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Koalitionsvertrag: Neustart für die Energiewende?

Die neue Ampelkoalition will viele Fehler und Versäumnisse der vergangenen Regierungen bei der Energiewende korrigieren. Damit ergeben sich neue Chancen für die Landwirtschaft.

Lesezeit: 8 Minuten

Viel Lob erhalten die Ampelparteien von verschiedenen Verbänden der erneuerbaren Energien für den Koalitionsvertrag. „Die Pläne kommen einem Neustart in der Energiepolitik gleich. Damit findet die neue Regierung zu einer schmerzlich vermissten Ernsthaftigkeit zurück und will Herausforderungen anpacken“, resümiert beispielsweise Dr. Simone Peter, Präsidentin des Bundesverbandes Erneuerbare Energien (BEE).

Hier ein paar Beispiele dafür, was die Regierung plant:

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  • Der Anteil der erneuerbaren Energien im Strommarkt im Jahr 2030 soll 80 % ausmachen. Die scheidende Regierung hatte nur 65 % angepeilt. Bis 2030 soll möglichst auch der Kohleausstieg erfolgt sein.
  • Bioenergie: Die Koalitionäre wollen u. a. eine nachhaltige Biomassestrategie erarbeiten.
  • Photovoltaik: Bis 2030 sollen 200 GW Leistung installiert sein. Dazu will die Ampelkoalition eine Solarpflicht für gewerbliche Neubauten einführen, Vergütungssätze anpassen und prüfen, ­inwieweit Deckel und Ausschreibungspflichten wieder entfallen können. ­Agriphotovoltaik soll weiter gestärkt werden.
  • Windenergie: Für sie will die künftige Regierung 2 % der Landesfläche ausweisen und das Ziel im Baugesetzbuch verankern. Auch in weniger ­windreichen Regionen sollen mehr Windräder entstehen. Zudem sollen das Repowering einfacher werden, Antikollisionssysteme beim Artenschutz helfen und Abstände zu Radarstationen sinken.
  • Altanlagen: Betreiber sollen den Strom künftig leichter regional vermarkten können.
  • Bürgerprojekte: Die angeschlossenen Haushalte sollen den Strom künftig selbst nutzen können. Gleichzeitig will die neue Regierung die DeMi­nimis-Regelung ausschöpfen. Das könnte u. a. dazu beitragen, dass kleinere Bürgerwindparks nicht mehr am Ausschreibungssystem teilnehmen müssten.
  • Wärme: Sie soll bis 2030 zu 50 % klimaneutral sein.
  • Wasserstoff: Die künftige Regierung will bessere Rahmenbedingungen und mehr heimische Produktion: Ziel sind 10 GW Elektrolyseleistung bis 2030.

Paria-Ziele verfehlt

Auch, wenn diese Pläne deutlich ambitionierter sind als die der Regierungen der vergangenen 16 Jahre, könnten sie nicht ausreichen, um die verpflichtenden Pariser Klimaziele zu erreichen – vor allem nicht, um die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, wie es die Staatengemeinschaft 2015 in Paris beschlossen hat. Das ist das Ergebnis einer Studie der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW Berlin). „Um überhaupt auf den Pfad des Pariser Klimaschutzziels zu kommen, ist mindestens die doppelte Photovoltaikleistung erforderlich“, mahnt Prof. Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme an der HTW ­Berlin und Mitautor der Studie. Die Wissenschaftler halten einen stärkeren Ausbau von etwa 45 Gigawatt pro Jahr bis 2027 für nötig.



Die Ergebnisse verdeutlichen, dass auch an einem starken Windkraftausbau mit 200 Gigawatt an Land und 70 Gigawatt auf See kein Weg vorbeiführe. Klar sei auch: Die Energiewende sei in der Kürze der Zeit ohne grünen Wasserstoff nicht mehr realisierbar. Dessen Bedarf sei umso höher, je länger Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor fahren und Gebäude konventionell beheizt würden.

Aus Effizienzgründen sei eine rasche Elektrifizierung des Verkehr- und Wärmesektors unumgänglich. Die Autoren der Studie rechnen mit 31 Mio. Elektroautos und 12 Mio. Wärmepumpen im Jahr 2035. Voraussetzung hierfür: Ab 2025 dürften keine neuen Benzin- und Dieselautos sowie Öl- und Gasheizungen in Deutschland mehr verkauft werden. 

