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topplus Reportage

Wo Biogas künftig gebraucht wird

Biogas galt einmal als Multitalent der Energiewende. Jetzt stehen die ersten Anlagen vor dem Aus. Trotzdem gibt es Zukunftsperspektiven.

Lesezeit: 10 Minuten

Im ersten Quartal 2020 haben die erneuerbaren Energien erstmals rund 52 % des Bruttostromverbrauchs in Deutschland gedeckt. Was in der Öffentlichkeit wenig erwähnt wurde: Nach der Windenergie waren Biogasanlagen und Holzheizkraftwerke die zweitwichtigste Stromquelle – und die einzige, die speicherbar, flexibel und wetterunabhängig zur Verfügung steht.

Biogas nicht mehr im Fokus

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Beim geplanten starken Ausbau der erneuerbaren Energien auf 65 % des Bruttostromverbrauchs im Jahr 2030 müsste der Bedarf an flexiblen Biogasanlagen künftig sogar steigen, sollte man annehmen – zumal mehr Kohle- und Atomkraftwerke aus der Produktion aussteigen. „Biogas kann aber nur eine Teillösung sein, die flexible Leistung reicht nicht aus, um den Bedarf im Jahr 2030 zu decken“, sagt Jaqueline Daniel-Gromke vom Deutschen Biomasse-Forschungszentrum (DBFZ).

Allerdings sei die mittelfristige Perspektive von Biogas im Stromsektor nicht klar, betont sie: „In vielen Szenarien spielt Bioenergie eine wichtige Rolle. Die aktuellen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sprechen aber dagegen“, sagt sie.

Forderungen der Branche

Aus Sicht der Biogasbranche müsste die Politik an vielen Stellen nachjustieren:

  • Biogasanlagenbetreiber, die schon flexibilisiert haben und weitere Maßnahmen planen oder diejenigen, die umbauen wollen, erhalten nach aktuellem Stand keine Flexibilitätsprämie (Flexprämie) mehr. Diese ist nötig, um die nötigen Umbaumaßnahmen zu finanzieren. Der Flexdeckel von 1000 MW flexibler Leistung, ab dem keine neuen Projekte mehr gefördert werden, ist seit Juli 2019 voll.



  • Wer weiter Strom erzeugen will, kann sich im Ausschreibungsverfahren um eine zehnjährige Verlängerung bewerben. Die Menge, die jährlich ausgeschrieben wird, ist aber nach oben begrenzt. Außerdem gibt es aktuell nur eine Perspektive bis zum Jahr 2022. Für die Zeit danach gibt die Bundesregierung keine Perspektive.



  • Die meisten der heutigen Biogasanlagen erreichen ab dem Jahr 2024 das Ende der ersten EEG-Förderperiode. Um die Stilllegung von Anlagen zu kompensieren, müsste das Ausschreibungsvolumen für neue Anlagen fünfmal so hoch sein wie heute, also 1000 MW pro Jahr statt der 200 MW, hat das DBFZ kalkuliert.



  • Die europäische Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED II) ist noch nicht in deutsches Recht umgesetzt. Damit ist offen, mit welchen Quoten und anderen Maßnahmen Deutschland Biomethan als Kraftstoff künftig fördern will bzw. welche Perspektiven es dafür gibt.



  • Die Steuerbefreiung von Biokraftstoffen in der Land- und Forstwirtschaft läuft Ende des Jahres aus. Das würde auch das jetzt vielfach diskutierte Konzept von Biomethan-Hoftankstellen und den Einsatz in Traktoren behindern.



  • Die Harmonisierung verschiedener Verordnungen im Dünge- und Wasserrecht fehlt. So ist es z.B. nicht zulässig, Gärrest in Güllebehältern zu lagern. Das verhindert den Verkauf von Gärrest als Dünger in Ackerbauregionen.



