Schleswig-Holstein hat im Jahr 2016 erstmals mehr Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt als im Land verbraucht wurde. Damit hat das Land im Länder-Ranking beim Anteil der Stromerzeugung am Bruttostromverbrauch einen klaren Spitzenplatz. Die geographische Lage an den Küsten von Nord- und Ostsee und die vergleichsweise niedrige Bevölkerungsdichte bieten hier laut Energiewendeministerium besonders gute Voraussetzungen für den Einsatz von Windenergieanlagen, aber auch Solarenergie und Biomasse tragen erheblich zur Energieversorgung bei. Wir sprachen mit dem frisch gewählten neuen Vorsitzenden des Landesverbandes Erneuerbare Energien, Christian Andresen, über Chancen und Herausforderungen der Energiewende. Andresen ist Geschäftsführer des Unternehmens Solar-Energie Andresen aus Sprakebüll. Er hat den Windkraftpionier Reinhard Christiansen als Verbandsvorsitzenden abgelöst.
Schleswig-Holstein ist in vielen Bereichen Vorreiter bei der Energiewende in Deutschland. Wo sehen Sie aktuell die größten Herausforderungen für die Transformation der Bereiche Strom, Wärme und Mobilität?
Andresen: Ein großes Thema bei uns ist der Netzausbau. Uns fehlen Netzanschlüsse für Wind- und Solarparks. Wir sehen jetzt die Folgen des bundesweit verzögerten Netzausbau in den vergangenen Jahren, wobei der Flaschenhals vornehmlich südlich von Hamburg liegt. Bei dem geplanten Ausbau kommt die Netzinfrastruktur kaum hinterher. Umso wichtiger ist es, schnell Flexibilisierungsoptionen wie Speicher, Wasserstoff und Power-to-X zu ermöglichen. Bei der Windenergie kommt es zudem zu Verzögerungen, weil der Landesentwicklungsplan noch nicht verabschiedet ist und neue Regionalpläne nötig sind. Wir befürchten, dass sich dadurch auch die Genehmigung neuer Anlagen verzögert, die wir für das energiepolitische Ziel 2030 benötigen. Bei der Photovoltaik warten wir, genau wie andere Länder, auf gesetzgeberische Impulse, die in der letzten Legislaturperiode liegen geblieben sind.
Der Netzausbau hat in Ihrem Land deutlich an Fahrt aufgenommen, es gibt immer weniger Redispatchmaßnahmen. Ist das Thema auf Kurs?
Andresen: Ja, wir hatten in der Vergangenheit viele Abschaltungen im Rahmen des Einspeisemanagements, kurz: Eisman-Schaltungen. Sie wurden abgelöst durch das Redispatch 2.0. Aber der Bau der Westküstentrasse und der Mittelachse haben viel Entlastungen gebracht. Allerdings können wir uns nicht zurücklehnen. Bei dem geplanten Ausbau der erneuerbaren Energien darf es auch beim zukünftigen Netzausbau keine weiteren Verzögerungen geben.
Die alte Bundesregierung hat ja bezüglich Netzanschluss eine flexible Regelung beschlossen. Demnach können Netzverknüpfungspunkte überbaut werden. Wird das helfen, die Probleme zu lösen?
Andresen: Ja, theoretisch könnten wir jetzt zum Beispiel an einem 100 MW-Anschluss 100 MW Windenergie und 100 MW Photovoltaik anschließen. Über Verträge müssen sich die beiden Parkbetreiber einigen, wer wann wie viel Strom einspeisen darf, um den Netzverknüpfungspunkt nicht zu überlasten. Das wäre sehr hilfreich. Aber die Regelung ist eine Option, keine Pflicht für die Netzbetreiber. Bislang gibt es nur wenige Pilotprojekte in Schleswig-Holstein. Hier ist es nötig, dass die Politik eine Pflicht einführt. Diese Überbauung von Netzverknüpfungspunkten hat viele Vorteile, u.a. spart man Kosten beim Netzausbau. Trotzdem brauchen wir auch neue Netze. Denn mit Blick auf den geplanten Ausbau der erneuerbaren Energien bleibt bis 2030 nicht viel Zeit. Dazu kommt, dass der Strombedarf massiv steigen wird, u.a. zur Wärmeproduktion oder für die Elektromobilität – auch in der Landwirtschaft. Wenn man sieht, was aktuell in der Bauindustrie passiert mit Baggern, Ladern usw. ist da auch noch viel bei Landmaschinen zu erwarten.
Gerade an der Westküste sind wegen der häufigen Abschaltungen von Windparks früh Elektrolyseure entstanden. Deutschlandweit ist das Wasserstoffthema stark abgekühlt. Wie sieht es bei Ihnen aus?
Andresen: Das Thema Wasserstoff wurde vor allem in der Mobilität überschätzt. Auch im Lkw-Bereich macht die Batterietechnik große Sprünge, dennoch werden wir die Brennstoffzelle in manchen Anwendungen im Schwerlastverkehr benötigen.
Das Thema Wasserstoff wurde vor allem in der Mobilität überschätzt.
Wir brauchen Wasserstoff weiterhin dringend als Speichermedium für erneuerbare Energien. Schleswig-Holstein ist hier Gunststandort für die Produktion. Diesen Wasserstoff können wir in Kavernen speichern und via Pipelines zu anderen Standorten bringen. Wichtig ist zu beachten, dass der wirtschaftliche Betrieb von Elektrolyseuren nicht allein mit Strom funktioniert, der in Zeiten mit hoher Stromerzeugung nicht ins Netz eingespeist werden kann. Sie brauchen eine gewisse Anzahl von Volllaststunden. Die EU-Rahmenbedingungen für die Erzeugung von erneuerbarem Wasserstoff sind weiterhin alles andere als optimal. Hier braucht es mehr Pragmatismus in der Sache.
