In vielen Kommunen werden gerade Machbarkeitsstudien für die künftige Wärmeversorgung erstellt. Nicht immer sind die beauftragten Organisationen neutral oder vom Fach. Welche Fehler bei der kommunalen Wärmeplanung gemacht werden können und wie diese auch sinnvolle Wärmenetze verhindern können, erklärt im top agrar-Interview Markus Euring, Geschäftsführer beim Wärmenetzspezialisten Enerpipe und Vorstand einer Nahwärmegenossenschaft.
Bietet die kommunale Wärmeplanung für die Bioenergie neue Chancen?
Euring: Im Prinzip ja. Aber der Zwang zur kommunalen Wärmeplanung ist Fluch und Segen zugleich. Positiv ist, dass damit die Kommunen und Bürger auf Themen wie Energiewende oder klimaneutrales Heizen hingewiesen werden. Negativ sehe ich, dass jetzt in sehr kurzer Zeit viele, zum Teil auch unerfahrene Planer Machbarkeitsstudien erstellen müssen. Sie teilen Lösungen anhand von Kennwerten aus Tabellen, z.B. bezüglich Wärmedichte, Rohrleitungs- oder Wärmeerzeugungskosten von einzelnen Technologien ein. Auf der Basis sollen Kommunen dann entscheiden, ob eine Nahwärmeversorgung oder eine Einzelversorgung sinnvoller ist.
Wo sehen Sie darin genau das Problem?
Euring: Pauschale Werte sind sehr kritisch zu sehen. Beim Preis je kWh kommt es z.B. auf den Betreiber des Nahwärmenetzes an: Ein Energieversorger hat ganz andere Renditeerwartungen als eine Bürgerenergiegenossenschaft. Zudem ist der Rohrleitungstiefbau im dichtbesiedelten urbanen Raum viel teurer als auf dem Lande. Am Ende kommt es nicht nur darauf an, wer die Zahlen der Machbarkeitsstudie erhebt, sondern auch, wer sie interpretiert.
Können Sie an einem Beispiel erläutern, wie man bestimmte Kennzahlen falsch interpretieren kann?
Euring: Ja, gerne. Wir haben in meinem Heimatort Bastheim im Norden von Bayern mit einer Bürgerenergiegenossenschaft ein Wärmenetz umgesetzt. Der Ort hat eine Fläche von 29 ha, die Trassenlänge beträgt 5.100 m. In den Machbarkeitsstudien ist eine wichtige Kennzahl die Wärmedichte pro Hektar und die Belegungsdichte pro Meter Wärmenetz. Bei uns kommen wir auf eine Wärmedichte von 75 MWh/ha und Jahr sowie auf eine Belegungsdichte von 430 kWh/m und Jahr. Würde man jetzt eine Standardtabelle nehmen wie nach dem offiziellen Leitfaden für Kommunale Wärmeplanung aus Baden-Württemberg, dann die Wärmedichte maximal für ein Wärmenetz im Neubaugebiet geeignet, unsere Belegungsdichte würde grundsätzlich gegen ein Nahwärmenetz sprechen. Und es gibt viele weitere Kennzahlen, die für die Entscheidung pro und kontra Wärmenetz herangezogen und falsch interpretiert werden. Außerdem wissen die Konzepthersteller ja beim Erstellen der Studie oft gar nicht, wer am Ende das Wärmenetz mit welchen Interessen betreibt. Das Problem ist, dass sich damit ein Bürgermeister, der keine Lust auf die Umsetzung eines Wärmenetzes hat, vor den Gemeinderat stellen und sagen kann: ‚Wir haben es geprüft, es geht leider nicht.‘
Wovon ist es denn Ihrer Meinung abhängig, ob sich ein Wärmenetz rechnet?
Euring: Neben der angesprochenen Betreiberform und der Anschlussquote beeinflussen auch die Baukosten und die Energiequelle die Wirtschaftlichkeit bzw. den Wärmepreis. Bei diesem gibt es drei Komponenten: Einmalzahlung als Anschlussgebühr (sie kann nach aktuellem Stand zwischen 8.000 und 20.000 € pro Anschluss liegen), einer Grundgebühr (20 bis 100 €/Monat) und dem eigentlichen Wärmepreis, der zwischen 5 und 17 ct/kWh liegen kann. Die Kostenblöcke beeinflussen sich gegenseitig. Wenn man z.B. eine höhere Anschlussgebühr hat, ist der Eigenkapitalstock höher, man muss weniger Geld aufnehmen und hat damit geringere Zinskosten. Damit würden dann Grundgebühr und Wärmepreis sinken. Der Wärmepreis hängt aber auch von der Wärmequelle ab wie z.B. die Abwärme einer Biogasanlage oder einem Holzheizwerk. Und muss ich die Energiezentrale neu bauen? Außerdem spielen die Tiefbauarbeiten eine Rolle, die je nach örtlichen Gegebenheiten zwischen 50 und 1.500 €/m schwanken können. Wichtig ist also, dass man auch bei einer niedrigen Energiedichte pro Hektar positive Effekte haben kann, die eine Wirtschaftlichkeit ermöglichen können.
Wie ist das jetzt bei Ihnen in Bastheim gelaufen?
