Einloggen / Registrieren

Startseite

Schlagzeilen
Messen & Termine
Themen
Wir für Euch
Heftarchiv
Sonstiges

Bürokratieabbau Maisaussaat Erster Schnitt 2024 Rapspreis

topplus Energieversorgungskrise

Mehr Biogas ohne Flächenkonkurrenz: Neue Vorschläge auf dem Tisch

Biogasanlagen könnten einen wichtigen Beitrag zur Importunabhängigkeit leisten. Jetzt gibt es Vorschläge, wie das ohne zusätzliche Energiepflanzen gelingt.

Lesezeit: 9 Minuten

Seit Monaten weist die Branche der erneuerbaren Energien auf einen Widerspruch hin: Energieversorgungskrise auf der einen, bürokratische Hürden auf der anderen Seite, die eine schnelle Ausweitung der heimischen Energien verhindern. „Wir müssen in diesen Tagen unterstreichen, dass wir vor einer einzigartigen Herausforderung stehen mit zwei außergewöhnlichen Stressfaktoren in Europa: Den Krieg in der Ukraine und den Ausfall von jedem zweiten Atomkraftwerk in Frankreich. Beides hat erhebliche Auswirkungen auf den Markt und das Preisgefüge“, sagt Wolfram Axthelm, Mitgeschäftsführer des Bundesverbandes Erneuerbare Energien (BEE).

Wind, Solar und Biogas

Das Wichtigste zum Thema Energie freitags, alle 4 Wochen per Mail!

Mit Eintragung zum Newsletter stimme ich der Nutzung meiner E-Mail-Adresse im Rahmen des gewählten Newsletters und zugehörigen Angeboten gemäß der AGBs und den Datenschutzhinweisen zu.

Deutschland zeige mit seinem Anteil von 50 % erneuerbaren Energien im Strommarkt, dass es nur damit gelingen kann, diese Preisspirale zu brechen. „Dafür brauchen wir mehr von den großen Leistungsträgern Solar- und Windenergie, aber vor allem auch die flexible Bioenergie“, fordert Axthelm. „Die Rolle der Bioenergie für den Klimaschutz und das Energiesystem wurde in der politischen Diskussion der letzten Monate oft vergessen“, bemängelt auch Dr. Stefan Rauh, Geschäftsführer im Fachverband Biogas. Die Technologie spielt nicht nur im Strombereich eine wichtige Rolle. Sie kann auch Wärme für die Industriebereiche bereitstellen, bei denen ein hohes Temperaturniveau gefragt ist. Dieses lässt sich mit der häufig diskutierten Wärmepumpe nicht schaffen. „Oder in der Mobilität, wo der Elektroantrieb nicht überall möglich ist, spielt Bioenergie eine wichtige Rolle“, sagt er.

Daneben lässt sich aus CO₂ aus Biogasanlagen und Wasserstoff aus der Windstrom-Elektrolyse synthetisches Biomethan herstellen. Das CO₂ könnte man aber auch in der Ernährungsindustrie einsetzen, z.B. als Kohlensäure bei Getränken. Kurzum: Die Möglichkeiten, die Biogasanlagen bieten, sind sehr vielfältig.

Schon heute ernsthafte Alternative

Und die in Deutschland produzierte Biogasmenge ist nicht unbedeutend: Deutschland hat vor dem Ukrainekrieg etwa 1000 TWh Erdgas importiert, die Hälfte davon aus Russland. „Wir produzieren heute in Deutschland knapp 100 Terawattstunden Biogas, davon 10 % in Form von Biomethan“, sagt Rauh. Zur Erklärung: Während Biogas aus etwa 52 % Methan, 45 % CO₂ und weiteren Gasen besteht, ist Biomethan mit 99 % Methan identisch zu Erdgas. Daher sind die 100 TWh Biogas nicht 1:1 mit russischem Erdgas zu vergleichen. Das meiste des produzierten Gases wird direkt an der Biogasanlage in so genannten Blockheizkraftwerken verstromt. Dadurch entstehen aus 85 TWh Gas etwa 34 TWh Strom und in etwa die gleiche Menge Wärme. Energieträger, die damit nicht aus russischem Gas bereitgestellt werden müssen.

