Trotz klar formulierter Ziele zur Förderung von grünem Wasserstoff der Bundesregierung sei in der Praxis bislang zu wenig passiert, so das Fazit bei der Präsentation der Initiative "Zukunft Deutschland 2050" des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI). „In erster Linie liegt das an fehlendem Pragmatismus und einer Überregulierung beim Einsatz von Wasserstoff“, analysiert VDI-Direktor Adrian Willig. „Der Koalitionsvertrag beinhaltet zwar einige positive Signale – darunter schnellere Genehmigungsverfahren – dennoch ist vieles noch zu unkonkret. Zum Beispiel die weitere Förderung von Wasserstoffnutzung und Erzeugung, indem die Abgabenlast reduziert wird."
Prof. Michael Sterner, VDI-Wasserstoffexperte und Professor an der OTH Regensburg, bekräftigt: „Die Champagnerdiskussion rund um den Einsatz von Wasserstoff führt nicht ins Klimaziel. Wenn wir weiterhin die Hürden so hoch stecken, das keiner springt, kommen wir nicht voran. Wenn wir das vor 25 Jahren beim EEG so gehandhabt hätten, gäbe es die Photovoltaik in dieser Form heute nicht: Es wäre alles im Keim erstickt worden.“
Henne-Ei-Problem beim Ausbau
Der VDI will mit seinen Handlungsempfehlungen und Maßnahmenpaketen fundierte, praxisnahe Vorschläge für einen beschleunigten Wasserstoffausbau liefern. Die Maßnahmen sollen sowohl das Mengen- als auch das Erlösrisiko reduzieren.
Sterner erläutert die Hemmnisse der Investitionen: „Der Ausbau einer Wasserstoffwirtschaft scheitert aktuell am Henne-Ei-Problem: Sowohl potenzielle Erzeuger als auch Anwender von grünem Wasserstoff und seiner Derivate werden mit substanziellen Abnahme- bzw. Versorgungsrisiken sowie hohen Erlösrisiken konfrontiert.“ VDI-Direktor Adrian Willig bekräftigt: „ Wir brauchen jetzt eine koordinierte politische Unterstützung, die beide Risiken gezielt adressiert – und das über 2030 hinaus.“
VDI-Maßnahmenpakete für Politik und Wirtschaft
Im Rahmen der VDI-Initiative ist ein Zukunftsdialog Wasserstoff mit namhaften Experten entstanden. Vorsitzender des Dialogs ist Prof. Michael Sterner, Mitglied im Nationalen Wasserstoffrat der Bundesregierung. Branchenvertreter über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg wurden an einen Tisch gebracht – darunter Vertreter aus Behörden, Infrastruktur, Anwendung und Erzeugung.
Sie haben festgestellt: Um den Ausbau in der erforderlichen Geschwindigkeit zu ermöglichen, reichen Einzelmaßnahmen nicht aus – es sei eine intelligente Kombination in Form von Maßnahmenpaketen nötig. Als Impuls für die weitere Debatte schlägt der VDI-Zukunftsdialog zwei in sich konsistente Maßnahmenpakete vor, denen jeweils unterschiedliche Strategien zugrunde liegen:
Maßnahmenpaket 1 legt den Fokus auf die Unterstützung der Erzeugung von grünem Wasserstoff, um damit die langfristig benötigte (saisonale) Speicherung von erneuerbaren Energien vorzubereiten. Zentral sind dabei die Nutzung von Quotenregelungen zur Reduktion des Mengenrisikos auf Erzeugerseite und die Reduktion des Erlösrisikos für Erzeuger und Anwender durch Differenzkostenförderungen mit Doppelauktionen.
Maßnahmenpaket 2 legt den Schwerpunkt auf die industrielle Nutzung von Wasserstoff, um so eine langfristige Defossilisierung zu ermöglichen. Dabei soll vor allem das Mengenrisiko auf Anwenderseite durch die Nutzung von Low-Carbon-Wasserstoff als Brückentechnologie reduziert werden.
