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Taugen Rohstoffe aus dem Moor als neues Geschäftsfeld?

Das Moor zu vernässen und mit hohen Grundwasserständen Biomasse zu erzeugen, spart Treibhausgase ein. Aber wie man den Aufwuchs wirtschaftlich nutzen soll, ist derzeit ein Rätsel.

Lesezeit: 10 Minuten

Es duftet ein wenig nach Heu aus dem Gewebesack. „Das würden wir gern an die Industrie verkaufen. Aber es will keiner haben“, sagt Hans Lütjen-Wellner.

Der Biolandwirt bewirtschaftet mit Mutterkühen rund 400 ha Grünland im Teufelsmoor im Landkreis Osterholz (Niedersachsen) –einer Region mit 15.000 ha Moorfläche, davon 10.000 ha seit dem Jahr 2012 in Naturschutz-, Landschaftsschutz- oder Vogelschutzgebieten mit strengen Auflagen u. a. für Wiesenbrüter. Und 1 000 ha davon sind „Retentionsflächen“ zum Hochwasserschutz unter anderem für den Fluss Hamme.

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Diese 1.000 ha werden seit dem Jahr 2012 von Januar bis Mai aus Naturschutzgründen „überstaut“. Das bedeutet: Mit Wehren wird der Wasserabfluss in Richtung Weser und Nordsee verhindert. Das Wasser steht bis Mai auf den Flächen. Um für Sommerhochwasser gewappnet zu sein, lassen die Wasserverbände dann das Wasser ab.

„Anschließend können wir auf den Flächen wirtschaften. Aber der Aufwuchs ist als Futter nicht mehr zu gebrauchen“, sagt der Landwirt. Denn aufgrund des Wasserstandes wachsen dort fast nur noch Binsen, Seggen, Rasenschmiele oder andere Gräser, die die Tiere verschmähen. Dazu kommen Algen, die nach dem Abfließen des Wassers auf den Flächen bleiben. Das Gras macht Lütjen-Wellner bislang zu Heu. „Wegen des späten Schnitttermins ist es so verholzt, dass es nicht mehr siliert“, sagt er. Einen Teil streut er im Rinderstall ein, den Mist liefert er zu einer Biogasanlage.

Suche nach Abnehmern

Weil die Landwirte jährlich immer mehr Material auftürmen und dafür keine Abnehmer finden, haben sie im Jahr 2017 unter dem Dach des Landvolkkreisverbandes Osterholz mit Unterstützung des Landkreises den Arbeitskreis „Aufwuchsverwertung von Moorstandorten“ gegründet und vom Greifswalder Moor Centrum eine Machbarkeitsstudie erstellen lassen.

Was bei den 1.000 ha Retentionsflächen im Teufelsmoor heute schon Realität ist, steht mit der Wiedervernässung von Mooren in vielen Regionen bevor. Mit einem höheren Wasserspiegel soll die Torfzersetzung und die Freisetzung von Treibhausgasen gestoppt werden – eine wichtige Klimaschutzstrategie der Bundesregierung.

Betroffen ist vor allem Niedersachsen, mit 400.000 ha das moorreichste Bundesland. Weitere Moorländer sind Mecklenburg-Vorpommern (290.000 ha), Brandenburg (260.000 ha), Bayern (221.000 ha) und Schleswig-Holstein (185.000 ha).

Paludikultur als Alternative

„Moor- und Klimaschutz kann langfristig nur erfolgreich sein, wenn die Betriebe damit eine Möglichkeit zur Wertschöpfung haben“, erklärt Bayerns Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber. Denn die Flächen seien ihre Lebensgrundlage. Auch nach der Wiedervernässung müssten sie darauf ihr Einkommen sichern können.

