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Windräder: Anwohner klagen über gesundheitliche Probleme durch Forschungswindpark

„Ohne unsere Kühe wären wir hier weg!“, sagt Familie Thomßen aus Anzetel. Seit fünf Jahren lebt sie direkt neben einem Forschungswindpark. Sie klagen seitdem über gesundheitliche Probleme.

Lesezeit: 10 Minuten

Thomßens hören es im Schlafzimmer, im Wohnzimmer, im ersten Stock. „Man wacht gerädert auf und hat sofort diesen Ton im Ohr“, sagt Gerd Thomßen. Der Milchviehhalter aus Anzetel bei Wilhelmshaven ist genauso wie seine Frau Sabine und sein Sohn Gerko mehr als genervt.

Ende 2014 ist im Nordwesten des Hofes ein Windenergie-Testfeld mit vier Anlagen entstanden, darunter zwei Offshoreanlagen von Siemens. Der Anlagentyp SWT 6,0-154 mit 6 Megawatt Leistung ist bis zur Flügelspitze 200 m hoch. Eine der Anlagen steht 600 m Luftlinie vom Hof der Thomßens entfernt. Als sie von den Bauplänen erfuhren, haben sie ihre Bedenken angemeldet. „Aber wir haben in der Zeit unseren Kuhstall gebaut. Da hatten wir kaum den Kopf frei, um das intensiv zu verfolgen“, erinnert sich Thomßen.

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Tiefer Brummton im Haus

Der Park ging am 11. Dezember 2014 in Betrieb. „Ab dem ersten Tag haben wir im ganzen Haus den tieffrequenten Brummton gehört. Erst habe ich gedacht, die Gefriertruhe ist defekt“, blickt Thomßen zurück. Aber nachdem er die Hauptsicherung im Haus ausgeschaltet hatte, war klar, dass die Ursache außerhalb liegen muss. Den Ton vergleicht er mit einem Traktor mit laufendem Motor, den man im Haus hört.

Die 200 m große Anlage verursacht auch Lärm aufgrund des Flügelschlages. Dieser ist nicht nur Thomßens aufgefallen: Besucher bestätigen ihnen das regelmäßig. Zwar ist dieser Lärm im Haus kaum noch zu hören. „Aber wir mussten unseren Lieblingsplatz, die Terrasse auf der Nordseite, aufgeben. Dort kannst Du nicht mehr sitzen, wenn sich die Flügel drehen“, bedauert Sabine Thomßen. Besonders kritisch: Da die Anlage sehr hoch ist, dreht sie sich auch hin und wieder, wenn es am Boden windstill ist. Denn in höheren Schichten weht fast permanent Wind.

Gerüchte im Dorf

Zwischenzeitlich mussten sie im Dorf auch das Gerücht vernehmen: „Die bilden sich das nur ein. Wären sie finanziell am Windpark beteiligt, könnten sie auch wieder ruhig schlafen.“ Das lässt Gerd Thomßen so nicht gelten: „Das Brummen würde doch auch vorhanden sein, wenn wir Geld bekämen.“

Zudem gibt es für die Familie einige Anzeichen dafür, dass sie sich die Beschwerden nicht nur einbilden:

  • Der Hund der Familie läuft seit der Inbetriebnahme unruhig von Zimmer zu Zimmer.



  • Die Sportuhr von Sabine Thomßen zeigt an, dass sie eine Tiefschlafphase von nur 20 bis 30 Minuten hat.



  • Ein Schwager, der eine zeitlang in der Ferienwohnung des Betriebes gewohnt hat, ist mit seinen Töchtern weggezogen. Alle drei berichteten, dass die Schlafstörungen danach weg waren. „Wenn es mal windstill ist, fällt richtig eine Anspannung von uns ab“, sagt Sohn Gerko. „Wir sind absolut keine Gegner der Windenergie. Aber hier wird auf unsere Kosten Geld verdient, ohne dass man auf uns hört.“

Behörde war aktiv

Den Vorwurf der Untätigkeit weisen die Genehmigungsbehörde und der Betreiber des Windparks aber zurück. Im März 2015 hatten Mitarbeiter des Amtes für Umweltschutz und Bauordnung eine Ortsbesichtigung bei Familie Thomßen durchgeführt.

„Zum Zeitpunkt der Besichtigung liefen die benachbarten Windenergieanlagen in einem Betriebsmodus, der hohe Schallimmissionen vermuten ließ. Diese ließen sich jedoch nicht wahrnehmen“, teilte eine Sprecherin der Stadt Wilhelmshaven auf top agrar-Anfrage mit. Die umliegenden Geräusche, hauptsächlich hervorgerufen durch den Wind in den Bäumen, hätten überwogen. Auch Vibrationen oder wahrnehmbaren Infraschall konnten die Behördenvertreter weder innen noch außen feststellen.

