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topplus Importabhängigkeit senken

Mehr Biogas erzeugen ohne Flächenkonkurrenz

Deutsche Biogasanlagen sollen nach Willen der EU einen wichtigen Beitrag zur Importunabhängigkeit leisten. Jetzt gibt es Vorschläge, wie das ohne zusätzliche Energiepflanzen gelingen könnte.

Lesezeit: 9 Minuten

Biogas kann in Europa entscheidend dazu beitragen, die Abhängigkeit von russischem Erdgas zu reduzieren. Darum will die EU-Kommission mit dem Plan „RePowerEU“ die Biomethan-Produktion von aktuell 3 auf 35 Mrd. m3 in knapp sieben Jahren mehr als verzehnfachen. „Biomethan ist das billigste und am schnellsten skalierbare erneuerbare Gas, das heute verfügbar ist“, erklärt die Kommission.

Deutschland zieht nach

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„Wir müssen in diesen Tagen unterstreichen, dass wir vor einer einzigartigen Herausforderung stehen mit zwei außergewöhnlichen Stressfaktoren in Europa: Der Krieg in der Ukraine und der Ausfall von jedem zweiten Atomkraftwerk in Frankreich. Beides hat ­erhebliche Auswirkungen auf den Markt“, sagt Wolfram Axthelm, Mitgeschäftsführer des Bundesverbandes Erneuerbare Energien (BEE).

Deutschland zeige mit seinem Anteil von 50 % erneuerbaren Energien im Strommarkt, dass es nur damit gelingen kann, diese Preisspirale zu brechen. „Dafür brauchen wir mehr von den großen Leistungsträgern Solar- und Windenergie, aber vor allem auch die flexible Bioenergie“, fordert Axthelm.

Nach monatelangem Zögern und massivem Druck der Branche hat das auch die Bundesregierung erkannt. Ende September hat der Bundestag das „Energiesicherungsgesetz“ verabschiedet. Darin schafft die Bundesregierung einen Anreiz, dass Biogasanlagen mehr Strom produzieren und somit Erdgas eingespart wird, das ansonsten in Kraftwerken verbrannt worden wäre.

Das Gesetz enthält aus Sicht der Biogasbranche zwei wichtige Regelungen:

  • Mit einer Änderung des Erneuer­bare-Energien-Gesetzes (EEG) wird die Höchstbemessungsleistung bis Ende 2024 ausgesetzt. Das bedeutet: Die Anlagenbetreiber erhalten für den gesamten erzeugten Strom in diesen Kalenderjahren die volle EEG-Vergütung.
  • Zudem ist bis Ende 2024 die Beschränkung im Baugesetzbuch aufgehoben, wonach privilegierte Anlagen nur 2,3 Mio. m3 Biogas pro Jahr produzieren dürfen. Jetzt dürfen sie diese Grenze überschreiten, ohne die Privilegierung zu verlieren. Die Produktionsausweitung soll laut Gesetzesbegründung nur mit Reststoffen, nicht mit speziell angebauten Energiepflanzen erfolgen.

Nur ein erster Schritt

Damit die Biogasanlagen ihr wirkliches Potenzial entfalten können, um noch mehr fossiles Gas aus Russland ersetzen zu können, kann das jetzt beschlossene Energiesicherungsgesetz nur ein erster Schritt sein. Denn die Ausweitung der Biogasproduktion ist auf zwei Jahre befristet. „Auch Deutschland muss die Maßnahmen des Plans ‚RepowerEU‘ umsetzen. Darum ist es notwendig, dass sich die Politik damit ernsthaft auseinandersetzt“, fordert Dr. Stefan Rauh, Geschäftsführer des Fachverbandes Biogas.

Was die Bundesregierung aus seiner Sicht dabei unterschätzt: Die inländische Biogasmenge ist nicht unbedeutend. Deutschland hat vor dem Ukrainekrieg etwa 1.000 Terawattstunden (TWh) Erdgas importiert, die Hälfte davon aus Russland.

„Wir produzieren heute in Deutschland knapp 100  TWh Biogas, davon 10 % in Form von Biomethan“, sagt Rauh. Zur Erklärung: Während Biogas aus etwa 52 % Methan, 45 % CO2 und weiteren Gasen besteht, ist Biomethan mit 95 bis 99 % Methan identisch zu Erdgas. Daher sind die 100 TWh Biogas nicht 1:1 mit russischem Erdgas zu vergleichen. Das meiste des produzierten Gases wird heute direkt an der Biogasanlage in Blockheizkraftwerken verstromt.

Nach Ansicht des Fachverbandes könnte Deutschland im Jahr 2050 fast 160 TWh Biogas nur auf Basis von Abfällen, Reststoffen, Zwischenfrüchten, Gülle, Mist, Gras von Dauergrünlandflächen und landwirtschaftlichen Nebenprodukten erzeugen.

