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Biogas aus Gülle: Das Gas, das keiner will  

Viele Tierhalter könnten mit ihrer kleinen Güllebiogasanlage mehr Gas produzieren, als für 75 kW nötig ist. Doch sie dürfen nicht – und müssen das Gas abfackeln. Welche Lösungen gibt es dafür?

Lesezeit: 7 Minuten

Renke Backhaus kann die Welt nicht mehr verstehen. In der Nähe seines Betriebes verläuft die neue Gasleitung, in der künftig Erdgas aus Ländern wie Katar fließen soll. Mit dem Gas, das in Form von Flüssigerdgas (LNG) in Wilhelmshaven angelandet, in den gasförmigen Zustand zurückverwandelt und ins Gasnetz eingespeist werden soll, will die Bundesregierung fehlende Lieferungen aus Russland ausgleichen.

Doch das Gas ist nicht nur erheblich teurer als russisches Erdgas, sondern auch klimaschädlich. Wie über 800 weitere Landwirte in ganz Deutschland hätte Backhaus eine heimische, günstigere und vor allem klimafreundlichere Alternative: Biogas auf Basis von Gülle und Mist.

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Und während sich Landes- und Bundespolitiker kürzlich rund 20 km von Backhaus Betrieb entfernt in Wilhelmshaven für die schnelle Errichtung der LNG-Infrastruktur feierten, muss Backhaus immer wieder Gas abfackeln, weil seine Güllekleinanlage zu viel produziert. „Einmal, als die Gasfackel lief, hat mein Nachbar mich gefragt, ob ich ihn nicht beliefern könnte. Denn er kann seine Gasrechnung kaum noch bezahlen. Aber ich darf nicht“, sagt er kopfschüttelnd.

EEG setzt starre Grenze

Hintergrund ist die starre Grenze des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG). Es gewährt Tierhaltern eine Vergütung von rund 25 ct/kWh, wenn sie in einer Biogasanlage mit maximal 75 kW installierter Leistung mindestens 80 % Gülle und Mist vergären. Maximal 20 % des Substrates (bezogen auf das Gewicht) dürfen sie in Form von Energiepflanzen wie Mais dazu geben. Die Anlagen produzieren aus dem Gas im Blockheizkraftwerk (BHKW) Strom und Wärme. Im Jahr dürfen sie nicht mehr als knapp 650.000 kWh Strom ins Netz einspeisen.

Etwas leichter wurde es für Anlagen, die ab 2017 ans Netz gingen. Sie durften bis zu 150 kW installieren, aber nur die Strommenge einspeisen, die sie mit 75 kW produzieren können. Das verschafft ihnen etwas mehr Flexibilität.

Renke Backhaus hat sich im Jahr 2016 für eine reine Güllevergärungsanlage ohne Feststoffzugabe entschlossen. Die Gülle gelangt direkt aus der Vorgrube des Stalls in die Anlage. „Für 75 kW reicht die Gülle von rund 250 Tieren aus. Aber ich habe 600 Kühe und könnte also deutlich mehr Gas produzieren“, sagt er. Doch stattdessen muss sein Nachbar mit ansehen, dass er Gülle und Mist unvergoren auf dem Feld ausbringt.

Großes Einsparpotenzial

„Wir hatten gehofft, dass es zumindest in der jetzigen Krisenzeit Erleichterungen gibt und wir mehr Strom produzieren dürfen“, sagt Eilert Frerichs aus Dringenburg bei Oldenburg, der wie Backhaus eine 75 kW-Anlage aus dem Jahr 2016 besitzt. Auch seine 500 Kühe produzieren weit mehr Gülle, als die Anlage verwerten kann. Er könnte mindestens 150 kW damit erzeugen. Mit dem zusätzlich erzeugten Strom und der Wärme, die er an Nachbarn verkaufen könnte, ließe sich Erdgas einsparen. Mittlerweile hat er WhatsApp-Gruppe mit über 50 Anlagenbetreibern, die das gleiche Problem haben. In Bayern gibt sogar eine Gruppe mit 195 Kleinanlagenbetreibern. Sie alle könnten auf ihren Höfen mehr Strom und Wärme produzieren.

Aktuell gelangt nur 30 % der in Deutschland anfallenden Gülle in Biogasanlagen. Die Bundesregierung hatte sich mit dem Klimaschutzplan das Ziel gesetzt, diese Menge zu erhöhen – vor allem aus Klimaschutzgründen.

In Deutschland stehen aktuell über 9.500 Biogasanlagen, die zusammen rund 10 Mrd. m3 Gas mit einem Energiegehalt von ca. 100 Terawattstunden (TWh) pro Jahr erzeugen – was rund 10 % des deutschen Gasverbrauchs entspricht. Nach einer Studie des Bundesverbandes Erneuerbare Energie (BEE) ließe sich die Produktion auf 200 TWh verdoppeln, allein durch die Vergärung der vorhandenen Gülle- und Abfallmengen und der Nutzung von Grünland und Biodiversitätsflächen. Damit ließe sich die Abhängigkeit von russischen Gasimporten signifikant reduzieren.

