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Interview

Seide wirbt für Biogasanlagen als strategische Kraftwerksreserve

Dezentrale Kraftwerkparks liefern im Bedarfsfall eine sichere Backup-Leistung.Auch die Reservekapazität flexibler Biogasanlagen sei unverzichtbar und damit systemrelevant, sagt Horst Seide.

Lesezeit: 10 Minuten

Für flexible Biogasanlagen als Teil der strategischen Kraftwerksreserve wirbt der Präsident des Fachverbandes Biogas (FvB), Horst Seide. „Alle Fachleute sind sich einig, dass wir nach Abschalten der Atommeiler und Kohlekraftwerke eine sichere Backup-Leistung zwischen 20 GW und 40 GW brauchen“, sagt er im Interview mit Agra Europe.

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Seide: Federführend ist in dieser Frage das Wirtschaftsministerium mit Dr. Robert Habeck an der Spitze. Als Fachverband versuchen wir nach Kräften, uns in die laufende Diskussion um die Reservekapazitäten einzubringen.

Sie werben für flexiblen Biogasstrom, weil dieser angeblich sogar die Strompreise dämpft. Wie muss man sich das vorstellen?

Seide: Wie in anderen Märkten richtet sich der Strompreis nach Angebot und Nachfrage. Deutsche Biogasanlagen senken den Strompreis immer dann, wenn sie als flexible Kraftwerke das Zuschalten der sehr viel teureren fossilen Reservekraftwerke unnötig machen, künftig beispielsweise bei einer sogenannten „Dunkelflaute“, wenn der Wind in den Wintermonaten nicht bläst.

Lohnt es sich für die Anlagenbetreiber, Strom flexibel ins Netz einzuspeisen?

Seide: Aktuell sind rund 5 GW-Biogasstrom im Netz, die aber nur zu einem kleineren Teil flexibel zu- und abgeschaltet werden können. Bis vor einigen Jahren war es erklärter Wille der Politik, Biogasanlagen rund um die Uhr auf Grundlast laufen zu lassen. Inzwischen gibt es einen finanziellen Anreiz zur Flexibilisierung. Der Anlagenbestand kann aber erst allmählich flexibilisiert werden. Aktuell kann eine Stromleistung von rund 0,7 GW aus Biogas flexibel an- und abgeschaltet werden. Wir sind hier erst am Anfang einer Bewegung!

Wie viel Leistung wollen Sie flexibilisieren?

Seide: Unser Ziel ist es, 20 GW bis 30 GW flexibel an- und abzuschalten. Dazu soll Biogas im großen Stil unter Hauben und auch im Gasnetz „geparkt“ werden. Und erst im Bedarfsfall produzieren viele kleinere, dezentrale Blockheizkraftwerke passgenau den jeweils fehlenden Strom.

Wie teuer ist eine Kilowattstunde Strom aus Biogas?

Seide: Im Schnitt können Biogasanlagen die Kilowattstunde Strom für knapp 20 Cent produzieren. Im Einzelfall sind die Produktionskosten natürlich stark von den jeweiligen Einsatzstoffen abhängig, ob also beispielsweise Abfälle oder nachwachsende Rohstoffe vergoren werden. Anders als die Kosten schwankt der Strompreis im Tagesverlauf. Der Preis kann morgens um 8 Uhr bei 22 Ct/kWh liegen, in der Phase des höchsten Verbrauchs am Abend aber bei 60 Ct/kWh. Das Beispiel macht deutlich, dass es um eine möglichst starke Flexibilisierung des Anlagenparks gehen muss. Je mehr Strom wir mit unseren Biogasanlagen in den teuren Phasen liefern, desto rentabler ist der Betrieb der Biogasanlage.

Wäre es Ihnen nicht lieber, kostendeckende Strompreise am Markt zu erzielen und so unabhängig von EEG-Ausschreibungen zu sein?