Eine Möglichkeit dazu wird in der Paludikultur gesehen. Der Name basiert auf dem lateinischen Wort „Palus“ (Sumpf, Morast) und bedeutet die land- oder forstwirtschaftliche Nutzung nasser oder wiedervernässter Moorstandorte. Beispiele für die Nutzung sind:

  • Der Anbau von Rohrkolben als Dämm- und Baustoff oder als Gartenbausubstrat,
  • der Anbau von Schilf als Baustoff für Reetdachhäuser oder Dämmplatten,
  • der Anbau von Schwarzerlen als Wertholz für Möbel oder Energieholz,
  • der Anbau von Torfmoosen als Gartenbausubstrat oder Sonnentau für medizinische Zwecke,
  • die Nutzung von Nassgrünland, Rohrglanzgras oder Seggen zur Vergärung in Biogasanlagen, als Brennstoff, als Futter oder als Ausgangsstoff für Fasern, die sich in der Papier- und Verpackungsindustrie verwerten lassen, wie z. B. als Einwegteller oder Baustoff für Bau- und Möbelplatten.

Vielversprechend bezüglich Wertschöpfung und Moorschutz scheint der Anbau des breitblättrigen und des schmalblättrigen Rohrkolbens zu sein. „Der Anbau ist relativ einfach, da diese Pflanzen große Schwankungen bei den Wasserständen vertragen, robust und sehr wüchsig sind und gute Eigenschaften für eine stoffliche Verwertung besitzen“, erklärt Dr. Colja Beyer von der niedersächsischen Kompetenzstelle Paludikultur, die die Aktivitäten in diesem Bundesland koordiniert.

Eine Herausforderung stellt die Herstellung von Rohrkolbenpoldern dar, da hohe Einmalkosten durch Baumaßnahmen und Pflanzmaterial entstehen, die ein Betrieb kaum aufbringen kann.

„Für uns kommt der Anbau von Kulturen aber nicht infrage. Denn dazu müssten wir Grünland umbrechen, was allein wegen der EU-Beihilferegelung, aber auch wegen der Vogelschutzauflagen bei uns verboten ist“, erklärt Dieter Helmke, Sprecher des Osterholzer Arbeitskreises zur Aufwuchsverwertung.

Das trifft in Niedersachsen auf die meisten Flächen zu: Die Kompetenzstelle Paludikultur hat ermittelt, dass von den rund 185.000 ha paluditauglichen Moorböden in Niedersachsen mindestens 134.000 ha Dauergrünland sind. „Wir fordern daher, dass auch die Verwertung von Dauergrünlandaufwuchs als Paludikultur angesehen und in Förderprogrammen aufgenommen wird“, sagt Helmke.

Nutzung von Gräsern

Eine Möglichkeit, die Gräser zu nutzen, ist die energetische Verwertung. Wie das geht, zeigt die Agrotherm GmbH aus Mecklenburg-Vorpommern, die ein Heizwerk mit 800 kW betreibt. Als Brennstoff dienen seit 2014 Rundballen aus Niedermoorbiomasse. Das Nahwärmenetz versorgt 490 Wohneinheiten, zwei Schulen und Bürogebäude. Jeweils 28 Ballen werden auf eine Ballenbahn geladen und dann automatisch in den Kessel befördert. Diese Brennstoffmenge reicht für 24 Stunden.

Der Ökoenergieversorger Green Planet Energy will die Biomasse, für die keine stoffliche Verwertung umsetzbar ist, in Biogasanlagen vergären und das Gas zu Biomethan aufbereiten. Dieses soll dann als Ökogas an Kunden geliefert werden.

Kein Markt für Produkte

Eine andere Idee ist die Vermarktung als Baustoff. Ein Praxisversuch fand mit Biomasse aus der Hammeniederung im Sommer 2019 statt. Dabei wurde die Biomasse in einer Pilotanlage des Unternehmens Zelfo Technology in Schwedt/Oder aufgefasert und anschließend zu Paneelen bzw. Platten gepresst. „Es hat sich gezeigt, dass sich das Heu als Material für Bau- oder Möbelplatten, für Einweggeschirr oder für Verpackungen eignet“, erklärt Frank Havemeyer, stellvertretender Geschäftsführer beim Kreislandvolkverband Osterholz.

