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Netzstabilität: Drohen Pfingsten Stromausfälle durch zuviel Sonnenstrom?

Bundesweite Feiertage im Frühling können eine Herausforderung fürs Stromnetz sein, wenn Solarmodule im noch kühlen Wetter hohe Wirkungsgrade erreichen. Droht Pfingsten eine Überlastung?

Lesezeit: 7 Minuten

Im November hatten einige Solarunternehmen vor Stromausfällen durch zu viel Sonnenstrom im Frühjahr gewarnt. Gerade zu Feiertagen wie Pfingsten könnten unkontrollierte Photovoltaikanlagen zu viel Strom in einzelnen Regionen einspeisen, hieß es.

Den Netzbetreibern bliebe schlimmstenfalls nichts anderes übrig, als diese Regionen vom Netz zu trennen – das wäre ein kontrollierter, begrenzter Stromausfall, der auch „Brownout“ genannt wird.

Ostern verlief trotz viel Sonne ohne Störungen. Nun steht Pfingsten vor der Tür – schon seit einigen Jahren wurde an diesem verlängerten Wochenende oft ein sehr hoher Sonnenstromanteil am Verbrauch erreicht und darüber berichtet, in den vier zurückliegenden Jahren haben erneuerbare Energien mittags für kurze Zeit mehr als 100 % Anteil an der Last erreicht  – dank Photovoltaik.

Fest steht: Bundesweite Feiertage im Frühling können eine Herausforderung fürs Stromnetz sein, wenn Solarmodule im noch kühlen Wetter hohe Wirkungsgrade erreichen. Die Verfahren, mit denen Netzbetreiber darauf reagieren, sind aber offenbar gut eingespielt, zudem sind eigentlich auch 63 % der Photovoltaikanlagen per Fernsteuerung ansteuerbar, sagt die Fachwelt. Ob sie es technisch wirklich sind, scheint jedoch nicht sicher zu sein.

Das sagen die Fachleute dazu

Strommarktdesign könnte zusätzlich helfen, Netzengpässe zu vermeiden

Prof. Dr. Patrick Jochem vom Institut für Vernetzte Energiesysteme, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), Stuttgart erklärt: „Viele Photovoltaikanlagen sind heute abregelbar. Das heißt, bei Netzengpässen – zum Beispiel an sonnigen Tagen mit wenig Stromnachfrage – können die Anlagen heruntergeregelt werden. Funktioniert die zugrundeliegende Technik, so besteht keine Gefahr für das Netz."

Höherwertige Wechselrichter, wie sie in Deutschland verbaut werden, sowie weitere elektrotechnische Anlagen bei größeren Photovoltaikkraftwerken, insbesondere netzbildende Wechselrichter, würden dem Netz auch sogenannte Netzdienstleistungen anbieten. Diese verstärkten bereits heute die Netzstabilität.

Auf Netzebene ist also keine große Herausforderung zu erwarten, solange die oben genannten Funktionsweisen reibungslos arbeiten, so Prof. Jochem weiter. Herausfordernd sei aber weiterhin, dass der Strom zunächst am Großhandel ohne Berücksichtigung von Netzengpässen gehandelt wird. "Hierdurch werden manche Kraftwerke aus Netzsicht nicht optimal eingeplant und es kommt erst nach dem Stromhandel zum sogenannten Redispatch, welcher die Kraftwerkseinsatzplanung nachträglich anpasst. Dadurch steigen die Systemkosten, die durch Preiszonen oder einem netzknotenspezifischen Strompreis – sogenanntes ‚Nodalpricing‘ – vermindert werden könnten.“

Ersatz netzstabilisierender Funktion von Schwungmassen durch PV-Anlagen

„Prinzipiell waren Schwungmassen im fossildominierten Stromsystem schon hilfreich. Heute kann diese sogenannte Momentanreserve aber auch durch netzbildende Wechselrichter erbracht werden. Solche Wechselrichter an großen Photovoltaikanlagen mit (Batterie-)Speichern können nicht nur einen Systemausfall verhindern, sondern auch beim Schwarzstart nach einem Blackout helfen, das Stromsystem zeitnah wieder in Gang zu bringen“, so Prof. Jochem abschließend.

