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Waldumbau: Anna-Maria Hille wagt den Neuanfang nach der Fichte

Gleich zu Beginn ihrer Laufbahn muss Försterin Anna-Maria Hille rund die Hälfte ihrer Bestandsflächen neu aufbauen. Das Problem: Am Möhnesee lebt die größte Population Sikawild in Westeuropa.

Lesezeit: 6 Minuten

Der Berufseinstieg von Anna-Maria Hille hätte wirklich etwas einfacher sein können. Denn die 24-jährige Försterin übernahm ihren Forstbetriebsbezirk Möhnesee am Rande des Sauerlands Mitte März 2019, also zu der Zeit, als sich die Fichte nahezu komplett aus der Region verabschiedete.

Der „Brotbaum“ hatte hier einen Anteil von 53,5 %, und bei unserem ersten Gespräch im April 2020 war nach den Jahren 2018 und 2019 kaum noch etwas davon übriggeblieben. Doch ihren Optimismus hat sich die Tochter eines Forstunternehmers dadurch nicht nehmen lassen.

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Der Bezirk von Anna-Maria Hille umfasst 1.036 ha Holzbodenfläche. Die Flächen liegen zwischen 170 und 330 m über NN, die mittlere Niederschlagsmenge liegt in normalen Jahren bei 841 mm. Die Böden sind überwiegend Braunerden aus Grauwackenverwitterungsmaterial und Lößaufwehungen.

112 Privatwaldbesitzer gehören zum Zusammenschluss am Möhnesee. 44 davon besitzen bis 2 ha, 38 eine Fläche von 2 bis zu 10 ha, 28 von 10 bis 50 ha und jeweils ein Betrieb von 50 bis 200 ha bzw. von 200 bis 500 ha.

Die Baumarten sind recht ungleichmäßig verteilt. Nadelholz macht rund 60 % aus, neben den Fichtenflächen mit 54 % wachsen einige Douglasien (2,7 % an der Gesamtfläche), Lärchen (2,3 %) und Kiefern (1,6 %). Der Laubholzbestand (40 %) teilt sich in Eiche (rund 17 %), Buche (13 %) und andere Arten (10 %) auf. 60 bis 70 ha sind Jungbestände nach dem Orkan Kyrill, der 2007 das Sauerland besonders schwer traf.

Auch junge Fichten betroffen

Trotz der schon damals schlechten Erfahrung mit der Baumart Fichte, bepflanzte eine ganze Reihe von Privatwaldbesitzern diese Flächen wieder mit Fichte. Schließlich brachte diese Baumart über Jahrzehnte hohe Deckungs­beiträge. Glücklicherweise wurde die Fichte aber selten als Reinbestand neu begründet, sondern meist mit einer Mischbaumart. Das streut das Risiko etwas und stabilisiert die Bestände.

Bis zum Frühjahr 2020 hatten Borkenkäfer vor allem mittlere und alte ­Bestände befallen. Anna-Maria Hille schätzt, dass durch den warmen Winter etwa 90 % der Käferpopulation überlebt haben. Durch den warmen Start ins Jahr flog dann der Kupferstecher auch die jüngeren Bestände an. Die Försterin rechnet damit, dass im Laufe des Jahres nahezu alle Fichten abgestorben sein werden. Die Schadfläche erstreckt sich also über knapp 600 ha.

Im Frühjahr 2020 sind die Schad­flächen nur teils geräumt. Direkt nach dem Sturm Friederike konnten die Waldbesitzer noch Preise bis zu 80/90 € für das Holz erzielen. Doch durch das Überangebot und die schnell folgende Borkenkäferkalamität sank der Preis aber rapide.

Bei unserem ersten Gespräch im Frühjahr 2020 war der Preis auf 30 € oder sogar weniger gefallen. Das liegt vor allem daran, dass durch den Borkenkäferbefall das Stammholz aufgrund der hohen D-Anteile im Export zu einem BCD-Mischpreis (also qualitätsunabhängig) verkauft wird. Der Durchschnittserlös über alle Sortimente deckte gerade einmal die Einschlagskosten. Vielleicht blieb ein 1 €/fm beim Waldbesitzer hängen.

Wichtige Beratung

Wie geht es nach der Fichte im Bezirk von Anna-Maria Hille weiter? Es ist eine schwierige Situation, die viel Beratung erfordert. Die Privatwaldbesitzer haben aus dem Holz nichts verdient. Die Försterin hat die Erfahrung gemacht, dass im Gegensatz zu einigen jüngeren Familien besonders die älteren Waldbesitzer oft nicht bereit sind, ihre Ersparnisse wieder in den Wald zu stecken. Immerhin muss man hier mit Kosten von bis zu 10.000 €/ha rechnen – allein 3.000 bis 4.000 €, bzw. 30 bis 40 %, entfallen dabei auf den Zaun.

