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topplus Vorwurf der Vetternwirtschaft

Fall Graichen: Verschwörungstheorien von der Öko-Mafia – und die Fakten

Die „Trauzeugenaffäre“ im Bundeswirtschaftsministerium zieht inzwischen weite Kreise bishin zur Fundamentalkritik an der Energiewende. Ein Blick von außen hilft, das ganze einzuordnen.

Lesezeit: 8 Minuten

Die „Trauzeugenaffäre“ im Bundeswirtschaftsministerium rund um die Neubesetzung des Chefs der Deutschen Energieagentur (dena) weitet sich inzwischen zu einem Gemisch aus Kritik an der Energiewende bis hin zu wilden Verschwörungstheorien aus. Hintergrund ist, dass Graichen seinen Trauzeugen Michael Schäfer zum Chef der dena machen wollte. „Seit zwei Wochen wird jedes Detail in der Causa rund um Wirtschaftsminister Robert Habeck und seinen Staatssekretär Patrick Graichen bis ins kleinste Detail unter die Lupe genommen“, berichtet das Handelsblatt in seinem „Briefing“ vom 12. Mai.

Warnung vor Verschwörungstheorien

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Die Berichterstattung sei grundsätzlich ja auch richtig. Schließlich habe Vetternwirtschaft in der Politik nichts zu suchen, auch wenn sie des Öfteren in Erscheinung tritt. „Wer erinnert sich nicht an den Skandal rund um etliche CSU-Politiker, die ihre halbe Familie in bayerischen Ministerien beschäftigt hatten? Das ist allerdings kein Vergleich zu den Verschwörungstheorien, die sich mittlerweile um die ‚grünen Clanstrukturen‘ in den sozialen Netzwerken ranken. Da kommen auf einmal sogar amerikanische Geldgeber für die kriminelle Öko-Mafia ins Spiel“, heißt es weiter.

Statement von Patrick Graichen

In einer gemeinsamen Sitzung des Ausschusses für Wirtschaft und des Ausschusses für Klima und Energie des Deutschen Bundestags am 10. Mai sagte Staatssekretär Patrick Graichen: „Ich habe bei dem Besetzungsverfahren der dena-Geschäftsführung einen Fehler gemacht, den ich sehr bedaure und bereue. In dem Moment, als klar war, dass mein Trauzeuge und langjähriger Freund Michael Schäfer sich auf die Stelle bewirbt, hätte ich mich aus der Findungskommission zurückziehen müssen. Michael Schäfer ist aufgrund seiner Qualifikationen und Erfahrungen in der Klima- und Energiepolitik zweifelsohne ein hervorragender Kandidat gewesen. Als er mich informiert hat, dass er sich bewerben wird, habe ich ihm dann sehr deutlich gesagt, dass unsere Freundschaft in diesem Verfahren kein ausschlaggebender Grund für das Ergebnis sein darf.“

Statement von Minister Habeck

In der gleichen Sitzung sagte Bundeswirtschaftsminister Habeck: „In den letzten Wochen und Monaten wurde Kritik geäußert, die teilweise mit einer Härte formuliert wurde, die weit über das übliche Maß hinaus geht. Dabei wurde teilweise mit Unterstellungen und Unwahrheiten gearbeitet. Es fielen böse Formulierungen, die die Arbeit des gesamten Wirtschaftsministeriums diffamiert.“

Habeck sieht dabei vier Punkte, die von den Kritikern vermengt würden:

  1. Die Neubesetzung der Dena-Geschäftsführung. Hier ist ein Fehler passiert, der nicht hätte passieren dürfen. Das Ministerium habe ihn eingestanden und die Konsequenzen gezogen.
  2. Die Kritik am Gebäudeenergiegesetz (GEG): Habeck fordert, man sollte die Debatte um die erneuerbare Wärme contra Öl/ GasWärme nicht über Angriffe auf die Personen führen, sondern in der Sache.
  3. Die Stellenbesetzungen zu Beginn der Legislatur. Es wurden in meinem Ministerium um die Funktionsfähigkeit der Koalition über die Vizekanzlerschaft zu gewähren, neue Stellen geschaffen - aber weniger als z.B. bei der Regierungsbildung 2018. Alle Vizekanzlerstellen (35 Stellen) sind mit einem sogenannten „kw Vermerk“ versehen, das heißt, sie können wegfallen, wenn die Aufgabe Vizekanzlerschaft wegfällt.
  4. Die Vorwürfe gegen die Verwandtschaftsverhältnisse von Michael Kellner und Patrick Graichen (Anmerkung der Redaktion: Michael Kellner ist verheiratet mit Verena Graichen, der Schwester von Patrick Graichen. Verena Graichen wiederum arbeitet als „Senior Researcher“ beim Öko-Institut zu den Themen Klimapolitik und Emissionshandel und ist gleichzeitig Vorsitzende des Umweltverbands BUND in Berlin). Laut Habeck seien unmittelbar Brandmauern eingezogen und die Strukturen entsprechend aufgestellt worden. Die Abteilungsleitungen wurden darüber informiert, dass Vergabeverfahren, die das Öko-Institut und den BUND e.V. betreffen, nicht über den Schreibtisch des Staatssekretärs gehen. „Umgekehrt verweise ich darauf, dass der Bundesgerichtshof im Juni 2020 geurteilt hat, dass ein Interessenkonflikt eine pauschale Vergabesperre nur insoweit rechtfertigen kann, als der Gefahr eines Einflusses auf ein Vergabeverfahren nicht durch andere Mittel begegnet werden kann. Wir dürfen also die genannten Vereine nicht pauschal von Ausschreibungen ausschließen. Es ist vielmehr Aufgabe der Behörde, ein geeignetes internes Verfahren zur Vermeidung des Interessenkonflikts aufzusetzen.“

Graichens Fehler

Der Verein LobbyControl sieht es als Graichens Fehler an, seinen Interessenkonflikt beim Besetzungsverfahren für den Chefposten bei der Deutschen Energieagentur nicht rechtzeitig transparent gemacht zu haben. Der Verein setzt sich nach eigenen Angaben „für Transparenz, eine demokratische Kontrolle und klare Schranken der Einflussnahme auf Politik und Öffentlichkeit“ ein. „Graichen mangelte offenbar das Bewusstsein dafür, dass es ein Problem ist, wenn die Findungskommission für den Posten seinen langjährigen engen Freund als Top-Kandidaten vorschlägt und er selbst dieser Kommission vorsitzt“, sagt Timo Lange, Campaigner für Lobbyregulierung. Graichen hätte laut LobbyControl den Interessenkonflikt frühzeitig anzeigen müssen und nicht erst, als Medien bereits danach fragten. Und er hätte sich aus der Findungskommission zurückziehen müssen, als ihm die Bewerbung seines Freundes bekannt wurde.

Fehleranalyse wichtig


Es sei daher richtig, dass das Besetzungsverfahren neu aufgerollt wird. Darüberhinaus müsse das Wirtschafts- und Klimaministerium nach den tieferen Gründen fragen, wie es zu einem solchen Fehler überhaupt kommen konnte und nach Antworten, wie sich so etwas künftig vermeiden ließe. „Im besten Fall gelangt man dabei zu Lösungen, die den Umgang mit Interessenkonflikten grundsätzlich verbessern, nicht nur bezüglich freundschaftlicher oder familiärer Verbindungen. Mehr Transparenz über Einflussnahme auf politische Entscheidungen, über personelle und finanzielle Verstrickungen, bessere Durchsetzung von Compliance-Regeln, all das wäre nicht nur für das Wirtschaftsministerium empfehlenswert“, schläft Lange vor. Gerade erst sei die Bundesregierung wieder für ihren unzureichenden Umgang mit Interessenkonflikten vom Europarat kritisiert worden.

Kritik am Gebäudeenergiegesetz 


Doch zur Wahrheit gehört laut LobbyControl auch: Mit dem aktuell heiß diskutierten Gebäudeenergiegesetz bringe das Klimaministerium finanzstarke Lobbygruppen gegen sich auf – allen voran die Gasindustrie, die um ihr milliardenschweres fossiles Geschäftsmodell bange. „Schon seit Jahren hat die Gasindustrie noch jeden Eingriff in den Heizungsmarkt mit ihrer Lobbypower zu verhindern gewusst. Die geringste Spur von Fehlverhalten wird in einer solchen Gemengelage von politischen Gegenkräften gerne aufgegriffen, aufgebauscht und skandalisiert“; kritisiert Lange. Das Gerede aber von Clan- oder auch Mafia-Strukturen, wie es aus Teilen der Union und der AfD zu hören sei und von einigen Medien bereitwillig verbreitet werde, sei dabei völlig unangemessen. Solche Wortwahl diene vor allem der Stimmungsmache und verhindere sachliche Kritik.