Zu den weiteren Ergebnissen zählen 28 Einzelmaßnahmen in Form von Steckbriefen. Die Empfehlungen reichen von Steuervergünstigungen über gezielte Förderinstrumente wie Differenzkostenmodelle bis hin zu einer Weiterentwicklung der THG-Quote und Grüngasquote.
Grüner Wasserstoff ist laut dem Expertengremium ein Schlüssel zur Defossilisierung der Industrie. Zudem benötigten schwer elektrifizierbare Prozesse – etwa in der Luft- und Schifffahrt sowie im Schwerlastverkehr – Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe als klimaneutrale Alternative. Für die saisonale Speicherung erneuerbarer Energien – Stichwort "Dunkelflaute" – sei Wasserstoff und Power-to-X ebenfalls unerlässlich.
Planungssicherheit und wettbewerbsfähige Preise
Wettbewerbsfähige Preise und Planungssicherheit für industrielle Unternehmen bilden nach dem Energieexperten Sterner die Basis: „Preis- und Abnahmegarantien helfen dem Ausbau. Nur wenn Unternehmen verlässlich mit Wasserstoff planen können, investieren sie in die nötige Infrastruktur und Technologien.“
Der VDI ruft Politik und Wirtschaft auf, die vorgelegten Empfehlungen zu nutzen und den Wasserstoffausbau systematisch zu gestalten.
Die VDI-Studie zum Download
Die Publikation „Impulse zum Hochlauf einer Wasserstoffwirtschaft in Deutschland“ können Sie hier herunterladen.
Forderung der Wasserstoffallianz
Forderungen an die Politik stellt auch die neu gegründete Wirtschaftsallianz „Hydrogen Germany“, ein Zusammenschluss führender Unternehmen entlang der gesamten Wasserstoff-Wertschöpfungskette. Ihr Ziel ist es, Deutschland als Wasserstoffland zu etablieren und damit Industriearbeitsplätze, Energieversorgungssicherheit und technologische Führungspositionen zu sichern. „Deutschland steht an einem entscheidenden Punkt: Die Transformation zur Klimaneutralität und die Sicherung der industriellen Wettbewerbsfähigkeit müssen zusammen gedacht werden. Wasserstoff ist dabei kein optionaler Baustein – er ist eine Notwendigkeit. Damit der Wasserstoffausbau gelingen kann, benötigen wir klare Rahmenbedingungen", betont Susanne Thöle, Director Hydrogen bei Uniper.
Und Dr. Hans Dieter Hermes vom Energiehandelsunternehmen SEFE fordert: „Dabei gilt es, bei fehlgeleiteter Regulierung nachzusteuern und sie pragmatisch anzupassen, insbesondere bei den Anforderungen für erneuerbaren und kohlenstoffarmen Wasserstoff. Der Markt braucht Raum zum Wachsen, sonst verlieren wir im globalen Wettbewerb an Boden. Eine zu komplexe Regulierung darf nicht dazu führen, dass Investitionen, Importe und somit die Transformation ausbleiben – das können wir uns in der aktuellen geo- und klimapolitischen Lage nicht leisten.“
Neues Gutachten: Auch EU verfehlt Wasserstoffziele
Wasserstoff gilt auch als Schlüsseltechnologie für die europäische Energiewende hin zur Klimaneutralität. Er soll überschüssigen Strom aus erneuerbaren Energien speichern und eine hohe Energiedichte auch für schwer zu elektrifizierende Sektoren wie die Industrie liefern. Hürden wie hohe Kosten und schleppende Investitionen auf Angebots- und Nachfrageseite sowie aktuelle Unsicherheiten bremsen jedoch den Markthochlauf, während die aktuelle geopolitische Situation die Rahmenbedingungen verändert. Hierdurch könnten die EU-Ziele für Wasserstoff für das Jahr 2030 unter den gegebenen Umständen nur schwer erreichbar sein. Das zeigt das interdisziplinäre Gutachten „H2 Reality Check“ der Universitäten Köln und Bonn.
