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topplus Reststoffe in der Biogasanlage

Biogas: Vom Teller in den Fermenter

Lebensmittel- und Gartenabfälle könnten viel russisches Erdgas ersetzen. Dafür müsste aber eine Braune Tonne flächendeckend eingeführt werden, fordern Experten.

Lesezeit: 8 Minuten

Dieser Beitrag gehört zu einer dreiteiligen Serie über den Einsatz von Reststoffen in Biogasanlagen:

1. Ergebnisse des Forschungsprojekt „Landwirtschaftliche Rest- und Abfallstoffverwertung“

2. Reportage über eine Biogasanlage, die schon seit 2004 Reststoffe einsetzt

3. Reportage über eine Bioabfall-Vergärungsanlage

Seit 2007 zieht sich die Teller-oder-Tank-Debatte wie ein roter Faden durch die gesamte Diskussion um die Nutzung von Biomasse. Bioenergiekritische Verbände werfen u. a. der Biogasbranche vor, Lebensmittel wie z.B. Mais zu verschwenden, während in anderen Regionen der Welt Menschen Hunger leiden müssten.

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Was dabei übersehen wird: Rund 11 Mio. t Lebensmittelabfälle werden in Deutschland jedes Jahr entsorgt. „Neben ungenießbaren Teilen werden auch noch essbare Lebensmittel in die Tonnen geworfen. Hinzu kommen weitere Verluste entlang der Lebensmittelversorgungskette“, berichtet das Bundeslandwirtschaftsministerium auf seiner Internetseite. Und es sucht verständlicherweise nach Möglichkeiten, um diese Verschwendung zu reduzieren.

400 Bioabfall-Vergärungsanlagen in Deutschland

Aber es bleiben noch viele Lebensmittelreste und Speiseabfälle übrig, die derzeit ungenutzt im Müll und damit meist in der Verbrennung landen. Dabei wäre das Material sehr gut geeignet, um da-raus Biogas zu produzieren.

In Deutschland gibt es laut Fachverband Biogas aktuell rund 400 Bioabfall-Vergärungsanlagen, die aus biogenen Reststoffen Strom und Wärme erzeugen oder das aufbereitete Biogas in Form von Biomethan ins Gasnetz einspeisen. Mit einer Gesamtleistung von gut 350 MW machen sie etwa 6 % des heute existierenden deutschen Biogasanlagenparks aus.

Die biogenen Inputstoffe stammen aus drei Kategorien:

  • Den mit knapp 6 Mio. t größten Anteil macht Grüngut aus Parks und Gärten aus.
  • Rund 4,5 Mio. t Biogut aus privaten Haushalten werden pro Jahr über die Braune Tonne eingesammelt.
  • Hinzu kommen rund 4 Mio. t gewerbliche Abfälle wie Speisereste und überlagerte Lebensmittel.

Jährlich 4 Mio. t Bioabfall im Hausmüll

Knapp die Hälfte der erfassten Bioabfälle werden in Biogasanlagen vergoren, der andere Teil wird kompostiert. Darüber hinaus landen derzeit rund 4 Mio. t Bioabfälle im Restmüll und sind für die energetische Nutzung ­verloren. Hinzu kommen ungefähr 500.000 t Bioabfälle, die durch Verunreinigungen in der Biotonne und daraus resultierende Reinigungsschritte nicht vergoren werden können. „In der Summe werden aktuell rund 4,5 Mio. t potenziell vergärbare Bioabfälle energetisch nicht genutzt“, sagt der Hauptgeschäftsführer des Fachverbandes Biogas, Dr. Claudius da Costa Gomez.

Aus dieser Menge ließen sich mehr als 1 Mio. MWh Strom erzeugen, was den Bedarf von ca. 360.000 Vier-Personen-Haushalten decken könnte. Und am Ende des Gärprozesses entstehen hochwertige Gärreste und Kompost, die als Ersatz für Mineraldünger einen zusätzlichen Beitrag zum Klimaschutz leisten. „Über die flächendeckende Einführung der Biotonne, sauberes und konsequentes Trennen und den Zubau an Biogasanlagen ließe sich mittel- bis langfristig sehr viel zusätzliche klimaneutrale und regionale Energie erzeugen – ohne dass hierfür Energiepflanzen angebaut werden müssten“, betont da Costa Gomez.