  • Es gibt keine Perspektiven für Tierhalter, größere Biogasanlagen mit Gülle zu betreiben. Die Branche fordert schon länger die Ausweitung einer höheren Vergütung für Anlagen, die mehr als 80% Gülle einsetzen. Außerdem gibt es keine Anreize für Gülleanlagen, den Betrieb zu flexibilisieren. Das verhindert die weitere Gülle- und Mistvergärung.

„Grundsätzlich fehlt ein klares Konzept der Bundesregierung, die zwar in ihrem Klimaprogramm Biomasse für notwendig hält, aber keine entsprechenden Rahmenbedingungen dazu setzt“, resümiert Dr. Stefan Rauh, Geschäftsführer im Fachverband Biogas.

Biogas als Auslaufmodell?

Dazu kommt, dass es verschiedene Institute und Organisationen gibt, die Biogas für eine auslaufende Technologie halten: Entweder, weil sie die Rohstoffbasis kritisch sehen oder die daraus produzierte Energie für überflüssig halten.

Ein Beispiel ist das Umweltbundesamt (UBA): In der bereits 2014 veröffentlichten Studie „Treibhausgasneutrales Deutschland 2050“ und der darauf basierenden „Rescue“-Studie aus dem Jahr 2019 sieht die Behörde, die dem Bundesumweltministerium unterstellt ist, keine Zukunft für Biogas aus Anbaubiomasse. Grund: Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion, „unverhältnismäßig hohe Flächenintensität der Energiegewinnung“ sowie negative Auswirkungen auf Wasser, Boden, Biodiversität und Naturschutz. Lediglich Rest- und Abfallstoffen gibt das UBA eine Chance. Das Gros der im Jahr möglichen 23 Mrd. kWh Strom könnte den Annahmen zufolge aus Gülle und Mist stammen.

In der Rescue-Studie hält das UBA maximal 5,6 Mrd. kWh Biogasstrom auf Basis von Reststoffen für möglich, dazu kommen 21 Mrd. kWh (Heizwert) in Form von Gas. Im Vergleich zur heutigen Stromerzeugung aus Biogasanlagen wäre das ein starker Rückgang: Im Jahr 2019 erzeugten die rund 9000 Biogasanlagen in Deutschland 29,2 Mrd. kWh. Der Fachverband Biogas hält 76 bis 88 TWh aus Energiepflanzen, frei werdendem Grünland sowie Gülle und Mist für möglich.

Neben möglichen negativen Effekten auf die Umwelt gibt es weitere Kritik: So gelten Biogasanlagen aktuell als die teuerste erneuerbare Stromquelle in Deutschland: „Mit 20 Cent pro Kilowattstunde ist Biogasstrom doppelt so teuer wie Strom aus kleinen Photovoltaikanlagen“, erklärt Peter Stratmann, Leiter des Referats Erneuerbare Energien bei der Bundesnetzagentur.

Daher sieht er den Fortbestand von Biogasanlagen und erst recht eine Ausweitung der Förderung in Form der Flexibilitätsprämie aus Kostengründen für fraglich. „Es ist eine Illusion, dass Biogasanlagen jemals ohne Förderung betrieben werden können. Die Marktpreise werden niemals so hoch sein, dass es wirtschaftlich ist“, sagte Stratmann. Zudem gäbe es – zumindest heute – keinen Flexibilitätsmangel in Deutschland. „Wer heute Geld für Flexibilität ausgibt, kann es auch gleich aus dem Fenster werfen“, äußert er provokant mit Blick auf die Flexibilisierung von Biogasanlagen.

Wichtige Energiequelle

Doch diesen kritischen Stimmen steht eine Vielzahl von positiven Argumenten gegenüber. „Sollten Biogasanlagen stillgelegt werden, müssten bis zum Jahr 2035 rund 6 Gigawatt (GW) Windenergieleistung und 20 GW Solarstromleistung dazu gebaut werden – bei derzeitigen Rahmenbedingungen völlig unrealistisch“, sagt Bernhard Wern vom Institut für Zukunftsenergie- und Stoffstromsysteme (IZES).

