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„Jetzt nicht die alten Sprechzettel herausholen“

Lesezeit: 8 Minuten

Landwirtschaftsminister Cem Özdemir will trotz des Krieges in der Ukraine keine Rückschritte in der Agrarpolitik zulassen. Beim Umbau der Tierhaltung soll eine Anschubfinanzierung Tempo bringen.

Was ändert der Krieg in der Ukraine an Ihren agrarpolitischen Zielen?

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Özdemir: Putins Angriffskrieg auf die Ukraine wird alle unsere Lebensbereiche beeinflussen. Die wichtigste Frage ist, wie wir den Menschen in der Ukraine helfen können. Mein Haus kümmert sich darum, dass Lebensmittelgroßspenden aus der Wirtschaft zu den Betroffenen kommen. Mit gleicher Ernsthaftigkeit haben wir die Auswirkungen auf die Lebensmittelmärkte, die weltweite Versorgungssicherheit und die Folgen für den Agrarsektor im Blick. Ich rate aber, jetzt nicht die alten Sprechzettel herauszuholen und die Situation für agrarpolitische Eigeninteressen zu missbrauchen.

Was meinen Sie damit?

Özdemir: Wir sollten die Uhr nicht zurückdrehen, das hat noch nie geklappt. Es geht auch jetzt darum, unsere Landwirtschaft zukunftssicher und krisenfest aufzustellen: Wir können vor der Klimakrise und der Ressourcenverschwendung nicht die Augen verschließen.

Erhält die Ernährungssicherung bei uns dennoch eine neue Bedeutung?

Özdemir: Russland und die Ukraine sind für etwa 14% der weltweiten Weizenerzeugung verantwortlich. Wenn es hier zu Ausfällen kommt, hat das globale Auswirkungen und kann weitere Preissteigerungen bei Weizen und Brot bedeuten. Hauptimporteur von Weizen aus dieser Region sind die Länder Nordafrikas und Asiens sowie die Türkei.

Deutschland hat bei Weizen einen Selbstversorgungsgrad von fast 120%. Gleichzeitig geht fast 60% des Gesamt-Getreides in Deutschland nicht in die direkte Nahrungsmittelversorgung, sondern landet in Futtertrögen. Die Tiere sind häufig nicht einmal für den Verzehr bei uns im Land gedacht, sondern für den Export. Global gehen 47% der Getreideerzeugung ins Tierfutter. Wenn wir jetzt vom Recht auf Nahrung sprechen, dann sollten wir nicht die Axt an Klima- und Naturschutz legen, sondern gemeinsam dafür sorgen, dass die Agrarproduktion nicht mehr vorrangig im Futtertrog landet, sondern Menschen direkt versorgt.

Wie stellen Sie sich das vor? Weniger Futtermittelanbau in Deutschland und weniger Importe von Soja- und Ölsaaten?

Özdemir: Es geht um eine Kreislauf-Landwirtschaft, die unabhängiger ist von energieintensivem Mineraldünger. Und zwar auch aus geopolitischen Gründen. Was wir bei Energieträgern hinbekommen wollen – Unabhängigkeit von Staaten wie Russland – müssen wir auch in diesem Bereich schaffen. Wir müssen auch über die Flächen reden, die wir im Ausland für unsere Futtermittel belegen – und die oftmals mit Entwaldung zusammenhängen. Wenn wir Klimaschutz ernst nehmen, müssen wir die Tierbestände reduzieren. So senken wir die Abhängigkeit von Futtermitteleinfuhren. Natürlich sollen Tierhalter weiterhin ein sicheres Einkommen haben. Das schaffen wir aber nicht, indem wir beim bisherigen Billigfleisch-System bleiben. Dieses System schafft am Ende nur Verlierer.

Das Ziel 30% Ökolandbau bis 2030 steht für Sie weiterhin fest?

