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Hitzige Diskussion um die Zukunft der Biogasbranche

Hat die Biogasbranche eine Zukunft? Darüber diskutierten Vertreter aus Politik, Wissenschaft und Praxis auf der Jahrestagung Biogas in Nürnberg.

Lesezeit: 8 Minuten

„Würden Sie überhaupt noch jemanden raten, in die Biogasproduktion einzusteigen?“ Die Frage von ARD-Redakteur Andreas Neumann an das mit Vertretern aus Wissenschaft, Politik und Praxis besetzte Podium war provokant, aber berechtigt. Zuvor hatten fast alle Redner auf der Jahrestagung des Fachverbandes Biogas in kurzen Statements ein eher düsteres Zukunfts-Szenario für die Branche gezeichnet. Und so mochte Mitte der Woche in Nürnberg auch so recht keiner die Frage mit einem eindeutigen Ja beantworten.


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Lediglich der Präsident des Fachverbandes, Horst Seide, wurde konkreter: „Mit Biogas kann man nach wie vor Geld verdienen.“ Über den Erfolg bestimme aber nicht nur die Politik, die die Rahmenbedingungen festlege, sondern in erster Linie der Betreiber selbst. Das sei schließlich bei anderen Betriebszweigen in der Landwirtschaft nicht viel anders. Es gebe aber einen entscheidenden Unterschied: Für die meisten Landwirte ist und war die Biogasproduktion nicht Bestandteil ihrer Ausbildung. Und da sich zudem die Einkommen in der Agrarwirtschaft erholt hätten, sei derzeit der Anreiz, sich mühsam in die Biogasproduktion einzuarbeiten, nicht sehr groß.


Neuanlagen nicht gewünscht


Dr. Gerd von Laffert aus dem Bayerischen Wirtschaftsministerium, der an den Koalitionsverhandlungen in Berlin als Vertreter der CSU beteiligt war, fügte hinzu: Ziel der nächsten Reform sei ohnehin nicht der Neubau von Anlagen. Vielmehr wolle die Regierung die Produktion der Altanlagen an die Bedürfnisse des Strommarktes anpassen. So sollen diese beispielsweise verstärkt dann Strom erzeugen, wenn wenig Solar- und Windkraftstrom in die Leistungen fließt oder zur Spannungserhaltung in den Leitungen beitragen. Experten sprechen auch von Direktvermarktung oder flexibler Fahrweise.



Seide ist davon überzeugt, dass die Bioreaktoren langfristig sogar fossile Kraftwerke, die derzeit noch überwiegend diese Aufgaben übernehmen, nach und nach aus dem Wettbewerb drängen werden – und das zu den gleichen Kosten wie herkömmliche Kraftwerke. Das zumindest belege eine Berechnung des Bundesumweltministeriums.



„Das ist richtig und sicherlich kann die Branche mit der Direktvermarktung einen zusätzlichen Markt erobern, aber die Einnahmen daraus sind ein Tropfen auf dem heißen Stein“, sagte Prof. Dr. Uwe Leprich von der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Saarbrücken. Denn der Umsatz dieser Dienstleistungen beträgt nur rund 1 Milliarde Euro pro Jahr. "Das rettet nicht die angeschlagene Biogasbranche“, so das Fazit des Experten. „Hier muss die Branche ehrlich zu sich selbst sein“, fügte er hinzu.


Zweifel an der Direktvermarktung


Leprich hält ohnehin nicht jede Form der Direktvermarktung für eine sinnvolle Maßnahme. So können Biogaserzeuger beispielsweise negative Energie bereitstellen. Das heißt, wenn in Deutschland mehr Strom erzeugt als nachgefragt wird, schalten sie ihre Anlagen ab. Für den „nicht erzeugten Strom“ wird an der Börse sogar ein Preis gezahlt. Für den Wissenschaftler unfassbar, dass sich ein Land wie Deutschland es überhaupt erlauben kann, wertvolle Anlagenleistung abzuschalten und dafür noch zu zahlen.


Ziel der Branche müsse es stattdessen sein, möglichst viel Strom zu erzeugen und die dabei anfallende Wärme zu nutzen. Er begrüßte daher auch das Ziel der neuen Bundesregierung, die Kraft-Wärme-Kopplung weiter auszubauen. Im Jahr 2020 solle diese einen Anteil von 25 % an der Stromproduktion haben. Derzeit sei man von diesem Ziel noch weit entfernt (etwa 16 %). Leprich sieht darin im Übrigen ein wichtiges Signal. Die Regierung werde den neuen Energien in der anstehenden EEG-Reform vermutlich nicht das Wasser abgraben. Denn irgendwie müsse man die Ziele schließlich auch erreichen können.



Die Branche sollte unabhängig davon aber noch stärker als bislang, die volkswirtschaftlichen Effekte der Biogasproduktion betonen und sich möglichst auch vergüten lassen. Als Beispiel nannte er zum Beispiel die Klimagasreduktion durch die Güllevergärung und die Entwicklung der ländlichen Räume, weil die Wertschöpfung durch die Biogasproduktion vor Ort erhöht werde.


Greening als Chance für die Branche


Das Biogas noch auf ganz andere Art und Weise als Problemlöser in Erscheinung treten kann, machte Seide an einem Beispiel deutlich. Künftig fallen beispielsweise 5 % der landwirtschaftlichen Fläche in das so genannte Greening. Das heißt: Auf diesen Flächen dürfen keine typisch landw. Kulturen wie Mais oder Getreide angebaut werden. Stattdessen sind Pflanzen erlaubt, die die biologische Vielfalt und den Bodenschutz fördern. „Was soll aber ein Schweinhalter mit einer Blumenwiese anfangen“, fragte Seide provokant. Sein Vorschlag: Biogaserzeuger sollten den Aufwuchs in ihren Anlagen vergären.



