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Regierung gegen Biosprit aus Raps

Mit dem Ukrainekrieg droht ein weltweiter Versorgungsengpass bei Nahrungsmitteln. Die Bundesregierung will daher Biokraftstoffe aus Raps oder Getreide weiter zurückdrängen.

Lesezeit: 9 Minuten

In Deutschland ist die Teller-Tank-Debatte neu entfacht: Dürfen wir hierzulande Rohstoffe für Biokraftstoffe anbauen, um uns unabhängiger von russischen Energieimporten zu machen und den Treibhausgasaustoß im Verkehr zu senken? Oder befeuern wir damit die weltweite Hungersnot?

Die Bundesumweltministerin Steffi Lemke ist jedenfalls klar der Meinung: Der Anteil an Biokraftstoffen aus Nahrungs- und Futtermittelpflanzen muss gesenkt werden, um den Druck auf die globalen Märkte für Nahrungspflanzen zu verringern.

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Gleichzeitig zweifelt ihr Ministerium die Klimaschutzwirkung von Biokraftstoffen an: Der Anbau von Energiepflanzen verdrängt die Produktion von Nahrungsmitteln in andere Regionen wie z. B. Südamerika, so die Argumentation. Die Folge seien Waldrodungen und hohe CO2-Emissionen.

Geringe Quote geplant

Darum will das Ministerium die Obergrenze für Biokraftstoffe absenken, die auf die Treibhausgasminderungsquote angerechnet werden können. Denn Biosprit wird in Deutschland über die Treibhausgasminderungsquote (kurz: THG-Quote) im Bundesimmissionsschutzgesetz gefördert.

Diese THG-Quote verpflichtet die Kraftstoffanbieter dazu, den CO2-Ausstoß von Benzin oder Diesel um einen gewissen Prozentsatz zu senken. Dieser liegt im Jahr 2023 bei 6 %.

Einen Teil dieser Quote können die Verpflichteten aktuell bis zu einem energetischen Anteil von 4,4 % (Obergrenze) durch Biokraftstoffe aus Energiepflanzen erfüllen. Im Jahr 2023 sind zum Erreichen der Quote 9,8 Mio. t Nahrungs- und Futtermittel (entspricht 2,5 Mio. ha Anbaufläche) nötig.

Eine Absenkung dieser Obergrenze würde bewirken, dass der Anteil an Biokraftstoffen aus Nahrungs- und Futtermittelpflanzen sinkt. Denn Kraftstoffanbieter hätten keinen ökonomischen Anreiz mehr, diese Biokraftstoffe einzusetzen.

Wie es aus Regierungskreisen heißt, soll die Obergrenze im Jahr 2023 zunächst auf 2,5 % und bis 2030 schrittweise bis auf null gesenkt werden. Dies würde 4,2 Mio. t an Nahrungs- und Futtermitteln bzw. 1,1 Mio. ha Anbaufläche in 2023 einsparen.

Um den Verzicht dieser Biokraftstoffe in der THG-Quote auszugleichen, sollen z. B. Strom für Elektrofahrzeuge, Wasserstoff und synthetische Kraftstoffen stärker angerechnet oder Biokraftstoffe aus Altspeiseölen und tierischen Fetten verstärkt eingesetzt werden. Zudem soll es eine Verlängerung der umstrittenen Anrechnung von Upstream-Emissionsminderung um zwei Jahre geben. Gemeint ist das unterlassene Abfackeln von Begleitgasen, die bei der Gewinnung von Erdöl entstehen.

Rückenwind bekommt Lemke von den Umweltministern der Bundesländer: „Teller statt Tank ist mehr denn je die Devise der Stunde“, sagte der Vorsitzende der Umweltministerkonferenz, der niedersächsische Umweltminister Olaf Lies, nach der letzten Sitzung am 16. Mai. In Deutschland würden derzeit jährlich 2,4 Mio. t Getreide für Bioethanol genutzt, weltweit seien es 175 Mio. t. Das entspräche 9 % der Weltgetreideernte. „Angesichts des Krieges in der Ukraine müssen wir dringend umdenken“, fordert Lies.

