Bei der Inbetriebnahme der ersten Agri-Photovoltaik-Pilotanlage in Heggelbach (Bodensee) im Jahr 2016 stand die Kombination mit dem Ackerbau im Vordergrund. Allerdings wird mittlerweile auch die Tierhaltung interessant, vor allem die Kombination der Solarstromproduktion mit Rindern oder Geflügel. Doch die aktuell gültige Vornorm DIN SPEC 91434 regelt diesen Bereich nur am Rande. Abhilfe sollte eine neue DIN SPEC 91492 schaffen, die aber rechtlich nicht angewendet wird und inhaltliche Widersprüche zur DIN SPEC 91434 aufweist. Darum besteht die Sorge, dass Betreiber von einigen „Tierwohl-Solaranlagen“ keine höhere EEG-Vergütung erhalten könnten. Wir sprachen mit Dr. Stephan Schindele von der BayWa r.e. über das Problem. Schindele verantwortet in dem Unternehmen den Produktbereich Agri-PV, war aber schon 2016 bei der Forschungsgruppe des Fraunhofer Instituts für Solare Energiesysteme (Fraunhofer ISE) am Projekt in Heggelbach beteiligt und hat an beiden DIN SPEC-Prozessen mitgewirkt.
Es gibt aktuell große Unsicherheiten bei der Agri-Photovoltaik (Agri-PV), weil die DIN SPEC 91492 (Tierhaltung) von der Bundesnetzagentur noch nicht anerkannt ist. Damit hängen viele Projekte in der Luft. Wie nehmen Sie das wahr?
Schindele: Wir sehen, dass die Verabschiedung der DIN SPEC 91492 zu Unsicherheiten am Markt und in der Politik geführt hat, weil sie inhaltliche Widersprüche gegenüber der DIN SPEC 91434 aufweist. So beinhaltet die DIN SPEC 91492 keine Einschränkung der Flächennutzungsänderung von Ackerland zu Dauergrünland, was in der DIN SPEC 91434 noch enthalten ist. Solange diese Widersprüche nicht aufgehoben sind, wird die BNetzA nach unserer Einschätzung nicht beide DIN SPEC in eine Festlegung aufnehmen. Allerdings ist die Tierhaltung im Agri-PV-Projekt auch nach der bereits rechtskräftigen DIN SPEC 91434 möglich. Wir sehen daher nicht, weshalb viele Projekte in der Luft hängen sollten. Selbstverständlich müssen neben der DIN SPEC 91434 auch die rechtlichen Vorgaben zum Tierwohl, Weidehaltung und weiteren agrarrechtlichen Vorgaben eingehalten werden.
Sie sind ja auch im Normungsausschuss vertreten. Ist denn damit zu rechnen, dass die DIN SPEC zur Tierhaltung zeitnah in Kraft tritt und damit Rechtssicherheit gibt?
Schindele: Das ist nicht zu erwarten. Hierzu muss ich ein wenig ausholen. Die im Jahr 2021 vorgelegte DIN SPEC 91434 ist damals auf Federführung der Universität Hohenheim und des Fraunhofer ISE entstanden. Von Seiten der Agrarwissenschaftler waren Pflanzenbauer, aber keine Tierhaltungsexperten dabei. Damals hatte man sich zwar auf den Ackerbau fokussiert, wollte aber das ganze Dauergrünland mit Weideflächen für Schafe, Hühner oder Kühen nicht einfach ausgrenzen und hat es mit aufgenommen, ohne es weiter zu konkretisieren. Das sollte mit einer späteren DIN SPEC Tierhaltung geschehen, die auf die DIN SPEC 91434 abgestimmt ist. Denn die beiden Vornormen dürfen sich ja nicht widersprechen. Leider ist genau das bei der DIN SPEC 91492 passiert. Bei ihrer Entwicklung haben Partikularinteressen einzelner am Prozess beteiligter Firmen eine Rolle gespielt. Am Ende haben statt der anfänglich 18 Beteiligten fast 60 Organisationen mitgewirkt. Das hat am Ende zu einem unbefriedigenden Ergebnis geführt. Und daher haben auch nicht alle am Prozess Beteiligten den am Ende getroffenen Kompromiss unterzeichnet. Letztendlich könnte das auch der Grund sein, warum sie bisher gesetzlich nicht verankert wurde. Rechtlich verpflichtend ist nur die DIN SPEC 91434.
Damit bleibt das Problem also ungelöst.
Schindele: Nicht unbedingt. Das zuständige Deutsche Institut für Normung muss darauf achten, dass eine DIN SPEC nicht mit bestehenden Normen und Normierungsprozessen kollidiert. Die DIN SPEC 91434 wurde im Mai 2021 veröffentlicht und hat eine Beständigkeit von drei Jahren. Im Frühjahr 2024 trafen sich daher die Prozessbeteiligten, um darüber abzustimmen, ob die DIN SPEC 91434 überarbeitet werden, auslaufen, unverändert verlängert werden oder in einen Normierungsprozess überführt werden soll. Die Mehrheit sprach sich für die Überführung in einen Normierungsprozess aus, sodass fortan das DIN einen regulären Normungsprozess zu Agri-PV starten kann. Die bisherige DIN SPEC 91434 bleibt so lange aktuell, bis eine Norm die vorhandenen DIN SPEC ablösen kann. Der Normierungsprozess dauert schätzungsweise mindestens drei Jahre und wird im Mai 2025 starten. Inhalte aus der DIN SPEC 91492 müssen bei der Ausarbeitung der Norm berücksichtigt werden, damit Inkonsistenzen aufgehoben und Kompromisse gefunden werden, die für alle im Konsens tragbar und verbindlich sein werden.