Der Wissenschaftler hält die Rohstoffeinschätzung des UBA ebenfalls für fraglich: „Das Reststoffpotenzial ist ohnehin sehr klein und nur ein Teil davon lässt sich in Biogasanlagen verwerten. Die Vergärung von Gülle und Mist erzeugt zudem wegen der geringeren Gasausbeute höhere Kosten.“ Daher hält er die Anbaubiomasse auch aus Kostengründen und zum Ausschöpfen des Potenzials für wichtig, um die Klimaziele zu erreichen.

Auch sei es schwierig, die Technik allein über die Stromgestehungskosten zu bewerten. Vor zehn Jahren lagen diese noch bei 14 bis 15 ct/kWh. „Die Ursache für den Anstieg auf 20 ct/kWh liegt in externen Effekten und Systemleistungen, zu denen Biogasanlagenbetreiber im Laufe der Zeit verpflichtet wurden. Man muss daher auch berücksichtigen, dass Biogas eine speicherbare Energieform ist.“

Leistung für Gesellschaft

Welche weiteren Effekte Biogasanlagen auf die Gesellschaft haben, hat das IZES zusammen mit anderen Instituten in der Studie „MakroBiogas“ genau analysiert: Die Anlagen können Treibhausgasemissionen aus Gülle und Mist einsparen, überschüssige Nährstoffe in wertvolle, handelbare Dünger umwandeln und organische Abfälle energetisch verwerten.

Mit den richtigen Vorgaben zum Energiepflanzenanbau wären die Anlagen sogar Teil der Lösung für mehr Biodiversität und Gewässerschutz auf dem Acker. Vergären sie Gras und tragen damit zur Pflege offener Kulturlandschaften bei, lassen sich auch Synergien mit Naturschutz, Imkerei und Tourismus heben. „Daher sind neue Finanzierungskonzepte und Regularien für den Biogassektor nötig, damit dessen positive Potenziale noch besser und auch in Zukunft zum Tragen kommen können“, resümiert Wern als Mitautor der Studie.

Sein Fazit: Wenn die auf 20 Jahre festgelegte EEG-Vergütungsdauer für immer mehr Biogasanlagen ausläuft, droht ein Wegfall von erneuerbaren Energien: Es könnten nach der Prognose des IZES 30 Mrd. kWh Strom, 15 Mrd. kWh Wärme aus Kraft-Wärme-Koppelung und 4,8 Gigawatt (GW) steuerbarer Leistung zum Ausgleich der schwankenden Wind- und Sonnenenergie verschwinden. Sondern es fällt auch der genannte Mehrwert für die Gesellschaft weg. Ohne Biogasanlagen müssten viele der Dienstleistungen auf andere Weise erbracht und finanziert werden. Daher plädiert Wern dafür, die Kosten-Nutzen-Relation von Biogas im Vergleich anderen erneuerbaren Technologien angemessen darzustellen.

Ersatz für Kohlekraftwerke

Prof. Markus Zdrallek von der Bergischen Universität Wuppertal sieht Biogasanlagen als wichtigen Ersatz für konventionelle Kraftwerke. „Wenn wir 70 bis 100% erneuerbare Energien im Netz haben, brauchen wir jede Flexibilität, die wir kriegen können. Biogasanlagen sind eine der wenigen Energiequellen, die Strom verlässlich produzieren.“ Die höheren Kosten für Biogasstrom würden sich relativieren, weil sich damit auf der anderen Seite die Kosten für Ausgleichsenergie (Re-dispatch) reduzieren. Auch lasse sich auf Verteilnetzebene ein erheblicher Netzausbau damit reduzieren. „Volkswirtschaftlich ist also ein hoher Nutzen durch Biogasanlagen zu erwarten“, macht Zdrallek deutlich.