Seide: Das wäre grundsätzlich gut. Allerdings laufen Anlagen, die das Stromnetz stabilisieren, nur wenige Stunden im Jahr. Insgesamt sprechen wir von rund 1 000 kritischen Stunden jährlich. Die werden wohl niemals ohne staatliche Förderung rentabel abzudecken sein, egal ob es sich dabei um ein Wasserstoff-, ein Erdgaskraftwerk oder die Biogastechnologie handelt. Das ist auch meine Botschaft an die Politik: Der Investitionsbedarf für die Reserveinfrastruktur lässt sich nicht über den Börsenpreis für Strom decken. Deshalb muss der Flexzuschlag für Biogasanlagen langfristig erhalten bleiben.

Bekanntlich soll die EEG-Umlage zum 1. Juli gestrichen werden. Der Ausbau der erneuerbaren Energien muss dann aus dem Bundeshaushalt gestemmt werden. Macht das die Erneuerbaren-Branche nicht abhängig von der jeweiligen Kassenlage?

Seide: Diese Gefahr sehen wir auch. Die Haushaltsdisziplin sorgt für Unsicherheit in der Förderung. Wir haben deshalb vorgeschlagen, die Förderung der Erneuerbaren zumindest teilweise an die Einnahmen aus der CO2-Bepreisungzukoppeln. Nun hat die Politik anders entschieden und wir werden mit der Finanzierung aus dem Bundeshaushalt leben müssen.

Wäre es mit Blick auf explodierende Gaspreise nicht rentabler, Biogas aufzubereiten und ins Gasnetz einzuspeisen?

Seide: Ob Strom oder Gas eingespeist wird, hängt in erster Linie vom Standort der Biogasanlage ab. Wenn das lokale Netz nicht für die Einspeisung großer Strommengen ausgelegt ist, fällt diese Verwertungsrichtung von vornherein weg. Umgekehrt ist nicht jede Biogasanlage dicht genug an der nächsten Erdgasleitung, um angebunden zu werden. Aber natürlich lässt der aktuell hohe Gaspreis viele Anlagenbetreiber über eine Einspeisung nachdenken.

Allerdings werden wir aufgrund der hohen bürokratischen Hürden die zusätzlichen Gasmengen erst ab 2023 im Netz sehen. Hier rächt sich jetzt eine in der Vergangenheit sprunghafte Biogaspolitik. Ursprünglich hatte man ein Einspeisungsziel von jährlich 10 Mrd m3Biogas bis 2030 ausgegeben. Dieses Ziel hat dann bereits die Vor-Vorgängerregierung der aktuellen Ampel gekippt. Prompt ist der Zubau von Biogasanlagen, die ins Erdgasnetz einspeisen, stark eingebrochen.

Es gab Zeiten, da haben wir 40 Anlagen pro Jahr an das Gasnetz angeschlossen; 2021 waren es gerade noch vier. Aktuell speisen Biogasanlagen rund 1 Mrd m3 Gas ein. Auf dem ursprünglichen Ausbaupfad wären wir vielleicht schon bei 3 Mrd m3 oder 4 Mrd m3. Das sind genau die Mengen, die uns in der aktuellen Krise für einen ausgeglichenen Gasmarkt fehlen.

Die neue Bundesregierung hat angekündigt, regionale Kreisläufe in der Landwirtschaft stärken zu wollen. Wäre es da nicht am besten, Strom und Gas auf dem eigenen Hof zu verbrauchen?

Seide: Der Eigenverbrauch wird durch die neuen Antriebssysteme in der Land- und Forstwirtschaft an Bedeutung gewinnen - sei es durch elektrifizierte Maschinen oder durch Kraftstoffalternativen zum fossilen Diesel. Beispielsweise kann man seit einigen Monaten den ersten serienreifen Gastraktor von New Holland kaufen, der komplett CO2-frei betrieben werden kann. Die Nachfrage nach dem Modell T6.180 ist groß, auch in Deutschland. Er ist der Beginn einer neuen Mobilität in der Landwirtschaft. Allerdings hat erst ein Hersteller einen Methangasmotor zur Serienreife gebracht, und es gibt den Antrieb auch nur für die 100 kW-Leistungsklasse. Ein Raupentraktor ist noch im Versuchsstadium und wird wohl erst in drei Jahren serienreif sein. Das sollte man nicht kleinreden, aber der ganz große Umschwung ist das noch nicht.

