Einloggen / Registrieren

Startseite

Schlagzeilen
Messen & Termine
Themen
Wir für Euch
Sonstiges

Stilllegung 2024 Agrardiesel-Debatte Bürokratieabbau

topplus Erneuerbare Energien

Goldene Zeiten für flexible Biogasanlagen

Die Stromvermarktung war für flexible Biogasanlagen noch nie so lukrativ wie in den letzten Monaten. Das zeigen die Erfahrungen von Praktikern.

Lesezeit: 10 Minuten

Die jüngsten Kapriolen am Strommarkt spülen Biogasanlagenbetreibern aktuell viel Geld in die Kasse: Bis zu 6 ct/kWh konnten flexible Anlagen im Spitzenmonat Oktober 2021 zusätzlich verdienen. Hintergrund sind die hohen Börsenstrompreise, die auf eine Reihe von Ursachen zurückgehen wie z. B. den hohen Erdgaspreis.

„Eine Anlage mit 500 kW, die nur doppelt überbaut ist, kann aktuell bis zu 10.000 € im Monat mehr verdienen. Damit tritt endlich ein, was wir jahrelang prognostiziert haben: Die Flexibilisierung von Biogasanlagen lohnt sich“, sagt Dr. Stefan Rauh, Geschäftsführer im Fachverband Biogas.

Das Wichtigste zum Thema Energie freitags, alle 4 Wochen per Mail!

Mit Eintragung zum Newsletter stimme ich der Nutzung meiner E-Mail-Adresse im Rahmen des gewählten Newsletters und zugehörigen Angeboten gemäß der AGBs und den Datenschutzhinweisen zu.

In der Tat lagen die möglichen Mehrerlöse in der Vergangenheit bei nur 1 bis 2 ct/kWh, teilweise sogar noch ­da-runter. Dazu kamen 1 bis 4 ct/kWh Flexprämie bzw. in der zweiten Vergütungsperiode der Flexzuschlag in ähn­licher Höhe. Bei Investitionen von 1 Mio. € und mehr in Gas- und Wärmespeicher sowie zusätzliche BHKW schreckte das viele Betreiber ab.

Im Sommer 2021 wendete sich das Blatt. Der Monatsmittelwert an der Strombörse ist von 3 auf 18 ct/kWh gestiegen. Besonders lukrativ ist der Fahrplanbetrieb, bei dem die Anlagen zu den Tageszeiten produzieren, an denen der Strompreis besonders hoch ist.

Erfahrungen aus der Praxis

In den folgenden zwei Reportagen schildern wir die Erfahrung von zwei Praktikern, die schon länger bedarfsgerecht Strom erzeugen und jetzt von den hohen Strompreisen profitiert haben:

  • Rainer Weng, Mitgeschäftsführer der Biogas Alerheim OHG (Landkreis Donau-Ries, Bayern) und Sprecher des Vermarktungspools „Bayerisch-Schwaben Nord“ (BSN),
  • Martin Buchholz, Geschäftsführer der BBE Blumendorf Biogas aus Bad Oldesloe (Schleswig-Holstein) und Vorsitzender der Genossenschaft GDGE.

-----

S T R O M V E R M A R K T U N G

Vorsicht beim Überschreiten der Leistung

Die hohen Preise könnten Betreiber dazu verleiten, Strommengen auch über die Höchstbemessungsleistung hinaus zu produzieren. Denn dafür erhalten sie statt der EEG-Vergütung nur den Börsenerlös. Da dieser sehr hoch ist, erscheint das lukrativ. Der Fachverband Biogas gibt aber zu bedenken:

  • Beim Überschreiten der Höchstbemessungsleistung (HBL) muss man zu den höheren Strommarkterlösen gegebenenfalls die Kürzungen der EEG-Vergütung gegenrechnen. Die Clearingstelle-EEG hat dazu einen Hinweis gegeben. Vereinfacht dargestellt: Je mehr die HBL überschritten wird, desto stärker fällt die Kürzung aus.
  • Betreiber sollten die Genehmigungsvorgaben im Blick behalten, damit z. B. die maximal zulässige Rohstoffmenge oder die genehmigte Strom- bzw. Gasmenge nicht überschritten wird

----

R E P O R T A G E 1

„Der Wärmespeicher ist Gold wert“

Die Biogas Alerheim produziert seit dem Jahr 2014 flexibel Strom und Wärme. Ein großer Wärmespeicher, helle Folienhauben und ein individueller Fahrplan waren die Erfolgsfaktoren.

