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Redispatch 2.0: Verschwendung von Biogas?

Wenn Biogasanlagen nach dem neuen Engpassmanagement abgeregelt werden, müssen Betreiber paradoxerweise Gas abfackeln und Heizöl verbrennen, wie Florian Strippel vom Fachverband Biogas erläutert.

Lesezeit: 7 Minuten

Seit Oktober wurde die Biogasanlage von Hans-Dieter Kuhlenkamp aus dem niedersächsischen Landkreis Nienburg/Weser 193 Stunden auf Grund von Engpässen im Stromnetz abgeregelt. Die längste Abregelung erfolgte dabei Ende Januar mit über zwei Tagen am Stück. Seine Erfahrungen der letzten Monate decken sich mit denen vieler Berufskollegen. „Natürlich können wir mit unseren Gasspeichern eine so lange Zeit nicht überbrücken, weswegen wir Gas abfackeln müssen. Da wir ein Wärmenetz betreiben und neben der Schule sowie der Kirche auch mehrere Wohnhäuser versorgen, müssen wir in diesen Zeiten das Wärmenetz mit konventionellem Heizöl beheizen, wenn unsere Wärmespeicher den Bedarf nicht mehr decken können“, beschreibt er die Situation.

Redispatch 2.0 soll Netz entlasten

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Verursacht werden diese Probleme durch den Redispatch 2.0, welcher als Engpassmanagementsystem die wichtige Aufgabe hat, nur so viel Strom durch die Leitungen fließen zu lassen, wie das Netz auch aufnehmen kann. Insbesondere der langsame Netzausbau, kombiniert mit dem starken Zubau von Wind- und Photovoltaikanlagen, stellt das Netz teilweise vor große Herausforderungen. Ein Problem ist, dass der Strom entweder stark regional, wie Windstrom in Norddeutschland, oder in engen Zeitfenstern, wie bei der Photovoltaik in den Mittagsstunden, erzeugt wird. Dadurch kommt es regional bzw. in bestimmten Zeiten im Tagesverlauf zu sehr hohen Einspeiseleistungen, welche das Netz überlasten könnten.

Damit dies nicht geschieht, wurde mit dem Redispatch 2.0 ein System geschaffen, welches Engpässe schon vor deren Entstehen prognostizieren soll, damit die Netzbetreiber geeignete Maßnahmen treffen können, um die entsprechenden Leitungen zu entlasten. Dies bedeutet in der Regel, dass Stromerzeugungseinheiten vor dem Engpass heruntergefahren werden, während die gleiche Leistung hinter dem Engpass hochgefahren wird. In Summe wird so weder mehr noch weniger Strom erzeugt, doch der entsprechende Leitungsabschnitt kann entlastet werden.

Eine Berücksichtigung von erneuerbaren Energien in diesem System begrüßt auch der Fachverband Biogas, denn die Branche strebt eine vollständige Energiewende an. Ist das System allerdings vorrangig von Erneuerbaren Energien dominiert, müssen diese auch verschiedene Systemdienstleistungen übernehmen, welche in der Vergangenheit durch konventionelle Kraftwerke erbracht wurden.

Kein Unterschied bei den Technologien

Ein Problem durch den Redispatch 2.0 ergibt sich allerdings durch den Umstand, dass im Engpassmanagement keine Differenzierung zwischen den einzelnen Stromerzeugungsarten im regenerativen Bereich getroffen wird. Bei der Auswahlentscheidung, welche Anlage ausgeschaltet werden sollen, spielt ausschließlich ein festgelegter kalkulatorischer Preis eine Rolle, während die tatsächlichen Kosten der Anlage unberücksichtigt bleiben. „Besonders vor dem Hintergrund der volatilen und hochpreisigen Energiemärkte stößt dieses Vorgehen auf Unverständnis in der Branche“, sagt Florian Strippel, Referatsleiter Stromnetze und Systemdienstleistungen beim Fachverband Biogas.

Kalkulatorischer Preis als Grundlage

Grundlage bildet hier das Energiewirtschaftsgesetz. Dieses besagt, dass für alle regenerativen Stromerzeugungsanlagen ein einheitlicher kalkulatorischer Preis zu bestimmen ist, welcher sicherstellt, dass die Reduzierung der Stromerzeugung nur erfolgt, wenn dadurch ein Vielfaches an Reduzierung von nicht vorrangberechtigter Erzeugung z.B. aus konventionellen Kraftwerken, ersetzt werden kann.

Zur Umsetzung dieser Vorgabe wurde ein sogenannter „Mindestfaktor“ definiert, welcher bei 10 liegt. Konkret bedeutet dies, dass eine Erneuerbare-Energien-Anlage nur abgeregelt werden darf, wenn für den gleichen Effekt auf den Engpass alternativ mehr als das zehnfache an konventioneller Leistung abgeregelt werden müsste. In diesem Fall wird es als unverhältnismäßig angesehen, auf eine Regelung zugunsten der regenerativen Energie zu verzichten.

