Dieser Beitrag gehört zu einer dreiteiligen Serie über den Einsatz von Reststoffen in Biogasanlagen:
1. Ergebnisse des Forschungsprojekts „Landwirtschaftliche Rest- und Abfallstoffverwertung“
2. Reportage über eine Biogasanlage, die schon seit 2004 Reststoffe einsetzt
3. Reportage über eine Bioabfall-Vergärungsanlage
Rund 6 km Luftlinie entfernt von der niedersächsischen Nordseeküste liegt die kleine Bauernschaft Wayens im Wangerland/Landkreis Friesland. Der Betrieb von Fritz Gerken liegt auf schwerem Marschboden. „Mais passt bei uns einfach nicht: Im Frühjahr zur Saat und im Herbst bei der Ernte ist es meist zu nass“, erklärt der Landwirt. Darum hat seine Biogasanlage so gut wie keine Energiepflanzen gesehen.
Die Anlage ist im Jahr 2004 mit zwei BHKW mit je 180 kW als Trockenfermentationsanlage, also ohne Gülleeinsatz, in Betrieb gegangen. Inzwischen ist sie mit 700 kW Bemessungsleistung und 1.600 kW installierter Leistung für den flexiblen Betrieb ausgelegt. Gerken ist Mitglied in der Genossenschaft Deutscher Grün-Energie Erzeuger (GDGE), die ihren Strom über das Handelsunternehmen „Energy2Market“ (e2m) in Leipzig vermarktet.
Getreide als „Kraftfutter“ für die Biogasanlage
Der Substratmix besteht heute aus etwa 50 % Mist, 45 % Gras und Getreideschrot. Eine Zeit lang hat Gerken Ganzpflanzensilage und Ackergras angebaut. „In guten Jahren ernten wir hier 100 dt Weizen oder 50 t GPS“, sagt er. Das Ackergras hatte den Vorteil, dass es Unkraut unterdrückte und er weniger Herbizide einsetzen musste.
Aber inzwischen verkauft er das Stroh lieber an die Tierhalter der Region und nutzt nur einen Teil des Getreides als „Kraftfutter“ für die schnelle Gasbildung. „Wir fahren die Anlage häufig nach dem Wetterbericht: Wenn viel Wind angesagt ist, kann ich die Fütterung reduzieren“, sagt er. Grund sind die Abschaltungen, die der Netzbetreiber früher nach dem Einspeisemanagement und neuerdings nach dem „Redispatch 2.0“ vornimmt. Da in der Gegend mit vielen Windparks bei Wind fast immer zu viel Strom im Netz ist, werden neben Solarparks auch Gerkens Biogasanlage abgeschaltet. „Wenn die Anlage wieder am Netz ist, füttere ich mehr Getreideschrot. Innerhalb von drei Stunden steigt die Gasproduktion merklich an“, sagt er.
Das Gras stammt von benachbarten Milchviehhaltern. Von ihnen kauft er für ca. 5 €/m3 den vierten und fünften Grasschnitt, den sie zum Füttern der Kühe nicht mehr benötigen. „Das Gras bringt zwar nicht das meiste Gas, ist aber dafür sehr günstig“, lautet seine Erfahrung.
Mist-Abholsystem mit Containern
Der Mist von den Rinderbetrieben stammt vor allem aus Abkalbeboxen und Kälberiglus. Zum Abholen hat er mittlerweile 25 Abrollcontainer bei verschiedenen Betrieben aufgestellt. Einer seiner drei Mitarbeiter fährt jeden Tag, um den Mist abzuholen.
Dieser lagert bei Gerken rund eine Woche auf der Mistplatte unter Dach. „Dabei findet eine Art Vorrotte statt, durch die wir mehr Gas produzieren als mit frischem Mist“, sagt er.
Vor dem Einfüllen in den Dosierbehälter wird der Mist mit einem dieselbetriebenen, 480 PS starken Biomasseaufbereiter „EP 5500 Shark“ von Willibald zerkleinert. Damit sollen die Bakterien im Fermenter mehr Angriffsfläche haben. Der Biomasseaufbereiter besitzt zudem einen Störstoffabscheider. Er verhindert, dass Bänder, Steine und anderes Material in den Fermenter gelangt, das Pumpen und Rührwerke beschädigt.