Wo hakt es konkret?

Seide: Wir haben es hier mit dem klassischen Henne-Ei-Problem zu tun. Es kostet mehrere Millionen Euro, einen neuen Motor durch die Zulassung zu bringen. Wenn anschließend nicht mindestens vierstellige Stückzahlen verkauft werden, rechnet sich die Entwicklung für den Hersteller nicht - egal, ob es um einen Methantraktor geht, einen MultiFuel-Motor oder ob ein Fahrzeug elektrifiziert werden soll.

Haben Sie Sorge, dass Ihrer Branche die Wasserstofftechnologie einen Strich durch die Rechnung macht, wenn das Gas erst günstig genug aus Wind- und Sonnenstrom hergestellt werden kann?

Seide: Überhaupt nicht! Grüner Wasserstoff wird absehbar auch in Zukunft ein hochpreisiger Energieträger sein. Wir werden dann die Günstigmacher sein. Und was viele nicht wissen: Man kann Biogas durch Abspaltung des Kohlenstoffatoms auch in Wasserstoff umwandeln. Anschließend kann man dieses Kohlenstoffatom als Biokohle in den Boden einbringen und auf diese Weise sogar negative Emissionen erzeugen.

Biogas wird künftig also auch über die Brennstoffzelle verwertbar sein?

Seide: Das geht heute schon! Die ersten Prototypen sind so konzipiert, dass das Rohbiogas in der Brennstoffzelle zu 80 % Strom und zu 20 % Wärme verwandelt wird.

Deutschland hat sich bekanntlich sehr ambitionierte CO2-Einsparziele gegeben. Welchen Beitrag zum Klimaschutz leistet ihre Branche?

Seide: Wir sparen mit dem heutigen Anlagenpark jährlich 20 Mio t CO2 ein - und das Einsparpotential in der Landwirtschaft ist noch riesig. Ein Großteil der Emissionen entsteht, wenn das extrem klimaschädliche Methan ungenutzt aus Gülle und Mist entweicht. Wenn wir die bisher ungenutzten Mengen als Biogassubstrat einsetzen, könnten wir dadurch zusätzlich 6 Mio t CO2 einsparen. Enormes Potential zur Klimagaseinsparung bieten auch die bisher nur gemulchten Naturschutzflächen, deren Blühmischungen man im Herbst ebenfalls einer Biogasanlage zuführen könnte. In der Summe könnten wir die CO2-Einsparung in der Landwirtschaft aus dem Stand vervielfachen.

Gülle oder Blühmischungen haben aber eine deutlich geringere Biogasausbeute als Silomais …

Seide: Das stimmt, aber Gülle wie Blühmischung haben ihren eigentlichen Zweck vor der Gasgewinnung bereits erfüllt, nämlich die Milcherzeugung aus der Kuh oder die Förderung von Biodiversität. Deshalb darf die Energiedichte ruhig deutlich geringer ausfallen als beim Mais, der allein für die Vergärung angebaut wurde.

Bislang wird erst ein Drittel der in der Nutztierhaltung in Deutschland anfallenden Gülle in Biogasanlagen zur Energieproduktion verwertet. Wie ließe sich das ändern?

Seide: Tatsächlich ist das Gülleaufkommen der meisten Betriebe für einen wirtschaftlichen Anlagenbetrieb zu gering, da die Investitionskosten erheblich sind. Das gilt insbesondere für die Nachrüstung einer Kleinanlage im Bestand, aber auch für Neuanlagen. Einen Schub könnten Güllekleinanlagen durch das Gesetz zur Neuregelung der Treibhausgas-(THG)-Minderungsquote von 2021 bekommen, das Investitionen in fortschrittliche Kraftstoffe fördert. Innerhalb der THG-Quote soll der Anteil von fortschrittlichen Biokraftstoffen, zum Beispiel Biomethan aus Gülle oder Stroh, von derzeit nahe null auf mindestens 2,6 % bis 2030 steigen. Die Verwendung dieser Rohstoffe wurde vom Gesetzgeber als nachhaltig deklariert und wird oberhalb der für die einzelnen Jahre vorgegebenen Mindestmengen zusätzlich mit einer doppelten Anrechnung innerhalb der THG-Quote gefördert. Der Kraftstoffsektor könnte dadurch zu einem lukrativen Absatzmarkt für Biogas aus Gülle und Stroh werden.