Im Gutachten beleuchtete Studien haben gezeigt, dass grüner Wasserstoff (basierend auf erneuerbaren Energien) bis zum Jahr 2030 mit blauem Wasserstoff (basierend auf Gas plus CO2-Abscheidung und -Speicherung) voraussichtlich preislich nicht konkurrenzfähig ist. Die Kosten für grüne Wasserstoffproduktion sind entgegen den Erwartungen nicht gesunken. Zudem droht mit dem künftigen potenziellen LNG-Überangebot, dass die Kosten für blauen Wasserstoff weiter fallen könnten. Blauer Wasserstoff kann aufgrund der Restemissionen langfristig jedoch nicht zu einem klimaneutralen Energiesystem beitragen. Steigende Kosten für Materialien und Arbeit, Verzögerungen bei der Infrastruktur und neue, kostengünstigere Elektrifizierungstechnologien könnten den Ausbau für grünen Wasserstoff weiter bremsen. Grüne Wasserstoffpreise könnten auch mittelfristig über der Zahlungsbereitschaft der Industrie liegen. „Hinzu kommt, dass künftige Preise aufgrund von Netzentgelten, Speicher- und Strukturierungskosten, Steuern, Abgaben und Margen deutlich über den aktuell diskutierten Kosten liegen könnten“, sagt Dr.-Ing. Ann-Kathrin Klaas, Head of Research Area am Energiewirtschaftlichen Instituts (EWI) an der Universität zu Köln.
Synthetisches Methan aus Wasserstoff
Der Nationale Wasserstoffrat (NWR) hat ein Grundlagen- und Informationspapier über erneuerbares synthetisches Erdgas, sogenanntes E-SNG, veröffentlicht. Der NWR stellt die unterschiedlichen Perspektiven und Positionen zu E-SNG systematisch einander gegenüber und möchte damit einen Beitrag zur Strukturierung und Fokussierung der Diskussion zu E-SNG leisten.
E-SNG ist eine Option zur Defossilisierung des Energiesystems und damit zum Erreichen des Klimaschutzzieles Klimaneutralität. Die Diskussion um E-SNG ist kontrovers und wird teilweise zu diffus geführt. Der Zweck des Papiers besteht darin, die unterschiedlichen Positionen transparenter zu machen, um die notwendigen politischen Entscheidungen auf eine bessere Argumentationsbasis zu stellen.
Der NWR stellt jeweils entlang der Dimensionen Technische Reife, Wirkungsgrad der Umwandlung, technische Notwendigkeit und Bedarf, Mengenverfügbarkeit, Ökologische Perspektive, Ökonomische Perspektive die unterschiedlichen Positionen zu E-SNG einander gegenüber, ohne diese zu bewerten.
Die Herstellung von E-SNG basiert im Wesentlichen auf der Synthese von grünem Wasserstoff, der durch Elektrolyse mit erneuerbarem Strom gewonnen wird, und Kohlenstoffdioxid (CO2). Durch die Methanisierung entsteht Methan (CH4), der Hauptbestandteil von Erdgas. Ein entscheidender Vorteil von E-SNG liegt damit in seiner direkten Kompatibilität mit der bestehenden Erdgasinfrastruktur. Es kann fossiles Erdgas ohne technische Anpassungen in Anwendungen und Verteilnetzen ersetzen. Für die Klimaneutralität von E-SNG ist das Schließen des CO2-Kreislaufs bzw. die Wahl der CO2-Quelle von zentraler Bedeutung. Herausforderungen bei der großvolumigen Nutzung der Übergangsoption E-SNG bestehen unter anderem darin, dass Freisetzungen des hochwirksamen Klimagases Methan vermieden werden müssen und eine rasche Transformation in Richtung Wasserstoff verzögert bzw. verhindert werden könnte.
Zum Nachlesen
Das Grundlagen- und Informationspapier „Einordnung von erneuerbarem synthetischem Methan (E-SNG)“ steht hier als Download bereit.