Auflagen hemmen Neubauten

Der Neubau von Biogasanlagen sei allerdings mit zunehmend mehr bürokratischen und genehmigungstechnischen Hürden verbunden, erläutert der Vizepräsident des Fachverbandes Biogas und Geschäftsführer einer Herstellerfirma, Christoph Spurk: „Vom ersten Antrag bis zur fertigen Anlage vergehen in der Regel zwei bis drei Jahre. Die Auflagen werden immer komplizierter und aufwendiger. Damit werden die Anlagen erheblich teurer, aber nicht unbedingt besser. Hier wäre etwas mehr Augenmaß angebracht.“

Dass gerade im Hinblick auf eine sichere und bezahlbare Wärmeversorgung der Ausbau und die Optimierung der Bioabfallvergärung vorangetrieben werden müsse, macht Josef Metzger vom Verein „Das bessere Müllkonzept Bayern“ deutlich. Er rechnet vor, dass bei konsequenter Nutzung der anfallenden Bioabfälle und Grüngut mit der Energie aus den Blockheizkraftwerken der Biogasanlagen im Freistaat ein Viertel der bayerischen Wohngebäude beheizt werden könnten.

Auch der Landesverband Erneuerbare Energien Nordrhein-Westfalen (LEE NRW) fordert eine Zeitenwende in der Abfallwirtschaft. „Es ist ein Unding, dass in Zeiten der Gasmangellage nach wie vor 40 % organische Abfälle in der Restmülltonne landen“, moniert der LEE NRW-Vorsitzende Reiner Priggen. „Dieser Irrwitz wird dadurch getoppt, dass dieser wichtige Rohstoff für die Biogasnutzung vielerorts unter hohem Energieaufwand in Müllverbrennungsanlagen verbrannt wird.“ Denn diese benötigen meistens Erdgas als Stützfeuerung, weil Bioabfall feucht ist und per se nicht brennt. Sinnvoller wäre die Vergärung in Biogasanlagen.

Die Biogaserzeugung auf Basis von Bioabfällen ließe sich nach überschlä­gigen Berechnungen so auf gut 10 Mrd. kWh jährlich in etwa verdoppeln. Würden im großen Stil auch Lebensmittelabfälle für die Biogasproduktion genutzt, ergäbe sich eine weitere Steigerung. Derzeit werden bundesweit rund 60 Mrd. kWh importiertes Erdgas für die Stromerzeugung eingesetzt. Allein mit einer konsequenten Nutzung von Bioabfällen könnten die Erdgasimporte für die Stromproduktion um annähernd 17 % gesenkt werden.

LEE NRW: Braune Tonne verpflichtend einführen

Für den LEE NRW sollte deshalb schnellstens bundes- und landesweit in allen Städten und Gemeinden eine Braune Tonne verpflichtend eingeführt werden, um die Bioabfälle flächendeckend gezielt einzusammeln und anschließend für die Biogaserzeugung zu nutzen. Für eine optimale dezentrale Verwertung der eingesammelten Reststoffe sind nach Einschätzung des LEE NRW neue Standorte für Abfallvergärungsanlagen notwendig, die durch den aktuell geltenden Landesentwicklungsplan beschränkt werden. „Gerade mit Blick auf die geopolitische Lage müssen wir die vorhandenen heimischen Energierohstoffe konsequent nutzen“, so Priggen.

Coesfeld als Beispiels für energetische Nutzung

Wie es anders geht, zeigen die Wirtschaftsbetriebe des Landkreises Coesfeld (WBC) in Zusammenarbeit mit der Reterra West GmbH & Co. KG: Im Kreisgebiet sind im vergangenen Jahr insgesamt 46 675 t Bio- und Grünabfälle eingesammelt worden. Deren Anteil am kreisweiten Abfallaufkommen lag im Jahr 2021 bei 42 % – landesweit ein Spitzenwert. „Dank eines fraktionsübergreifenden Beschlusses im Kreistag vor rund zehn Jahren nutzen wir bilanziell alle Bio- und Grünabfälle komplett für die Energieversorgung“, verweist WBC-Geschäftsführer Stefan Bölte auf ein „Leuchtturmprojekt“ des kreisweiten Klimaschutzkonzeptes, für das der Kreis 2019 mit dem Preis „European Energy Award in Gold“ ausgezeichnet worden ist.