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Ungleiche Verteilung der Einspeisung

„Die Herausforderung von sehr großer Einspeisung aus Photovoltaik (PV) oder Windkraft liegt nicht in der Strommenge an sich, sondern in der regional ungleichmäßigen Verteilung und der begrenzten Flexibilität der unteren Netzebenen", sagt Leonhard Probst vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme, Freiburg.

Diese Effekte lassen sich auf unterschiedlichen Ebenen betrachten: Erstens die der Strompreise und daraus entstehende Kosten, zweitens die des bilanziellen Gleichgewichts hinsichtlich der Frequenz und drittens die der Netzstabilität im Rahmen von Spannungshaltung, Momentanreserve, Kurzschlussstrom, Oszillationen oder auch der Überlastung von Netzelementen, so Probst.

„Die ersten beiden Punkte – die bilanziellen Effekte und die des Strommarktes – spielen für die Netzstabilität nur eine sehr untergeordnete Rolle: Ein Überangebot am Strommarkt kündigt sich in der Regel mindestens 24 Stunden im Voraus an und es bestünde noch ausreichend Zeit und Möglichkeiten für Eingriffe im Vorfeld, um ein Überangebot zu verhindern. Auch bei zu hoher Netzfrequenz reduzieren PV-Wechselrichter automatisch schrittweise ihre Einspeiseleistung, sodass ein übermäßiger Anstieg der Netzfrequenz durch PV-Überangebot technisch ausgeschlossen ist.“

Ähnlich sehe es mit den regional verteilten Effekten hinsichtlich der Spannungshaltung und Überlastung von Netzelementen aus. PV-Wechselrichter müssten ihre Einspeisung bei zu hoher Netzspannung reduzieren und würden zudem durch Blindleistungseinspeisung zur Spannungshaltung beitragen, wodurch eine Überspannung ausgeschlossen werden kann, meint er.

Besseres Monitoring des Netzzustands nötig

„Anders ist die Lage bei der Überlastung von Netzelementen wie Transformatoren, Leitungen oder Kabeln. Diese können überlastet sein, ohne dass es die einzelnen Einspeiser erkennen können. Hierzu ist ein entsprechendes Monitoring seitens der Verteilnetzbetreiber notwendig, in Kombination mit geeigneten Maßnahmen bei drohender Überlastung", erklärt Probst weiter.

Dazu würden etwa 63 % der aktuell installierten PV-Leistung über Fernsteuerungseinrichtungen verfügen. Die verbleibende Netzeinspeisung von ungesteuerten PV-Anlagen beträgt in der Spitze etwa 20 Gigawatt (GW) und entspricht damit etwa der Hälfte des minimalen Stromverbrauchs zur Mittagszeit, der im Jahr 2024 gut 39 GW betrug. In ländlichen Gebieten mit sehr wenig Stromverbrauch könne es zu diesen Zeiten zu einer Überlastung von Netzelementen kommen. "Hierfür ist dann das gezielte Monitoring in Kombination mit der Abschaltung von einzelnen Anlagen über die vorhandenen Fernsteuerungseinrichtungen notwendig“, so Probst.

Viele fernsteuerbare PV-Anlagen offenbar nicht ansteuerbar

Nach seinen Analysen sind die aktuell verbauten Steuerungseinrichtungen ausreichend, um eine Überlastung wirkungsvoll ausschließen zu können. Problematisch seien hierbei zwei Punkte:

Erstens: Es gibt Rückmeldungen von einzelnen Verteilnetzbetreibern, dass sie viele der verbauten Fernsteuerungseinrichtungen technisch nicht ansteuern können oder diese teilweise auch bewusst von den Anlagenbetreibern unbrauchbar gemacht wurden. Hier liegt es im Verantwortungsbereich der Netzbetreiber, die Funktionstüchtigkeit der verbauten Steuerungseinrichtungen sicherzustellen und entsprechende Überprüfungen oder Sanktionen durchzuführen.

