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Flexible Biogasproduktion bleibt interessant

Die aktuellen Marktpreise machen den flexiblen Betrieb sehr attraktiv. Biogasanlagen können Erdgas oder Atomkraft im Strommarkt ersetzen.

Lesezeit: 9 Minuten

Die Strompreise an der Börse schlagen derzeit so stark aus wie noch nie. Davon profitieren können Betreiber von Biogasanlagen – wenn die Anlagen durch größere Gas- und Wärmespeicher sowie zusätzliche BHKW bedarfsgerecht Strom erzeugen können. „Wer noch im Dauerbetrieb Strom erzeugt, kann an Tagen mit niedrigen Strompreisen viel Geld verbrennen“, erklärt Robert Wasser vom Ingenieurbüro Energethik aus Osnabrück.

Wie der Experte für die bedarfsgerechte Stromerzeugung erläutert, hängt das mit der Entwicklung an den Strombörsen zusammen. So hat sich der durchschnittliche Strompreis vom 1. Halbjahr 2021 zum 1. Halbjahr 2022 von 5,5 Cent/kWh auf 18,2 Cent/kWh erhöht. „Im Juli lag der Durchschnittspreis sogar bei 31,5 Cent/kWh“, sagt Wasser.

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Ähnliche Kapriolen wird es weiterhin geben, ist er überzeugt. Denn während Kohle- und Atomkraftwerke nach und nach vom Netz gehen, wird der Stromverbrauch weiter steigen. „Im Jahr 2021 wurden in Deutschland so viele neue Elektrofahrzeuge zugelassen wie nie zuvor. Und im Neubau sind 80 % der Heizsysteme Luft-Wärmepumpen, die im Winter wie Stromheizungen funktionieren“, begründet Wasser das.

Damit Biogasanlagen auf die schwankenden Strompreise reagieren können, rät er zu einer durchdachten Flexibilisierung. Sowohl die eingelagerte Biomasse als auch die Gashauben dienen als Speicher.

Strom- und Wärmeproduktion im Sommer drosseln und im Winter hochfahren

Mit einem größeren BHKW verändert sich die Betriebsweise: Statt Dauerbetrieb produziert es gezielt nur noch an wenigen Stunden am Tag Strom. „Gleichzeitig können Betreiber im Sommer die Strom- und Wärmeproduktion drosseln und im Winter dafür hochfahren, um in der Heizperiode genügend Energie zur Verfügung zu haben“, erklärt er weiter.

Mit einem großen Wärmepufferspeicher von 300 bis 1.000 m3 kann der Betreiber die Strom- und Wärmeproduktion entkoppeln. Das bedeutet: Selbst, wenn die Biogasanlage z.B. an ein Nahwärmenetz angeschlossen und im Winter jeden Tag viel Wärme nötig ist, muss das BHKW nur in den Stunden produzieren, an denen die Strompreise hoch sind.

An den Pufferspeicher lassen sich weitere Wärmeerzeuger anschließen, wie z.B. eine Elektrolyse zur Wasserstofferzeugung, bei der auch Abwärme anfällt. Wie Wasser vorrechnet, kann eine Biogasanlage damit mit gleichem Input die Zahl der Wärmekunden nahezu verdoppeln. Dazu tragen die saisonale Verschiebung sowie das größere BHKW mit höherem Wirkungsgrad bei. Außerdem sinken die Wartungskosten von 1 bis 2 ct/kWh auf bis zu 0,5 ct/kWh.

Biogas statt Atomkraft

„Wenn alle bestehenden Biogasanlagen flexibel produzieren würden, könnten wir 15 GW Spitzenlast bereitstellen und damit einen Großteil des Bedarfs im nächsten Winter decken – ohne, dass Atomkraftwerke in die Notreserve müssten“, sagt Uwe Welteke-Fabricius, Sprecher des Netzwerks „Flexperten“.

Doch in den aktuellen Beschlüssen zur Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) spielt Biogas kaum eine Rolle. „Die Bundesregierung setzt fast nur noch auf Biomethan. Aber wir brauchen auch die Strom- und Wärmeerzeugung vor Ort“, sagt er. Die Politik müsse sich klarmachen, dass jede Kilowattstunde Strom, die vor Ort im BHKW erzeugt wird, nicht in einem Erdgaskraftwerk produziert werden muss. „Zudem können wir im BHKW die Wärme nutzen und auch damit den Gasbedarf senken“, betont er.

Problem: Abregelung auf 0 % durch Redispatch 2.0

Ein weiteres Problem ergibt sich mit dem neuen Netzengpassmanagement „Redispatch 2.0“. „Wir haben in Norddeutschland immer häufiger den Fall, dass Biogasanlagen längerfristig komplett auf 0 % Leistung abgeregelt werden, obwohl Wärmelieferverpflichtungen bestehen. Das halten wir nicht für sinnvoll“, erklärt Manuel Maciejczyk, Geschäftsführer beim Fachverband Biogas.