Für 250 €/t nimmt uns keiner die Heupellets ab.“ - Hans Lütjen-Wellner

Doch es gibt noch keinen Markt, es existieren vor Ort weder Hersteller noch Abnehmer. „Ein großes Problem sind die Kosten“, weiß Landwirt Lütje-Wellner. So war ein Verkaufspreis von 100 €/t Rundballenheu vor dem Dieselpreisanstieg bislang kostendeckend. „Wir ernten das Heu in Rundballen, weil wir mit schweren Maschinen nicht auf die nassen Flächen kommen“, erklärt er.

Aber es ist schwer, für die Rundballen Abnehmer zu finden. Daher hat er in diesem Jahr einen Versuch mit einer Presse gemacht, die Pellets aus Heu produziert. Denn Pellets lassen sich einfacher zu Abnehmern transportieren. Das Pressen hat allein 150 €/t gekostet. „Aber für 250 €/t nimmt uns keiner die Pellets ab“, war sein Resümee.

Das Beispiel ist typisch für den aktuellen Stand bei der Paludikultur. Für viele Verwertungspfade gibt es bislang nur geförderte Pilotprojekte. Viele Wertschöpfungsketten sind erst im Aufbau. Landwirte müssten daher – ähnlich wie bei Kurzumtriebsplantagen oder Agroforstsystemen – finanziell erst einmal in Vorleistung gehen. Ihnen fehlen Sicherheiten bei Preisen und Abnahme. Die verarbeitende Industrie dagegen benötigt eine gleichbleibende Qualität und Liefersicherheit, was bei den oft kleinen, regional anfallenden Mengen und den jährlich schwankenden Produktqualitäten der nachwachsenden Rohstoffe nicht einfach ist – vor allem bei Moorflächen mit jährlich schwankenden Wasserständen.

Das macht u. a. die Zulassung der Baustoffe nach geltenden Normen schwierig. Eine Lösung wäre es, am Markt befindliche Baustoffe aus nachwachsenden Rohstoffen wie Hanf, Stroh und Holz mit Paludibiomasse zu mischen. Wichtig wäre es, dass auch die Mischungen die gleiche Zulassung als Bau- oder Dämmstoff bekommen wie Reinprodukte.

Widersprüche im Recht

Andere Hürden sind rechtlicher Art. So wollen Substratwerke, wie das Torfwerk Moorkultur Ramsloh in Niedersachsen, künftig kein Torf aus Mooren mehr verwenden. „Das wird nicht einfach, da Torf heute 58 % Anteil an der Erde hat, die von Hobby- und Profigärtnern benutzt werden“, sagt Geschäftsführer Gunnar Koch. Als einzigen Alternativrohstoff sieht er Torfmoos an, das sich auf Moorböden anbauen lässt. Allerdings stehen dem heute noch viele Gesetze und Vorschriften aus Naturschutz, Förderung, Wasserwirtschaft und Baurecht entgegen.

Ein weiteres Beispiel: Theoretisch wäre es denkbar, Paludibiomasse über die Pyrolyse zu vergasen und ein Bioöl als Ausgangsstoff für die Biokraftstoffproduktion zu verwenden – ähnlich, wie es aktuell bei Stroh bereits umgesetzt wird. Aber Biokraftstoffe werden laut Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED II) der EU nicht als Klimaschutzinstrument anerkannt, wenn die Biomasse auf Moorböden angebaut wird. Die Regelung soll Moore weltweit vor der Entwässerung schützen, bewirkt aber im Kontext der Paludikultur das Gegenteil.

Gesellschaft ist gefragt

Eine Wiedervernässung betrifft nicht nur einzelne Grundstücke, sondern ganze Regionen. Daher ist das ein Einschnitt in die Lebens- und Wirtschaftsgrundlage vieler Landwirte, unterstreicht Bernhard Krüsken, Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes. „Wenn wir in Deutschland 1 Mio. ha Moorfläche wiedervernässen wollen, die heute landwirtschaftlich genutzt wird, brauchen die Landwirte Perspektiven“, forderte er. Der Verkaufserlös von 2 bis 4 t Rohrkolben pro Hektar reiche dafür bei Weitem nicht aus. Daher ist eine neue Förderung nötig.