Neue Studie: Verkehr vor Industrie
Grüner Wasserstoff ist noch teuer. Daher sollte sein Einsatz mit Bedacht erfolgen. Eine Studienreihe aus dem Energiewende-Verbundprojekt Norddeutsches Reallabor (NRL) hat hierbei gegenläufige Trends identifiziert: Zwar ist der Kostennachteil durch den Einsatz von grünem Wasserstoff anstelle von fossilen Energieträgern im Verkehrssektor am geringsten. Aus Effizienzüberlegungen gelte es aber, eher den Industriesektor zu priorisieren. Um Anreize für die prioritäre Anwendung von grünem Wasserstoff dort zu schaffen, wo es keine wirtschaftlicheren klimaneutralen Alternativen gibt, empfehlen die Studienautoren, den Fokus auf flankierende Mechanismen zu legen.
Denn in der Industrie sind Alternativen zur Defossilisierung nur begrenzt vorhanden. Insbesondere Industriegüter wie Primärstahl und Ammoniak sowie die chemische Industrie könnten erheblich von grünem Wasserstoff profitieren. Allerdings ist die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber konventionellen Prozessen nur bei sehr niedrigen Wasserstoffpreisen erreichbar: Um mit Erdgas konkurrieren zu können, müsste der Wasserstoffpreis im Industriesektor den Berechnungen der Studienreihe zufolge für Ammoniak beispielsweise bei 3,3 €/kg netto liegen, für Primärstahl bei ca. 1,6 €/kg netto. Dagegen lagen die realistischen Wasserstoff-Erzeugungskosten gemäß der Studie im Sommer 2024 noch bei ca. 6,1 €/kg (netto).
Im Wärmesektor ist grüner Wasserstoff keine wirtschaftliche Alternative zu bestehenden Heizsystemen wie Erdgasheizkesseln oder Wärmepumpen. „Der Wasserstoffpreis für Endkunden inklusive Anlieferung müsste bei etwa 4 €/kg brutto liegen, um mit Erdgas zu konkurrieren. In Anbetracht der effizienteren und kostengünstigeren Dekarbonisierung mit Wärmepumpen oder Fernwärme ist im Wärmesektor keine Notwendigkeit des Einsatzes von Wasserstoff gegeben“, so Studienautor Dr. Felix Doucet vom Competence Center für Erneuerbare Energien und EnergieEffizienz (CC4E) der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg. „Dennoch könnte Wasserstoff in Nischenanwendungen wie der Spitzenlastdeckung in Wärmenetzen sinnvoll eingesetzt werden. Und auch die Integration der Wasserstoffwirtschaft in Wärmenetze zur Nutzung und Vermarktung der industriellen Abwärme sollte als ein ergänzendes Geschäftsmodell mitgedacht werden.“
Im Verkehrssektor hingegen zeigt sich bereits bei einem Tankstellenpreis für grünen Wasserstoff von etwa 9 bis 13 €/kg brutto eine Wettbewerbsfähigkeit mit den Preisen für fossile Kraftstoffe. Die Wettbewerbsfähigkeit von grünem Wasserstoff wird durch das politische Instrument der THG-Minderungsquote unterstützt, die zusätzliche Einnahmen für die Erzeuger generiert. Da reine Elektroantriebe für die straßenbasierte Mobilität allerdings effizienter und die Fahrzeuge in der Anschaffung günstiger sind, haben sich diese in den meisten Anwendungsfeldern inzwischen durchgesetzt. Dem Einsatz von grünem Wasserstoff im Straßenverkehr muss demzufolge zumindest in der Breite keine Priorität eingeräumt werden. Anders stellt es sich im Flug- und Schiffverkehr dar, wo bisher erprobte Alternativen fehlen und grüner Wasserstoff beispielsweise direkt oder indirekt in Form von E-fuels eingesetzt werden kann.
Zum Nachlesen
Alle Studien des Norddeutschen Reallabors können Sie hier abrufen.