Ohne Zaun geht hier nichts. Denn im Arnsberger Wald lebt die größte Population Sikawild in Westeuropa. Die Tiere stammen ursprünglich aus einem privaten Wildpark, von wo sie nach dem Krieg entkommen sind. Bisher ist die Bejagung nicht intensiv genug, um neu bepflanzte Flächen zu schützen. Anders als Rehwild, schädigt Sikawild auch größere Bäume. Ein Rudel kann ganze Flächen kahlfressen, auch Naturverjüngung hat ungeschützt nur in ei­nigen Ecken überhaupt eine Chance.

Försterin Hille ist davon überzeugt, dass für eine effektivere Bejagung alle Beteiligten an einem Strang ziehen müssen – es müssten viel mehr Tiere erlegt werden als zurzeit. Es bleibt also zu hoffen, dass sich durch die Schwere der Waldschäden gerade das Bewusstsein ändert.

Bei der Wiederaufforstung steht der klimastabile Mischwald im Fokus. Will man Fördergelder beantragen, muss der Laubholzanteil überwiegen. Bis zu 50 % der Kosten für Pflanzen und Pflanzungen können sich die Waldbe­sitzer fördern lassen. Der Zaun ist, ab­gesehen von sehr geringen Ausnahmen, nicht förderfähig. Die Förderrichtlinien in NRW sind streng und kompliziert. Um wirklich alle Richtlinien einzuhalten, musste sich die Försterin sehr tief in die Materie einarbeiten.

Neben den Laubhölzern dürfen auch Nadelbäume gepflanzt werden. Übersteigt ihr Anteil aber 35 %, ist die Fläche nicht mehr förderfähig. Das Nadelholz darf nicht einzeln, sondern muss kleinparzellig (250 bis 500 m²) ohne Laubholzbeimischung eingebracht werden. Wer in der Praxis nicht auf Nadelgehölze verzichten möchte, teilt die Flächen oft in einen geförderten und einen Teil ohne Förderung.

Anna-Maria Hille hält nichts davon, Nadelholz grundsätzlich zu verdammen. Denn auch in Zukunft wird es Bedarf dafür geben. Generell setzt sie auf möglichst gemischte Bestände mit unterschiedlichen, aber standortgerechten Baumarten.

Beim Nadelholz sind das Weißtanne, Küstentanne, Douglasie, Lärche und – da ist bei einigen Waldbesitzern sicher noch Überzeugungsarbeit notwendig – Schwarzkiefer. Wenn der Besitzer einverstanden ist, können Hemlocktanne und Zeder als Beimischung dazukommen. Auch Fichte aus Naturverjüngung ist als Zeitmischung willkommen.

Bei den Laubhölzern setzt die Försterin auf den kahlen Flächen vor allem auf Eiche. Buchen sind auf großen Freiflächen schwierig und bringen meist keine guten Qualitäten.

Zu den Eichen kommen weitere, passende Mischbaumarten. Auf einigen Flächen haben die Sauerländer (Türkische) Baumhasel und Esskastanie ausprobiert.

Örtlicher Unternehmer

Das Pflanzen übernimmt ein örtlicher Unternehmer. Der ist vielleicht auf den ersten Blick nicht so schlagkräftig wie eine große Kolonne. Allerdings laufen alle Aktionen in enger Absprache mit dem Unternehmer, die Aufträge der Försterin werden präzise erledigt. Die heimische Kolonne kann an einem Tag auch mehrere kleine Flächen bearbeiten.

Viele Flächen müssen vor der Pflanzung geräumt werden. Wie intensiv, das hängt vom Alter des abgehenden Bestandes ab. Wenn ein relativ junger, abgestorbener Fichtenbestand geräumt wird, arbeitet der Harvester meist sauber genug. Es ist kein weiterer Arbeitsgang notwendig.

Bei älteren Beständen hält Anna-Maria Hille die Räumung per Bagger für notwendig. Denn hier bleiben viel mehr Bruch und Wurzelstöcke liegen. Die Flächen sind später schwerer zu bepflanzen. Außerdem ist eine Kulturpflege später in diesem Chaos sehr aufwendig. Wenn nichts anderes mehr geht, fordert die Försterin in Ausnahmefällen auch einen Raupenmulcher an. Hier kann sie dann gut auch mit kleineren Pflanzen arbeiten.

Weil sich die Revierfläche auf so viele Besitzer aufteilt, ist die Absprache der einzelnen Maßnahmen ziemlich aufwendig. Man hat aber nicht den Eindruck, dass das ein Problem für Anna-­Maria Hille ist. Und sie sieht das Ganze als Chance, dass sie so früh mit so einer großen Aufgabe konfrontiert ist: „Ich freue mich schon darauf, mir das Ergebnis in 20 Jahren anzusehen.“

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