Einloggen / Registrieren

Startseite

Schlagzeilen
Messen & Termine
Themen
Wir für Euch
Sonstiges

Stilllegung 2024 Agrardiesel-Debatte Bürokratieabbau

topplus Reportage

Willkommen in der Wiege des Plenterwalds!

Lesezeit: 7 Minuten

In modernen Dauerwaldkonzepten spielt die Tanne oft eine wichtige Rolle. Im Schwarzwald bei Freudenstadt ist das schon seit Jahrhunderten Tradition.


Das Wichtigste aus Agrarwirtschaft und -politik montags und donnerstags per Mail!

Mit Eintragung zum Newsletter stimme ich der Nutzung meiner E-Mail-Adresse im Rahmen des gewählten Newsletters und zugehörigen Angeboten gemäß der AGBs und den Datenschutzhinweisen zu.

Wir treffen Simon Stahl auf einem Waldparkplatz nahe Freudenstadt. Der sehr agile 52-Jährige ist Leiter des Kreisforstamts Freudenstadt im nordöstlichen Schwarzwald.


Eigentlich war der Termin geplant, um uns vor Ort über die Vorzüge der Weißtanne zu informieren. Förster Stahl hat daraus ein leidenschaftliches Plädoyer für den Dauerwald gemacht. Denn die Tanne ist der ideale Baum für Plenterwälder, die hier im Schwarzwald, und besonders um Freudenstadt, eine lange Tradition haben.


Beim Start unseres Rundgangs im Stadtwald fällt direkt auf, wie intensiv sich die Weißtanne verjüngt. Unter dem Schirm von mächtigen Altbäumen wachsen Jungbäume in unterschiedlichen Größen. „Im Dauerwald ist der ganze Raum mit Chlorophyll gefüllt“, schwärmt Stahl. Von den 30000 ha Waldfläche im Kreis sind bereits rund 7000 ha in Dauerwald überführt.


Ein Buchen-Tannen-Wald ist in der Region natürlich. Es gab immer wieder Devastierungsphasen, in denen der Wald stark zurückgedrängt wurde, wie z.B. durch die Römer oder im Hochmittelalter. Doch die wichtigsten waren die flächenmäßige Holznutzung im 18. Jahrhundert und starke Reparationshiebe sowie die Stürme in den 1990er-Jahren.


Fichte zur Wiederbewaldung


Zur Wiederbewaldung wurde früher verstärkt Fichte eingebracht. Oft waren die Herkünfte durch ihre Aststellung kaum für die Region geeignet – es kommt immer wieder zu Schneebrüchen. Es gibt allerdings auch an einigen Stellen autochthone, heimische Höhenfichten, wenn auch wenige. Um von der natürlichen Verjüngung zu profitieren, hegen und pflegen die Förster diese Bäume. Simon Stahl ist davon überzeugt, dass in seiner Region auch die Fichte eine Zukunft hat – als Baumart in einem Dauermischwald. Doch die Tanne hat im Klimawandel in der Region eine deutlich bessere Prognose.


Klimatisch ist die Region „ideal für dickes Holz“, sagt Förster Stahl. In den Kammlagen erreicht der Jahresniederschlag 2000 mm, in anderen Bereichen liegt er zwischen 1200 und 2000 mm. Die Jahresdurchschnittstemperatur liegt zwischen 6,5 und 9,0°C, bei der letzteren beginnt bereits der Weinbau. Standorte mit hoher Feldkapazität eignen sich voraussichtlich auch künftig noch für die Tanne und Fichte.


110 Jahre Dauerwaldkonzept


Der Stadtwald von Freudenstadt umfasst 3200 ha, damit ist die Stadt einer der größeren kommunalen Waldeigentümer in Baden-Württemberg. Schon vor 110 Jahren beschloss der Gemeinderat, auf die Kahlschlagwirtschaft zu verzichten und den Wald in einen dauerhaften Hochwald mit Einzelstammnutzung zu überführen. Grund waren die neu gegründeten Kurbetriebe in der Gemeinde. Die Gäste sollten sich immer im Waldschatten bewegen können.


Interessant ist der Beschluss des Stadtrates besonders vor dem Hintergrund, dass zu dieser Zeit im Waldgesetz die Plenterwirtschaft ausdrücklich untersagt war. Das Verbot ging auf die ersten Ansätze einer planmäßigen, nachhaltigen Forstwirtschaft zurück und hatten seinen Ursprung in der Tatsache, dass die Behörden die Holzentnahme, also die Einzelstammnutzung im Plenterwald, nicht überblicken konnten. Das war beim Kahlhieb und im Altersklassenwald deutlich einfacher. Doch bei den Bauern der Region hatte sich die Plenterwirtschaft bereits seit Jahrhunderten bewährt. Sie lehnten sich gegen die Einführung des Verbots auf. Daraufhin waren die Privatwälder vom Plenterverbot ausgenommen.


Durch die Entscheidung des Stadtrates sind um Freudenstadt echte Dauerwälder entstanden, zu denen heute Forstleute aus vielen Länder pilgern. Sie sehen eine sehr frühe Kombination der Waldfunktionen Holznutzung und Erholung. Für Simon Stahl liegen die Vorteile der Wirtschaftsweise auf der Hand: „Wir pflanzen nicht, wir machen keine Jungbestandspflege und kaum Durchforstungen.“


Untersuchungen haben gezeigt, dass 80% des jährlichen Zuwachses im Starkholz liegen, 13% im mittelstarken und nur 4% im schwachen Holz. Von oben sieht man immer nur große Kronen. Doch unter dem Schirm stehen die nächsten Generationen bereits in den Startlöchern. Das ist eine wichtige Eigenschaft der Weißtannen, sie harren über Jahrzehnte mit sehr langsamem Wachstum aus und starten problemlos durch, sobald sie Licht bekommen.


