Optimierung von Stromnetzen

Neues Verfahren lässt mehr Strom in alten Leitungen fließen

Mit einem neu entwickelten indirekten Verfahren des Fraunhofer IEE in Kassel lässt sich die Strombelastbarkeit von Übertragungsleitungen um rund 20 % erhöhen.

von Hinrich Neumann Hinrich Neumann
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Die zunehmende Erzeugung von Strom mit Photovoltaik- und Windkraftanlagen sorgt für einen steigenden Bedarf an Transportkapazitäten in den deutschen Übertragungs- und Verteilnetzen. Bereits in den letzten Jahren reichten diese häufig nicht aus. In Folge stiegen teure Maßnahmen zur Netzengpassbehebung, die seit 2015 bei weit über 500 Millionen Euro pro Jahr liegen. Entlastung kann der Netzausbau schaffen, der aber nur langsam vorankommt.

Windgeschwindigkeit und Lufttemperatur entscheidend

Um Netzengpässe mit teuren Redispatch- und Einspeisemaßnahmen zu vermeiden, setzen die Netzbetreiber auf Netzoptimierung und -verstärkung. Eine höhere Auslastung der bestehenden Leitungen ist möglich, wenn die Netzbetreiber die Wetterbedingungen beachten. Die Windgeschwindigkeit und die Lufttemperatur sind entscheidende Größen für den Betrieb von Freileitungen, da deren Kühlung stark von ihnen abhängt. Eine vollständige Messung der relevanten meteorologischen Bedingungen entlang von Stromtrassen oder gar ganzer Stromnetze ist jedoch aufwendig.

Mehrere Netzbetreiber verfolgen daher den Ansatz, die meteorologischen Umgebungsvariablen mit Wetterstationen zu erfassen. Beim diesjährigen Kongress „Zukünftige Stromnetze“ in Berlin hat Jan Dobschinski zwei neue Verfahren vorgestellt, die er zusammen mit seinen Forscherkollegen vom Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik IEE in Kassel entwickelt hat. Diese ermöglichen, mit möglichst wenigen Wettermessstationen eine hohe Genauigkeit hinsichtlich der Abschätzung der herrschenden relevanten meteorologischen Parameter entlang von Stromkreisen zu erreichen. Ein Ansatz nimmt dabei den einzelnen Stromkreis in den Fokus und bestimmt meteorologisch bedingte Engpässe, sogenannte Hot-Spots, entlang des betrachteten Stromtrasse, an welchen im Nachgang Wettermessstationen implementiert werden sollten. Bei der anderen Methode wird ein gesamtes Netzgebiet betrachtet und repräsentative Messstandorte gesucht, welche sich für möglichst viele Stromkreise im Netzgebiet eignen, um eine möglichst genaue Abschätzung des vorherrschenden Wetters leisten zu können.

Bis zu 75 % mehr Durchleitung

Für die Entwicklung und Validierung der Verfahren haben die Forscher verschiedene erdgebundene aber auch satellitenbasierte meteorologische Mess- und Modelldaten innerhalb eines neu entwickelten Optimierungsalgorithmus verwendet. „Für die beiden neuen Verfahren haben wir untersucht, wie hoch der Nutzen eines Freileitungsbetriebs unter Kenntnis der Temperatur, der Windgeschwindigkeit und der Solarstrahlung in Abhängigkeit von der Länge der Trasse und der Topographie einer Region sein kann. Die Ergebnisse zeigen, dass mit den neuen Verfahren in bis zu 75 % der Zeiten die Stromkreise zu rund 20 % höher ausgelastet werden können. Bei einzelnen Stromkreisen sind sogar Erhöhungen von über 50% in vielen Zeiten möglich“, so das Fazit von Dobschinski. Der witterungsabhängige Betrieb von Freileitungen sei eine der effizientesten und wirtschaftlichsten Maßnahmen zur Optimierung der Übertragungskapazitäten in elektrischen Netzen. Teile der neuen Verfahren werden bereits im Netzbetrieb eingesetzt und haben ihre Tauglichkeit unter Beweis gestellt.

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