Mit Ultraschall gegen Schwimmdecken
Trotz der Zerkleinerung hatte es in dem Fermenter immer noch Schwimmdecken gegeben. Deswegen rüstete er im Jahr 2017 für 120.000 € eine Ultraschallanlage (Hersteller Weber-Entec) nach. Damit wird ein Teil des Fermenterinhalts behandelt. „Wir konnten damit mit dem gleichen Substrat 50 kW mehr Strom produzieren und hatten auch keine Schwimmdecken mehr“, sagt Gerken. Zudem bleibt der Fermenterinhalt trotz 17 % TS fließfähig.
Doch selbst nach 130 Tagen Verweilzeit ist das Material am Ende nicht komplett abgebaut. Das hat eine Laboruntersuchung des Gärrests ergeben: Im abseparierten Material steckt pro Tonne noch ein Gasbildungspotenzial von 60 m3. Darum füttert Gerken nach dem Separieren einen Teil der Festphase wieder in den Fermenter, die Flüssigphase dagegen bekommen die Milchviehhalter als Dünger für ihre Grünlandflächen.
Getrocknete Gärreste als Dünger für Privatgärtner
Den Rest des abseparierten Feststoffanteils trocknet er mit der Abwärme des BHKW. Dafür installierte er einen Bandtrockner in einem Container. Der Trockner benötigt 300 kW Wärme.
Den getrockneten Gärrest vermarktet er in verschiedenen Gebinden als „Gerkens OptiMist“ ab Hof an Privatgärtner. „Wir mussten uns irgendetwas überlegen mit der Festphase, denn unseparierter Gärrest oder die ausgestreute Festphase sind ideal für einen Maisacker. Aber den haben wir nicht“, erklärt er.
Zudem kann er so einen Teil der Wärme ganzjährig nutzen. Denn der Verkauf von Nahwärme ist schwer: Der der Betrieb liegt mehrere Kilometer vom nächsten größeren Wohnort Hohenkirchen entfernt. Und eine Gasleitung für ein Satelliten-BHKW bekam er nicht genehmigt.
Einstieg in den LNG-Markt
Der hohe Anteil von Reststoffen bzw. Mist prädestiniert seine Anlage für die Produktion von Flüssigerdgas (Bio-LNG) als Kraftstoff. „Der Kraftstoff ist nicht nur bei Speditionen gefragt, sondern ermöglicht zusätzlich den attraktiven Verkauf einer Treibhausminderungsquote“, begründet er das.
Dafür prüft er jetzt die Verdopplung der Anlagenleistung, die Nachrüstung einer Gasaufbereitung für die Produktion von Biomethan und eine anschließende Verflüssigung des Gases als Kraftstoff. Das abgeschiedene CO2 könnte er ebenfalls verflüssigen und als Rohstoff verkaufen.
Mittelfristig könnte er es auch nutzen, um synthetisches Methan herzustellen. Denn in der Nähe soll ein Windpark repowert und eine neue Agri-Photovoltaikanlage mit 30 MW Leistung gebaut werden. Um häufige Abschaltungen zu vermeiden, ist es wahrscheinlich, dass die Betreiber Elektrolyseure zur Produktion von Wasserstoff installieren. Und diesen könnte Gerken zusammen mit dem CO2 aus seiner Gasaufbereitung zu Methan synthetisieren.
Was ihm Sorge bereitet: Die nötige Mistmenge von 30.000 t für die Anlagenerweiterung könnte er über sein Containersystem von weiteren Betrieben in der Umgebung bekommen. Allerdings gibt es seit etwa einem Jahr vermehrt Anfragen von Betreibern von Großanlagen aus dem Raum Südoldenburg, die im großen Stil in den Biomethan- und Kraftstoffmarkt einsteigen und von Stade bis zur holländischen Grenze Mist aufkaufen wollen. „Ich werde mich wohl darauf einstellen müssen, dass der Mist in Zukunft nicht mehr so zu haben ist“, erklärt er.
Bislang bezahlt er dafür nichts, sondern holt ihn auf eigene Kosten ab und liefert dafür die abseparierte Flüssigphase zurück. „Es fühlt sich so ähnlich an, wie am Anfang des Biogasbooms 2005 bis 2010, als die Banken dafür sorgten, dass die Pachtpreise für Maisflächen explodierten. Dasselbe passiert gerade mit Mist oder Separat aus der Tierhaltung.“