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Trotz klar formulierter Ziele zur Förderung von grünem Wasserstoff der Bundesregierung sei in der Praxis bislang zu wenig passiert, so das Fazit bei der Präsentation der Initiative "Zukunft Deutschland 2050" des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI). „In erster Linie liegt das an fehlendem Pragmatismus und einer Überregulierung beim Einsatz von Wasserstoff“, analysiert VDI-Direktor Adrian Willig. „Der Koalitionsvertrag beinhaltet zwar einige positive Signale – darunter schnellere Genehmigungsverfahren – dennoch ist vieles noch zu unkonkret. Zum Beispiel die weitere Förderung von Wasserstoffnutzung und Erzeugung, indem die Abgabenlast reduziert wird."
Prof. Michael Sterner, VDI-Wasserstoffexperte und Professor an der OTH Regensburg, bekräftigt: „Die Champagnerdiskussion rund um den Einsatz von Wasserstoff führt nicht ins Klimaziel. Wenn wir weiterhin die Hürden so hoch stecken, das keiner springt, kommen wir nicht voran. Wenn wir das vor 25 Jahren beim EEG so gehandhabt hätten, gäbe es die Photovoltaik in dieser Form heute nicht: Es wäre alles im Keim erstickt worden.“
Henne-Ei-Problem beim Ausbau
Der VDI will mit seinen Handlungsempfehlungen und Maßnahmenpaketen fundierte, praxisnahe Vorschläge für einen beschleunigten Wasserstoffausbau liefern. Die Maßnahmen sollen sowohl das Mengen- als auch das Erlösrisiko reduzieren.
Sterner erläutert die Hemmnisse der Investitionen: „Der Ausbau einer Wasserstoffwirtschaft scheitert aktuell am Henne-Ei-Problem: Sowohl potenzielle Erzeuger als auch Anwender von grünem Wasserstoff und seiner Derivate werden mit substanziellen Abnahme- bzw. Versorgungsrisiken sowie hohen Erlösrisiken konfrontiert.“ VDI-Direktor Adrian Willig bekräftigt: „ Wir brauchen jetzt eine koordinierte politische Unterstützung, die beide Risiken gezielt adressiert – und das über 2030 hinaus.“
VDI-Maßnahmenpakete für Politik und Wirtschaft
Im Rahmen der VDI-Initiative ist ein Zukunftsdialog Wasserstoff mit namhaften Experten entstanden. Vorsitzender des Dialogs ist Prof. Michael Sterner, Mitglied im Nationalen Wasserstoffrat der Bundesregierung. Branchenvertreter über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg wurden an einen Tisch gebracht – darunter Vertreter aus Behörden, Infrastruktur, Anwendung und Erzeugung.
Sie haben festgestellt: Um den Ausbau in der erforderlichen Geschwindigkeit zu ermöglichen, reichen Einzelmaßnahmen nicht aus – es sei eine intelligente Kombination in Form von Maßnahmenpaketen nötig. Als Impuls für die weitere Debatte schlägt der VDI-Zukunftsdialog zwei in sich konsistente Maßnahmenpakete vor, denen jeweils unterschiedliche Strategien zugrunde liegen:
Maßnahmenpaket 1 legt den Fokus auf die Unterstützung der Erzeugung von grünem Wasserstoff, um damit die langfristig benötigte (saisonale) Speicherung von erneuerbaren Energien vorzubereiten. Zentral sind dabei die Nutzung von Quotenregelungen zur Reduktion des Mengenrisikos auf Erzeugerseite und die Reduktion des Erlösrisikos für Erzeuger und Anwender durch Differenzkostenförderungen mit Doppelauktionen.
Maßnahmenpaket 2 legt den Schwerpunkt auf die industrielle Nutzung von Wasserstoff, um so eine langfristige Defossilisierung zu ermöglichen. Dabei soll vor allem das Mengenrisiko auf Anwenderseite durch die Nutzung von Low-Carbon-Wasserstoff als Brückentechnologie reduziert werden.