Die produzierte Biogasmenge entspricht etwa 8 Mrd. m³ Biomethan. Das wären also fast 25 % der Biomethanmenge, die laut Plan „RePowerEU“ bis zum Jahr 2030 in ganz Europa erzeugt werden soll.

Übersicht 1: Ausbau der Biogasmenge und Substratmix

In Deutschland wird aus dem hergestellten Biogas künftig mehr Biomethan produziert, erwartet der Fachverband. Demnach würde 2030 die Hälfte der produzierten Gasmenge in Form von Biomethan bereitstehen, also ca. 65 TWh. Im Jahr 2050 wären es sogar 93 TWh, während die Vorortverstromung von Biogas ohne Aufbereitung ab 2030 etwa bei 65 TWh konstant bleibt. Weiteres Potenzial bietet synthetisches Methan aus CO2 und Wasserstoff: Im Jahr 2030 könnte es 47 TWh davon geben, im Jahr 2050 bereits 68 TWh; wie das synthetische Biomethan hergestellt wird, zeigt folgende Übersicht.

Übersicht 2: Verzahnung von Wind-, Solar- und Bioenergie

Die Biogastechnologie spielt aber nicht nur im Strombereich eine wichtige Rolle, sondern auch in der Wärmeversorgung oder in der Mobilität in Bereichen, wo kein Elektroantrieb möglich ist. Daneben lässt sich aus dem CO2 auch beispielsweise Kohlensäure für die Getränkeindustrie herstellen.

Eine Ausweitung der Biogasproduktion ist in Deutschland bislang politisch immer an einer möglichen Flächenkonkurrenz gescheitert. „Wir bezeichnen es aber nicht als eine Konkurrenz. Denn wir benötigen alles zusammen: Nahrung, Futter, Energie, Umwelt- und Klimaschutz. Daher sprechen wir von einem Zielkonflikt, den es zu lösen gilt“, macht Rauh deutlich.

Um diese Probleme zu lösen, hat der Fachverband Biogas den Plan „­RePowerD“ entworfen. Dabei geht es ­darum: Wie können wir in Deutschland mehr Biogas erzeugen, ohne weitere Flächen in Anspruch zu nehmen, die der Nahrungsmittelproduktion dienen?

Substratbasis ändert sich

Das ist laut Rauh möglich. „Dazu können wir die Substratbasis bis 2030 verändern. Einen kompletten Ausstieg aus der Energiepflanzenproduktion könnten wir bis 2050 schaffen“, sagt er.

Der Wechsel dürfe aber nicht überstürzt erfolgen, da sonst viele Biogasanlagen vorzeitig aussteigen würden und damit der große Vorteil eines funktionierenden Anlagenbestands verloren ginge. „Wir haben einen über 20 Jahre gewachsenen Bestand, bei dem sowohl die Technik als auch die Genehmigungsauflagen nicht von heute auf morgen geändert werden können“, gibt er zu bedenken.

Fokus auf Biomethan

Bei der künftigen Ausrichtung schlägt der Fachverband Folgendes vor:

  • Viele Anlagen sollten, wo es sinnvoll ist, auf die Biomethanproduktion umstellen, also anstelle eines BHKW eine Gasaufbereitung installieren oder Rohbiogas zusammen mit anderen Betreibern zu einer gemeinsamen Aufbereitung leiten. Auch neue Anlagen sollten ausschließlich in die Biomethanproduktion einsteigen.
  • Das Gas kann vielseitig eingesetzt werden: Als Erdgasersatz, in der Mobilität oder auch zentral zur Stromproduktion. Es könnte auch in der Industrie als Rohstoff dienen.
  • Dennoch wird es auch weiterhin eine Vorortverstromung im BHKW geben. Der Strom, der sich sicher und flexibel erzeugen lässt, ist im Energiekonzept der Zukunft wichtig. Auch haben viele Anlagen mit BHKW ein nachhaltiges Wärmekonzept, das erhalten werden sollte.

Der künftige Rohstoffmix

Die dafür nötigen Rohstoffe bestehen nach dem Plan 2030 überwiegend aus Substraten ohne zusätzlichen Flächenbedarf, die zusammen etwa 80 TWh Biogas bzw. Biomethan bereitstellen können. Folgende Biogasmengen könnten demnach erzeugt werden:

  • 22,9 TWh Gas aus Gras, das für die Tierfütterung nicht mehr benötigt wird,
  • 18,3 TWh Gas aus Gülle und Mist,
  • 16,3 TWh Gas aus landwirtschaftlichen Reststoffen und 10,5 TWh aus Zweinutzungskulturen,
  • 9,7 TWh Gas aus Abfällen der Lebensmittelindustrie,
  • 2,0 TWh Gas aus Klärschlamm,
  • 0,9 TWh Gas aus Straßenbegleitgrün.

Nur noch 52,5 TWh Gas werden mithilfe von klassischen Energiepflanzen wie Mais bereitgestellt. Bis 2050 sollen diese dann nicht mehr zum Einsatz kommen.