Die Wiedervernässung sieht er als gesamtgesellschaftliche Aufgabe wie z. B. den Kohleausstieg. Er warnte davor, eine „schleichende Enteignung“ vorzunehmen. Als akzeptanzfördernd sieht er die Möglichkeit, Solarparks auf solchen Flächen zu betreiben.

Auch die Landwirte im Teufelsmoor würden eine Solarstromnutzung begrüßen. „Der regelmäßige Erlös aus dem Stromverkauf wäre eine sichere Einnahmequelle, mit der wir verschiedene Maßnahmen finanzieren könnten“, sagt Lütjen-Wellner.

Aber die Landwirte machen sich keine Hoffnung, dass die Naturschutzbehörden diese Anlagen in Schutzgebieten genehmigen würden. Ein Problem wäre auch die Gründung: Wenn die in den Boden gerammten Pfosten für die Gestelle die Ortssteinschicht zerstören, könnte das aufgestaute Wasser in Richtung Grundwasser versickern.

Der Anbau von Paludikulturen ist zwar nach der GAP-Reform ab 2023 beihilfefähig. Das gilt aber nur für den Anbau von Rohrkolben usw. Inwiefern Nassgrünland darunter fällt, ist offen.

Ohne Förderung sinkt die Wertschöpfung. „Während Milchviehhalter auf intensiv bewirtschaftetem Grünland 7.000 bis 10.000 € Umsatz pro Hektar machen, sind es bei uns im Moor 200 bis 1.000 €/ha“, rechnet Frank Havemeyer vor. Das führt dazu, dass immer mehr Betriebe keinen Hofnachfolger haben und aufgeben.

Moorfutures als Lösung?

Eine etablierte Erlösoption stellen die MoorFutures da, die von der Flächenagentur Brandenburg vorgestellt und 2011 in Mecklenburg-Vorpommern entwickelt wurden. Inzwischen gibt es sie auch in Schleswig-Holstein. Ein MoorFutures-Zertifikat entspricht einer vermiedenen Tonne CO2-Emissionen über eine Projektlaufzeit von bis zu 50 Jahren. Die Verkaufspreise schwanken zwischen 35 und 80 €/t. Abnehmer sind z. B. Unternehmen, die damit ihre Treibhausgasbilanz verbessern wollen.

Mit den Einnahmen aus dem Verkauf von MoorFutures aus einem Projekt werden Maßnahmen zur Anhebung des Wasserstandes auf der Projektfläche refinanziert (www.moorfutures.de). „Das wäre auch für uns eine interessante Option. Aber bislang gibt es sie in Niedersachsen noch nicht“, sagt Helmke.

Perspektive wichtig

Das Beispiel Teufelsmoor zeigt, wie stark Wunsch und Wirklichkeit bei der Moorbewirtschaftung auseinanderklaffen. „Wir hoffen seit mehreren Jahren, dass die Landwirte mit dem Verkauf von Rohstoffen oder Klimaschutz Geld verdienen können. Aber es wird immer mehr zu einer großen Belastung“, gibt sich Havemeyer ernüchtert. Kreislandvolkvorsitzender Stephan Warnken ergänzt: „Bei allen Potenzialstudien zur Verwertung von Moorbiomasse wird die Landwirtschaft allzu oft vergessen. Wenn die Arbeit für die Hofnachfolger nicht attraktiv ist, steigen sie aus. Das wäre das Aus für die Moorbewirtschaftung.“

Darum fordert er wie seine Berufskollegen in der Region, dass die Klimaschutzleistungen stärker honoriert werden – sowohl bei der Wiedervernässung als auch bei den Produkten. Neben dem Abbau von rechtlichen Hürden gehört dazu auch ein gewisser Außenschutz für die regionalen Produkte, damit nicht irgendwann Fasern oder Dämmplatten aus dem Baltikum die Produkte aus dem Teufelsmoor ausstechen.

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