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Alte Windenergieanlagen: Besondere Gefahr für Fledermäuse?

Das Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung zeigt in einer neuen Studie, dass fehlende Abschaltungen zu erhöhten Schlagopfern führen. Die Studie sei nicht repräsentativ, kontern Fachleute.

Lesezeit: 7 Minuten

An Windenergieanlagen (WEA) versterben regelmäßig Fledermäuse seltener und geschützter Arten, sofern deren Betrieb in Zeiten hoher Fledermausaktivität nicht zeitweise eingestellt wird. Ein Wissenschaftsteam unter Leitung des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) führte dazu eine beispielhafte Zählung der Schlagopferzahlen durch eine systematische Erfassung von Fledermauskadavern unter alten Anlagen durch, die ohne Auflagen zum Fledermausschutz betrieben werden. In zwei Monaten kamen pro WEA durchschnittlich 70 Fledermäuse zu Tode.

Auch wenn diese Zahlen nicht eins-zu-eins auf alle 20.000 alten Anlagen in Deutschland übertragen werden könnten, ergäbe sich ein erheblicher Handlungsbedarf. Der Betrieb alter Anlagen müsste dem aktuellen Regelwerk angepasst werden, argumentieren die Autoren in einem Aufsatz in der Fachzeitschrift „Global Ecology and Conservation“. Die Verluste an den WEA tragen zu Bestandsrückgängen bei. Dieses gravierende Problem wird bei neuen WEA durch das zeitweise Abschalten der Anlagen bei hoher Fledermausaktivität berücksichtigt – jedoch erst seit gut zehn Jahren. Ältere WEA, also etwa 75% aller derzeit in Deutschland in Betrieb befindlichen Onshore-Anlagen, sind bisher von solchen Auflagen nicht betroffen. „Da wir wissen, dass diese Auflagen das Schlagrisiko an Windenergieanlagen für die Tiere tatsächlich nennenswert senken, müssen wir von erheblichen Schlagopferzahlen vor allem an unregulierten Anlagen und an Anlagen an ungünstigen Standorten ausgehen“, sagt Dr. Christian Voigt, Leiter der Abteilung für Evolutionäre Ökologie des Leibniz-IZW.

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70 Schlagopfer pro Jahr

Voigt und seine Kolleginnen errechneten im Jahr 2021 beispielhaft die Schlagopferzahlen an einem seit 2001 laufenden Windpark mit drei Anlagen – mit dem unerfreulichen Ergebnis, dass in zwei Sommermonaten pro Anlage im Durchschnitt 70 Schlagopfer zu verzeichnen waren. Hierzu sammelte das Wissenschaftsteam in den Monaten August und September Fledermaus-Schlagopfer an den drei WEA des Windparks westlich von Berlin. „Präzise Zählungen sind eine methodische Herausforderung, da wir aus zwei Gründen längst nicht alle Schlagopfer finden können“, führt Ko-Autorin Dr. Carolin Scholz aus. „Zum einen finden wir nur einen Bruchteil der Kadaver in der hohen Vegetation, zum anderen werden die Kadaver durch Füchse sowie Krähen- und Greifvögel relativ schnell wieder abgetragen.“ Jede einfache Zählung wäre daher eine massive Unterschätzung der tatsächlichen Schlagopferanzahlen.

Versuche mit Mäusekadavern

Das Team führte daher mit Mäusekadavern ein Experiment durch, um die Sucheffizienz zu ermitteln. Mäuse- und Fledermauskadaver haben eine ähnliche Größe und daher eine ähnlich hohe Wahrscheinlichkeit, gefunden zu werden. „Wir konnten ermitteln, dass selbst erfahrene Suchteams nur eins von sechs (17%) Schlagopfern finden und dass knapp die Hälfte der Kadaver innerhalb von 24 Stunden von anderen Tieren entfernt wurden“, sagt Scholz. „Nach den 24 Stunden blieben nahezu alle verbliebenen Kadaver noch ungefähr eine Woche liegen, sodass wir einen sehr zuverlässigen Korrekturwert für unsere systematische Zählung im Abstand von im Mittel zwei Tagen generieren konnten.“

Mittels beider Korrekturwerte errechnete das Team eine Anzahl von 209 Schlagopfern an den drei Windenergieanlagen in den zwei Monaten während der Hauptzugzeit der Fledermäuse. Obschon die Anzahl von 70 Schlagopfern pro WEA und Jahr im Vergleich zu bisher bekannten Werten relativ hoch ist, sieht Christian Voigt diesen als konservativ an, da zum Beispiel Teile der Zugzeit nicht in den Untersuchungszeitraum fielen. Vermutlich ist der Standort des Windparks aus Sicht des Fledermausschutzes sehr ungeeignet, da viele Hecken und Gebüsch in der Nähe der Anlagen stehen. „Diese konservative Hochrechnung ist alarmierend genug, denn wir müssen davon ausgehen, dass in Deutschland an 20.000 nicht regulierten Anlagen im Laufe ihrer Lebensdauer sehr viele Schlagopfer zu verzeichnen sind“, so Voigt. „Dies ist bei gefährdeten Arten mit rückläufigen Bestandszahlen wie dem Großen Abendsegler nicht akzeptabel, zumal Fledermäuse durch vielerlei Rechtsgrundlagen auf nationaler und EU-Ebene streng geschützt sind.“

Die Autoren plädieren daher dafür, dass der Betrieb alter Anlagen überdacht wird und dem aktuellen Regelwerk – beispielsweise im Hinblick auf verpflichtende Abschaltungen in Zeiten hoher Fledermausaktivität – angepasst wird. Bei alten Anlagen, die an besonders ungünstigen Standorten stehen, müsse auch ein Abbau in Erwägung gezogen werden, damit die Ziele der Energiewende zur Reduktion von Treibhausgasen bei der Energieproduktion nicht unverhältnismäßig auf Kosten der Artenvielfalt erreicht werden.