„In der Praxis gestaltet es sich allerdings nicht so, dass der Netzbetreiber nur eine Wahl zwischen genau zwei Anlagen treffen kann, die zur Behebung eines Engpasses geregelt werden können“, erklärt Strippel. Vielmehr bieten sich im eng vermaschten Netz unzählige Möglichkeiten und Maßnahmenkombinationen, wie der Engpass aufgelöst werden kann. Da alle Erneuerbare-Energien-Anlagen mit einem einheitlichen kalkulatorischen Preis versehen sind, spielt es bei der Auswahlentscheidung für den Netzbetreiber keine Rolle, ob es sich um eine Biogasanlage aus dem EEG 2009 mit Nawaro- und Güllebonus handelt oder um eine PV-Anlage aus dem Jahr 2022. „Unabhängig von den realen Vergütungssätzen wird für beide Anlagen der aktuell gültige kalkulatorische Preis von 590,60 € pro Megawattstunde angesetzt“, sagt er.

Dieser von den Übertragungsnetzbetreibern veröffentlichte Preis soll im bundesdeutschen Durchschnitt das Verhältnis 1:10, welches durch die Mindestfaktoren festgelegt wird, widerspiegeln. Die Ermittlung des kalkulatorischen Preises erfolgt auf Basis der durchschnittlichen Kosten für Redispatch mit nicht vorrangberechtigtem Strom, was im Wesentlichen Strom aus konventionellen Kraftwerken ist. Vereinfacht dargestellt, werden deren reale Kosten dem fiktiven kalkulatorischen Preis gegenübergestellt, sodass das über die Mindestfaktoren definierte Verhältnis in der Regel eingehalten wird.

Biogasbranche kritisiert Vorgehen

Das Vorgehen mit einem einheitlichen kalkulatorischen Preis wurde insbesondere von der Biogasbranche von Beginn an kritisiert. Die realen Vergütungssätze von Biogasanlagen liegen beispielsweise in der Regel deutlich höher als die Vergütungssätze von Photovoltaikanlagen. Trotzdem verfügen alle Anlagen unabhängig vom Inbetriebnahmejahr über einen einheitlichen kalkulatorischen Preis. Begründet wurde dieses Vorgehen mit der Tatsache, dass es volkswirtschaftlich keine Rolle spielen würde, ob die Anlagen die Vergütung aus dem EEG-Topf oder im Falle einer Abregelung eine Entschädigung in identischer Höhe erhalten würden, welche von den Netzbetreibern auf die Stromkunden umgelegt wird. In beiden Fällen würden der Gesellschaft die gleichen Kosten entstehen.

Wärme wird nicht berücksichtigt

Diese Argumentation ist allerdings nur dann zutreffend, wenn ausschließlich die Stromerzeugung der Anlagen berücksichtigt wird. Die Biomasseanlagen in Deutschland stellen ohne den biogenen Teil des Abfalls neben dem Strom allerdings pro Jahr 27 Terawattstunden Wärme bereit, welche unter anderem zur Versorgung von Schulen, Kindergärten, Krankenhäusern, Privatwohnungen und der Industrie genutzt werden. Diese Abnehmer benötigen insbesondere im Winter auch im Falle eines Ausfalls der Biogasanlage eine Ersatzwärmeversorgung. Basiert der Ausfall auf dem Redispatch 2.0 kann die paradoxe Situation entstehen, dass die Gasspeicher der Anlage gefüllt sind und das überschüssige Gas aus diesem Grund abgefackelt werden muss, während das Nahwärmenetz parallel mit fossilen Energieträgern wie Erdgas, Heizöl Co. beheizt wird.

Unverständlich in aktueller Zeit

Insbesondere der Ukraine-Konflikt hat die Energiemärkte seit Februar 2022 deutlich aus dem Gleichgewicht gebracht. „In Zeiten, in welchen sogar eine Diskussion um eine Verlängerung der Betriebszeiten von Atom- und Kohlekraftwerken kein politisches Tabu mehr ist, sollte der Umgang mit wertvollen Primärenergieträgern wie Biogas jedoch deutlich sparsamer und bedachter erfolgen“, fordert Strippel. Die Erzeugung des knappen Gases ist mit hohen Kosten verbunden. Steht sogar noch eine Wärmenutzung hinter dem Anlagenkonzept, sind die volkswirtschaftlichen Kosten im Falle einer Abregelung deutlich höher, als wenn Anlagen abgeregelt werden, welche ausschließlich Strom produzieren. Dies gilt insbesondere für den Fall, wenn zusätzliche Brennstoffe für die Ersatzwärmeversorgung verfeuert werden müssen.

Unerheblich ist dabei, ob es sich um fossile Brennstoffe oder regenerative Alternativen wie Hackschnitzel oder Pellets handelt. Beide Ressourcen sind knapp, teuer und sollten mit Bedacht eingesetzt werden. Dies gilt nicht nur bei der Versorgung von Endkunden mit Wärme. Auch die Beheizung der Fermenter sollte zur Aufrechterhaltung der biologischen Prozesse sichergestellt werden. Insbesondere Betreiber von Biogasanlagen in Norddeutschland würden sich daher eine differenziertere Prüfung der Möglichkeiten zur Behebung von Engpässen im Stromnetz wünschen. Die vergangenen Wochen haben verdeutlicht, welche Auswirkungen auf die Preise verknappende Energielieferungen aus dem Ausland haben können. Strippel resümiert: „Heimische Ressourcen, welche nachhaltig erzeugt wurden, sollten daher eine größere Wertschätzung erfahren. Der Fachverband Biogas wird sich weiter dafür einsetzen, eine sinnvolle Lösung für die Branche zu finden.“

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