Die erste Zeit nach der Umstellung auf die flexible Fahrweise war für Rainer Weng höchst ungewohnt. „Du kommst morgens auf die Anlage und kein BHKW-Brummen ist zu hören“, erinnert er sich. Zusammen mit seinem Kollegen Wolfgang Gerstmeyr hat er die Anlage der Biogas Alerheim aus dem Jahr 2005 im Jahr 2014 mit zwei zusätzlichen BHKW flexibilisiert. Die Anlage mit 1 MW Bemessungsleistung hat knapp 1,9 MW installiert – ist also etwa doppelt überbaut.

Viele Einschränkungen

„Wir konnten aus verschiedenen Grünen nicht stärker flexibilisieren“, erklärt Weng, der auch Regionalgruppensprecher des Fachverbandes Biogas und einer von fünf Sprechern des Biogaspools Bayerisch Schwaben Nord (BSN) ist, in dem ca. 400 Biogasanlagenbetreiber vertreten sind. Sie vermarkten den Strom über fünf Stromhändler.

Einer der Gründe war der Netzanschluss: Die Anlage liegt am Ende eines kleinen Stromnetzes. „Zudem haben die Behörden bis zu diesem Jahr bei den Gasspeichern nur Viertelkugeln erlaubt“, sagt er. Erst 2021 durften sie auf Drittelkugeln umrüsten.

Neu dazugekommen ist im Jahr 2019 auch der 1 000 m3 fassende Wärmespeicher. „Wir haben eine Trocknungsanlage, die die ganze Zeit rund 1 MW Wärme abnimmt“, erklärt er. Dank des Speichers kann er die BHKW optimal an den Strommarkt anpassen – unabhängig vom Heizbedarf. Der Speicher hat 9 m Durchmesser, ist 16 m hoch und 30 cm dick gedämmt. Die Temperaturdifferenz zwischen der unteren kalten Zone und der oberen Zone beträgt rund 25 °C. Weng geht überschlägig von 1 kWh Wärme pro Grad Differenz und Kubikmeter aus. 1 000 m3mal 25 °C wären bei dem Speicher 25 000 kWh. „Ich kann nur jedem raten: Baut den Wärmespeicher groß genug!“ Der Speicher in Alerheim hat rund eine Viertel Mio. € gekostet.

Ebenfalls hilfreich war ein hydraulischer Abgleich in der seit 2005 kontinuierlich gewachsenen Anlage. „Viele Wärmeströme und Pumpen waren nicht richtig aufeinander abgestimmt. Das hat nicht nur den Stromverbrauch erhöht, sondern auch Wärmeverluste verursacht“, blickt er zurück.

Helle Folien bleiben kühl

Eine weitere Erfahrung, die er gemacht hat: Dunkle Folienhauben erwärmen sich bei Sonneneinstrahlung sehr stark, sodass sich der Luftzwischenraum zwischen äußerer und innerer Membran ausdehnt und das Gasspeichervolumen reduziert. Beim Bau der Drittelkugeln haben die Anlagenbetreiber auf graue Dächer umgerüstet, die das Sonnenlicht wesentlich weniger stark absorbieren.

Fahrplan von Hand

Bei der Stromerzeugung fahren Weng und Gerstmeyr inzwischen nach Fahrplan. Diesen tüftelt Gerstmeyr morgens aus, indem er verschiedene Quellen wie Infos vom Direktvermarkter, Energiemarktdaten, Wetterprognosen usw. auswertet. Ziel ist es, dass die vier BHKW nur bei guten Preisen produzieren.

Die Planung verursacht ca. 30 Minuten Arbeit am Tag. „Anfangs haben wir die BHKW selbst gestartet und gestoppt“, blickt Weng zurück. Das hat sich aber als extrem unpraktisch erwiesen. Immer wieder kam abends etwas dazwischen. Aus seiner Sicht ist es wichtig, dass der Direktvermarkter die BHKW anhand des vorgegebenen Fahrplans aus der Ferne automatisch starten und stoppen kann.

Zusätzlich nimmt die Biogas Alerheim noch am Regelenergiemarkt teil und bietet positive und negative Sekundärregelleistung an. Das versursacht in der Regel einen zusätzlichen Start pro BHKW und Tag. „Es gibt allein für die Bereitstellung der Regelenergie schon gute Erlöse, dazu kommt die Vergütung je kWh, wenn die Leistung abgerufen wird“, schildert Weng.