Andere Interpretationen



Doch das ist nur ein möglicher Weg: Der Koalitionsvertrag lässt viel Spielraum für Spekulationen und Ideen, wie sich die Klimaziele erreichen lassen. Aber nicht nur das: Bei der Bewertung der richtigen Strategie spielen auch Energiekosten, Versorgungssicherheit, Importabhängigkeit oder der Zeitraum eine Rolle, wie schnell welcher Energieträger zur Verfügung steht. So schlägt beispielsweise der BEE vor, Erdgasheizungen nicht nur durch Wärmepumpen, sondern auch durch heute verfügbare Alternativen wie Solarwärme, Bioenergie und Geothermie zu ersetzen. Dafür wären aber neue Heizungen nötig.



Einen anderen Weg schlägt die konventionelle Energiewirtschaft vor. Der Wirtschaftsverband en2x (früher Mi­neralölwirtschaftsverband) drängt z. B. darauf, bestehende Heizungen zu erhalten und mit „grünen“ Alternativen zu beheizen. Das könnten flüssige Energieträger sein, die auf Basis von grünem Strom hergestellt werden (sogenannte E-Fuels).



Gasnetz als Rückgrat



Der Deutsche Verein des Gas- und Wasserfachs (DVGW) dagegen sieht die ­Zukunft in klimaneutralen gasförmigen Energieträgern als teilweisen Ersatz für Erdgas. Dazu zählt der Verein z. B. die Beimischung von Wasserstoff ins Erdgasnetz. Als Grund nennt der DVGW die enormen Mengen, die klimaneutral sein müssen: Von 1 300 Terawattstunden (TWh) Erdgasverbrauch in Deutschland nutzen private Haushalte zum Heizen rund 600 TWh.



Der DVGW hält einen Mix aus alternativen Gasen und neuen Technologien wie Brennstoffzelle, Hybridheizungen oder Brennwertgeräte zum Einsatz auch mit Wasserstoff für sinnvoll. Eine reine Konzentration auf die elektrisch betriebene Wärmepumpe sei falsch. Zu den Gas-Alternativen zählt der Verein Biomethan und Synthesegas. Biomethan könnte weiterhin aus Energiepflanzen und landwirtschaftlichen Reststoffen hergestellt werden, wobei der DVGW die Gaseinspeisung für effizienter als die Stromerzeugung hält.

Anlagen, die das Ende der EEG-Laufzeit erreichen, sollten demnach auf Gaseinspeisung umrüsten. Weiteres Potenzial sieht der DVGW darin, das im Biogas enthaltende CO2 mit Wasserstoff zu Methan zu synthetisieren und so den Methangehalt zu verdoppeln. Eine dritte Säule wären Synthesegase aus der Vergasung von fester Biomasse wie Holz. Insgesamt könnte Deutschland damit 300 TWh „grünes“ Methan herstellen und die Hälfte der 600 TWh Erdgas im Wärmesektor ersetzen.



Streit um Wasserstoff



Ebenso umstritten wie die künftige Wärmeerzeugung ist die Wasserstoffwirtschaft. Die Ampelkoalition will die Produktion von „grünen” Wasserstoff in Deutschland fördern. Für einen „schnellen Hochlauf und bis zu einer günstigen Versorgung mit grünem Wasserstoff“ will die Koalition aber auf eine technologieoffene Ausgestaltung der Wasserstoffregulatorik setzen. Die Versorgung soll sowohl über die heimische Produktion als auch durch Importe sichergestellt werden.



Der DVGW sieht darin ein Dilemma: Die geplante Elektrolyseleistung von 10 GW würde ausreichen, um 28 TWh Wasserstoff herzustellen. Das wären aber nur 3 % des heutigen Erdgasabsatzes in Deutschland. Der fehlende Bedarf könnte über Importe gedeckt werden. Der DVGW schlägt als Alternative vor, „türkisen“ Wasserstoff mithilfe der Methanpyrolyse aus Erdgas zu erzeugen. Dabei entsteht Wasserstoff und fester Kohlenstoff, der sich ebenfalls nutzen lässt. Da kein CO2 abgegeben wird, sei dieses Verfahren auch treibhausgasneutral.