Perspektiven für Biogas

In den Forschungsprojekten „Bioenergie – Potenziale, Langfristperspektiven und Strategien für Anlagen zur Stromerzeugung nach 2020“ (BE20plus) und „Next Generation Biogasanlagen“ (NxtGenBGA) haben die Wissenschaftler verschiedener Institute untersucht, welche Anschlussperspektiven für Bioenergieanlagen bestehen, wenn diese nach 20 Jahren aus der bisherigen EEG-Förderung ausscheiden. Auch sie kommen zu dem Schluss: Die Flexibilität von Biogasanlagen wird künftig stärker gefragt sein. Heute jedoch sind die Markterlöse oft unzureichend. Die Wissenschaftler plädieren aber dafür, der Biogastechnik eine Übergangsperspektive zu bieten, bis Wind- und Solaranlagen entsprechend ausgebaut und Kohle- sowie Atomkraftwerke aus dem Markt verschwunden sind.

Die künftigen Geschäftsfelder hängen davon ab, welche Auswirkungen die Klimaschutzmaßnahmen der Bundesregierung (Klimaschutz-Plan, -Gesetz und -Programm) haben werden.

Der Mehrerlös am Strommarkt hängt davon ab, wie stark Flexibilität beim weiteren Ausbau von Wind- und Solarenergie gefragt sind. Bioenergie ist nicht die einzige Option. Konkurrierende Technologien können Wasserstoffwirtschaft, Batterien, Lastverschiebung oder die Digitalisierung sein, die mithilft, Stromerzeugung und -verbrauch stärker aufeinander abzustimmen.

Doch Batterien stehen zwar heute schon zur Verfügung, sind aber auch teuer. Daher schätzen auch Energieversorger die Speicherfähigkeit von Biogas: „Kurzfristig können wir Schwankungen bei der Einspeisung von Wind- und Solarstrom mit Batterien ausgleichen wie mit unserem 10 MW-Speicher in Schwerin. Eine Batterie dieser Größe kostet aber ungefähr 8 Mio. €“, unterstreicht Mathias Groth, Referent für Einspeisemanagement und neue Märkte beim Energieversorger WEMAG aus Schwerin. Für einen längerfristigen Ausgleich hält er nur die flexiblen Biogasanlagen für sinnvoll.

Günstiger als Wasserstoff

Hans-Werner Gress vom Internationalen Institut für Nachhaltigkeitsanalysen und -strategien (IINAS) sieht zwar in dem aktuell viel diskutierten Wasserstoff eine wichtige Zukunftsoption für die Energiewirtschaft. „Aber er muss CO2-neutral und nachhaltig erzeugt werden, um einen Nutzen für den Klimaschutz zu haben. Die nötigen Mengen sind hierzulande nicht verfügbar, wir werden einen Teil auch importieren müssen“, sagt er. Dieser CO2-neutrale Wasserstoff sei in den nächsten zehn bis 15 Jahren noch deutlich teurer als Biogas oder Biomethan. Für die flexible Stromerzeugung sind daher laut Gress Biogas und Biomethan auf absehbare Zeit kostengünstiger. Er hält es für falsch, die Flexprämie abzuschaffen. „Die Flexibilität von Biogasanlagen ist vorhanden und sofort einsetzbar“, betont er.

Doch der Bedarf allein reicht den Betreibern nicht, wie die Studie Biogas2030 zeigt: Bis zum Jahr 2030 werden 55% der Biogasanlagen bzw. 66% der installierten Anlagen stillgelegt – wenn sich die politischen Rahmenbedingungen nicht ändern. Wichtig für die Anlagenbetreiber sind tragfähige und verlässliche Anschlusskonzepte, auf denen sie Geschäftsmodelle aufbauen und investieren können.

„Die Rolle von Biogasanlagen liegt künftig nicht allein in der Energieproduktion. Die Bedeutung der Technik zu Vermeidung von THG-Emissionen und weiteren Dienstleistungen steigt“, sagt Daniel-Gromke (DBFZ).

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