Euring: Wir beziehen im Sommer und im Übergang Abwärme einer örtlichen Biogasanlage, aber im Winter benötigt der Biogasanlagenbetreiber für sein eigenes Wärmenetz mit 14-Häusern die Wärme komplett selbst. Deswegen haben wir ein neues Heizhaus mit Biomasseheizanlage und Wärmepufferspeicher gebaut. Alle Arbeiten wurden an externe Firmen vor Ort vergeben. Laut Tabelle hätten wir bei unserer dörflichen Struktur mit Leitungskosten von 1.200 €/m rechnen müssen. Wir sind aber nur auf Kosten von 400 €/m gekommen. Dabei hat die Bürgerenergiegenossenschaft jetzt 10.000 € als Anschlussgebühr, eine Grundgebühr von 40 €/Monat sowie 10,2 ct/kWh als Wärmepreis vereinbart. Wären die Leitungskosten mit 800 €/m für Rohr- und Tiefbau doppelt so hoch gewesen, müsste der Wärmepreis bei 18,3 ct/kWh liegen. Mit einem teureren Wärmeerzeuger oder einem Energieversorger als Betreiber wären es schnell über 20 ct/kWh gewesen. Schon da hätte wahrscheinlich kaum noch Kunden mitgemacht.
Wen könnten Anlagenbetreiber ansprechen, um ein Projekt umzusetzen?
Euring: Am sinnvollsten ist es, einen Umsetzungspartner zu haben, der die ganze Bandbreite von der Planung und Projektierung bis zur Wärmeerzeugung beherrscht. Es muss auch jemand sein, der sich mit der Planung im ländlichen Raum auskennt, nicht nur in Ballungszentren. Sinnvoll ist es zudem, frühzeitig den Bürgermeister einzubeziehen, wenn dieser dem Thema aufgeschlossen ist. Sollte es dagegen absehbare Vorbehalte geben, kann es sinnvoll sein, erst mit einem erfahrenen Planer auf die Verwaltung zuzugehen. Genauso sollte der Betreiber Kontakt zu Bürgervertretern aufnehmen. Denn wenn Energieerzeugung und Wärmeverkauf in zwei verschiedenen Händen liegen, ist die Akzeptanz größer. Feststeht: Die Kommunikation ist bei dem sensiblen Thema unglaublich wichtig. Einen Königsweg gibt es dafür nicht.
Sehen Sie in dem Hype um Wärmepumpen eine Konkurrenz ?
Euring: Eine Wärmepumpe ist ideal bei Neubauten, wenn man z.B. einzelne Häuser hat, die zu weit weg vom Wärmenetz stehen. Oder wenn ältere Häuser flächendeckend auf Niedertemperatur ausgelegt sind, kann eine Wärmepumpe sehr gut funktionieren. Es wäre aber falsch, sie pauschal als Lösung für alles anzupreisen. Wirklich sinnvoll kann eine Großwärmepumpe in einer Heizzentrale sein, um dort auch Überschussstrom von Windparks zu nutzen, die ansonsten bei wenig Verbrauch vielleicht abgeregelt werden müssten.
Wie bewerten Sie die Chancen von Post-EEG-Biogasanlagen?
Euring: Die Chancen sind sehr gut. Aber zukunftsweisend sind vor allem flexibilisierte Anlagen, die im Sinne der Sektorenkopplung betrieben werden können. Das heißt, durch zusätzliche BHKWs und größere Gas- und Wärmespeicher können die Biogasanlagen wesentlich effizienter betrieben werden. Allerdings kommt es immer auf die Konstellation vor Ort und die Erwartungshaltung des Betreibers an. Gerade bei Anlagen, die in die Verlängerung gehen und weniger Stromerlös bekommen als früher, wünschen sich die Betreiber einen höheren Wärmepreis, um die Rückgänge beim Stromerlös sowie steigende Kosten und die Inflation zu kompensieren. Aber hier muss man deutlich unterscheiden, ob die Biogasanlage eine Vollversorgung anbietet oder nur einen Teil der Wärmeversorgung abdeckt. Wenn der Betreiber der Biogasanlage bei unserem Projekt in Bastheim für die Wärme wesentlich mehr verlangen würde, als wir für die Hackschnitzel bezahlen müssen, dann wäre es wirtschaftlich nicht darstellbar gewesen. Kurz gesagt: Höhere Wärmeerlöse sind aus der Biogasanlage prinzipiell möglich, aber nur, wenn der Betreiber eine Vollversorgung anbietet, die den gesamten Wärmebedarf auch zu Spitzenzeiten abdeckt.
Welche Wärmeerzeuger kommen aus Ihrer Sicht noch infrage?
Euring: Aus meiner Sicht liegt die Zukunft in hybriden System, bei denen verschiedene Quellen zum Einsatz kommen. Dazu gehört auch die Sektorkopplung, also die Wärmeerzeugung aus Strom z.B. von Windparks. Die optimale Lösung hängt immer von den Gegebenheiten vor Ort ab. Sind viele Windräder vorhanden, kann eine Power-to-Heat-Lösung mit großem Pufferspeicher interessant sein. Oder gibt es viel Wald, ist es eher ein Biomasseheizkessel. Man kann auch vorhandene Abwärmequellen aus industriellen Prozessen usw. einbinden. Es kann keine pauschale Empfehlung geben.