Anbaufläche sinkt

Doch wie sieht die Realität aus? Die Anbaufläche von Raps für die Biodieselproduktion sowie von Getreide als Rohstoff für Bioethanol liegt laut Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (FNR) bei 760.000 ha, ist aber von dem großen Flächenumfang früherer Jahre immer noch weit entfernt. Während z. B. in Bayern im Jahr 2007 noch auf 173.000 ha Raps angebaut wurde, waren es im Jahr 2021 nur noch 92.400 ha.

Die Union zur Förderung von Öl- und Proteinpflanzen (UFOP) verweist darauf, dass die Kappungsgrenze für Biokraftstoffe aus Anbaubiomasse in Höhe von 4,4 % am Endenergieverbrauch weit unter dem Limit von 7 % liegt, was im europäischen Regelwerk möglich wäre.

Anbau nachwachsender Rohstoffe in Deutschland

„Nutzlose Symbolpolitik“

Die Biokraftstoffverbände warnen vor einer Abkehr der bisherigen Politik. „Wenn die Umweltminister Biokraftstoffe weiter deckeln, müssen sie auch sagen, wie sie die Klimaziele erreichen wollen“, sagt Elmar Baumann, Geschäftsführer des Verbandes der Deutschen Biokraftstoffindustrie. Bei den derzeit hohen Agrarpreisen sei die Herstellung von Biodiesel längst von den Produzenten zurückgefahren worden.

Für Ethanol werde zudem meistens Getreide verwendet, das nicht nahrungsmitteltauglich ist. „Mit den jetzt an­gedachten Maßnahmen betreiben die Umweltpolitiker nutzlose Symbolpolitik. Aufgrund der aktuellen Marktentwicklungen würden sie den Nahrungsmittelmarkt in keiner Weise entlasten“, sagt Baumann.

Er verweist darauf, dass bei der Biokraftstoffproduktion pro Liter Bioethanol 1,8 kg hochverdauliche Trockenschlempe und pro Liter Biodiesel 1,5 kg Rapsschrot anfallen. „Aus 60 % der Rapsernte wird Rapsschrot zur Tierfütterung, lediglich 40 % werden zu Pflanzenöl, aus dem Biodiesel gewonnen werden kann. Das Proteinfuttermittel kommt der Lebensmittelherstellung zugute, indem es an Hühner, Kühe und Schweine verfüttert wird und Futter aus Soja ersetzt“, argumentiert er.

So sieht das auch die Energy Watch Group, ein globales Netzwerk von Wissenschaftlern und Politikern: „Die EU importiert mit hohem Transportenergieaufwand überwiegend Palmöl und Protein von genmanipuliertem Soja aus Regenwaldgebieten. Das geforderte Verbot des heimischen Rapsanbaus für Biokraftstoffe führt somit zum Import höchst fragwürdiger Substitute für Energie und Eiweiß, die zur Zerstörung der Tropenwälder und zur Gefährdung von Nahrungsmitteln durch Genmanipulation beitragen“, heißt es in einem „Politikpapier“. Umweltprobleme würden so „exportiert“. Zudem würde das der europäischen Eiweißstrategie widersprechen.

Hierzulande werden laut UFOP jährlich 9 Mio. t Rapssaat zu ca. 4 Mio. t Rapsöl verarbeitet, davon 0,85 Mio. t zu Speisezwecken. Das bei der Verarbeitung anfallende Rapsschrot entspricht einer vermiedenen Anbaufläche von ca. 2 Mio. ha Soja. Die UFOP kritisiert zudem, dass die Bundesregierung trotz der angespannten Situation weitere Flächen brachlegen will. Hier werde bei der Nahrungsmittelversorgung mit zweierlei Maß gemessen.