Damit die Biogasanlagen ihr wirkliches Potenzial entfalten können, um noch mehr von dem fossilen Gas aus Russland ersetzen zu können, sind laut Rauh das jetzt beschlossene Energiesicherungsgesetz nur ein erster Schritt. Denn die Ausweitung der Biogasproduktion ist dort ja nur auf zwei Jahre befristet. „Auch Deutschland muss die Maßnahmen des Plans „RepowerEU“ umsetzen. Darum ist es notwendig, dass sich die Politik damit ernsthaft auseinandersetzt“, fordert er.

Zielkonflikt bei der landwirtschaftlichen Fläche

Bei der Diskussion um mehr Biogas geht es immer gleich um die Flächenkonkurrenz. „Wir bezeichnen es aber nicht als eine Konkurrenz. Denn wir benötigen alles, Nahrung, Futter, Energie, Umwelt- und Klimaschutz. Daher sprechen wir von einem Zielkonflikt, den es zu lösen gilt“, macht er deutlich.

In das Gesamtpaket müsse man daher auch weitere Flächennutzungsaspekte einbeziehen wie die gewünschte Extensivierung der Landwirtschaft, die Wiedervernässung von Mooren oder die Aufforstung.

Um diese Probleme zu lösen, hat der Fachverband Biogas den Plan „RePowerD“ entworfen. Dabei geht es darum: Wie können wir in Deutschland mehr Biogas erzeugen, ohne weitere Flächen in Anspruch zu nehmen?

Hierzu hat der Fachverband aktuelle Studien einbezogen. Eine sieht z.B. in Deutschland aufgrund der Flächengröße und des Biogasanlagenbestands nach Frankreich das zweigrößte Potenzial für Biogas in Europa. „Bis 2050 könnten wir demnach 150 TWh Biogas nur auf Basis von Abfällen, Reststoffen, Zwischenfrüchten, Gülle, Mist, Gras von Dauergrünlandflächen und landwirtschaftlichen Nebenprodukten erzeugen“, zählt Rauh auf. Die Hälfte des Biogases könnte zu Biomethan aufbereitet werden. Dies entspricht einer Produktion von 7,5 Mrd. m³ Biomethan. Das wären also 20 % des Biomethans, das laut EU-Plan bis 2030 in Europa erzeugt werden soll. Die andere Hälfte würde in KWK vor Ort genutzt werden und damit ebenfalls zur Versorgungssicherheit beitragen.

Weitere Potenziale, die die Studie nicht berücksichtigt hat, gibt es mit Paludikulturen von Moorflächen oder mit dem Aufwuchs von Ökoflächen wie z.B. Leguminosen.

Substratbasis ändert sich

Laut Rauh ist eine Ausweitung der Biogasproduktion von heute 95 auf 130 TWh und eine Steigerung der Biomethanproduktion von 10 auf 65 TWh bis 2030 möglich, ohne zusätzliche Flächen in Anspruch zu nehmen. „Dazu wollen wir beginnen, die heutige Substratbasis bis 2030 zu verändern. Einen kompletten Ausstieg aus der Energiepflanzenproduktion könnten wir bis 2050 schaffen“, sagt er. Der Ausstieg müsse allmählich und nicht überstürzt erfolgen, da ansonsten viele Biogasanlagen vorzeitig aussteigen würden und damit der große Vorteil eines funktionierenden Anlagenbestands verloren ginge. „Denn wir haben einen über 20 Jahre gewachsenen Bestand, bei dem sowohl Technik als auch Genehmigungsauflagen nicht von heute auf morgen geändert werden können“, gibt er zu Bedenken.