Um weiter nach der Ursache der Brummgeräusche forschen zu können, vereinbarten sie mit Thomßen, dass dieser den Zeitpunkt dokumentieren soll, wann die Geräusche auftreten. Die Behörde wollte diese Aufzeichnungen mit den Betriebsdaten der Windkraftanlage und den Wetterdaten abgleichen, um eventuelle Zusammenhänge zu ermitteln. „Eine entsprechende Dokumentation wurde uns jedoch nicht vorgelegt. Folglich gingen wir davon aus, dass inzwischen keine Geräusche mehr wahrgenommen werden konnten“, so die Sprecherin.

Auch ein entsprechendes Gutachten zu Schallimmissionen, das der Antragsteller im Genehmigungsverfahren vorgelegt hatte, sei laut Bauamt plausibel gewesen und hatte keine unzulässigen Schallimmissionen an den Immissionsorten ergeben.

Auch wurden Emissionsmessungen an den Windenergieanlagen durchgeführt, um die in den Gutachten angenommenen maximal zulässigen Schallleistungspegel der Windenergieanlagen zu überprüfen. Ergebnis: Die am Tag gemessenen Schallleistungspegel lagen deutlich unter dem maximal zulässigen Wert von 115 dB(A). „Es gibt damit keine Anhaltspunkte dafür, dass der Lärm der Windenergieanlagen unzulässig hoch wäre“, heißt es abschließend.

Das Gutachterbüro UL International aus Wilhelmshaven (ehemaliger Name: Deutsches Windenergieinstitut, dewi), das ebenfalls Messungen durchgeführt hatte, bestätigt das: „Die von Ihnen angeführten Anomalien in Schallemissionen konnten wir nicht feststellen. Über die Ursache können wir dahingehend keine Aussage treffen“, sagt UL-Operations Manager Sebastian Herzog.

Auch Betreiber ist ratlos

Ähnlich ging der Anlagenbetreiber vor. „Wir haben Herrn Thomßen gebeten, uns mitzuteilen, wann es besonders laut ist, im Haus und auf der Terrasse“, sagt Dieter Hinrichs, Geschäftsführer der Bioenergie Nord GmbH aus Moorweg bei Wittmund, der Betreibergesellschaft des Windparks. Bei Besuchen konnten er und Holger Schwarz vom Planungsbüro Pommer und Schwarz aus Aurich, das den Windpark geplant hat, keine besonderen Geräusche feststellen. „Für uns ist der Fall auch ungewöhnlich, weil die Anlage nicht in Hauptwindrichtung liegt und andere Anwohner, die nur 450 m entfernt wohnen, sich nicht beschweren“, sagt Hinrichs.

Den Vorwurf, dass es sich um eine Offshore-Anlage handelt, die sich evtl. anders verhalten könnte, oder dass es bei dem Testfeld geringere Auflagen gab als bei anderen Windparks, lässt Schwarz nicht gelten: „Die Anlage war im Jahr 2014 als Testanlage für den Hersteller Siemens gedacht gewesen. Dabei ging es nicht um die Anlagentechnik an sich, sondern Siemens wollte das Absetzen von Personal via Helikopter und Service erproben“, erklärt Schwarz. Davon habe Siemens aber inzwischen Abstand genommen und sei auf einen Teststandort in Bremerhaven ausgewichen.

Unabhängig davon hätte der gesamte Park die gleichen Genehmigungsauflagen erfüllen müssen wie Onshore-Windparks auch. „Zumal die Technik heute auch schon zum Standard an Land gehört“, ergänzt Hinrichs. „Anlagen mit Rotordurchmessern von 150 bis 170 m werden künftig häufiger eingesetzt, weil sie mehr Volllaststunden liefern“, sagt er.

Noch viele offene Fragen

Die Vermutung, die Windenergieanlagen könnten nennenswert Schall über den Boden übertragen, teilt Planer Schwarz nicht: „Dann müssten die Anlagen vibrieren und viel Energie in das schwere Fundament übertragen, zumal die Anlagen mit mehreren Pfählen 30 m tief in die Erde gerammt sind. Eine Eigenschwingung der Anlage würde aber die Lebensdauer erheblich verringern“, erklärt er. Damit ein Schall über 600 m ins Haus übertragen würde, müsste er tieffrequent sein und sich dann auch messen lassen, fügt er an.

Thomßens sind allerdings kein Einzelfall. „Die Beeinträchtigungen durch „Brummton“-Phänomene haben in den letzten Jahren deutlich zugenommen“, heißt es in der Broschüre des Umweltbundesamtes (UBA) zum Thema „Tieffrequente Geräusche im Wohnumfeld“ aus dem Jahr 2017. Genaue Ursachen für das erhöhte Belästigungsempfinden sind laut UBA aber nicht bekannt. Es seien besonders tieffrequente Geräusche im Haus oder in der Wohnung, die als äußerst störend empfunden werden, wenn sie dauerhaft auftreten.