Glycerin dringend benötigt

Ein gravierendes Problem ist laut VDB auch die Verfügbarkeit von Glycerin: Als Koppelprodukt von Rapsbiodiesel hat Glycerin als Bestandteil von Lebensmitteln, Kosmetika und Arzneimitteln sein fossiles Äquivalent in den vergangenen Jahren praktisch vollständig ersetzt. Drosselt man die Biodieselproduktion, müsste die Industrie wieder fossiles Glycerin einsetzen. „Das ist nicht nur klima- und umweltpolitisch eine absurde Idee“, kritisiert Verbandsgeschäftsführer Baumann.

Klimaschutzwirkung ­belegt

„Bei ihrer Argumentation, heimische Biokraftstoffe hätten eine zweifelhafte Klimaleistung, missachtet die Bundesministerin Zahlen ihrer Regierung“, kritisiert Bayerns Agrarministerin Michaela Kaniber. Denn laut Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) haben Biokraftstoffe im Jahr 2020 ca. 13 Mio. t CO2 eingespart.

Eine Begrenzung oder ein Ende der heimischen Produktion von Biokraftstoffen führt laut Bundesverband Bioenergie (BBE) unweigerlich zu einer stärkeren Importabhängigkeit. Fossile Öl- und Kraftstoffimporte stammen aber meist aus Krisenregionen, argumentiert der BBE in einem Schreiben an die FDP-geführten Ministerien für Verkehr und Finanzen.

Das Vorhaben könnte zudem hohe Kosten nach sich ziehen. „Autos, die heute mit nachhaltigen Biokraftstoffen mit einer durchschnittlichen THG-Einsparung von über 90 % betankt werden, verschwinden nicht einfach von Deutschlands Straßen, wenn Biokraftstoffe vom Markt genommen werden. Hier entstehen bei Nichterfüllung der im Bundes-Klimaschutzgesetz vorgesehenen Minderungsvorgaben tatsächlich Opportunitätskosten, weil die Bundesregierung gezwungen wäre, aus Steuermitteln Emissionsrechte von anderen Mitgliedsstaaten zu kaufen“, argumentiert der Bundesverband der Deutschen Ethanolwirtschaft (BDBe).

Bis zum Jahr 2030 werden Bioethanol, Biodiesel und Biomethan laut BDBe rund 120 Mio. t Treibhausgase eingespart haben. „Daran ändert auch der Vorschlag zur vierfachen Anrechnung von Strom nichts, weil dieser Rechentrick keine reale Emissionsminderung zur Folge hat“, so der BDBe.

Ein Ende der heimischen Produktion von Biokraftstoffen führt unweigerlich zu einer stärkeren Importabhängigkeit.
Claus Sauter

Keine Hungersnot

Die Annahme, Biokraftstoffe würden zum weltweiten Hunger beitragen, ist auch nach Ansicht von Claus Sauter ein Trugschluss. Sauter, Gründer und Vorstandsvorsitzender des Biokraftstoffherstellers Verbio AG, sagt dazu: „Die aktuelle Debatte suggeriert, man müsse sich entscheiden, ob man weiter auf klimafreundliche Mobilität und nachhaltige Energiegewinnung setzt oder Lebensmittel produziert. Aber das ist kein Entweder-Oder!“

Fortschrittliche Biokraftstoffe wie das Biomethan aus Stroh würden landwirtschaftliche Reststoffe als Rohstoff nutzen, die laut Sauter bisher vielfach ungenutzt bleiben. Karin Naumann vom Deutschen Biomasseforschungszentrum DBFZ sieht deren Verfügbarkeit unkritisch: „Es sind umfangreiche Abfall- und Reststoffe vorhanden. Ihr Einsatz für die Produktion von kostengünstigen, nachhaltigen Biokraftstoffen ist nicht nur aus rohstoffwirtschaftlicher Sicht sinnvoll, sondern auch zur CO2-Reduktion im Verkehr.“

Bereits im vergangenen Jahr hat der dritte UFOP-Bericht zur globalen Marktversorgung verdeutlicht, dass nur ein Bruchteil der weltweiten Getreide- und Ölsaatenbestände zu Biokraftstoffen verarbeitet wird. Die globale Getreidemenge von 2,8 Mrd. t reicht rechnerisch aus, um die Weltbevölkerung mit 350 kg Getreide und 27 kg Öl pro Kopf zu versorgen. Damit müsste niemand hungern. Aber die Verteilung ist sehr ungleichmäßig. So kommt Afrika lediglich auf 145 kg Getreide und 6 kg Pflanzenöl je Einwohner.