Zu den weiteren Ergebnissen zählen 28 Einzelmaßnahmen in Form von Steckbriefen. Die Empfehlungen reichen von Steuervergünstigungen über gezielte Förderinstrumente wie Differenzkostenmodelle bis hin zu einer Weiterentwicklung der THG-Quote und Grüngasquote.
Grüner Wasserstoff ist laut dem Expertengremium ein Schlüssel zur Defossilisierung der Industrie. Zudem benötigten schwer elektrifizierbare Prozesse – etwa in der Luft- und Schifffahrt sowie im Schwerlastverkehr – Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe als klimaneutrale Alternative. Für die saisonale Speicherung erneuerbarer Energien – Stichwort "Dunkelflaute" – sei Wasserstoff und Power-to-X ebenfalls unerlässlich.
Planungssicherheit und wettbewerbsfähige Preise
Wettbewerbsfähige Preise und Planungssicherheit für industrielle Unternehmen bilden nach dem Energieexperten Sterner die Basis: „Preis- und Abnahmegarantien helfen dem Ausbau. Nur wenn Unternehmen verlässlich mit Wasserstoff planen können, investieren sie in die nötige Infrastruktur und Technologien.“
Der VDI ruft Politik und Wirtschaft auf, die vorgelegten Empfehlungen zu nutzen und den Wasserstoffausbau systematisch zu gestalten.
Die VDI-Studie zum Download
Die Publikation „Impulse zum Hochlauf einer Wasserstoffwirtschaft in Deutschland“ können Sie hier herunterladen.
Forderung der Wasserstoffallianz
Forderungen an die Politik stellt auch die neu gegründete Wirtschaftsallianz „Hydrogen Germany“, ein Zusammenschluss führender Unternehmen entlang der gesamten Wasserstoff-Wertschöpfungskette. Ihr Ziel ist es, Deutschland als Wasserstoffland zu etablieren und damit Industriearbeitsplätze, Energieversorgungssicherheit und technologische Führungspositionen zu sichern. „Deutschland steht an einem entscheidenden Punkt: Die Transformation zur Klimaneutralität und die Sicherung der industriellen Wettbewerbsfähigkeit müssen zusammen gedacht werden. Wasserstoff ist dabei kein optionaler Baustein – er ist eine Notwendigkeit. Damit der Wasserstoffausbau gelingen kann, benötigen wir klare Rahmenbedingungen", betont Susanne Thöle, Director Hydrogen bei Uniper.
Und Dr. Hans Dieter Hermes vom Energiehandelsunternehmen SEFE fordert: „Dabei gilt es, bei fehlgeleiteter Regulierung nachzusteuern und sie pragmatisch anzupassen, insbesondere bei den Anforderungen für erneuerbaren und kohlenstoffarmen Wasserstoff. Der Markt braucht Raum zum Wachsen, sonst verlieren wir im globalen Wettbewerb an Boden. Eine zu komplexe Regulierung darf nicht dazu führen, dass Investitionen, Importe und somit die Transformation ausbleiben – das können wir uns in der aktuellen geo- und klimapolitischen Lage nicht leisten.“
Neues Gutachten: Auch EU verfehlt Wasserstoffziele
Wasserstoff gilt auch als Schlüsseltechnologie für die europäische Energiewende hin zur Klimaneutralität. Er soll überschüssigen Strom aus erneuerbaren Energien speichern und eine hohe Energiedichte auch für schwer zu elektrifizierende Sektoren wie die Industrie liefern. Hürden wie hohe Kosten und schleppende Investitionen auf Angebots- und Nachfrageseite sowie aktuelle Unsicherheiten bremsen jedoch den Markthochlauf, während die aktuelle geopolitische Situation die Rahmenbedingungen verändert. Hierdurch könnten die EU-Ziele für Wasserstoff für das Jahr 2030 unter den gegebenen Umständen nur schwer erreichbar sein. Das zeigt das interdisziplinäre Gutachten „H2 Reality Check“ der Universitäten Köln und Bonn.