„Keine Lobbyverflechtung“


Eine Verdrehung der Tatsachen sei es auch, wenn die familiären Verbindungen von Graichen ins Öko-Institut mit Lobbyverflechtungen gleichgesetzt würden, wie sie etwa aus der Russland/Nordstream-Connection oder dem Cum/Ex-Skandal bekannt seien. „Bei diesen geht es um milliardenschwere Geschäftsinteressen und zu diesem Zweck gezielt geknüpfte Netzwerke. Dass sich die drei Geschwister Graichen seit Jahrzehnten umwelt- und klimapolitisch engagieren und einer nun Staatssekretär ist, ist damit nicht vergleichbar“, sagt Lange. Natürlich sei es dennoch zentral, dass auf Grund der familiären Verbindungen keine Vorteile für das Institut entstehen. Das habe das Ministerium auch frühzeitig klargestellt – und tatsächlich erhielt das Institut mehr Geld, als noch der CDU-Politiker Peter Altmaier das Wirtschaftsministerium führte.


Kritik an den Instituten

Einen Blick von außen auf die Situation wirft auch Hans-Josef Fell, ehemaliger energiepolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion und heutiger Präsident der Denkfabrik „Energy Watch Group“: „In der Kritik der Vetternwirtschaft von Patrick Graichen bezüglich Auftragsvergabe und Postenbesetzung stehen die Deutsche Energieagentur (dena), das Ökoinstitut und die Agora Energiewende. Genau diese Institutionen gelten als Hauptberatungsinstitute für Grüne Energie- und Klimapolitik. Auch wenn diese Akteure immer betonen voll hinter dem Klimaschutz zu stehen – sie haben sich nie an den wirklichen Notwendigkeiten für wirksamen Klimaschutz orientiert - also z.B. an dem Vorhaben 100% Erneuerbare Energien bis 2030.“ Im Gegenteil, sie distanzierten sich laut Fell von anderen unabhängig Forschenden, z.B. den Studien von Scientists for Future (S4F) oder auch denen der Energy Watch Group: 100% Erneuerbare Energien in allen Sektoren bis 2030 findet sich in keinem Einzigen ihrer Gutachten. Im Gegenteil, sie würden sogar weiteren klimaschädlichen Emissionen den Weg bereiten, insbesondere mit ihrer Unterstützung für neue Erdgaskraftwerke, LNG, blauen Wasserstoff oder CCS.

So käme es, dass die Ampelkoalition immer noch an Klimaneutralität 2045 festhalte und auch keine weitergehenden wichtigen Maßnahmen beschlossen habe. „Es fehlt nach 1,5 Jahren Regierungsverantwortung weiter das Energy-Sharing, die Flexibilisierung der Lasten innerhalb der Erneuerbaren Energien ohne Erdgas, eine Kombikraftwerksvergütung und ein wirksames Gesetzespaket zur Förderung von Regionalstrom“, kritisiert Fell.

Die Institutionen, die allesamt hier in der Kritik stünden, gelten zwar als den Grünen nahestehenden Institutionen, sind in Wirklichkeit aber nicht offensiv genug für den Klimaschutz eingetreten. Sie stützten immer noch Erdgas als angeblichen Beitrag zum Klimaschutz und als angeblich unverzichtbar für die Flexibilität, die zum Ausgleich von Solar- und Windenergie im Netz benötigt wird. „Auch das ist wohl ein Grund, warum die FDP in diesem Fall die Opposition kritisiert und die ‚grüne Vetternwirtschaft‘ verteidigt – obwohl sie sonst innerhalb der Ampelregierung fast sämtliche wichtigen Initiativen der Grünen torpediert“, schlussfolgert Fell.

Zum Nachlesen

Für weitere Informationen hier einige Links:

  • Veröffentlichung der Zuwendungen des BMWK an die Agora und den BUND und Aktualisierung der Veröffentlichungen über Zuwendungen und Aufträge an das Öko-Institut finden Sie hier.
  • Veröffentlichung der in den Bundestagsausschuss-Sitzungen vorgetragenen Eingangsstatements von Minister Habeck und Staatssekretär Patrick Graichen finden Sie hier.
  • Informationen von Hans-Josef Fell zur „Vetternwirtschaft“ und zur Umsetzung der Energiewende finden Sie hier.
  • Pressekommentar zu Verflechtungen des Staatssekretärs Patrick Graichen vom Verein LobbyControl finden Sie hier.

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