Nur 8 % der weltweiten Getreideernte wird dem Bericht nach zu Biokraftstoffen verarbeitet. Der Großteil (1 Mrd. t) geht in die Futtermittelindustrie, 0,7 Mrd. t dienen der menschlichen Ernährung.

Die USA sind mit 60 Mio. t der größte Produzent des Biokraftstoffs Ethanol aus Getreide. Rohstoffbasis ist hier allerdings Mais. Während in der Nordhalbkugel neben Getreide und Mais auch Zuckerrüben für die Bioethanolproduktion verwendet werden, kommt in Ländern wie Brasilien, Thailand oder den Philipinen Zuckerrohr zum Einsatz. Der Bericht zeigt, dass vielfach eine verantwortungslose Führung der Regierung und witterungsbedingte Einflüsse wie Trockenheit oder zu viel Regen die Versorgung mit Nahrungsmitteln gefährde.

Die Energy Watch Group ergänzt: „Der naiven Vorstellung, dass ein Biokraftstoffverbot eine drohende Hungersnot aufhalten könnte, steht zudem eine über viele Jahre fehlgelenkte Entwicklungshilfepolitik gegenüber, die durch billige Nahrungsmittelimporte die Fähigkeiten einer eigenen Nahrungsversorgung vernichtet hat, z. B. in Afrika.“

Es gibt noch viel Potenzial für Biokraftstoffe aus Reststoffen.
Claus Sauter

Politischer Widerstand

Noch sind die Vorschläge der Bundesregierung nicht umgesetzt. Der konkrete Abbauplan bis 2023, den das Bundesumweltministerium erarbeitet hat, soll noch vor der Sommerpause zwischen den Ministerien abgestimmt werden. Widerstand könnte es aber vom Bundesverkehrsministerium geben: Minister Volker Wissing (FDP) sieht den ­Vorstoß von Umweltministerin Steffi Lemke kritisch.

Wie er der Presseagentur dpa sagte, führe die Initiative zu einem höheren Ausstoß von Treibhausgasen im Verkehr. Ihre Pläne seien innerhalb der Regierung nicht abgestimmt. Die UFOP empfiehlt Bundesministerin Steffi Lemke einen genaueren Blick in das Treibhausgas (THG)-Quotengesetz. Das vom Umweltministerium verantwortete und international beachtete Regelwerk habe einen Effizienzwettbewerb ausgelöst. Denn die zur THG-Minderung verpflichteten Unternehmen sind an einem möglichst optimierten Preis-Leistungsverhältnis bei der THG-Minderung interessiert. Dieser in der Klimapolitik einmalige Effizienzwettbewerb habe den Mengenbedarf für die Quotenerfüllung reduziert. So habe sich der Anteil von Biodiesel aus Rapsöl seit 2014 gegenüber dem Jahr 2020 im Biokraftstoffmix praktisch halbiert.

Die bei Nichterfüllung der Quote zu entrichtende Strafzahlung (Pönale) werde dann bezahlt, wenn der Biokraftstoff daran gemessen teurer ist. Dies sei aktuell infolge des Preisanstiegs an den Agrarrohstoffmärkten der Fall. Die UFOP resümiert, dass ein gesetzlicher Eingriff daher nicht nötig ist, weil die schon bestehenden gesetzlichen Regelungen den Marktausgleich herstellten. Ihr Kontakt zur Redaktion: hinrich.neumann@topagrar.com

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