Özdemir: Das ist und bleibt das Ziel unserer Koalition. 25% bis 2030 auf EU-Ebene und 30% bei uns in Deutschland. Das heißt auch, dass die anderen 70%, die konventionell wirtschaften, sich ebenfalls zunehmend auf den Weg machen, nachhaltiger zu arbeiten – und dafür auch honoriert werden.

Ihr Koalitionspartner FDP stellt jetzt die geplanten 4% Stilllegung aus der EU-Agrarreform in Frage. Wie sehen Sie das?

Özdemir: Die 4% gelten ab nächstem Jahr, darin sind Landschaftselemente eingerechnet. Bereits jetzt werden über diese und andere Flächen ohne Nutzung 2% erbracht. Jetzt die Agrarreform, den Green Deal und die Farm-to-Fork-Strategie auszusetzen, halte ich für falsch. Die Auswirkungen des Angriffs auf die Ukraine, die Preisexplosionen bei Düngemitteln oder mögliche Engpässe bei Saisonarbeitskräften werden wir genau verfolgen. Es bleibt aber richtig, auf Nachhaltigkeit zu setzen. Wenn wir jetzt weitere Kredite auf Kosten des Klima- und Umweltschutzes aufnehmen, dann rächt sich das in der Zukunft.

Sie sind dafür angetreten, den Umbau der Tierhaltung umzusetzen. Wie schnell kommen Sie da noch voran?

Özdemir: Beim Umbau machen wir Tempo. Die Erkenntnis und Bereitschaft sind da, die Veränderungen in der Tierhaltung jetzt auch umzusetzen. Dabei weiß ich auch den Handel hinter mir. Die Gespräche in der Koalition sind dazu sehr vielversprechend.

Ist ein Ansatz wie der Borchert-Plan mit Blick auf die vielen finanziellen Kraftanstrengungen durch den Ukraine-Krieg noch zu halten?

Özdemir: Wir müssen jetzt erst recht dafür sorgen, dass es Betriebsnachfolgen gibt. Damit wir in Deutschland Lebensmittel produzieren und nicht in Abhängigkeiten geraten. Diese Koalition wird die Landwirtinnen und Landwirte dabei unterstützen, Tiere besser zu halten. Wir wollen über Haushaltsmittel den Einstieg machen und die Investitionsförderung auf den Weg bringen. Im nächsten Schritt wollen wir den Umbau in der Nutztierhaltung auch bei den Betriebskosten honorieren. Bis zum Jahresende wollen wir ein solidarisches Abgabemodell auf Fleischprodukte haben.

Stimmt es, dass die Bundesregierung 1 Mrd. € für den Umbau der Tierhaltung für die Jahre 2023 bis 2026 einplant?

Özdemir: Die Summe kommt mir bekannt vor – ich verhandle mit dem Bundesfinanzminister über zusätzliches Geld für eine Anschubfinanzierung für den Stallumbau. Gehen Sie davon aus: Ich kämpfe für meine Landwirtinnen und Landwirte. Ich habe nicht vor, nach den Haushaltsverhandlungen mit leeren Händen da zu stehen. Am Ende müssen es die Fraktionen im Parlament absegnen. Niemand wird das erklären können, wenn die Finanzierung des Umbaus der Tierhaltung scheitert.

Viele in der Landwirtschaft wünschen sich eine Kombination von Haltungs- und Herkunftskennzeichnung. Warum gehen Sie national nicht voran?

Özdemir: Bei der Haltungskennzeichnung gehen wir national voran. Wir werden sie dieses Jahr gesetzlich auf die Spur setzen. Nächstes Jahr werden gekennzeichnete Produkte in den Geschäften zu finden sein. Das ist der Plan, daran arbeite ich mit Hochdruck. Mit meiner österreichischen Kollegin habe ich zudem eine Initiative für eine EU-Herkunftskennzeichnung gestartet, der sich weitere Länder angeschlossen haben. Die Kommission hat für dieses Jahr einen Vorschlag dazu angekündigt.

Frankreich schafft bei der Herkunftskennzeichnung schon Fakten. Warum ist das kein Modell für Deutschland?