Zweitens: Vielfach fehlen heute noch Messdaten zum Betriebszustand von Leitungen und Transformatoren, zum Beispiel Daten über die übertragene Leistung oder die Temperatur. Dadurch können die Netzbetreiber nur simulativ und dadurch sehr konservativ eine mögliche Überlastung abschätzen.

Sollten die Netzbetreiber trotz der verbauten Steuerungseinrichtungen und weiterer Möglichkeiten im Verteilnetz, zum Beispiel durch die Nutzung von regelbaren Ortsnetztransformatoren die Einspeiseleistung nicht begrenzen können, müssten sie im Notfall den ganzen Netzstrang abschalten, um eine mögliche Überlastung zu vermeiden – man spricht dann von sogenannten Brownouts. Uns sind bisher keine derartigen Fälle in Deutschland bekannt geworden.

Hinsichtlich der Netzstabilität hält es Probst also für entscheidend, dass die Verteilnetzbetreiber die Fernsteuerung der Anlagen in ihrem Netz sicherstellen. Werden die bereits heute verbauten Steuerungseinrichtungen verwendet, könne wirkungsvoll eine Überlastung verhindert werden.

Batteriespeicherausbau entschärft Lage

"Perspektivisch werden die Änderungen des Energiewirtschaftsgesetzes zu Beginn des Jahres 2025 – dem sogenannten Solarspitzengesetz – dazu führen, dass nur noch sehr geringe Mengen an neuen Anlagen nicht steuerbar sind. Mittelfristig wird sich die Thematik zudem durch den erwarteten starken Zubau von Batteriespeichern entschärfen, die künftig diese Strommengen aufnehmen können“, sagt er.

Hinsichtlich des Strommarktes sieht der Mitarbeiter des Fraunhofer-Instituts Handlungsbedarf bei der Direktvermarktung von Photovoltaik. Aktuell werden etwa 40 % der geförderten Energiemengen über das Marktprämienmodell vergütet. Hierbei haben die Direktvermarkter eigentlich keinen ökonomischen Anreiz auch bei stark negativen Preisen einzuspeisen, das heißt sie könnten ihre eigenen Anlagen abregeln und die von ihnen vertraglich zugesicherten Energiemengen stattdessen vorübergehend an der Strombörse beschaffen.

"Derzeit beobachten wir jedoch, dass trotz ökonomischer Nachteile deutlich weniger Einspeisung reduziert wird. Das hängt unter anderem mit komplexen Vertragsstrukturen, den Herkunftsnachweisen und teilweise fehlender Steuerbarkeit zusammen. Mittelfristig ist jedoch nicht zu erwarten, dass Direktvermarkter in solchen Zeiten ökonomisch ineffizient handeln und ihre Anlagen nicht abregeln.“

Ersatz netzstabilisierender Funktion von Schwungmassen durch PV-Anlagen

„In einem Stromnetz mit sehr hohem Anteil an leistungselektronischen Erzeugern und Verbrauchern wie zum Beispiel Photovoltaik oder Windkraftanlagen, spielt die Momentanreserve eine wichtige Rolle. Diese wird benötigt, um instantan im Millisekundenbereich Leistung zur Verfügung zu stellen, sollte zum Beispiel ein Erzeuger oder eine Leitung ausfallen. Dies ist notwendig, damit die Netzfrequenz nicht zu stark fällt, wenige Sekunden später kann die Primärregelleistung diesen Ausfall dann ausgleichen", so Probst.

Diese Momentanreserve, die heutzutage hauptsächlich durch rotierende Massen von Synchrongeneratoren zur Verfügung gestellt wird, könne allerdings perspektivisch auch mit netzbildenden Wechselrichtern über synthetische Trägheit nachgebildet werden. Dazu würden sich insbesondere Batteriespeicher anbieten. Denn diese brächten den entsprechenden Energiespeicher bereits mit und könnten durch die digitale Regelung ihre volle Leistung auch schon bei geringer Netzfrequenzänderung zur Verfügung stellen. Im Gegensatz dazu speichern rotierende Massen zwar sehr viel Energie in ihrer Rotation, könnten bei sehr kleinen Frequenzänderungen jedoch nur eine geringe Menge davon abgeben, so Probst.

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