Der Fachverband ist daher u.a. mit der Bundesnetzagentur im Gespräch, um in begründeten Fällen die Abregelung von wärmegeführten Biogasanlagen auf 60 % der Leistung zu begrenzen. Denn es sei nicht sachgerecht, Biogasanlagen mit Kraft-Wärme-Kopplung genauso abzuregeln wie Wind- oder Solaranlagen und dann wertvolles Biogas abfackeln zu müssen, wenn der Gasspeicher für diese ungeplanten längerfristigen Stillstände keine Kapazitäten mehr hätte. „Gerade mit Blick auf diesen Winter brauchen wir jede Kilowattstunde Strom und Wärme aus Biogasanlagen“, sagt er.

Festpreis contra Flexibilität

Die aktuellen sehr hohen Preise an der Strombörse und auch am Terminmarkt haben einige Anlagenbetreiber bewogen, Verträge mit Stromhändlern abzuschließen und den Strom für einen Zeitraum von einem Jahr zu Festpreisen zu vermarkten. „Kein Strommarktexperte kann derzeit absehen, wohin sich die Preise entwickeln. Außerdem führen Festpreise immer wieder dazu, dass Biogasanlagen wieder rund um die Uhr einspeisen. Das ist nicht im Sinne der Energiewende“, bewertet Katja Drinkmann, Key-Account-Managerin beim Flexibilitätsvermarkter Esforin aus Essen dieses. Flexible Biogasanlagen hätten auch bei sinkenden Börsenstrompreisen weiterhin die Chance auf hohe Mehrerlöse, da bei einem höheren Anteil von Solar- und Windstrom auch die Prognoseungenauigkeit steige. Damit bleibe die Chance, bei entsprechend hohen Stromerlösen den kurzfristigen Bedarf zu decken.

Christian Dorfner, Geschäftsführer beim Stromhandelsdienstleister SKVE aus Regensburg, rät dazu, bei neuen Festpreisverträgen die Vertragskonditionen genau zu lesen. Denn dabei ergeben sich oft neue Vertragslaufzeiten, was bei einer kurzfristigen Kündigung problematisch werden könnte.

Er sieht zudem bei Festpreisen die Gefahr, dass der Betrieb nur den Ertrag absichert, die Kosten aber außer Acht lässt „Wir haben bereits dieses Jahr extreme Preissteigerungen bei den Substraten und wissen überhaupt nicht, wo wir nächstes Jahr liegen werden. Festpreise werden dann zu einem immensen Risiko, wenn man seine Kostenstruktur nicht exakt kennt“, warnt er.

Strompreis bleibt hoch

Auch Uwe Welteke-Fabricius glaubt nicht daran, dass sich an der Attraktivität für flexible Anlagen etwas ändern wird – auch, wenn der überhitzte Strommarkt wieder abkühlen sollte:

  • Braunkohlekraftwerke können zwar zu Grenzkosten von etwa 1 ct/kWh Strom produzieren. Aber sie müssen derzeit 10 ct/kWh für CO2-Zertifikate zahlen. Und weil derzeit Kohlekraftwerke vermehrt für Gaskraftwerke einspringen, würden die Zertifikate noch schneller knapp und teurer.
  • Weil mehr Wind- und Solaranlagen gebaut werden, wächst das Angebot in immer mehr Stunden über den Bedarf hinaus und die Preise sinken auf ein Minimum. Dieser Strom wird aber künftig die flexiblen Nachfrager bedienen, wie Batterien, Ladestrom, Wärmepumpen oder Elektrolyseure, um daraus Wasserstoff zu produzieren – z.B. für die Stahlindustrie.

Darum plädiert er dafür, den Weg der Flexibilisierung konsequent weiterzugehen. Mehrerlöse im Strommarkt sollten die Betreiber jetzt nutzen, um den Umbau der Anlagen hin zu Speicherkraftwerken voranzutreiben, aber auch, um das Wärmenetz auszuweiten oder die Rohstoffversorgung auf alternative Substrate umzustellen. „Damit können die Betreiber jetzt die Anlagen fit machen für die Zeiten, in denen Strom an der Börse wieder günstiger wird.“

Neue Kurzstudie zu den Potenzialen von Biogas

Welche Rolle flexible Anlagen künftig spielen können, zeigt auch die Kurzstudie „Rolle von Biogas für ein klimaneutrales, 100 % erneuerbares Stromsystem 2035“ des Deutschen Biomasse­Forschungszentrums (DBFZ) und des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie im Auftrag des Direktvermarktungsunternehmens Energy2market (e2m). Die Studie soll laut e2m als wissenschaftliche Grundlage bzw. als Input für die anstehenden politischen Vorhaben der Bundesregierung rund um die Plattform Klimaneutrales Stromsystem, die Biomasse-Nachhaltigkeitsstrategie und das EEG-Herbstpaket dienen, das auch die Biogasförderung neu ausrichten soll.

