Wie steht es um die Flexibilisierung von Biogasanlagen? Wo drückt der Branche der Schuh, wo gibt es neue Perspektiven? Mit diesen Fragen beschäftigte sich das Netzwerk „Flexperten“ bei dem jüngsten virtuellen Netzwerktreffen. Dessen Sprecher, Uwe Welteke-Fabricius, wies auf das große Potenzial der Anlagen hin: „Wenn alle bestehenden Biogasanlagen flexibel produzieren würden, könnten wir 15 GW Spitzenlast bereitstellen und damit einen Großteil des Bedarfs im nächsten Winter decken – ohne, dass zwei Atomkraftwerke in die Notreserve müssten“, sagt Uwe Welteke-Fabricius mit Blick auf den jüngsten Stresstest des Bundeswirtschaftsministeriums. Dieser hatte untersucht, inwiefern verschiedene Krisenszenarien in Deutschland zu einer Notsituation in der Stromversorgung führen könnten.
Aber wieder einmal spielt Bioenergie in den Szenarien keine Rolle. Stattdessen will die Bundesregierung die Strom- und Wärmeerzeugung aus Biogasanlagen weiter reduzieren, wie die Beschlüsse zum „Osterpaket“ zeigen. „Die Bundesregierung setzt fast nur noch auf Biomethan. Aber wir brauchen auch die Strom- und Wärmeerzeugung vor Ort noch für lange Zeit“, sagt er.
Ersatz für Erdgas
Die Politik müsse sich klar machen, dass jede Kilowattstunde Strom, die vor Ort in einem BHKW erzeugt wird, nicht in einem Erdgaskraftwerk produziert werden muss. „Und anders, als bei einem Gaskraftwerk, können wir im BHKW pro kWh Gas noch 0,4 kWh Wärme nutzen und auch damit den Gasbedarf senken“, betont. Zwar habe das BMWK im Juli angekündigt, mit dem Aussetzen der Höchstbemessungsleistung die Gasproduktion in Biogasanlagen erhöhen zu wollen. „Doch jetzt haben wir September und es noch nichts passiert“, kritisiert er. Zwar wurde das Problem gelöst, dass bei vermehrter Fütterung die Güllemenge zeitweilig nicht ausreichen könne, um den Bonus zu erhalten: Jetzt kann man auf den Güllebonus zeitweilig verzichten. Zudem gäbe es noch viele offenen Fragen zum Baurecht, den zulässigen Einsatzstoffmengen oder der Frage nach der Lagerdauer für den Gärrest. „Nur die Höchstbemessungsleistung zu beseitigen reicht bei weitem nicht“, erklärt er.
Die jüngsten Vorschläge zur Änderung des Energiesicherheitsgesetzes seien ebenfalls nicht hinreichend. Sogar kontraproduktiv sei, dass die Mehrerlöse nach der Produktionsausweitung zunächst mit dem Flexzuschlag verrechnet werden, was ausgerechnet bei hoch flexiblen Anlagen mit ihrem höheren Flexzuschlag auch zu einer größeren Einbußen führen würde. Verständlich wäre allenfalls, wenn die Steigerung der Bemessungsleistung über das gesetzliche Maximum von 45 % hinaus, also eine Einschränkung der Mindestflexibilität, zu einer anteiligen Kürzung des Flexzuschlags, führen würde. So, wie derzeit im Entwurf, würde das Vertrauen der Banken in die Flexibilitätsförderung untergraben. Flexible Anlagen müssten sogar auf die Produktionssteigerung verzichten.
Problem Redispatch 2.0
„Ein weiteres Problem ergibt sich mit dem Redispatch 2.0. Wir haben jetzt in Norddeutschland immer häufiger den Fall, dass Biogasanlagen längerfristig komplett auf 0 % Leistung abgeregelt werden, obwohl Wärmelieferverpflichtungen bestehen. Das halten wir nicht für sinnvoll“, erklärt Manuel Maciejczyk, Geschäftsführer beim Fachverband Biogas. Der Fachverband ist daher u.a. mit der Bundesnetzagentur und dem Niedersächsischen Umweltminister Lies im Gespräch, um in begründeten Fällen die Abregelung von nachweislich wärmegeführten Biogasanlagen auf 60 % der Leistung zu begrenzen. Denn es sei nicht sachgerecht, Biogasanlagen mit Kraft-Wärme-Kopplung genauso abzuregeln wie Wind- oder Solaranlagen und dann wertvolles Biogas abfackeln zu müssen, wenn der Gasspeicher für diese ungeplanten längerfristigen Stillstände keine Kapazitäten mehr hätte. „Gerade mit Blick auf diesen Winter brauchen wir jede Kilowattstunde Strom und Wärme aus Biogasanlagen“, sagt er.