Allerdings ist nach wie vor nicht klar, welche Rolle Energiepflanzen künftig überhaupt in der Biogasproduktion spielen werden. Denn deren Einsatz ist in die Kritik geraten. Für Gesprächsstoff sorgte daher auch eine Vereinbarung im Koalitionsvertrag. Dort heißt es: Biogas soll künftig überwiegend aus Rest- und Abfallstoffen erzeugt werden. Was genau damit gemeint, wisse derzeit keiner. Fest stehe aber: Der Anteil von Energiepflanzen in Biogasanlagen will die Regierung deutlich reduzieren. Sollte diese Vorgabe allerdings – in welcher Höhe auch immer – auf jede einzelne Anlage bezogen werden, könnte die Branche vor Schwierigkeiten stehen, erklärte Seide. Weniger problematisch sei die Maßgabe, wenn der Einsatz der Energiepflanzen deutschlandweit bewertet werde.


Biogasbranche darf sich nicht selbst belügen


Einig waren sich die Teilnehmer, dass die teils emotionsgeladene Diskussion um Biogas versachlicht werden muss. „Dazu gehört aber auch, dass die Erneuerbaren-Energien-Branche sich nicht selbst belügt“, so von Laffert. Anders als von der Ökostrom-Lobby vielfach behauptet:


  1. steigen aus seiner Sicht die Kosten durch die Energiewende,
  2. kann Deutschland sich nicht vom EU-Strommarkt abkoppeln und muss seine Gesetze daher mit den anderen Mitgliedsländern abstimmen,
  3. wird Erdgas auf absehbare Zeit nicht teurer werden, eher etwas günstiger. Daher werde Biogas nicht automatisch mit den Jahren wettbewerbsfähig im Vergleich zu den fossilen Energien und

  4. obschon die Verbraucher immer öfter Strom sparen oder effizienter einsetzen, werde der Verbrauch nicht kaum sinken, da immer mehr elektronische Geräte in die Haushalte Einzug halten und die gesamte Energiewende immer stärker auf den Umstieg auf Strom ausgelegt ist – z.B. bei der Elektromobilität.
Horst Seide nahm vor allem den dritten Punkt zum Anlass für einen gezielten Konter in Richtung von Laffert: Die klassische Energiewirtschaft müsse sich ebenfalls einer Lüge entledigen – nämlich, dass die Erdgasverstromung kaum Kohlendioxid ausstoße. „Das ist auch eine Lüge.“ Und solange die Kosten für die CO2-Zertifikate so gering seien, könne von einem fairen Wettbewerb auch gar keine Rede sein.


Industrie in die Pflicht nehmen


Lauter wurde es in der Runde auch, als die von Laffert angesprochenen Kosten der Energiewende angesprochen wurden. Prof. Dr. Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung forderte, die Industrie stärker als bislang in die Pflicht zu nehmen. Bislang können sich diese von der EEG-Umlage befreien lassen, über die die Kosten der Energiewende abgerechnet werden. Zwar hat der Staat hierfür strenge Regeln erlassen, allerdings ist die Zahl der Firmen, die von der Ausnahme-Regelung profitieren, in den vergangenen Jahren sprunghaft angestiegen.



Grundsätzlich sei es richtig, stromintensive Betriebe, die im internationalen Wettbewerb stehen, von den Kosten der Energiewende zu befreien, so Kemfert. Es sei aber zumindest Zweifel angebracht, ob jedes von der Umlage befreite Unternehmen auch darauf angewiesen sei. „Im Schnitt machen die Ausgaben für Strom etwa 5 % an den Gesamtkosten einer Produktion aus“, so die Wissenschaftlerin. Zudem profitiere die Industrie von den niedrigen Preisen an der Strombörse. Die Regierung sei daher gut beraten, die Ausnahmen noch einmal kritisch zu prüfen.



Die Firmen würden auch nicht ins Ausland abwandern, wenn die Regierung die Hürden für die Umlage-Befreiung deutlich höher ansetzen sollte. „In der Regel verlegen Firmen ihren Stammsitz aus anderen Gründen, zum Beispiel, um im Ausland präsent sein“, so Kemfert. „Die Betriebe, die am lautesten klagen, gehören oft zu den größten Profiteuren der Ausnahmen."


Die EU muss handeln


Kemfert ist nicht nur das Industrie-Privileg ein Dorn im Auge. Der niedrige Börsenstrompreis sei ebenso für die steigenden Kosten verantwortlich. Da der in Deutschland erzeugte Ökostrom überwiegend an der Börse vermarktet wird, sind die Einnahmen daraus derzeit sehr gering, was wiederum die Ausgaben für die Energiewende erhöht. Das liege nicht zuletzt an einem komplizierten Berechnungsmechanismus, sondern auch an den zu geringen Zertifikate-Preisen für den Ausstoß von Kohlendioxid. Dadurch sei die Kohleverstromung relativ günstig, was wiederum den gesamten Strompreis drücke. „Wir haben derzeit einen Überschuss an Kohlestrom. „Mit der Energiewende kann aber nicht die Kohleverstromung gemeint sein“, sagt sie. Hier müsse vor allem die EU, die für den Handel mit den Zertifikaten zuständig ist, endlich handeln.



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