Der Skandal um gefälschte Klimaschutzzertifikate aus dem Ausland zieht weitere Kreise. Wie das Handelsblatt vergangene Woche berichtet, sollen mindestens zwei Anwaltskanzleien Schadensersatzklagen gegen das Bundesumweltministerium vorbereiten. Dabei gehe um Streitwerte in Milliardenhöhe. „Dem Bundesumweltministerium scheint nicht bewusst zu sein, dass es die Existenz vieler Unternehmen der Branche gefährdet“, zitiert das Blatt den Vorstand des Biokraftstoffherstellers Verbio, Stefan Schreiber, der gleichzeitig auch Präsident des Verbandes der Deutschen Biokraftstoffindustrie ist.
Preissturz der THG-Quoten geht weiter
Hintergrund ist der seit fast zwei Jahren bekannte Import von falsch deklariertem Biodiesel aus China sowie die Anerkennung von Klimaschutzzertifikaten aus China, die sich nachweislich auf nicht existierende UER-Projekte beziehen. In der Folge ist der Preis für die Treibhausminderungsquote (kurz: THG-Quote) massiv eingebrochen mit dramatischen Folgen für die Biokraftstoffbranche. „Die THG-Quote ist das wichtigste Instrument zur Senkung der CO2-Emissionen im Verkehr. Der Preis, der durch die THG-Quoten erzielt wird, ist maßgeblich für Investitionen in u. a. den Auf- und Ausbau von Elektromobilität, Wasserstoffprojekte, e-Fuels und im Bereich fortschrittlicher Biokraftstoffe, wie z. B. Biodiesel und Biomethan“, heißt es in dem Antrag 20/13223 der CDU/CSU-Fraktion „Möglichen Betrug mit gefälschten Klima-Zertifikaten lückenlos aufklären – Zu Unrecht ausgestellte Zertifikate aberkennen“. Der Antrag vom 8. Oktober soll am Mittwoch, 4.12.2024 im Rahmen einer Anhörung im Umweltausschuss des Bundestages beraten werden.
Wie die Fraktion weiter informiert, sei der THG-Quotenpreis in jüngster Zeit auf ein Viertel seines Wertes eingebrochen, von über 450 €/t Ende 2022 auf ca. 64 €/t im September 2024. Maßgeblich dazu beigetragen hätten zwei parallele, vermutlich kriminelle Entwicklungen: einerseits die möglicherweise falsch deklarierten Biodieselimporte, andererseits die zum Teil schon offenkundigen Betrugsfälle im Bereich der Upstream Emissions Reductions (UER).
Erfolglose Reaktionen aus Deutschland
Der Absturz der THG-Quotenpreise trifft die Biokraftstoffbranche hart. So hat u.a. der deutschlandweit größte Biomethanhändler „Landwärme“ Insolvenz anmelden müssen. Die Pleite hat auch viele Biomethananlagenbetreiber schwer getroffen, weil die zugesagten Biomethanpreise nicht mehr gezahlt werden konnten.
Erst nach massivem politischem Druck hat das Bundesumweltministerium (BMUV) reagiert und am 13. November eine Änderung der 38. Bundesimmissionsschutzverordnung (38. BImSchV) beschlossen.
Mit der Änderung wollte das BMUV den mit Betrugszertifikaten überschwemmten Markt beruhigen. So darf die Mineralölindustrie in den kommenden zwei Jahren nur noch CO2-Minderungen verwenden, die auch im selben Jahr erzielt wurden. Doch aufgrund der Ausgestaltung der Regelungen und des damit einhergehenden kurzfristigen Preisverfalls sind vor allem kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) in besonderer Bedrängnis, kritisiert das Hauptstadtbüro Bioenergie (HBB).
