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Putenhalter in roten Zahlen

Corona und der Lockdown haben Putenerzeuger in die Bredouille gebracht. Sie stallten daraufhin weniger Tiere ein. Auch steigende Kosten, ausländische Konkurrenten und die Geflügelpest setzen ihnen zu.

Lesezeit: 7 Minuten

Das Wochenblatt für Landwirtschaft und Landleben sprach mit Bettina Gräfin von Spee. Sie ist Vorsitzende des Verbandes der Deutschen Putenerzeuger (VDP):

Wochenblatt: Gräfin von Spee, steigende Energie- und Futterkosten, niedrige Auszahlungspreise und dann auch noch die Geflügelpest – wie steht es um die deutschen Putenerzeuger?

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Gräfin von Spee: Seit einigen Wochen ist die deutsche Putenhaltung in die absolute wirtschaftliche Schieflage geraten. Zu Anfang der Corona-Pandemie waren wir systemrelevant und unser Fleisch war an der Ladentheke gefragt. Mit dem ersten Lockdown fiel das Großverbrauchersegment aus und der Absatz stockte massiv. Die Lebendtierpreise sanken und als die Schlachthöfe ab dem Sommer 2020 teilweise schließen mussten, entwickelte sich ein Putenstau in den Ställen, der erst im Frühjahr 2021 abgebaut werden konnte.

Im Gegensatz zu den niedrigen Schweinepreisen konnten wir bis in den Spätsommer 2021 die Erzeugerpreise auf das Vorjahresniveau wieder anheben. Aber der explosionsartige Anstieg der Energie- und Futterkosten macht eine wirtschaftliche Putenmast aktuell unmöglich, außerdem bereitet uns der frühe Ausbruch der Aviären Influenza große Sorgen.

Im Sommer war zu beobachten, dass die Erzeugergemeinschaften von September bis Dezember weniger Tiere einstallen. Welche Effekte haben sich dadurch auf dem Putenmarkt ergeben?

Gräfin von Spee: Es ist richtig, dass es in der Putenhaltung insgesamt zu einer Reduzierung des Lebendtierangebotes von rund 15 % gekommen ist. Die Auswirkungen werden sich erst Anfang 2022 zeigen, wenn es auf dem Markt für den Verbraucher möglicherweise zu Engpässen kommt. Insbesondere zu Ostern könnte das Angebot an Putenfleisch deutlich zu klein sein.

Mit welchen Hoffnungen gehen die Putenerzeuger ins neue Jahr? Die Preise müssten ja demzufolge anziehen …

Gräfin von Spee: Ab Januar wird es weniger Putenfleisch am Markt geben. Das wird sicher bis in den April gehen. Wir hoffen nicht, dass der Seuchenzug der Geflügelpest noch viele Putenbestände hinrafft. Denn jede Keulung von Tieren ist für den Landwirt und die Branche schwer zu ertragen. Ein knappes Warenangebot zieht nach den Marktgesetzen einen steigenden Preis nach sich. Aber wir sind ja nicht alleine am Markt. Hähnchen- und Schweinefleisch sind Konkurrenzprodukte und der Verbraucher kauft preisorientiert. Also können wir nur hoffen, dass Fleisch insgesamt am Markt mehr honoriert wird.

Der frühe Ausbruch der Aviären Influenza bereitet uns große Sorgen.

80 % der Puten in Deutschland werden schon im Rahmen der Initiative Tierwohl (ITW) mit geringeren Besatzdichten aufgezogen, nun noch einmal ein Minus von 15 % – profitieren davon nicht die europäischen Konkurrenten?

Gräfin von Spee: Die ITW spielt in der Geflügelbranche tatsächlich eine große Rolle. Mit ITW-Ware wird der Lebensmitteleinzelhandel versorgt, er setzt überwiegend auf deutsche Ware. Aber dieser Anteil liegt nur bei 40 % des deutschen Putenfleisches. 60 % hingegen werden im Großverbrauchersegment – Kantinen, Gaststätten und Caterer – vermarktet. Dieses Segment ist nicht nur auf deutsche Ware ausgelegt. Da kommen die europäischen Konkurrenten ins Spiel, insbesondere Polen.

Wie hat sich der Selbstversorgungsgrad beim Putenfleisch entwickelt?

Gräfin von Spee: 2020 lag dieser bei 81 %. Zahlen für das aktuelle Jahr liegen uns noch nicht vor. Wir rechnen aber mit einem Rückgang auf einen Selbstversorgungsgrad von unter 80 %.

In Deutschland haben sich die Putenerzeuger bereits 2013 im Rahmen einer Selbstverpflichtung zu den bundeseinheitlichen Eckwerten bekannt, im EU-Binnenmarkt gibt es aber keine einheitlichen Standards. Ist es nicht Zeit für verbindliche Normen?

Gräfin von Spee: Die freiwilligen bundeseinheitlichen Eckwerte sind in Deutschland die Grundlage für unsere Putenproduktion. Seit Jahren fordern wir statt nationaler Alleingänge die EU-Harmonisierung von Rechtsvorgaben.

Werden diese Differenzen dem Verbraucher ausreichend erklärt? Oder wer ist hier aus Ihrer Sicht gefordert, für mehr Transparenz zu sorgen?