Dann ist es nicht so, dass aus einer DIN SPEC, die ja auch als „Vornorm“ bezeichnet wird, automatisch eine Norm entsteht?
Schindele: Nein, da gibt es keinen Automatismus. Eine DIN SPEC kann, aber muss nicht Grundlage für eine spätere Norm sein. Eine DIN SPEC dient dazu, schnell zu einer Standardisierung zu kommen. Das dafür zuständige Gremium muss die Ergebnisse auch nicht einstimmig beschließen. Eine Norm dagegen wird von einem genau festgelegten Gremium einstimmig beschlossen. Partikularinteressen einzelner Firmen spielen dann eine untergeordnete Rolle, während die sektorübergreifende Abstimmung zwischen den Branchenverbänden gestärkt wird.
Was kann denn jetzt ein Hühnerhalter machen, der gern eine Agri-PV-Anlage errichten will? Zum einen gilt die Hühnerhaltung nicht als Weidehaltung im Sinne der DIN SPEC 91434. Zum anderen ist die in der Vornorm vorgeschriebene Modulmindesthöhe von 2,10 m für die Hühnerhaltung zu hoch.
Schindele: Ein wichtiger Bestandteil der DIN SPEC 91434 ist die Ausarbeitung eines stimmigen Agrarkonzepts. Das Agrarkonzept wird vom Projektentwickler vorbereitet und mit dem Landwirt abgestimmt. Sobald sich die Akteure einig sind, wie sich das Agri-PV in die landwirtschaftliche Tätigkeit integriert, wird das Agrarkonzept einem externen Agrarsachverständigen zur Bestätigung vorgelegt. Dieser Sachverständiger prüft die Konformität des Agri-PV-Projektvorhabens mit den Anforderungen der DIN SPEC 91434. Nur das Projekt, das DIN SPEC 91434 konform ist, hat auch Anspruch auf die regulatorischen Anreize. Dazu gehört die Sondersegmentausschreibung im EEG, die maximale Angebotspreise von bis zu 9,5 ct/kWh zulässt. Für eine Hühnerhaltung muss die Modulmindesthöhe nicht zwangsläufig bei 2,10 m liegen und trotzdem kann die Agri-PV-Anlage DIN SPEC 91434 konform sein. In einem solchen Fall müsste das Projekt eben nicht im Sondersegment, sondern im ersten Segment der PV-Freiflächenanlagen in den Wettbewerb treten. Eine ähnliche Logik gilt übrigens für Agri-PV-Projekte auf Dauergrünland mit Schafbeweidung. Auch hier sind nicht zwangsläufig 2,10 m lichte Höhe notwendig, trotzdem kann das Vorhaben mit der DIN SPEC 91434 im Einklang sein.
Es gibt in der DIN SPEC 91434 außerdem die Kategorie II, die eine bodennahe Aufständerung unter 2,10 m zulässt. Vorgeschrieben ist hier die Bewirtschaftung zwischen den Modulreihen. Unter Punkt „1D“ fällt Dauergrünland mit Weidenutzung, das auch Geflügel allgemein einschließt.
Gänse gelten ja als Weidetiere. Fallen aber auch Legehennen darunter?
Schindele: Das entscheidet am Ende ein unabhängiger Gutachter, der das Landwirtschaftskonzept als DIN SPEC-konform absegnet. Das ist am Ende die Basis auch für die Baugenehmigung. Wenn man noch einen Schritt weitergehen will, kann man eine freiwillige Zertifizierung anstreben, die z.B. von AB Cert angeboten wird.
Das Solarpaket I und damit die höhere Vergütung hängen noch in der Luft, weil die beihilferechtliche Genehmigung der EU fehlt. Könnte ein Landwirt dann nicht besser auf die ganze Bürokratie einschließlich DIN SPEC verzichten? Ist das Einhaltung der Vornorm wichtig?
Schindele: Mit der Norm ergeben sich auch weitere Vorteile wie EU-Agrarsubventionen sowie steuerrechtliche oder je nach Projektgröße auch baurechtliche Erleichterungen. Die fehlende beihilferechtliche Genehmigung der EU-Kommission hat nichts mit DIN SPEC 91434 oder DIN SPEC 91492 zu tun.
Für BayWa r.e. ist klar, dass die Agri-PV ein wachsendes Marktsegment in Deutschland ist und das bei der PV-Umsetzung auf Agrarflächen ein Einklang mit Landwirtschaft und Umweltschutz angestrebt werden sollte. Tierhaltung im Agri-PV-Projekt ist bereits heute DIN SPEC 91434-konform und wird zukünftig durch den Agri-PV Normierungsprozess von DIN weiterhin konkretisiert. Politischen Handlungsbedarf sehen wir bei der Zusammenführung der GLÖZ 8 Ackerstilllegungsflächen und Eco-PV-Projekten. Hierbei kann Carbon Farming, Humus- und Biodiversitätsaufbau auf Ackerland ermöglicht werden, ohne dass zusätzliche Agrarflächen für den PV-Ausbau beansprucht würden. Diese Biodiversitätsaspekte sind in noch keiner DIN SPEC oder DIN Norm vorgesehen, sollten aber dringend aus Gründen der Flächennutzungseffizienz und im Zuge von Bodenschutz und Flächenkreislaufwirtschaft angepackt werden.