Das Modell der dezentralen Bürgerbeteiligung ist eine aussichtsreiche Alternative, um die ins Stocken geratene Energiewende voranzubringen. Denn nur, wenn Bürger die künftige Struktur der heimischen Stromversorgung vor Ort aktiv mitgestalten, lassen sich komplexe Planungsverfahren überhaupt noch im breiten gesellschaftlichen Konsens erfolgreich realisieren. Diese Ansicht vertrat Prof. Dr. Peter Kruse in seinem Impulsvortrag zur "Energiewende von unten" gestern auf der 12. Jahreskonferenz des Rats für Nachhaltige Entwicklung im Haus der Kulturen der Welt in Berlin.
Die Annahme, dass die Bundesbürger die Energiewende in erster Linie als Ausstieg aus der Atomwirtschaft befürworten, erweist sich im Lichte einer von Kruses Beratungsunternehmen nextpractice durchgeführten Studie, bei der 200 Endverbraucher in Deutschland jeweils zwei Stunden lang interviewt wurden, als zu kurz gegriffen. Darin sprechen sich die Menschen vor allem gegen eine als intransparent wahrgenommene Energiepolitik aus. "Die Angst vor der Atomkraft hat sich in Deutschland zu einer grundsätzlichen Skepsis gegenüber allen Formen großtechnologischer Energieerzeugung generalisiert", konstatiert Prof. Kruse.
Auch der Bundesregierung und der Bundeskanzlerin Angela Merkel stellen die Menschen beim Management der Nachhaltigkeit ein eher schlechtes Arbeitszeugnis aus. Die Befragten sehen die Politik im Vergleich zu den eigenen Sollvorstellungen deutlich im Rückstand gegenüber den gesellschaftlichen Anforderungen. Dabei wird der Politik ein Nachhinken in der Größenordnung von ungefähr zwei Jahrzehnten attestiert. Den Ausweg sehen die Bürger in erster Linie in einem Paradigmenwandel zu mehr Transparenz und Partizipation. "Die Endverbraucher sind es leid, dass Konzerne ihnen in verkrusteten Monopolstrukturen nach Belieben ein Preis- und Nutzerdiktat auferlegen", stellt Kruse fest.
Im Gegensatz dazu trägt nach Einschätzung von nextpractice die aktive Einbindung von mündigen Bürgern auf allen Entscheidungsebenen zu einer langfristig erheblich stabileren wirtschaftlichen Infrastruktur bei. Mehr Bürgerdialog befördert darüber hinaus eine zukunftsweisende Industriepolitik am Standort Deutschland. Denn längst vor der Politik hat sich in der Bevölkerung die Erkenntnis durchgesetzt, dass dezentral von den Bürgern initiierte und co-finanzierte Energievorhaben häufig zielgerichteter zu managen sind als industrielle Verbundprojekte, "weil dann die Interessen von Menschen, Kommunen und Gemeinden wie etwa bei Bürgerwindparks oder Bürgersolaranlagen von Anfang an im Mittelpunkt stehen", so Kruse weiter.
Letztlich sei somit eine allein per Staatsdekret verordnete Energiewende zum Scheitern verurteilt, so der Geschäftsführer von nextpractice. "Gelingt allerdings der Spagat zwischen dem notwendigen ökologischen Wandel einerseits und der konsequenten Nutzung von demokratischen Instrumenten zur Bürgerbeteiligung andererseits, dann öffnen die Menschen ihr Herz und durchaus auch ihren Geldbeutel für die Energiewende."