaushalten verschwinden und die Wertschöpfung durch die Windparks nicht sichtbar werden.


Zudem dürfe sich diese Form der Beteiligung nicht allein auf die Standortkommune beziehen, sondern müsse in einem gewissen Umkreis erfolgen. „Andernfalls würde dies direkte Anwohner von Nachbarkommunen ausschließen, die ebenfalls im Wirkungsbereich der Windanlagen leben“, befürchtet Nina Herff vom Landesverband Erneuerbare Energien in Nordrhein-Westfalen.


Strom muss günstiger sein


Umstritten ist auch Altmaiers „Bürgerstromtarif“. Denn die Verbraucher werden nur zum Wechsel angeregt, wenn der Strom deutlich günstiger als der sonst übliche Tarif ist. „Dafür müssen die Anlagenbetreiber den Tarif aber subventionieren“, sagt Heinz Thier, Geschäftsführer der Gesellschaft „Bäuerliche Bürgerwindparks“ (BBWind) aus Münster, einer Tochter des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes. „Altmaiers Vorschlag ist viel zu komplex und mit hohem finanziellem Aufwand verbunden. Es besteht die Gefahr, dass hier wie bei der Mieterstromregelung ein sinnvoller Ansatz für die Praxis bürokratisch blockiert wird“, ergänzt Wolfram Axthelm, Geschäftsführer des Bundesverbandes Windenergie.


Die WestfalenWind-Gruppe aus Paderborn bietet seit 2014 Stromtarife an, die teilweise 30% günstiger sind als die des örtlichen Grundversorgers. „Akzeptanzsteigernd könnte wirken, wenn der Staat den Verbrauchern die Stromsteuer von 2 ct/kWh erlassen würde, wenn sie einen regionalen Grünstromtarif wählen“, sagt WestfalenWind-Gründer Johannes Lackmann.


Faire Beteiligung


Viele Studien und Befragungen zeigen, dass die Zustimmung zu neuen Anlagen nur bei fair empfundenen Projekten hoch ist: Die Bürger wollen an den Planungen und auch am Gewinn der Windparks beteiligt werden.


Besonders erfolgreich war das Modell bei lokal ausgerichteten Bürgerenergiegesellschaften. Doch gerade diese sind aufgrund politischer Rahmenbedingungen seit dem Jahr 2017 stark ins Hintertreffen geraten. Grund ist vor allem die Einführung des Ausschreibungsverfahrens. Bei diesem erhalten die Anlagenbetreiber keine gesetzlich festgelegte Einspeisevergütung nach dem EEG mehr, sondern müssen sich in einer Art Auktion um eine Vergütung bewerben.


Das führt zu mehr Risiko, wie die Agentur für Erneuerbare Energien erläutert: „Während des Genehmigungs- und Ausschreibungsprozesses fallen hohe Gebühren an, der Personal- und Zeitaufwand ist hoch. Die Ausgaben bekommen Bürgerenergiegenossenschaften nicht zurückerstattet, wenn sie die Ausschreibung nicht gewinnen.“ Selbst mit Zuschlag können oft noch Jahre vergehen, bis eine Genossenschaft wirklich Geld verdient. Darum werden größere Projektgesellschaften, die das Risiko auf mehrere Windparks streuen können, mit dem Ausschreibungssystem begünstigt. Und wenn Projektierer freiwillig eine Beteiligung anbieten und möglichst viele Bürger einbinden wollen, erhöht das den Aufwand und die Kosten. Damit könnten sie im Wettbewerb mit anderen Unternehmen bei der Ausschreibung benachteiligt sein.


Statt einer pauschalen Zahlung an die Kommune hat sich die direkte oder indirekte Beteiligung der Bürger selbst als erfolgreich erwiesen:


  • Bürger können passiv über Nachrangdarlehen beteiligt sein.
  • Sie können indirekt über ein Bankprodukt beteiligt werden, z.B. über einen Sparbrief. Hier kooperieren Bank und Betreibergesellschaft.
  • Bürger können sich direkt als Geldgeber und Eigentümer beteiligen, z.B. als Kommanditist einer GmbH & Co. KG oder als Genosse.


Die indirekten Varianten haben den Nachteil, dass die Bürger kein unternehmerisches Mitspracherecht haben. Dafür ist das Risiko für sie geringer.


Doch nicht bei jeder Beteiligung geht es den Projektierern um eine echte Teilhabe der Bürger, hat eueco in einer Umfrage unter rund 320 Bürgerbeteiligungsprojekten erfahren:


  • Projektgesellschaften streben mit dem Angebot vor allem Akzeptanz vor Ort an. Außerdem erhoffen sich 85% der Befragten einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Projektierern. Das Beschaffen von Eigenkapital steht dagegen im Hintergrund.
  • Energieversorger wie regionale Stadtwerke wollen auch Akzeptanz, aber genauso erhoffen sie sich mit der Bürgerbeteiligung einen Imagegewinn (81%) und eine Kundenbindung (63%).
  • Bürgerwindparks und Energiegenossenschaften beschaffen sich mit der Beteiligung Eigenkapital für die Projektfinanzierung (95%) und regionale Wertschöpfung (88%). Akzeptanz ist eher ein Nebeneffekt.