„Da die kleinen und mittelständischen Unternehmen als sogenannte Dritte im Sinne der Verordnung ebenfalls keine Überhänge ins Folgejahr übertragen können, sind sie aus Gründen der Liquidität nun gezwungen, ihre Mengen noch in diesem Jahr zu historisch niedrigen Preisen zu verkaufen. Sie sind schlicht nicht in der Lage, bis 2027 zu warten. Dies bringt viele bereits unter Druck stehende Unternehmen noch näher an den Rand des Abgrunds“, unterstreicht die Leiterin des HBB, Sandra Rostek.
Zudem könne sich die Mineralölindustrie, die die THG-Quote erfüllen muss, jetzt noch einmal mit günstigen Klimaschutzzertifikaten für Jahre eindecken und damit die Nachfrage nach der THG-Quote weiter absenken. „Je länger der Zustand andauert, desto schwieriger wird es im Markt werden. Gerade im Biogasbereich wird noch einiges passieren, die Schadenswelle rollt gerade erst los“; sagt Rostek gegenüber top agrar. Zumindest sei der stabilisierende Effekt auf den Preis mit der novellierten 38. BImSchV nicht eingetreten, der Preis sinkt zunächst weiter.
Weitere Importe von Biodiesel
Grund ist laut Rostek, dass gefälschter Biodiesel weiterhin ungebremst importiert wird. „Darum wird das Problem für die nächsten Jahre ungelöst bleiben“, warnt sie. Das hat zwei dramatische Folgen: Der Preisverfall schadet den Produzenten von nachhaltigen Biokraftstoffen massiv. Und gleichzeitig kommt Deutschland beim Klimaschutz keinen Schritt weiter, im Gegenteil: Der importierte Biodiesel ist laut ersten Erkenntnissen zum größten Teil aus Palmöl hergestellt. „Wir fordern daher das BMUV auf, nicht auf eine europäische Lösung zu warten, sondern wie Frankreich, Belgien oder Österreich ein nationales Zulassungssystem zur Betrugsprävention einzurichten“, sagt sie.
Zudem müsste der nicht erfolgte Klimaschutzbeitrag der gefälschten UER-Zertifikate aberkannt werden. „Bislang werden die Nachweise nur formal im Register des UBA gelöscht. Aber die Anerkennung der Quote bei der Mineralölindustrie bleibt bestehen, sie müssen den Klimaschutzbeitrag nicht nachholen“, kritisiert Rostek.
Sie fordert dagegen, dass offiziell festgestellt wird, dass das System UER generell einer arglistigen Täuschung durch Betrug unterlegen ist, und die betreffende THG-Quote auf einen Schlag aberkannt wird. „Das hätte eine Umkehr der Beweislast zur Folge: Die Projektträger müssten dann nachweisen, dass die Quoten, die sie gekauft haben, nicht gefälscht sind“, erklärt sie.
Diese Möglichkeit hätte auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages bestätigt. Und in diese Stoßrichtung geht auch der Antrag der Unionsfraktion.
Antrag der Unionsfraktion
In ihrem Antrag fordert die Unionsfraktion eine „lückenlose“ Aufklärung des mutmaßlichen Betrugs mit Klimaschutzprojekten und die Aberkennung der zu Unrecht ausgestellten Klimazertifikate. Konkret verlangen die Abgeordneten unter anderem, jedes anrechenbare Projekt zur Upstream-Emissionsreduktion (UER), das noch nicht durch das Umweltbundesamt zurückgenommen wurde, vor einer etwaigen Anrechnung auf die Treibhausgasquote (THG-Quote) von einer externen Prüfstelle kontrollieren zu lassen.
Zudem soll der zuständige Umweltausschuss des Bundestages „regelmäßig und umfassend über den Stand der Untersuchungen informiert“ werden. In einem bis November 2024 vorzulegenden Bericht müsse die Bundesregierung außerdem erklären, warum und in welchen Fällen die Vorgaben der „Verordnung zur Anrechnung von Upstream-Emissionsminderungen auf die Treibhausgasquote“ (UERV) durch das Bundesumweltministerium und die zuständigen Behörden nicht angewandt wurden, heißt es im Antrag. Der Bericht solle auch die genauen Gründe für die Rückabwicklung der acht bisher näher überprüften UER-Projekte aufführen.