Es benötigt laut DVGW für die gleiche Wasserstoffmenge nur ein Achtel des Strombedarfs der Elek­trolyse. Und Erdgas stehe – anders als erneuerbarer Strom – nahezu unbegrenzt zur Verfügung, weshalb die Produktion in großen Mengen anlaufen könnte. Da die Koalitionäre „Technologieoffenheit“ vereinbart haben, sieht der Verein durchaus Chancen, dass auch Wasserstoff aus Erdgas zum Zuge kommen wird.



Umstrittene Verkehrswende



Sehr vage bleibt der Koalitionsvertrag bei der Verkehrswende. Deutschland soll u. a. Leitmarkt für die Elektromobilität werden. Im Jahr 2030 sollen auf deutschen Straßen etwa 15 Mio. Elektro-Pkw fahren. Allerdings gibt es keinen Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor, wie vielfach gefordert. Im Vertrag heißt es dazu sehr allgemein, dass vor 2035 nur noch „CO2-neutrale Fahrzeuge“ bzw. nur mit E-Fuels betankbare Fahrzeuge zugelassen werden sollen.



Auch diese Passage lässt viel Gestaltungsspielraum. „Um die großen Herausforderungen gerade im Transportsektor anzugehen, ist ein technologieoffener Ansatz nötig. Dazu müssen wir den Verbrennungsmotor an nachhaltig erzeugte Biokraftstoffe weiter anpassen“, fordert Detlef Kurreck, Vorsitzender der Union zur Förderung von Öl- und Proteinpflanzen (UFOP). Dies stärke auch die heimische Eiweißversorgung – ein wich­tiges Element der im Koalitions­vertrag angekündigten Weiterentwicklung der Eiweißpflanzenstrategie. Kurreck zielt darauf ab, dass bei der Produktion von Rapsöl bzw. Biodiesel Rapsschrot anfällt, der in der Tierfütterung eingesetzt werden kann. Das Gleiche betrifft Schlempe, die bei der Ethanolproduktion übrigbleibt.



Auch der DVGW sieht in der Elektromobilität nur eine Teillösung. Der Verein hält es für wichtig, im Schwerlastverkehr konsequent auf Flüssiggas (LNG bzw. Bio-LNG auf Basis von Biomethan) und Wasserstoff zu setzen, wie es unsere Nachbarländer auch tun. Die Forderung der Koalitionäre nach CO2-neutralen Fahrzeugen würde einen Mix aus Biomethan, Bio-LNG, erneuerbarem Wasserstoff, erneuerbaren Strom und E-Fuels möglich machen.



Chancen für Landwirte



Als Resümee lässt sich festhalten, dass der Koalitionsvertrag viele Perspektiven enthält, die es in den vergangenen zehn Jahren so nicht mehr gab. Erleichterungen beim Bau von Wind- und Solarparks, beim Eigenverbrauch von Solarstrom oder bei der Vermarktung von Strom aus ausgeförderten Anlagen käme auch der Landwirtschaft zugute. Dazu ergeben sich viele Möglichkeiten, die Stromproduktion mit der Erzeugung von Wasserstoff zu verbinden – einem in Zukunft sehr gefragten Produkt. Besonders breit sind die Chancen in der Biogasproduktion, die in vielen Bereichen neuen Aufwind verspürt, wie der Fachverband Biogas zusammenfasst: „Nach Jahren der Stagnation bieten sich für die Betreiber von Biogasanlagen neue Perspektiven. Neben der flexiblen Strombereitstellung wird Biogas bei der Wärmeversorgung und der Mobilität gebraucht, bei der Güllevergärung, für die Artenvielfalt und auf dem Feld der Grünen Gase.“

Ob und wie schnell sich diese Potenziale heben lassen, wird jetzt davon abhängen, wie die neue Regierung die Pläne in die Tat umsetzt. Da bis zum Jahr 2030 nur noch acht Jahre bleiben, müsste es schon 2022 einen deutlichen Ruck geben mit neuen Gesetzen, Förderprogrammen und vor allem dem Bürokratieabbau.

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