Im Gutachten beleuchtete Studien haben gezeigt, dass grüner Wasserstoff (basierend auf erneuerbaren Energien) bis zum Jahr 2030 mit blauem Wasserstoff (basierend auf Gas plus CO2-Abscheidung und -Speicherung) voraussichtlich preislich nicht konkurrenzfähig ist. Die Kosten für grüne Wasserstoffproduktion sind entgegen den Erwartungen nicht gesunken. Zudem droht mit dem künftigen potenziellen LNG-Überangebot, dass die Kosten für blauen Wasserstoff weiter fallen könnten. Blauer Wasserstoff kann aufgrund der Restemissionen langfristig jedoch nicht zu einem klimaneutralen Energiesystem beitragen. Steigende Kosten für Materialien und Arbeit, Verzögerungen bei der Infrastruktur und neue, kostengünstigere Elektrifizierungstechnologien könnten den Ausbau für grünen Wasserstoff weiter bremsen. Grüne Wasserstoffpreise könnten auch mittelfristig über der Zahlungsbereitschaft der Industrie liegen. „Hinzu kommt, dass künftige Preise aufgrund von Netzentgelten, Speicher- und Strukturierungskosten, Steuern, Abgaben und Margen deutlich über den aktuell diskutierten Kosten liegen könnten“, sagt Dr.-Ing. Ann-Kathrin Klaas, Head of Research Area am Energiewirtschaftlichen Instituts (EWI) an der Universität zu Köln.
Synthetisches Methan aus Wasserstoff
Der Nationale Wasserstoffrat (NWR) hat ein Grundlagen- und Informationspapier über erneuerbares synthetisches Erdgas, sogenanntes E-SNG, veröffentlicht. Der NWR stellt die unterschiedlichen Perspektiven und Positionen zu E-SNG systematisch einander gegenüber und möchte damit einen Beitrag zur Strukturierung und Fokussierung der Diskussion zu E-SNG leisten.
E-SNG ist eine Option zur Defossilisierung des Energiesystems und damit zum Erreichen des Klimaschutzzieles Klimaneutralität. Die Diskussion um E-SNG ist kontrovers und wird teilweise zu diffus geführt. Der Zweck des Papiers besteht darin, die unterschiedlichen Positionen transparenter zu machen, um die notwendigen politischen Entscheidungen auf eine bessere Argumentationsbasis zu stellen.
Der NWR stellt jeweils entlang der Dimensionen Technische Reife, Wirkungsgrad der Umwandlung, technische Notwendigkeit und Bedarf, Mengenverfügbarkeit, Ökologische Perspektive, Ökonomische Perspektive die unterschiedlichen Positionen zu E-SNG einander gegenüber, ohne diese zu bewerten.
Die Herstellung von E-SNG basiert im Wesentlichen auf der Synthese von grünem Wasserstoff, der durch Elektrolyse mit erneuerbarem Strom gewonnen wird, und Kohlenstoffdioxid (CO2). Durch die Methanisierung entsteht Methan (CH4), der Hauptbestandteil von Erdgas. Ein entscheidender Vorteil von E-SNG liegt damit in seiner direkten Kompatibilität mit der bestehenden Erdgasinfrastruktur. Es kann fossiles Erdgas ohne technische Anpassungen in Anwendungen und Verteilnetzen ersetzen. Für die Klimaneutralität von E-SNG ist das Schließen des CO2-Kreislaufs bzw. die Wahl der CO2-Quelle von zentraler Bedeutung. Herausforderungen bei der großvolumigen Nutzung der Übergangsoption E-SNG bestehen unter anderem darin, dass Freisetzungen des hochwirksamen Klimagases Methan vermieden werden müssen und eine rasche Transformation in Richtung Wasserstoff verzögert bzw. verhindert werden könnte.
Zum Nachlesen
Das Grundlagen- und Informationspapier „Einordnung von erneuerbarem synthetischem Methan (E-SNG)“ steht hier als Download bereit.