Das Bundesfinanzministerium solle zudem in einem zweiten Bericht darlegen, inwieweit die Biokraftstoffquotenstelle des Hauptzollamtes ihrer Kontrollpflicht nachgekommen sei. Erklären sollen die Bundesregierung auch, ob sie einen Ausgleichsmechanismus für die CO2-Einsparungen, die aufgrund des Betrugs ausgeblieben sind, einrichten werde, verlangen die Abgeordneten. Weitere Forderungen betreffen die Prüfung von Ausgleichspflichten und die Rücknahme falscher Anrechnungen im Bereich der Biokraftstoffe.
Forderung der Biokraftstoffbranche
Auch die Biokraftstoffbranche hat schon früh Vorschläge unterbreitet, die bei einem 1-tägigen Workshop des BMUV Ende April 2024 diskutiert wurden, und zwar von Vertretern der Biokraftstoff- und Mineralölwirtschaft mit Vertretern des BUMV, des Bundeslandwirtschaftsministeriums sowie der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE). „Die Vorschläge beinhalten insbesondere ein nationales Zulassungsverfahren für alle Produzenten fortschrittlicher Biokraftstoffe mit Registrierung der Produktionskapazität sowie behördlichen Kontrollen. Das Verfahren ist EU-rechtlich und WTO-rechtlich zulässig“, sagt Elmar Baumann, Geschäftsführer des Verbandes der Biokraftstoffwirtschaft (VDB).
Die jüngst beschlossene Änderung der 38. BImSchV – Aussetzung der Anrechnung von Quotenüberschüssen aus dem Vorjahr in den Jahren 2025 und 2026 – ist vom VDB als erster Schritt in die richtige Richtung begrüßt worden. Dauerhafte Wirkung im Sinne einer Betrugsvorbeugung und Stabilisierung des THG-Quotenpreises entfaltet die 38. BImSchV aber nur in Kombination mit einer Verschärfung der Nachhaltigkeitszertifizierung. „Hierzu ist das Zulassungsverfahren die Voraussetzung. Wir fordern seine Umsetzung per 01.01.25. Die hierfür erforderliche Änderung der Biokraftstoff-Nachhaltigkeitsverordnung kann durch das Bundeskabinett beschlossen werden“, erklärt der Geschäftsführer gegenüber top agrar.
Kundgebung in Berlin
Anlässlich der Beratung im Umweltausschuss ruft die Initiative „Klimabetrug Stoppen“ am 4. Dezember zur Kundgebung „Gemeinsam gegen Betrug mit dem Klimaschutz: Für einen stabilen THG-Quotenmarkt“ auf. Die Kundgebung soll die Dringlichkeit des im Bundestag besprochenen Themas unterstreichen. Im Jahr 2024 habe der Klimabetrug namhafte Unternehmen der Erneuerbaren-Branche in die Insolvenz getrieben und die Regierung schaue tatenlos zu. „Alle bisher ergriffenen Maßnahmen sind zukunftsgerichtet, aber ändern an der dramatischen Ist-Situation nichts,“ sagt Stefan Schreiber, einer der drei Sprecher der Initiative Klimabetrug Stoppen. Sein Kollege Marc Schubert ergänzt: „Die Erneuerbaren gehen gerade vor die Hunde. Der Ausbau der Elektromobilität ist nahezu lahmgelegt. Warum die Bundesregierung Betrug hinnimmt und dabei eine Stagnation der Verkehrswende einfach so akzeptiert, ist uns ein Rätsel.“
Angemeldet haben sich als Redner für die Kundgebung bereits namhafte Vertreter der Erneuerbare-Energien-Branche.