Das aus den Bio- und Grünabfällen gewonnene Biogas wird in einem zweiten Arbeitsschritt gereinigt, sodass es problemlos ins „normale“ Erdgasnetz eingespeist werden kann. „Umgerechnet können wir jährlich bis zu 1 500 Haushalte mit Wärme versorgen“, rechnet WBC-Geschäftsführer Bölte vor. Diese Biowärme aus heimischen Rohstoffen nutzt nicht nur dem Klimaschutz und der Versorgungssicherheit. „Das eingespeiste Biomethan, das wir verkaufen, hilft im Ergebnis, die Müllgebühren für alle Haushalte niedrig zu halten.“

Bei der Biomethanerzeugung allein will es die WBC nicht belassen. An die Anlage soll ein Elektrolyseur mit 1 MW im ersten und 2 MW im zweiten Schritt angedockt werden, um so grünen Wasserstoff herzustellen: „Das Genehmigungsverfahren für den von uns vorgesehenen kleinen Elektrolyseur ist aber planungs- und genehmigungsrechtlich identisch mit dem einer chemischen Großanlage, was das Vorhaben sehr erschwert.“

Der Strom für die Elektrolyse soll aus Wind- und Solarparks kommen. In einem zweiten Schritt könnte der Wasserstoff dann mit dem CO2 aus der Biomethanproduktion zu synthetischem Methan synthetisiert werden. Für einen wirtschaftlichen Betrieb sind aber laut Bölte deutlich mehr CO2 und Wasserstoff nötig, als aktuell in der Anlage erzeugt wird.

Bürgermeisterin: „Nutzung von Wasserstoff aus der Biogasanlage selbstverständlich“

Auch Coesfelds Bürgermeisterin Eliza Diekmann steht voll hinter diesen Wasserstoff-Plänen. Für sie ist diese Nutzung ein weiterer Baustein auf dem Weg zu einer nachhaltigen Stadt: „Für uns als Kommune ist es wichtig, dass wir auch die Ressourcen, die sich uns hier vor Ort im Münsterland bieten, erkennen und nutzen. Regenerative Energie, die wir aus Sonne, Wind oder Wasser gewinnen, macht da nur den Anfang; für biogene Stoffe sehe ich da noch viele Möglichkeiten. Dort, wo wir uns unabhängiger machen können von fossilen Brennstoffen und uns stattdessen autark aufstellen, sollten wir die Gelegenheit nutzen – für eine enkeltaugliche Energiewende.“

Es ist für sie unverständlich, dass man sich überhaupt über eine Steigerung der Bioabfallvergärung unterhalten müsse. Das sollte selbstverständlich für alle Kommunen sein. Technisch ist es „überhaupt kein Problem“, mehr Biogas aus biogenen Abfällen zu erzeugen“, sagt Hendrik Becker, „die Technologie ist vorhanden und ausgereift. Was wir brauchen, sind die politische Signale, um richtig loslegen zu können.“ Becker ist Gründer und Gesellschafter der PlanET Biogastechnik GmbH mit Sitz in Gescher, einem der führenden Hersteller von Biogasanlagen.

Für ihn liegt es auf der Hand, auch weitere organische Reststoffe wie beispielsweise aus der Landwirtschaft oder der Lebensmittelindustrie zu nutzen. „Damit lässt sich das Potenzial für ‚Waste to Energy‘ deutlich erhöhen“, sagt Becker. Auch der langjährige Bioenergieexperte sieht große Chancen für den Einsatz von Biogas für die Herstellung von grünem Wasserstoff in Form von synthetischem Methan: „Da stehen wir noch ganz am Anfang.“

Eine erste Versuchsanlage kann sich Becker wie auch Reiner Priggen gut am Standort Coesfeld vorstellen. Für den LEE NRW-Vorsitzenden setzen die Stadt Coesfeld und der Kreis Coesfeld nicht nur beim Ausbau der Windenergie nachahmenswerte Akzente: „Was die Wirtschaftsbetriebe des Kreises Coesfeld zusammen mit Reterra machen, ist für andere Kommunen eine Blaupause, wenn es um die energetische Verwertung von Bioabfällen geht. Wir brauchen schnell mehr von solchen Coesfelds.“

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