Repowering von Windparks ist ein Dauerthema. Wegen des frühen Einstiegs hat Schleswig-Holstein hierbei sehr lange Erfahrungen. Wie ist da der aktuelle Stand und wo sehen Sie noch Herausforderungen?
Andresen: Eine große Herausforderung ist, dass nicht alle Windräder repowert werden können. Denn viele Standorte, an denen heute Bestandsanlagen stehen, tauchen in den Regionalplänen nicht auf. Wir haben rund 700 Anlagen außerhalb von Eignungs- bzw. Vorrangflächen, die lediglich Bestandsschutz haben. Der Bund hat Möglichkeiten geschaffen, Windenergieanlagen auch außerhalb ausgewiesener Vorranggebiete zu repowern. Diese Regelungen finden in Schleswig-Holstein jedoch nur teilweise Anwendung. Wir brauchen eine Regelung, die es unabhängig vom Landesentwicklungsplan erlaubt, diese bestehenden Anlagen zu ersetzen, wenn sie genehmigungsrechtlich zulässig sind.
Früher sind viele repowerte Anlagen ins Ausland verkauft worden, wo sie weiterhin Strom erzeugen. Wie ist die Lage heute?
Andresen: Wegen des großen technischen Fortschritts lohnt es sich teilweise, Anlagen schon nach 12 bis 15 Jahren zu ersetzen. Bei Anlagen um die 1 MW war es kein Problem, Turm, Generator und Rotorblätter abzubauen und im Ausland wieder zu errichten. Doch bei den immer größer werdenden Anlagen gibt es im Ausland Probleme, weil dort z.B. eine entsprechende Krantechnik für Bau und Wartung fehlt. Darum werden heute viele Anlagen abgebaut und recycelt.
Ihr Unternehmen ist stark im Bereich Solarstrom tätig. Wie bewerten Sie die Problematik mit dem Solarspitzengesetz bzw. den negativen Strompreisen? Welche Gegenmaßnahmen gibt es?
Andresen: Mit der Entwicklung müssen wir uns auseinandersetzen, die Zahl der Stunden mit negativen Strompreise nimmt kontinuierlich zu. Aber genauso, wie Bayern mehr Windräder bauen muss, brauchen wir hier oben im Norden mehr Photovoltaik, weil die Erzeugung eine gute Ergänzung zur Windenergie ist. Neben einer vermehrten Ausrichtung von neuen Anlagen nach Ost-West nimmt auch der Ausbau von Batteriespeicher zu. Wichtig ist, dass man dem Thema mit mehr Flexibilität beim Stromverbrauch, mit Energy Sharing, Sektorkopplung und anderen Gegenmaßnahmen begegnet. Ansonsten gibt es eine Zubaudelle, die wir uns angesichts der Klimaziele und des steigenden Strombedarfs nicht leisten können. Technisch gibt es die Lösungen. Die müssen nur regulatorisch auch ins System eingebunden werden. Was wir auf keinen Fall mehr erleben dürfen, ist eine Rückkehr zur Einstufung von Schleswig-Holstein als 'Netzausbaugebiet'. Die Bundesregierung nimmt sich im Koalitionsvertrag vor, die Einführung von sogenannten Netzengpassgebieten zu prüfen. Das wäre sehr kontraproduktiv, denn dann erleben wir sehr wahrscheinlich wieder einen Zubaustau bei den Erneuerbaren bei weiter steigendem Bedarf an Grünstrom.
Welche Veränderungen erwarten Sie mit neuen Entwicklungen wie die Umstellung auf Viertelstundenabrechnung bei der Strombörse, den Einstieg ins bidirektionale Laden von E-Autos oder der erneuten Ankündigung einer schnelleren Einführung von Smart Metern?
Andresen: Das wären wichtige Maßnahmen, um den Strommarkt weiter zu flexibilisieren. Gerade bei der Einführung von Smart Metern ist der Ausbau in Deutschland viel zu langsam, um das Flexibilisierungspotenzial zu heben. Hier wäre ein Blick nach Skandinavien hilfreich, dort sind fast alle Haushalte damit ausgestattet.
Welche Rolle spielen besondere Solaranlagen wie Moor-PV oder Agri-PV in Schleswig-Holstein, wo es neben einer starken Landwirtschaft auch viele Moore gibt?
Andresen: Hier wird eine Rolle spielen, ob die EU zeitnah die beihilferechtliche Genehmigung für Teile des Solarpakets, wie für das Untersegment für besondere Anlagen, erteilt. Denn mit den aktuellen Vergütungssätzen sind diese Anlagen wegen der aufwändigeren Technik nur schwer wirtschaftlich.
Welche weiteren Entwicklungen sind bei Ihnen herausragend, die für andere Bundesländer ein Vorbild wären?
Andresen: Das ist bei uns auf jeden Fall die Bürgerbeteiligung bei Wind- und Solarparks. Wir haben schon vor über zwanzig Jahren mit Bürgerwindparks begonnen. Da, wo Bürger stark an den Anlagen beteiligt sind, besteht auch der Wille nach mehr erneuerbaren Energien. Studien zeigen: In Regionen mit vielen Anlagen ist die Akzeptanz interessanterweise höher als da, wo es nur wenige Anlagen gibt. Eine gute Bürgerbeteiligung macht die Energiewende greifbar und erlebbar. Das betrifft übrigens nicht nur die Stromerzeugung, sondern auch z.B. Wärmenetze. Hier sehe ich auch noch große Chancen für Biogasanlagen.