Neben der Speicherung von Gas und Wärme versuchen die Betreiber auch, mit der Fütterung die Gasproduktion zu steuern. Wenn z. B. die Strompreise für Sonntag schlecht vorhergesagt sind, reduzieren sie schon am Freitagmorgen die Menge der Einsatzstoffe. Gerade im Winter können schnell verdauliche Zuckerrüben helfen, um die Gasproduktion am Sonntag wieder in Gang zu bringen.

Gute Erlöse

In der 49. KW haben die Aler­heimer etwa 2 200 € pro BHKW mehr verdient, wovon noch der Anteil für den Direktvermarkter abgeht. „Und man schafft auch nie ganz genau den Fahrplan. Aber selbst, wenn wir nur 50 % erreichen würden, wären das 1 000 € je BHKW in der Woche gewesen“, rechnet er vor. Im Vergleich da­zu lag der Mehrerlös im Juli noch bei 139 € pro Woche, der Monatsmittelwert lag bei 7,4 ct, im Jahr 2019 waren es nur 3 ct/kWh.

Höhere Kosten

Allerdings hat die Flexibilisierung auch ihren Preis: Die Start- und Stoppkosten der BHKW sind nicht zu vernachlässigen. Insgesamt stiegen mit der zunehmenden Flexibilisierung auch die Wartungskosten. Die flexible Fahrweise ist laut Weng aber dennoch gut für die Branche: „Damit machen wir deutlich, dass die Biogastechnik weiterhin einen sinnvollen Beitrag zur Energieversorgung leisten kann.“

--------

R E P O R T A G E 2

„Mein Rat: Einfach mal abschalten!“

Martin Buchholz beschäftigt sich seit 2014 mit der Flexibilisierung. Er erstellt den Fahrplan für die BHKW anhand des Wärmebedarfs.

Wer nicht flexibilisiert, verliert am Tag mehrere Hundert Euro: Das ist das Resümee von Martin Buchholz nach knapp sieben Jahren Erfahrung mit der bedarfsgerechten Fahrweise. Der Geschäftsführer der BBE Blumendorf Bio-Energie GmbH aus Bad Oldesloe (Schleswig-Holstein) ist gleichzeitig Vorstandsvorsitzender der Genossenschaft Deutscher Grün-Energie Erzeuger (GDGE), die seit 2011 existiert und Strom aus Biogas-, Windenergie- und Photovoltaikanlagen über das Unternehmen Energy2Market vermarktet.

Die Anlage mit drei Satellitenstandorten ist ursprünglich im Jahr 2007 mit 2,1 MW in Betrieb gegangen und wurde 2014 und 2016 auf 5,6 MW (elektrisch) fast dreifach überbaut. Im Betrieb sind acht BHKW, davon vier Jenbacher 312 mit je 526 kW und vier Jenbacher 412 mit je 889 kW. Außerdem existieren vier eigenständige Wärmenetze. „Wir verkaufen mit 15 Mio. kWh fast 80 % der anfallenden Wärme, die eine wichtige Erlöskomponente ist“, erklärt Buchholz. Zu den Abnehmern gehören die lokalen Stadtwerke, die ein Neubaugebiet versorgen. Außerdem nehmen ein Gewerbegebiet, ein Logistikunternehmen sowie ein Kommunalgerätehersteller viel Wärme ab.

Wärmelastgang als Basis

Der Wärmebedarf hat ihn zum Fahrplan für die Stromproduktion gebracht. „Ich habe die Wärmelastgänge im Jahresverlauf als Basis genommen und ermittelt, wie viel Strom ich wann erzeugen muss, um immer genügend Wärme zur Verfügung zu haben“, schildert er das Vorgehen.

Dabei wurde schnell klar: Im Sommer benötigen die Abnehmer nur ein Drittel der Wärme. In der Zeit heizen sie lediglich Räume, verwenden aber kaum Prozessenergie. Das ändert sich im Winter, wo Buchholz zwei Drittel der Wärme zur Verfügung stellen muss. Ergo: Im Sommer muss er die Stromproduktion entsprechend drosseln.