Die Studienautoren zeigen darin auf, welches Potenzial Biogas als Substitut für Erdgas im Stromsystem hat und untersuchen die Vor- und Nachteile von Biogas gegenüber konkurrierenden Nutzungspfaden wie Biomethan oder der Rückverstromung aus Wasserstoff. So könnte Biogas auch ohne die Aufbereitung zu Biomethan in der Vor-Ort-Verstromung maßgeblich zur flexiblen Stromproduktion beitragen. Dadurch wären etwa 15 % der Stromerzeugung aus Erdgas ersetzbar.

Bei weiterer Ausweitung der flexiblen Stromerzeugung könnten Biogasanlagen bis zu 46 % der momentan durch Erdgaskraftwerke erzeugten Stromproduktion decken. Während die Vor-Ort-Verstromung in Deutschland bereits in nennenswertem Umfang möglich ist, müsste eine Biomethanproduktion, die den Ersatz von Erdgas auch außerhalb des Stromsektors begünstigt, erst mühsam aufgebaut werden. Dabei lassen sich aber auch mittelfristig nur 3 % des Gesamtbedarfs an Erdgas durch Biomethan ersetzen.

Wasserstoff ist begrenzt

Auch die Wasserstoffverstromung, so geben die Autoren zu bedenken, wird bis 2030 nur eingeschränkt möglich sein, da begrenzt verfügbarer Wasserstoff kurz- und mittelfristig primär in der Industrie und teilweise auch im Verkehr benötigt wird. Nicht zuletzt würde der notwendige Import der benötigten Wasserstoffmengen im Gegensatz zur heimischen Biogasproduktion zu neuen Abhängigkeiten in der Energieversorgung führen.

Förderung nötig, um Rückbau aufzuhalten

Die Studie weist allerdings darauf hin, dass es ohne Anpassung des bestehenden Förderregimes zu einem Rückbau des bestehenden Anlagenparks kommen wird. Hohe formelle Anforderungen, geringe Vergütungssätze, gestiegene Investitions- und Finanzierungsrisiken sowie zunehmender Kostendruck werden als Gründe genannt, warum Betreiber ihre Anlagen stilllegen. Bereits heute sei ein Nettorückgang der installierten elektrischen Leistung und der erzeugten Arbeit zu beobachten.

Damit nicht nur die Strommengen aus Erdgas anteilig ersetzt werden, sondern auch die Qualität der Erzeugung durch Biogas gewährleistet bleibt, müssten zusätzliche Biogaskapazitäten vor allem systemdienlich eingesetzt werden.

Ideen für die Flexibilisierung von Biogasanlagen

Im Anlagenbestand besteht nach Ansicht der Autoren ein erhebliches Potenzial zur weitergehenden Flexibilisierung. Ohne Anpassung des Regulierungsrahmens und einer Abmilderung von Risiken für die notwendigen Investitionen könne dieses aber nur teilweise für das Energiesystem erschlossen werden.

Im Kern dürften trotz der aktuell attraktiven Preissignale auf den Strommärkten für viele Anlagenbetreibende bzw. deren Hausbanken die finanziellen Risiken für weitere Flexibilisierungsmaßnahmen überwiegen und ein wesentlicher Grund für die derzeit geringe Investitionsdynamik in diesem Bereich sein. „Vor allem die Kombination aus der feststehenden Laufzeitbegrenzung der Flexibilitätsprämie für Anlagen, die diese bereits beziehen, zusammen mit der verkürzten Förderdauer von nur zehn Jahren für Bestandsanlagen im Ausschreibungsdesign, erschweren die Abschreibung von zusätzlichen Anlagenkomponenten über deren technische Laufzeit“, heißt es in der Studie.

Die durch das EEG abgesicherten Zeiträume zur Refinanzierung von BHKW, Gas- und Wärmespeicher sind damit gegenüber Neuanlagen bzw. bei erstmaliger Inanspruchnahme der Flexibilitätsprämie deutlich verkürzt. Diese Hemmnisse ließen sich entweder durch eine Anpassung der Flexibilitätsprämie oder eine Angleichung der Vergütungsdauer für Bestandsanlagen auf 20 Jahre beseitigen. Welcher Ansatz dabei den kosteneffizientesten Weg darstellt und ob auch das aktuelle Ver­gütungsniveau ausreicht, um eine nach­haltige Betriebsperspektive für eine relevanten Größenordnung von Anlagen zu sichern, bedarf einer weitergehenden Analyse, so die Autoren.

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