Die Betroffenen fühlten sich demgegenüber oft ungenügend geschützt, sodass sich daraus nicht selten langwierige Konflikte mit der Nachbarschaft entwickeln. Die Lärmbelastung beschreibt die auf Mensch und Umwelt einwirkende Geräuschimmission und lässt sich durch Berechnungen oder Messungen ermitteln.

Auswirkung auf den Menschen

„Die Wirkung der Geräuschimmission auf den Menschen kann nicht unmittelbar aus der Belastung abgeleitet werden, weil neben der Belastung auch das persönliche Empfinden von Bedeutung ist“, beschreibt Thomas Myck, Leiter des Fachgebiets Lärmwirkung beim UBA, das Problem. Das UBA führt noch bis zum Jahr 2022 ein Forschungsprojekt durch, bei dem es um den Zusammenhang zwischen Lärm von Windenergieanlagen und der Lärmbelästigung geht.

Auch andere Anwohner haben Beschwerden. So meldeten sich in jüngster Zeit weitere Landwirte in der top agrar-Redaktion, die ähnliche Probleme schilderten. In einem Fall aus Dithmarschen (Schleswig-Holstein) beschreibt ein Landwirt den gleichen Brummton im Haus, begleitet von vielen nächtlichen Blinklichtern. Rund um seinen Hof und sichtbar am Horizont stehen rund 80 Anlagen, weitere zwölf mit bis zu 200 m Gesamthöhe sollen jetzt dazu kommen. „Das ist die Schattenseite der Energiewende“, erklärt er.

Hohe Mauer bedroht den Hof

Für Familie Thomßen ist der Windpark jedoch nicht mehr die einzige Sorge. In der Nähe befindet sich eine Radarstation der Bundeswehr sowie eine Bahnstrecke, die 120 m hinter dem Hof verläuft. Diese soll elektrifiziert werden. Die Bundeswehr befürchtet aufgrund der Strahlung Auswirkungen auf die Radarstation. Daher soll die Bahnstrecke mit einer 10 m hohen Wand abgeschirmt werden. Diese soll auf 2,3 km Länge in Form einer Galerie mit Dach über den Schienen verlaufen – direkt am Hof der Thomßens entlang. Ein einmaliges Projekt, dessen Erfolg noch nicht einmal sicher sei.

Für Thomßens ist jedoch klar: Nicht nur, dass sie dann statt der Abendsonne eine Wand sehen. Sie befürchten auch, dass der Schall der Windenergieanlagen noch einmal verstärkt würde. „Wir lieben unsere Kühe und unsere Heimat hier, sonst wären wir schon lange weggezogen. So etwas ist wie eine kalte Enteignung!“

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Interview: „Übertragung über den Boden möglich“ Premium

Wir sprachen mit Prof. Jörg Oldenburg, Emissionssachverständiger aus Oederquart (Niedersachsen):

top agrar: Ist eine Schallübertragung bei Windrädern über den Boden denkbar, sodass man im Haus ein Brummen hört?

Oldenburg: Ja, das ist möglich, wenn es im Boden Moorlinsen oder Schwemmland gibt. Das wäre bei dem von Ihnen geschilderten Fall an der Küste denkbar. Körperschall entsteht, wenn an der Anlage irgendetwas in Schwingung gerät und die Vibrationen über das Fundament in den Boden übertragen werden. Dieser Schall ist aber schwer zu messen. Eine andere Ursache kann ein Transformator sein, der auch Geräusche und Vibrationen verursacht.

Was kann ein Betroffener tun?

Oldenburg: Das Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) soll Menschen vor übermäßigen Geräuschen oder Erschütterungen schützen, die von technischen Anlagen ausgehen. Darauf kann er sich berufen. Die Baubehörde kann nach §17 BImSchG auch bei schon genehmigten Anlagen nachträglich eingreifen, wenn festgestellt wird, dass die die Nachbarschaft nicht ausreichend vor schädlichen Umwelteinwirkungen oder Gefahren oder erheblichen Belästigungen geschützt ist.

Ansprechpartner ist in jedem Fall die Genehmigungsbehörde, die im Anschluss den Anlagenbetreiber befragt und – falls die Beschwerden berechtigt sind – Nachbesserungen anordnen kann. Das kann z.B. eine Reduzierung der Leistung in der Nacht sein. Als Bürgermeister einer Gemeinde mit vielen Windenergieanlagen sind mir diese Fälle durchaus bekannt. Wichtig ist dafür aber eine gute Dokumentation.

Was heißt das konkret?

Oldenburg: Entscheidend sind nachweisbare Messungen. In Ihrem Fall wäre also ein entsprechendes Gutachten nötig. Außerdem sollte der Betreiber genau dokumentieren, bei welchen Windrichtungen an welchen Tagen und zu welchen Zeiten die Belästigung besonders hoch ist. Das hilft bei der Ursachenforschung.

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