Positiv für die Landwirtschaft

Güllekleinanlagen könnten dazu beitragen. Sie haben zudem dem Charme, dass die energiearme Gülle nicht länger transportiert und gelagert werden muss, sondern direkt aus dem Stall in die Anlage gelangt. Das vermeidet klimaschädliche Methanemissionen und erhöht die Gasausbeute. „Wir können auch den Mist sehr gut in der Anlage verwerten und brauchen deswegen kein neues Mistlager zu bauen“, erklärt Carsten Wist aus Wischhafen. Ihm reicht jetzt aber die Gülle der 400 Kühe, den Mist vergärt er nicht mehr in der Anlage.

Dazu kommt: Viele Anlagen brauchen heute weniger Gülle für die gleiche Leistung, als ursprünglich geplant. „Wir hatten mal mit 25 m3 Güllebedarf am Tag kalkuliert, jetzt brauchen wir nur noch 22 m3“ sagt Fiete Strodthoff-Schneider aus Schweiburg. Die Gülle kommt aus dem planbefestigten Stall mit Faltschieberentmistung direkt in die Anlage. „Die Anlage wirft in der Tat mehr Ertrag ab, als die erste Wirtschaftlichkeitsberechnung ursprünglich gezeigt hat“, lautet die Erfahrung von Jan Phillip Doden aus Tengshausen (Gemeinde Wangerland im Landkreis Friesland), der zum Stallneubau für 600 Kühe mit Güllevergärung seine Meisterarbeit geschrieben hat.

Lars Kaper aus Varel hat ebenfalls 2016 einen neuen Stall gebaut, der an die Güllevergärung anpasst ist. „Mit einem einfachen Feststoffeintrag könnte ich auch Futterreste und Mist in die Anlage fahren und damit Reststoffe sinnvoll verwerten“, sagt er.

Hannes Porzelt aus der Nähe von Bad Staffelstein (Bayern) hat anfangs noch den Mist von zwei Nachbarn angenommen. „Ich habe jetzt aber Heizung und Rührwerk im Fermenter so optimiert, dass ich mit der Gülle von 150 Kühen und eigenem Mist die Anlage mit 75 kW auslasten kann. Die Nachbarn bringen den Mist jetzt wieder per Streuer auf dem Feld aus“, erklärt er.

Die Vergärung sorgt auch mit der Kleinanlage für ein stabiles Zusatzeinkommen in der Landwirtschaft. Das hatte viele in den Jahren 2015/16 mit schlechtem Milchpreis motiviert, in die Biogasanlagentechnik zu investieren. Sie sind nicht enttäuscht worden. „Wir bekommen am Tag rund 420 € Einspeisevergütung. Das erhöht die Wertschöpfung, weil das Geld vor Ort bleibt und nicht nach Russland oder Katar fließt“, sagt Backhaus.

Die Güllevergärung würde ebenfalls den Molkereien als Marketinginstrument helfen. "Wir reduzieren mit der Biogaserzeugung den CO₂-Fußabdruck der Milchproduktion erheblich. Vielleicht mündet das auch in einem höheren Auszahlungspreis“, überlegt Backhaus.

Entscheidung bald nötig

Der Zeitpunkt für eine politische Entscheidung wäre jetzt günstig. Denn viele Kleinanlagenbetreiber aus den Jahren 2016 bis 2018 müssen in den nächsten 1 bis 2 Jahren den ersten Motor austauschen, der an sein Lebensende kommt. „Von daher bräuchten wir ein Signal, ob wir eventuell ein BHKW mit mehr Leistung anschaffen sollen“, sagt Kaper.

Was sich die Betriebe wünschen:

  • Die Anlagen müssen mehr Strom als die 75 kW produzieren können. Für den Strom, der über 75 kW hinausgeht, wären sie mit einer geringeren Einspeisevergütung einverstanden.
  • Würden die Betriebe dagegen von dem Kleinanlagenstatus auf eine herkömmliche Anlage wechseln (sofern das rechtlich überhaupt möglich ist), würden sie statt knapp 24 ct/kWh nur noch 11,5 ct/kWh bekommen. „Wir bräuchten aber einen größeren Motor. Wenn wir dann nur noch die Hälfte der Vergütung erhalten, wäre das nicht wirtschaftlich“, erklärt Frerichs.
  • Ganz auf das EEG zu verzichten und den Strom nur noch am freien Markt zu verkaufen erschien 2022 aufgrund des hohen Preisniveaus kurzzeitig für möglich. „Aber das EEG ist für uns eine Absicherung nach unten und auch für die Banken sehr wichtig für die Finanzierung“, sagt Porzelt.
  • Eine Alternative wäre es, wenn sie einen Teil des Stroms im eigenen Betrieb verbrauchen und damit die Stromrechnung senken könnten, ohne dass diese Menge auf die 75 kW angerechnet wird. Das ist aber derzeit nicht möglich, da nicht die ins Stromnetz eingespeiste Menge, sondern die erzeugte Strommenge als Basis genommen wird.
  • Wichtig wäre auch mehr Flexibilität in der Erzeugung. „Es gibt große Schwankungen je nach Input. Da wäre es gut, wenn man die Stromproduktion etwas flexibler handhaben könnte“, sagt Hannes Porzelt. Der Biobetrieb hat viele Auslaufflächen für die Kühe. Wenn es viel regnet, gelangt wässrige Gülle in die Biogasanlage mit entsprechend weniger Gasausbeute. In der Region Oberfranken kann es aber auch mal acht Wochen lang nicht regnen, was die Gülle dann sehr trocken macht. „Zudem gibt es Unterschiede, ob man trockenen Pferdemist oder nassen Rindermist vergärt“, musste er erfahren.

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