„Das passt gut mit dem Strommarkt zusammen, da wir im Sommer meist wegen der hohen Photovoltaikproduktion weniger Bedarf haben.“ Das zeigt sich anhand der Preise: Im Jahr 2021 waren diese von März bis September zwischen 11.00 und 16.00 Uhr sehr niedrig (siehe rote Flächen).

Nachts stehen BHKW still

Auch im Tagesverlauf lassen sich Strom- und Wärmeproduktion gut aufeinander abstimmen: Während die Wärmekunden von 4.00 bis 19.00 Uhr den höchsten Wärmebedarf haben, sind die Strompreise von 8.00 bis 20.00 Uhr in der Regel höher. „Das bedeutet: Wir können die BHKW nachts einfach abschalten“, erklärt er. Zwar produziert er den Strom dann von 4.00 bis 8.00 Uhr an Standorten ohne Pufferspeicher in den Zeiten, in denen er nicht ganz so viel Erlös bringt. Aber in dem Fall liegt der wirtschaftliche Vorteil im Wärmeverkauf.

Nach diesem Prinzip nimmt er sich eine Stunde pro Woche Zeit, um einen Fahrplan für die kommenden sieben Tage zu erstellen. Dabei bekommt jeder der vier Standorte einen eigenen Fahrplan. Diese erhält der Direktvermarkter, der die BHKW selbsttätig ansteuert.

Der Fahrplan hat im Jahr 2021 im Schnitt 1,26 ct/kWh Mehrerlös gebracht. Dazu kamen 0,85 ct/kWh aus der Regelenergie. Davon muss allerdings noch die Handelsgebühr für den Direktvermarkter abgezogen werden.

Zur Speicherung des Biogases in den Zeiten, in denen die BHKW ruhen, hat er 10.000 m³ unter den Folienhauben zur Verfügung. „Das ist für 2 MW Bemessungsleistung nicht viel, aber es funktioniert“, sagt er.

Zur Gasfüllstandsmessung nutzt er das einfache Seilzugverfahren. Er rät dazu, immer die gleiche Tageszeit zum Messen zu nehmen. Denn gerade in der Übergangszeit im Frühjahr und Herbst kann die Sonne am Vormittag das Ergebnis verfälschen, wenn sie die Haube erwärmt hat und sich das Gas infolgedessen ausdehnt.

Die Erfolgsfaktoren

Zusätzlich haben sich bei der BBE Blumendorf Biogas in den vergangenen Jahren weitere Erfolgsfaktoren für die bedarfsgerechte Stromerzeugung herausgestellt:

  • Die Biologie im Fermenter muss stimmen. Dazu ist eine gleichmäßige und gleichbleibende Fütterung wichtig – auch wenn es im Stall oder auf dem Feld Arbeitsspitzen gibt. Buchholz bestimmt z. B. jeden Tag den TS-Gehalt der gefütterten Rohstoffe, um zu wissen, wie viel Energie er täglich zuführt.



  • Der Direktvermarkter muss automatisch auf die BHKW zugreifen können.



  • Wärmepufferspeicher sind die Voraussetzung, um unabhängig vom Wärmebedarf zu den Zeiten mit den besten Strompreisen produzieren zu können.

Aus seiner Sicht ist die flexible Fahrweise nicht nur ein schönes Zubrot, sondern künftig auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht ein Muss für die Betreiber: „Die Kosten laufen uns sonst davon. Wer sich nach dem EEG-Ende nur auf die Vergütung bei Ausschreibung verlässt, wird mit dem Erlös künftig nicht mehr zurechtkommen“, ist er überzeugt. Würden die Strompreise dagegen so bleiben, könnte die Anlage nach 20 Jahren auch ohne EEG-Vergütung wirtschaftlich sein.

Sein Credo: Anlagenbetreiber sollten sich trauen, die BHKW nachts stundenweise abzuschalten. „Heute können wir den Fahrplanbetrieb lernen. Daher sollten wir in kleinen Schritten anfangen!“

top + Letzte Chance: Nur noch bis zum 01.04.24

3 Monate top agrar Digital + 2 Wintermützen GRATIS

Wie zufrieden sind Sie mit topagrar.com?

Was können wir noch verbessern?

Weitere Informationen zur Verarbeitung Ihrer Daten finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Vielen Dank für Ihr Feedback!

Wir arbeiten stetig daran, Ihre Erfahrung mit topagrar.com zu verbessern. Dazu ist Ihre Meinung für uns unverzichtbar.