Auf den langfristigen Plenterwald-​Versuchsflächen haben die Bäume mit einem Brusthöhendurchmesser (BHD) von 25 cm einen Anteil von 10% am Holzvorrat. Die Sortimente 25 bis 50 und über 50 cm machen je 45% aus. Der Holzvorrat liegt in den umliegenden Plenterwäldern oft bei 500 bis 600 fm/ha. Zählungen zur Folge, die Bäume ab 10 bis 14 cm BHD berücksichtigen, wachsen in den Plenterwäldern der Region 490 bis 530 Bäume pro Hektar.


Betriebsziel in Freudenstadt ist starkes Holz in hoher Qualität. Deshalb gehört regelmäßig die Astung zum Standardprogramm im Stadtwald – allerdings nur bei einigen wenigen pro Hektar. Für die Astung bis in 12 m Höhe berechnet ein Unternehmer derzeit 10 € pro Baum. „Wenn wir ein bis drei starke im gleichen Jahr entnehmen, fallen die Kosten für die Astung kaum ins Gewicht“, sagt der Förster.


Denn um das jährliche Einschlagsziel zu erreichen, nutzt er einzelne, sehr starke Bäume. Das sind dann in einem Dauerwald 3 bis 4/ha und Jahr und nicht durchschnittlich bis zu 20 im Altersklassenwald. Im Schnitt haben die entnommenen Bäume 3 bis 4 fm.


Die Bestände sind im Abstand von 40 m mit Maschinenwegen und Rückegassen erschlossen. Wichtig bei den hohen Niederschlagsmengen, die teils auch als Starkregen fallen, ist das Wassermanagement. Schließlich sollen aus den Wegen keine tiefen Gräben entstehen.


Um einen Wald in einen Plenterwald zu überführen, lässt man die qualitativ sehr guten Bäume groß werden. Das sind echte Individuen. Die großen Bäume wachsen durch das hohe Lichtangebot immer schneller. Der Förster legt zum Spaß das Ohr an einen der bis zu 40 m hohen Baumriesen: „Ich höre im Holz die Kasse förmlich klingeln!“


Auf unsere Frage, ob es nicht schwer sei, die starken Abschnitte zu verkaufen, sagt Simon Stahl, dass die Nachfrage nach sehr starken Tannen in hoher Qualität kaum gedeckt werden kann: „Wir haben nicht genug davon!“.


Einige dieser Stämme gehen in den Export, z.B. nach Japan, wo das sehr weiße Holz extrem gefragt ist. Gute Tannen-Qualitäten bringen bei der Submission 300 bis 400 €/fm.


Doch sobald der Stamm Beulen aufweist, die die Verarbeitung im Sägewerk erschweren, wird die Vermarktung tatsächlich anspruchsvoller.


Intensive Jagd


Bei der dicht auflaufenden Naturverjüngung stellt sich die Frage nach dem Jagdregime. Wie alle Anhänger des naturnahen Dauerwalds sieht auch Simon Stahl den angepassten Wildbestand als Grundvoraussetzung. Oder plakativer: „Kill the deere! Aber natürlich nicht alle, sondern nur alle, die gesehen werden“, fügt er noch an. Es gehe ihm um das standortgerechte Anpassen des Bestandes. Der Förster ist überzeugt, dass eine effizientere Bejagung der Rehe hermüsse. „Beim Schwarzwild war ja auch plötzlich vieles möglich!“


In Freudenstadt setzen sie auf ein Regiejagdkonzept. Die Ansitzjagd macht den Hauptteil der Abschüsse aus. Bis zu 40% der Geißen und Schmalrehe erlegen sie im Januar, wenn sie Tiere mit Apfeltrester anlocken. Trotzdem: Jagd ist hier echte Arbeit, denn in den Dauerwäldern finden die Tiere jede Menge Schutz. Simon Stahl sagt, dass er für einen einzigen Abschuss bis zu sieben Ansitze benötigt. Der Einsatz ist es ihm wert: „Für einen klimastabilen Wald brauchen wir die angepassten Wildbestände. Wenn dann auch seltene Baumarten hochkommen, passt es.“


Dass den Freudenstädter Bürgern ihr Wald am Herzen liegt, haben sie in der Vergangenheit mehrfach deutlich gemacht. Als die Tanne in den 1980er- Jahren durch die Schwefelgase der Kraftwerke starben, holten die Freudenstädter den Innenausschuss des Bundestages in die Gemeinde, um den Mitgliedern die Schäden zu zeigen. Sie haben die Namen der Abgeordneten an die gefährdeten Bäume geschrieben und regelmäßig die „Paten“ über den Zustand ihres Baumes informiert. Auch das setzte letztendlich die Luftreinhaltepolitik in Gang. Heute haben sich die Tannen von den Schäden deutlich erholt.

Die Redaktion empfiehlt

top + Letzte Chance: Nur noch bis zum 01.04.24

3 Monate top agrar Digital + 2 Wintermützen GRATIS

Wie zufrieden sind Sie mit topagrar.com?

Was können wir noch verbessern?

Weitere Informationen zur Verarbeitung Ihrer Daten finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Vielen Dank für Ihr Feedback!

Wir arbeiten stetig daran, Ihre Erfahrung mit topagrar.com zu verbessern. Dazu ist Ihre Meinung für uns unverzichtbar.