BWE: "Nicht repräsentativ"

Die „beispielhafte Zählung“ an einem einzigen nicht repräsentativen Standort lässt keinen Rückschluss auf den gesamten Anlagenpark mit seinen fast 30.000 Anlagen zu, hält der Bundesverband Windenergie dagegen. Zudem würden die Forscher ihren selbst gewählten Beispielstandort als „aus Sicht des Fledermausschutzes sehr ungeeignet, da viele Hecken und Gebüsch in der Nähe der Anlagen stehen“.

Laut BWE führen diverse Faktoren zum Rückgang von Fledermauspopulationen, wie zum Beispiel das Verschwinden von Insekten als Nahrungsquelle. Hinsichtlich weiterer Einflussfaktoren bestehe noch zusätzlicher Forschungsbedarf. Alle bereits gewonnenen Erkenntnisse würden im Rahmen ausgiebiger, artenschutzrechtlicher Prüfungen in die Standortwahl und den Betrieb moderner Anlagen einfließen. Zudem habe sich die Anlagentechnologie in den letzten Jahren deutlich gewandelt. So führen moderne, höhere Anlagen mit Abschaltvorrichtungen zu einem deutlich geringeren Schlagrisiko. „Wenn man eine Erkenntnis aus der beispielhaften Zählung und Hochrechnung ziehen kann, dann die, dass das Repowering, also das Ersetzen älterer Anlagen durch neue, leistungsfähigere Modelle, beschleunigt werden sollte“, sagt ein BWE-Sprecher auf top agrar-Anfrage.

KNE: "Einzelfallstudie an sehr alten Anlagen"

Zur Einordnung der Studie müsse man berücksichtigen, dass es sich um eine Einzelfallstudie an drei älteren Anlagen handelt, die aufgrund ihrer Genehmigung lange vor der Entwicklung wirksamer Abschaltalgorithmen gänzlich ohne solche betrieben werden, kommentiert auch das Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende (KNE) die Ergebnisse. Zudem stünden die Anlagen auf Standorten, in deren unmittelbarer Umgebung sich für Fledermäuse besonders zahlreiche attraktive Habitatstrukturen finden (Feldgehölze, Hecken, Wald). Dies könnte eine vergleichsweise hohe Fledermausaktivität an den untersuchten Windenergieanlagen und somit auch erhöhte Kollisionsrisiken zur Folge haben, die eben nicht durch entsprechende Abschaltzeiten wirksam reduziert werden.

Eine breiter angelegte Studie eines Schlagopfermonitorings unter Einbeziehung von deutlich mehr Anlagenstandorten würde sicherlich zu insgesamt belastbareren Zahlen hinsichtlich der Schlagopferraten von Windenergieanlagen (WEA) allgemein führen.

Aus Sicht des KNE liefert die Studie aber dennoch verlässliche Hinweise, dass auch ältere, und im Vergleich zu heute kleinere und ertragsschwächere WEA – wenn ohne fledermausfreundliche Abschaltzeiten betrieben – über längere Zeiträume hinweg (deutlich) höhere Schlagopferraten aufweisen können, als die heute in vielen Artenschutzleitfäden und WEA-Genehmigungen vorgegebenen Schlagopferschwellen von bis zu zwei getöteten Individuen pro Anlage und Jahr.

„Auf besonders risikoreiche Standorte konzentrieren“

Unter Berücksichtigung der geringen Reproduktionsraten von Fledermäusen sei aus Fledermausschutzsicht die Forderung, auch ältere WEA mit Abschaltzeiten zu versehen, prinzipiell unterstützenswert, zumal hier auch nur vergleichsweise geringe Stromproduktionskapazitäten entfallen würden. Man sollte sich hier aber auf besonders risikoreiche Anlagenstandorte – wie die in der Studie untersuchten – konzentrieren und zudem verstärkt auf solche mit noch langen verbleibenden Betriebszeiträumen. Allerdings sei zu berücksichtigen, dass erteilte Genehmigungen ihre Gültigkeit haben und nachträgliche behördliche Abschaltauflagen zu Entschädigungsansprüchen bei den Anlagenbetreibern gegenüber den Behörden führen. Wollte man zukünftig vom Mittel nachträglicher Fledermausabschaltungen Gebrauch machen wollen, müssten gegebenenfalls praktikable (Re-)Finanzierungsmöglichkeiten geschaffen werden.

Weitere Infos

Laut KNE sind Abschaltungen sowohl für Vögel als auch für Fledermäuse während Phasen hoher Aktivität geeignete und wirksame Schutzmaßnahmen. Für Fledermäuse seien sie nachweislich die wirksamste Maßnahme zur Reduzierung von Schlagopferzahlen und mittlerweile eine artenschutzrechtliche „Standardmaßnahme“. Zum Thema „Fledermäuse und naturverträglicher Ausbau der Windenergie“ hat das KNE eine ausführliche Information auf der Homepage veröffentlicht.

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