Özdemir: Ich bin dazu im Kontakt mit meinem Kollegen Julien Denormandie. Wir schauen uns das an. Zunächst warten wir auf die EU-Kommission – tun das aber nicht ewig. Wenn wir zum Ende des Jahres nichts haben, werden wir national aktiv.

Beim Baurecht hat Ihre Staatssekretärin vor einem „Freifahrtschein für Ställe“ gewarnt. Worauf warten Sie?

Özdemir: Wir werden an das Baurecht gehen und uns auch das Immissionsschutzrecht anschauen. Was ich nicht machen werde, ist, dass ich das Baurecht ändere, aber davor die Frage der Finanzierung und die Haltungskennzeichnung nicht gelöst habe. Der Umbau ist ein Gesamtpaket. Es wird mit mir nicht auseinander zu schnüren sein. Nur so bekommen die Tierhalter Planungssicherheit.

Sie wollen die Nitratrichtlinie einhalten, in dem Sie die roten Gebiete um mehr als 30% ausweiten. Wie wollen Sie das durchsetzen?

Özdemir: Ich habe diese Situation geerbt und bin nicht deren Verursacher. Die Korrekturen in der Düngeverordnung von 2017 haben die EU-Kommission genau so wenig überzeugt, wie die Neuausweisung der mit Nitrat belasteten Gebiete durch die Länder. Für mich ist klar, wir werden keine Strafzahlungen riskieren. Wir haben jetzt gemeinsam mit den Ländern eine Regelung zur Ausweisung der roten Gebiete getroffen. Brüssel prüft das. Ich setze mich auch dafür ein, dass es eine verursachergerechte Bewertung auf einzelbetrieblicher Ebene gibt.

Wie lange wird es dauern, bis die Verursachergerechtigkeit hergestellt ist?

Özdemir: Die Kommission hat uns bestätigt, dass wir die Verursacherbetrachtung perspektivisch in der Düngeverordnung verankern können. Dafür brauchen wir aber eine robuste Datengrundlage, die wir derzeit erarbeiten. Die Länder müssen für die Einführung einer bundesweit einheitlichen Binnendifferenzierung die Messstellen ertüchtigen sowie das Messstellennetz vereinheitlichen und vor allem ausbauen. Das wird zu einer zielgenaueren Ausweisung der roten Gebiete führen. Das geht aber nicht von heute auf morgen. Unser Ziel ist, dass alle Bundesländer spätestens 2028 ein einheitliches Verfahren anwenden.

Die EU will eine Reduzierung des Pflanzenschutzeinsatzes von 50% bis 2030 verbindlich vorschreiben. Halten Sie das noch für realistisch?

Özdemir: Im Koalitionsvertrag haben wir festgelegt, dass wir die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln auf das notwendige Maß verringern wollen. Die EU-Kommission hat entsprechende Vorschläge unterbreitet. Wir stehen nach wie vor zum Reduktionsziel von 50% bis 2030. Wichtig ist, dass es gute Alternativen gibt, damit Ernten und Erträge nicht gefährdet sind.

Müssen Landwirte ihre Pflanzenschutz-Anwendungsdaten künftig in einem Melderegister eintragen?

Özdemir: Für die Reduzierung von Pflanzenschutzmitteln braucht man Transparenz. Dafür müssen wir auch die Anwendungsdaten haben. Der Ansatz der EU-Kommission, die Anwendungsdaten nur alle fünf Jahre zu übermitteln, würde das massiv erschweren. Deshalb machen wir uns für jährliche Zahlen stark. Auch die Länder haben uns aufgefordert zu prüfen, inwieweit die Schaffung eines einheitlichen Systems zur Erfassung von Anwendungsdaten im Pflanzenschutz sinnvoll und möglich ist.

Das Interview führten:

Stefanie Awater-Esper, Guido Höner, Matthias Schulze Steinmann

Ihr Kontakt zur Redaktion:

stefanie.awater-esper@topagrar.com,

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