Um den Plan „RePowerD“ umzusetzen, sind laut Fachverband Biogas wichtige politische Schritte nötig:

  • Investitionssicherheit für bestehende und neue Biogas- bzw. Biomethananlagen; dazu gehört auch eine verlässliche Förderung für den Umstieg auf Rohstoffe ohne Flächenkonkurrenz zur Nahrungs- und Futtermittelproduktion,
  • eine attraktive Förderung für flexible Biogasanlagen,
  • Förderung der Umstellung von Vorortverstromung auf die Biomethanproduktion,
  • Abbau der vielen hemmenden, bürokratischen Hürden bei der Biomethanspeisung ins Gasnetz,
  • Förderung der Nutzung und der Speicherung von CO2 aus Biogasanlagen.

Abbau von Hürden

Bürokratische Hürden sieht der Fachverband unter anderem hier:

  • Gasnetzzugangsverordnung: Sie erschwert beispielsweise den Zusammenschluss von Biogasanlagen zu einer gemeinsamen Gasaufbereitung und -einspeisung ins Erdgasnetz.
  • EEG oder Redispatch 2.0 behindern die Flexibilisierung von Biogasanlagen, gerade bei der Wärmenutzung. So werden z. B. im Rahmen des Netzengpassmanagements Biogasanlagen genau wie Wind- und Solaranlagen abgeschaltet, auch wenn dann wertvolles Gas abgefackelt werden muss.
  • Bestimmte Vorschriften wie die Biomasse-Strom-Nachhaltigkeitsverordnung verursachen weitere Hürden, weil dafür Zertifzierungsunternehmen fehlen oder weil die Gesetze und Verordnungen nicht aufeinander abgestimmt sind und die praktische Umsetzung in vielen Fällen unklar bleibt.
  • Zu starre Auflagen der Genehmigungsbehörden sorgen für zu wenig Flexibilität bei der Substratauswahl. Wenn eine Anlage z. B. für Mais genehmigt ist, kann sie nicht ohne weiteres auf Mist umstellen. „So ist es in der Coronazeit vorgekommen, dass übriggebliebene Pommeskartoffeln aus rechtlicher Sicht nicht in Biogasanlagen verwertet werden durften. Das darf sich nicht wiederholen“, fordert Rauh.

Bei fossilen Energien dagegen gibt es zur Krisenbewältigung weniger Bürokratie. „Wir können in Deutschland jetzt schnell und ohne bürokratischen Aufwand LNG-Terminals bauen. Das muss auch für Zukunftstechnologien wie Biogasanlagen gelten“, sagt er.

Partner der Landwirte

In der jetzigen Krise ist die Biogastechnologie aus Sicht des Deutschen Bauernverbandes (DBV) auch für die Landwirtschaft ein unverzichtbarer Partner. „Darum ist die Diskussion um eine Flächenkonkurrenz das falsche Argument zur falschen Zeit gegen Bioenergie“, sagt Udo Hemmerling, stellvertretender DBV-Generalsekretär. Er nennt sechs Beispiele dafür, warum die Landwirtschaft Biogas braucht:

  1. Wegen der gestiegenen Nährstoffpreise ist Dünger auf Basis von Gärrest derzeit sehr gefragt. Allein zum Schließen der Nährstoffkreisläufe ist laut Hemmerling ein flächendeckendes Netz an Biogasanlagen nötig.
  2. Biogasanlagen können landwirtschaftliche Reststoffe sinnvoll verwerten, für die es keine anderweitige Nutzung gibt. Dazu gehören neben Gülle und Mist viele Pflanzenreste und teilweise auch Stroh.
  3. Auf vielen Ackerflächen in Deutschland ist der Futteranbau ertragreicher als der Anbau von Brotgetreide. Beim Rückgang der Tierhaltung lässt sich der Aufwuchs nur in Biogasanlagen sinnvoll verwerten.
  4. Die von der EU-Agrarförderung vorgeschriebenen Zwischenfrüchte oder der Aufwuchs von Biodiversitätsflächen wie z. B. Blühpflanzen oder der Aufwuchs von Moorflächen lassen sich gut in Biogasanlagen vergären.
  5. Biogasanlagen ermöglichen den Anschluss der Landwirtschaft an die chemische Industrie, die nach Alternativen zum fossilen Kohlenstoff sucht.
  6. Biogasanlagen sind für die Landwirtschaft unverzichtbar zur Minderung der Klimagase, z. B. von Methan durch das Vergären von Gülle und Mist.

„Die Politik muss jetzt die Realität erkennen und das befristete Aussetzen der bürokratischen Hürden für Biogasanlagen über das Energiesicherungs-gesetz ganz aufheben“, fordert BEE-Geschäftsführer Axthelm. Nur mit erneuerbaren Energien könnten wir die Preisrallye stoppen und wieder zu einer Normalität im Energiemarkt zurückkommen. Sein Credo: „Deckel und Beschränkungen sind aus der Zeit gefallene Relikte, die es angesichts der aktuellen Krise schnell zu beseitigen gilt.“

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