Seit Anfang Februar können sich Betreiber von Biogasanlagen deren emissionsmindernde Aufrüstung über ein neues Bundesprogramm mit bis zu 40 % bezuschussen lassen. Wie wird das Programm nachgefragt?

Seide: Zunächst einmal will ich positiv hervorheben, dass das Agrarressort finanzielle Anreize für mehr Umwelt- und Klimaschutz setzt. Allerdings wäre eine Vereinfachung des Ordnungsrechts für den Staat wahrscheinlich billiger gekommen, beispielsweise die rechtliche Gleichstellung von Gärprodukten landwirtschaftlicher Herkunft mit Gülle. Die Konditionen des Programms sind attraktiv, weshalb das Fördervolumen vermutlich schnell ausgeschöpft sein wird.

Im Wirtschaftsministerium wird derzeit mit Hochdruck an der nächsten EEG-Novelle gearbeitet. Was sind aus Sicht der Biogasbranche die größten Knackpunkte?

Seide: Ein Dorn im Auge ist uns die sogenannte Südquote im EEG 2021. Diese könnte im Extremfall dazu führen, dass bei einer überzeichneten Ausschreibung, für die keine Gebote aus der Südregion eingereicht werden, nur die Hälfte des ausgeschriebenen Volumens überhaupt vergeben wird. Die Folge wäre ein Abbau der gesicherten Leistung im Norden. Allerdings kommt die Südquote aktuell nicht zur Anwendung, da sie von der EU-Kommission bislang nicht notifiziert ist.

Gibt es weitere Investitionshemmnisse?

Seide: Die endogene Mengensteuerung. Sie sollte im EEG 2021 für mehr Wettbewerb bei den Ausschreibungen sorgen. Denn die Teilnahmebedingungen sind so eng gefasst, dass nur ganz wenige Anlagen überhaupt in die Ausschreibung gehen. Die endogene Mengensteuerung sieht vor, dass pauschal die 20 % höchsten und damit teuersten Gebote einfach gestrichen werden. Das führt dazu, dass wir in bestimmten geförderten Technologien immer nur niedrige Gebote haben. Wir finden das verkehrt, weil es dazu führt, dass das Angebot an erneuerbaren Energien unter dem technisch Möglichen bleibt. Die endogene Mengensteuerung sorgt somit für eine Fehlsteuerung, Ich bin mir deshalb ziemlich sicher, dass sie in der jetzigen Form nicht fortgeführt wird.

Der Fachverband Biogas feiert in diesen Tagen seien 30. Geburtstag. Wie wird denn das runde Jubiläum gefeiert?

Seide: Wir werden das Jubiläum das ganze Jahr über feiern. Geplant sind fünf große Veranstaltungen, die unter einem bestimmten Motto stehen, beispielsweise Flexibilität oder Artenvielfalt, verteilt über das gesamte Bundesgebiet. Außerdem ist eine Feier in Berlin geplant und in den verschiedenen Regionalgruppen. Darüber hinaus wollen wir unter dem Hashtag #30JahreBiogas in den sozialen Medien den Geburtstag zum Anlass nehmen, um auf die vielen Vorteile von Biogas aufmerksam zu machen - und hoffen dabei auf tatkräftige Unterstützung aus der Mitgliedschaft und von unseren befreundeten Verbänden. Aktuelle Details gibt es auf der Seite 30Jahre.Biogas.org im Internet.

Vielen Dank für das Gespräch!

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