Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger hat bei dem Sondertreffen der Energieminister mit Bundesminister Robert Habeck gefordert, zur Verbesserung der Versorgungssicherheit bei Strom Kohlevorräte in Deutschland für mindestens sechs Monate anzulegen. Die ruinös hohen Energiepreise müssen staatlich gedeckelt und aufgefangen werden, für Wirtschaft und Verbraucher. „Der russische Angriff auf die Ukraine macht rasches Handeln erforderlich. Wegen der Abhängigkeit von russischem Erdgas und dem Abschalten der letzten Atomkraftwerke am Ende dieses Jahres müssen wir eine etwaige drohende Versorgungslücke vorübergehend mit Steinkohle, wenn nötig auch mit Braunkohle absichern“, forderte der Minister. Erst ein Erfolg in einigen Jahren beim raschen Ausbau der erneuerbaren Energien und dem Hochfahren der Wasserstoffwirtschaft mache Deutschland unabhängiger von den derzeitigen Unwägbarkeiten der internationalen Energiebeschaffung.
Aiwanger: Kohlekraft unverzichtbar
Der Staatsminister betonte, in der jetzigen Situation sei Kohlekraft als Brückentechnologie unverzichtbar und müsste auch wo möglich den Einsatz von Gas zur Stromerzeugung ersetzen, um die Gasvorräte zu schonen. Außerdem fordert Aiwanger von der Bundesnetzagentur eine belastbare Berechnung, ob Süddeutschland auch ohne Gaskraft und ohne Atomkraft durch die Kohlekraftwerke aus Norddeutschland zuverlässig mit Strom versorgt werden könne. Ansonsten sei die pauschale Aussage der Bundesregierung, dass Atomkraft für die Energieversorgung nicht nötig sei, nicht belastbar genug.
Das Bayerische Umweltministerium halte eine Verlängerung der Atomlaufzeit im Gegensatz zur Bundesregierung zumindest technisch für möglich - ob es dazu käme, müsste natürlich politisch entschieden werden.
Existenznot bei Unternehmen
Aiwanger wies auch auf die akute Existenznot zahlreicher energieintensiver Unternehmen hin und fordert einen staatlichen Preisdeckel für Energie. Der Bund habe hierzu noch keine klare Position, sehe aber auch politischen Handlungsbedarf. Aiwanger: „Die Ukrainekrise ist ein großes Risiko für unsere Wirtschaft. Wir sehen heute schon massive Schäden und wir dürfen nicht zulassen, dass Betriebe jetzt pleite gehen, nachdem sie die Coronakrise mit viel staatlicher Unterstützung gerade überstanden haben.“
Auch die Auswirkungen auf die breite Bevölkerung aufgrund steigender Inflationsrate und Energiepreise könne die Politik nicht weiter so laufen lassen. Eine Reduzierung der staatlichen Kostenanteile an den Energiekosten sei dringend nötig. Beispielsweise müsse der Spritpreis stabil unter zwei Euro gehalten werden, u.a. durch Reduzierung der Mineralölsteuer.
Günther: "So schnell wie möglich weg von Öl und Gas"
„Wir haben heute mit Bund und Ländern intensiv Lösungen besprochen. Wir waren uns mehr als einig. Die Lösung kann nur lauten: Wir müssen jetzt einen Sprung machen beim Ausbau der erneuerbaren Energien, um so schnell wie möglich unabhängig von Öl und Gas aus Russland zu werden“, resümierte auch Sachsens Energieminister Wolfram Günther nach dem Treffen.
Jetzt gehe es auch darum, die nächsten Monate zu nutzen, um die Versorgungssicherheit im kommenden Winter zu gewährleisten. Aufgabe sei es zudem, die Folgen der hohen Preise von fossilen Energien für Bevölkerung und Wirtschaft zu lindern. Der Bund habe noch einmal die Rolle bekräftigt, die den strategischen Reserven von Erdgas, Öl und Steinkohle zukommt.
Braunkohle und Kernkraft keine Hilfe
Aktuell wird die Laufzeitverlängerung von Braunkohle- und Atomkraftwerken ins Spiel gebracht. Russisches Erdgas wird weit überwiegend für Wärme und Industrieprozesse benötigt. „Braunkohle und Kernkraft sind hier schon technisch keine Hilfe. Von den Sicherheitsrisiken der Kernkraft gar nicht zu sprechen. Steinkohle kann in der akuten Lage in Teilen zur Lösung beitragen, muss aber wie Öl oder Gas importiert werden“, sagte Günther. Klar müsse sein: Die zusätzlichen Mengen an fossilen Energieträgern müssten durch einen nochmals beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren kompensiert werden. „Wer jetzt pauschal den Ausstieg aus Kohle und Atom in Frage stellt, führt eine Zombie-Debatte“, sagte der Minister.
Die Energiepolitik der Vergangenheit habe auch in Sachsen auf fossile Energien gesetzt und den Ausbau der Erneuerbaren blockiert. Das sei ein schwerer Fehler gewesen, der jetzt die Sicherheit und die Freiheit gefährde, so Günther. „Der Krieg in der Ukraine zeigt: Wir müssen dringend raus aus der Abhängigkeit von fossilen Energieträgern. Der Ausbau der Erneuerbaren ist eine Frage des Klimaschutzes. Er ist eine knallharte Standortfrage. Und der Ausbau der Erneuerbaren ist eine Frage der nationalen Sicherheit.“
Diversifizierung der Bezugsquellen für Kohle und Gas
Auch der niedersächsische Energieminister Olaf Lies plädiert dafür, dass sich Deutschland unabhängig macht von Kohle- und Gaslieferungen aus Russland. Dabei gehe es vor allem um die Diversifizierung der Bezugsquellen. Dem Bau von Flüssiggas-Terminals an den Standorten Wilhelmshaven, Brunsbüttel und Stade komme dabei eine zentrale Bedeutung zu. „Diese wollen wir mit größtmöglicher Geschwindigkeit vorantreiben. Wir werden zeigen, dass dies in Deutschland möglich ist, indem wir, wo immer möglich, planungsrechtliche Abkürzungen nehmen werden. Beim Bezug von Kohle stehen Bund und Länder mit allen Ländern und möglichen Anbietern in Kontakt und sondieren neue Bezugs-Möglichkeiten“, sagte der Minister.
Lies: „Laufzeitverlängerung der Kernkraft keine Option"
In der Frage einer Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke ist Lies zusammen mit der ganz überwiegenden Zahl seiner Kollegen und auch Robert Habeck einig, dass dies keine Option für eine kurzfristige Lösung sein kann. „Zu diesem Ergebnis sind wir nach einer gewissenhaften inhaltlichen Prüfung im Vorfeld der heutigen Sitzung und auch vielen Gesprächen mit den Betreibern gelangt. Die rechtlichen Anforderungen, die Fragen der Sicherheit und genauso der Wirtschaftlichkeit stehen dem objektiv entgegen“, sagte Lies.
Auch rechtlichen Anforderungen und Aspekte der Wirtschaftlichkeit würden objektive Hürden darstellen. „Den getroffenen Atomkonsens werden wir nicht für einen Anteil von 5 % an der Stromerzeugung aufkündigen“, unterstrich Lies.