Gräfin von Spee: Ich glaube, da sind alle drei Spieler gefragt: Politik, Handel und unser Verband. Die Politik und mit anderen Worten unsere neue Bundesregierung muss endlich den Rahmen setzen. Wir fordern schon lange eine verpflichtende Herkunftskennzeichnung. Der Verbraucher soll in der Kantine, im Restaurant oder beim Caterer erkennen können, woher sein Fleisch kommt. Der Großhandel muss die Herkunft der Ware auszeichnen.

Unsere Öffentlichkeitsarbeit hat mit der Branchenkommunikation der Geflügelfleischwirtschaft einige Kampagnen zur Herkunftskennzeichnung initiiert und wird das Thema auch im neuen Jahr in den Fokus rücken. Ohne Herkunftskennzeichnung herrscht keine Transparenz für den Verbraucher. Die Ware kann von überall her aus dem europäischen Ausland mit niedrigeren Tierwohlstandards zu uns hereinkommen.

Geflügelhalter haben ein weiteres Problem: die Geflügelpest. Eine Expertenkommission hat den letzten heftigen Seuchenzug, der insbesondere Putenhalter getroffen hat, aufgearbeitet. Welche Konsequenzen wurden daraus gezogen?

Gräfin von Spee: Nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre ist im Kerngebiet der Putenhaltung im Landkreis Cloppenburg ein Geflügelpest-Monitoring installiert worden. Es ist ein Frühwarnsystem zur schnelleren Erkennung von Influenzaviren im Stall. Bei etwa 100 Betrieben werden zweimal wöchentlich Untersuchungen von Falltieren und Tränkwasser vorgenommen. Dabei will man frühzeitig mögliche Virus einträge finden und kann die Bestände dann räumen, bevor das Virus auf benachbarte Standorte durch windgetragene Aerosole übergreift.

Eine einheitliche europäische Verordnung zur Putenhaltung ist überfällig.

Eine Geflügelpestwelle tritt inzwischen in immer kürzeren Abständen und längst nicht mehr nur saisonal auf. Können Puten, die oftmals in Offenställen gehalten werden, überhaupt dagegen geschützt werden?

Gräfin von Spee: Die Geflügelhalter werden immer wieder an die ohnehin auf den Betrieben praktizierten Biosicherheitsmaßnahmen erinnert. Ein striktes Hygienekonzept muss unbedingt eingehalten werden. Dazu gehört der Kleidungs- und Schuhwechsel, die Händedesinfektion, eine reduzierte Besucherzahl, ein Besucherbuch zu führen, die Ställe geschlossen zu halten, eine regelmäßige Schadnagerbekämpfung und noch vieles mehr.

Die Putenhaltung mit den überwiegenden Offenställen ist besonders betroffen. Diese Stallform bietet Außenklimareize und kommt den Anforderungen des Tierwohls entgegen, ist aber für das Geflügelpestgeschehen eine besondere Herausforderung. Das Risiko einer Infektion über die Luft ist sehr hoch. In ventilatorgelüfteten Ställen versucht man über Zuluftfiltration den Viruseintrag zu verhindern.

Der Ruf nach einem Markerimpfstoff wird lauter, aber bis ein Impfstoff zugelassen ist, wird es noch einige Jahre dauern. So lange müssen wir alles tun, um Eintrag und Verbreitung des Virus in die Ställe zu verhindern.

Wie kann auch gerade vor diesem Hintergrund ein Umbau der Putenhaltung gelingen? Was fordern Sie von der Politik?

Gräfin von Spee: Der von der Gesellschaft gewünschte Umbau der Tierhaltung gilt für die Pute natürlich genauso wie für alle anderen Nutztiere. Da die Borchert-Kommission nur auf Grundlage einer Nutztierhaltungsverordnung, die es bisher für Puten nicht gibt, arbeiten kann, berufen wir uns in den Gesprächen auf unsere freiwilligen Eckwerte.

Eine Einigung auf EU-Ebene für eine einheitliche europäische Putenhaltungsverordnung ist überfällig. Der Konflikt zwischen Öffnung der Ställe für mehr Tierwohl und Verschluss der Ställe zur Abwehr der Geflügelpest muss immer wieder bedacht und abgewogen werden. Ein ähnlicher Konflikt besteht zwischen mehr Tierwohl und dem Emissionsrecht. Auch das Baurecht muss bei der Realisierung von Tierwohlställen angepasst werden. Diese Zielkonflikte müssen ganz schnell von der neuen Bundesregierung angegangen werden. Die Geflügelhalter fordern genauso wie die anderen Tierhalter gangbare Lösungen.

Wie sehen Sie die weitere Entwicklung auf den Höfen?

Gräfin von Spee: Im Moment kämpfen wir entlang der gesamten Wertschöpfungskette mit hohen wirtschaftlichen Einbußen. Vom Kükenlieferanten über den Putenmäster bis zum Vermarkter werden rote Zahlen geschrieben. In allen Bereichen herrscht eine sehr angespannte Stimmung. Die Futter- und Energiepreise werden den Prognosen nach nicht nachgeben. Ich selber sehe vorsichtig optimistisch eine Belebung des Marktes im zweiten Quartal 2022. Bis dahin bleiben hoffentlich alle Betriebe an Bord, denn der langfristige Trend sieht nach wie vor eine steigende Nachfrage nach Geflügelfleisch, die wir als Putenerzeuger sehr gut bedienen können.

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