Fokus auf Biomethan

Bei der künftigen Ausrichtung der Anlagen schlägt der Fachverband folgendes vor:

  • Viele Anlagen sollten, wo es sinnvoll ist, auf die Biomethanproduktion umstellen, also anstelle eines BHKW eine Gasaufbereitung installieren oder Rohbiogas zusammen mit anderen Betreibern zu einer gemeinsamen Aufbereitung leiten. Auch neue Anlagen sollten ausschließlich in die Biomethanproduktion einsteigen.
  • Das Gas kann vielseitig eingesetzt werden: Als Erdgasersatz, in der Mobilität oder auch zur Stromproduktion.
  • Dennoch wird es auch weiterhin eine Vorortverstromung im BHKW geben. Der Strom ist im Energiekonzept der Zukunft wichtig. Auch haben viele Anlagen ein nachhaltiges Wärmekonzept, das erhalten werden muss.

Wie sich die Biomethanproduktion bis 2030 und 2050 entwickeln könnte, zeigt Übersicht 1. Demnach würde 2030 die Hälfte der produzierten Gasmenge in Form von Biomethan bereitstehen, also ca. 65 TWh. Im Jahr 2050 wären es sogar 93 TWh, während die Vorortverstromung von Biogas ohne Aufbereitung ab 2030 etwa bei 65 TWh konstant bleibt. Weiteres Potenzial bietet synthetisches Methan aus CO₂ und Wasserstoff: Im Jahr 2030 könnte es 47 TWh davon geben, im Jahr 2050 bereits 68 TWh.

Der künftige Rohstoffmix

Die dafür nötigen Rohstoffe bestehen 2030 überwiegend aus Substraten ohne zusätzlichen Flächenbedarf, die zusammen knapp 80 TWh Biogas bzw. Biomethan bereitstellen können. Diese sind:

  • 22,9 TWh Gas aus Gras, das für die Tierfütterung nicht mehr benötigt wird,
  • 18,3 TWh aus Gülle und Mist,
  • 16,3 TWh aus landwirtschaftlichen Reststoffen,
  • 10,5 TWh aus Zweinutzungskulturen,
  • 9,7 TWh aus Abfällen der Lebensmittelindustrie,
  • 2,0 TWh aus Klärschlamm,
  • -0,9 TWh aus Straßenbegleitgrün.

Nur noch 52,5 TWh Gas werden mithilfe von klassischen Energiepflanzen wie Mais bereitgestellt. Bis 2050 soll es dann kein Gas aus klassischen Energiepflanzen mehr geben.

Abbau von Hürden

Um den Plan „RepowerD“ in die Realität umzusetzen, sind jetzt laut Fachverband Biogas wichtige politische Schritte nötig:

  • Investitionssicherheit für bestehende und neue Biogas- bzw. Biomethananlagen; dazu gehört auch eine verlässliche Förderung für den Umstieg auf Rohstoffe ohne Flächenkonkurrenz zur Nahrungs- und Futtermittelproduktion,
  • Attraktive Förderung für flexible Biogasanlagen,
  • Förderung der Umstellung von Vorortverstromung auf die Biomethanproduktion,
  • Abbau der vielen hemmenden, bürokratischen Hürden bei der Biomethanspeisung ins Gasnetz,
  • Förderung der Nutzung und der Speicherung von CO₂ aus Biogasanlagen.

Bürokratische Hürden sieht der Fachverband unter anderem hier:

  • Gasnetzzugangsverordnung: Sie erschwert beispielsweise den Zusammenschluss von Biogasanlagen zu einer gemeinsam Gasaufbereitung und -einspeisung ins Erdgasnetz.
  • EEG oder Redispatch 2.0 behindern die Flexibilisierung von Biogasanlagen, gerade bei der Wärmenutzung. So werden z.B. im Rahmen des Netzengpassmanagements Biogasanlagen genau wie Wind- und Solaranlagen abgeschaltet, auch wenn dann wertvolles Gas abgefackelt werden muss.
  • Bestimmte Vorschriften wie die Biomasse-Strom-Nachhaltigkeitsverordnung verursachen weitere Hürden, weil dafür Zertifzierungsunternehmen fehlen oder weil die Gesetze und Verordnungen nicht aufeinander abgestimmt sind und die praktische Umsetzung in vielen Fällen unklar bleibt.
  • Zu starre Auflagen der Genehmigungsbehörden sorgen für zu wenig Flexibilität bei der Substratauswahl. Wenn eine Anlage z.B. für Mais genehmigt ist, kann sich nicht ohne weiteres auf Mist umstellen. „Es darf auch nicht wieder vorkommen, dass z.B. Pommeskartoffeln, die in der Coronazeit übriggeblieben waren, aus rechtlicher Sicht nicht in Biogasanlagen verwertet werden dürfen“, nennt Rauh ein weiteres Beispiel.

„Die Krise sorgt dafür, dass wir in Deutschland jetzt schnell und ohne bürokratischen Aufwand LNG-Terminals bauen können. Es kann doch nicht sein, dass diese Förderung von fossilen Energien schneller geht als Zukunftstechnologien wie Biogasanlagen“, kritisiert er.

Partner der Landwirte

Flächenkonkurrenz ist auch aus Sicht des Deutschen Bauernverbandes (DBV) das falsche Argument zur falschen Zeit gegen Bioenergie. „Die Biogastechnologie ist heute ein unverzichtbarer Partner für die Landwirtschaft, gerade in der jetzigen Krise“, erklärt Udo Hemmerling, stellvertretender DBV-Generalsekretär. Hierfür nennt er sechs Beispiele:

  1. Wegen der gestiegenen Nährstoffpreise ist Dünger auf Basis von Gärrest derzeit sehr gefragt. Allein zum Schließen der Nährstoffkreisläufe ist laut Hemmerling ein flächendeckendes Netz an Biogasanlagen nötig.
  2. Biogasanlagen können landwirtschaftliche Reststoffe sinnvoll verwerten, für die es keine anderweitige Nutzung gibt. Dazu gehört neben Gülle und Mist viele Pflanzenreste und teilweise auch Stroh.
  3. Auf vielen Ackerflächen in Deutschland ist der Futterbau ertragreicher als der Anbau von Brotgetreide. Beim Rückgang der Tierhaltung lässt sich der Aufwuchs nur in Biogasanlagen verwerten.
  4. Die von der EU-Agrarförderung vorgeschriebenen Zwischenfrüchte oder der Aufwuchs von Biodiversitätsflächen wie z.B. Blühpflanzen oder von Moorflächen lassen sich gut in Biogasanlagen vergären.
  5. Biogasanlagen ermöglichen den Anschluss der Landwirtschaft an die chemische Industrie, die nach Alternativen zum fossilen Kohlenstoff sucht.
  6. Biogasanlagen sind für die Landwirtschaft unverzichtbar zur Minderung der Klimagase, z.B. von Methan durch das Vergären von Gülle und Mist.

„Die Politik muss jetzt die Realität erkennen und das befristete Aussetzen der bürokratischen Hürden für Biogasanlagen über das Energiesicherungsgesetz ganz aufheben“, fordert BEE-Geschäftsführer Axthelm abschließend. Nur mit erneuerbaren Energien könnten wir die Preisrallye stoppen und wieder zu einer Normalität im Energiemarkt zurückkommen. Deckel und Beschränkungen seien aus der Zeit gefallene Relikte, die es angesichts der Krise zu beseitigen gilt.

Mehr zu dem Thema

top + Top informiert in die Maisaussaat starten

Alle wichtigen Infos & Ratgeber zur Maisaussaat 2024, exklusive Beiträge, Videos & Hintergrundinformationen

Wie zufrieden sind Sie mit topagrar.com?

Was können wir noch verbessern?

Weitere Informationen zur Verarbeitung Ihrer Daten finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Vielen Dank für Ihr Feedback!

Wir arbeiten stetig daran, Ihre Erfahrung mit topagrar.com zu verbessern. Dazu ist Ihre Meinung für uns unverzichtbar.