Neue Studie: Verkehr vor Industrie
Grüner Wasserstoff ist noch teuer. Daher sollte sein Einsatz mit Bedacht erfolgen. Eine Studienreihe aus dem Energiewende-Verbundprojekt Norddeutsches Reallabor (NRL) hat hierbei gegenläufige Trends identifiziert: Zwar ist der Kostennachteil durch den Einsatz von grünem Wasserstoff anstelle von fossilen Energieträgern im Verkehrssektor am geringsten. Aus Effizienzüberlegungen gelte es aber, eher den Industriesektor zu priorisieren. Um Anreize für die prioritäre Anwendung von grünem Wasserstoff dort zu schaffen, wo es keine wirtschaftlicheren klimaneutralen Alternativen gibt, empfehlen die Studienautoren, den Fokus auf flankierende Mechanismen zu legen.
Denn in der Industrie sind Alternativen zur Defossilisierung nur begrenzt vorhanden. Insbesondere Industriegüter wie Primärstahl und Ammoniak sowie die chemische Industrie könnten erheblich von grünem Wasserstoff profitieren. Allerdings ist die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber konventionellen Prozessen nur bei sehr niedrigen Wasserstoffpreisen erreichbar: Um mit Erdgas konkurrieren zu können, müsste der Wasserstoffpreis im Industriesektor den Berechnungen der Studienreihe zufolge für Ammoniak beispielsweise bei 3,3 €/kg netto liegen, für Primärstahl bei ca. 1,6 €/kg netto. Dagegen lagen die realistischen Wasserstoff-Erzeugungskosten gemäß der Studie im Sommer 2024 noch bei ca. 6,1 €/kg (netto).
Im Wärmesektor ist grüner Wasserstoff keine wirtschaftliche Alternative zu bestehenden Heizsystemen wie Erdgasheizkesseln oder Wärmepumpen. „Der Wasserstoffpreis für Endkunden inklusive Anlieferung müsste bei etwa 4 €/kg brutto liegen, um mit Erdgas zu konkurrieren. In Anbetracht der effizienteren und kostengünstigeren Dekarbonisierung mit Wärmepumpen oder Fernwärme ist im Wärmesektor keine Notwendigkeit des Einsatzes von Wasserstoff gegeben“, so Studienautor Dr. Felix Doucet vom Competence Center für Erneuerbare Energien und EnergieEffizienz (CC4E) der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg. „Dennoch könnte Wasserstoff in Nischenanwendungen wie der Spitzenlastdeckung in Wärmenetzen sinnvoll eingesetzt werden. Und auch die Integration der Wasserstoffwirtschaft in Wärmenetze zur Nutzung und Vermarktung der industriellen Abwärme sollte als ein ergänzendes Geschäftsmodell mitgedacht werden.“
Im Verkehrssektor hingegen zeigt sich bereits bei einem Tankstellenpreis für grünen Wasserstoff von etwa 9 bis 13 €/kg brutto eine Wettbewerbsfähigkeit mit den Preisen für fossile Kraftstoffe. Die Wettbewerbsfähigkeit von grünem Wasserstoff wird durch das politische Instrument der THG-Minderungsquote unterstützt, die zusätzliche Einnahmen für die Erzeuger generiert. Da reine Elektroantriebe für die straßenbasierte Mobilität allerdings effizienter und die Fahrzeuge in der Anschaffung günstiger sind, haben sich diese in den meisten Anwendungsfeldern inzwischen durchgesetzt. Dem Einsatz von grünem Wasserstoff im Straßenverkehr muss demzufolge zumindest in der Breite keine Priorität eingeräumt werden. Anders stellt es sich im Flug- und Schiffverkehr dar, wo bisher erprobte Alternativen fehlen und grüner Wasserstoff beispielsweise direkt oder indirekt in Form von E-fuels eingesetzt werden kann.
Zum Nachlesen
Alle Studien des Norddeutschen Reallabors können Sie hier abrufen.