Auch die Thüringer Energie- und GreenTech-Agentur hat große Unterschiede bei der Art der Beteiligung festgestellt. Häufig kommen nur 10% der Betreiber von Windparks aus dem Bundesland, sodass viele Gemeinden wenig von den Projekten profitieren. Darum hat die Agentur das Siegel „Partner für faire Windenergie“ initiiert. Ausgezeichnet werden damit für jeweils ein Jahr Unternehmen, die sich stark für Transparenz und Beteiligung von Bürgern und Kommunen einsetzen. In Schleswig-Holstein können Unternehmen das Siegel „Faire Windparkplaner“ beantragen. Sachverständige bewerten dabei u.a. den Planungsprozess, die Verträge, die finanzielle Beteiligung und die regionale Wertschöpfung.


Idee Energiegemeinschaft


Als Alternative zur Bürgerbeteiligung schlagen das Bündnis Bürgerenergie und der Deutsche Genossenschafts- und Raiffeisenverband das „Energy Sharing“ vor. Dieses Instrument soll nach der neuen Europäischen Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED II) möglich werden, die Deutschland bis 2021 umsetzen muss. Grundlage dafür sind Gemeinschaften wie Genossenschaften, Vereine oder eine GmbH. Die Mitglieder erhalten das Recht, erneuerbare Energie, die ihre eigenen Anlagen produzieren, gemeinsam nutzen zu dürfen. Die Gemeinschaft beschafft fehlende Restmengen und verkauft den eigenen Überschuss. Das ist heute in Deutschland rechtlich noch nicht möglich, da der Strom aus erneuerbaren Energien laut EEG immer an der Strombörse vermarktet werden muss. „Mit dem Modell lässt sich die lokale Akzeptanz von Windenergieprojekten stärken. Die Anwohner können sich am Park beteiligen – und günstigen Ökostrom direkt aus den Anlagen erhalten“, erklärt Marcel Keiffenheim, Leiter Politik und Kommunikation bei Greenpeace Energy eG.


DAs Luftraummodell


Ein anderer Vorschlag kommt von der BBWind. „Akzeptanzprobleme kommen primär aus Regionen, die finanziell von Projektierern ausgebeutet werden“, erklärt Geschäftsführer Thier. Dabei verbleibt in der Standortkommune so gut wie keine Wertschöpfung. Dadurch ist auch die Gewerbesteuer gering. Überhöhte Pachten für die Grundstücke lösen zudem Neid in den Dörfern aus. Die BBWind schlägt als Alternative ein „Luftraummodell“ vor. Bei diesem vergeben Kommunen als eine Art Lizenz eine „Luftraumkonzession“ für die Windenergienutzung. Damit würde ein Windparkbetreiber nicht nur einen Nutzungsvertrag für das Grundstück, sondern auch das Recht benötigen, den Luftraum in einer Gemeinde für die Windenergie nutzen zu dürfen. „Bei der Vergabe der Konzession sollten die Gemeinden dann bewerten, inwieweit die Bewerber lokale Beteiligungskonzepte verwirklichen“, erklärt Thier.


Für sinnvoll hält er zum Beispiel, wenn mehr als die Hälfte der Anlagen im geplanten Park von Bürgern vor Ort betrieben werden. Zudem sollten direkte Windparkanwohner ein jährlich gestaffeltes „Nachbarschaftsgeld“ in Höhe von 2% des Umsatzerlöses erhalten. „Wir haben seit Jahren gute Erfahrungen mit dem Nachbarschaftsgeld gemacht“, sagt Thier. Das habe die Akzeptanz in der unmittelbaren Nachbarschaft stark gesteigert. Anders, als kritische Stimmen äußern, werde diese Zahlung nicht als „Schweigegeld“ empfunden, sondern als Baustein einer fairen Wertschöpfungskette.


Außerdem regt die BBWind eine Änderung beim Gewerbesteueraufkommen an. Bislang gilt, dass 70% der Steuern an die Gemeinde fließen, in der der Windpark steht. Den Rest bekommt die Gemeinde, die Sitz der Betreibergesellschaft ist. Die BBWind regt an, dass die Windparkgemeinde nicht nur 70% des Steueraufkommens der Betreibergesellschaft in der Betriebsphase erhält, sondern auch die Gewerbesteuer aus dem Verkauf von Projektierungsrechten oder ganzen Windparks. Denn die klassischen Projektierer betreiben die Windenergieanlagen meist nicht selbst, viele veräußern diese an anonyme Fondsgesellschaften. Damit würden Windparks teilweise mehrfach verkauft und erwirtschafteten in der Betriebsphase keine nennenswerten Gewinne und somit auch nur sehr niedrige Gewerbesteuern.


hinrich.neumann@topagrar.com

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