Festpreis contra Flexibilität
Die aktuellen sehr hohen Preise an der Strombörse und auch am Terminmarkt haben einige Anlagenbetreiber bewogen, Verträge mit Stromhändlern abzuschließen und den Strom für einen Zeitraum von einem Jahr zu Festpreisen zu vermarkten. „Kein Strommarktexperte kann derzeit absehen, wohin sich die Preise entwickeln. Außerdem führen Festpreise immer wieder dazu, dass Biogasanlagen wieder rund um die Uhr einspeisen. Das ist nicht im Sinne der Energiewende“, bewertet Katja Drinkmann, Key Account Manager beim Flexibilitätsvermarkter Esforin aus Essen dieses. Flexible Biogasanlagen hätten auch bei sinkenden Börsenstrompreisen weiterhin die Chance auf hohe Mehrerlöse, da bei einem höheren Anteil von Solar- und Windstrom auch die Prognoseungenauigkeit steige. Damit bleibe die Chance, den kurzfristigen Bedarf zu decken, bei entsprechend hohen Stromerlösen. Christian Dorfner, Geschäftsführer beim Stromhandelsdienstleister SKVE aus Regensburg rät dazu, bei neuen Festpreisverträgen die Vertragskonditionen genau zu lesen. Denn dabei ergeben sich oft neue Vertragslaufzeiten, was bei einer kurzfristigen Kündigung problematisch werden könnte. Er sieht zudem bei Festpreisen die Gefahr, dass sich der Betrieb nur den Ertrag absichert, die Kosten aber außer Acht lässt „Wir haben bereits dieses Jahr extreme Preissteigerungen bei den Substraten und wissen überhaupt nicht, wo wir nächstes Jahr liegen werden. Festpreise werden dann zu einem immensen Risiko, wenn man seine Kostenstruktur nicht exakt kennt und Kostensteigerung unterbewertet.“, warnt er.
Strompreis bleibt weiter hoch
Auch Uwe Welteke-Fabricius glaubt nicht daran, dass sich an der Attraktivität für flexible Anlagen etwas ändern wird – auch wenn der überhitzte Strommarkt wieder abkühlen sollte:
- Braunkohlekraftwerke können zwar zu Grenzkosten von etwa 1 ct/kWh Strom produzieren. Aber sie müssen derzeit 10 ct/kWh für CO₂-Zertifikate zahlen. Und weil derzeit Kohlekraftwerke vermehrt für Gaskraftwerke einspringen, würden die Zertifikate noch schneller knapp und teurer. Die Gaskraftwerke werden dann auch durch die teureren THG-Zertifikate belastet. Spitzenlaststrom bleibt also ein hochwertiges Produkt.
- Weil mehr Wind- und Solaranlagen gebaut werden, wächst das Angebot in immer mehr Stunden über den Bedarf hinaus und die Preise sinken auf ein Minimum. Dieser Strom wird künftig die flexiblen Nachfrager bedienen, wie Batterien, Ladestrom, Wärmepumpen, oder Elektrolyseure, um daraus Wasserstoff zu produzieren – z.B. für die Stahlindustrie – aber er bleibt sehr günstig.
- Die Preisdifferenz zwischen EE-Überangebot und Mangel ist das Geschäftsmodell von Speichern und von Biogas-Speicherkraftwerken. Dort wachsen die Erträge.
Darum plädiert er dafür, den Weg der Flexibilisierung konsequent weiterzugehen. Mehrerlöse im Strommarkt sollten die Betreiber jetzt nutzen, um den Umbau der Anlagen hin zu Speicherkraftwerken voranzutreiben, aber auch, um das Wärmenetz auszuweiten oder die Rohstoffversorgung auf alternative Substrate umzustellen. „Damit können die Betreiber jetzt die Anlagen fit machen für die Zeiten, in denen Strom an der Börse wieder günstiger wird – auch wenn wir wahrscheinlich nicht mehr die günstigen Preise wie vor der Krise sehen werden.“