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Allein auf weiter Flur?

Lesezeit: 7 Minuten

Einsamkeit ist in der Gesellschaft auf dem Vormarsch. Warum Landwirte sich oft allein fühlen – und was wir dagegen tun können.


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Einsamkeit: Erst einmal fällt es schwer, sich dieses Gefühl auf einem Bauernhof vorzustellen. Ist das Hofleben nicht das genaue Gegenteil davon? Schließlich handelt es sich zumeist um Mehrgenerationen-Haushalte, deren Mitglieder miteinander arbeiten, in der Region verwurzelt und in dörfliche Aktivitäten eingebunden sind. Hier sollte, ja dürfte Einsamkeit kein Thema sein.


Ältere und Workaholics


Und doch: Das Gefühl des Allein- und Verlassenseins, das in der heutigen Gesellschaft immer mehr Raum einnimmt, macht auch vor den Höfen nicht halt. Das bestätigen Kenner der landwirtschaftlichen Szene, etwa Anne Dirksen von der Landwirtschaftskammer in Niedersachsen oder Constanze Brinkmann, Leiterin der landwirtschaftlichen Familienberatung, Oesede. Viele Landwirte fühlen sich ausgegrenzt und ziehen sich zurück, sagen sie. Was sind die Gründe?


Es gibt Risikofaktoren, die Einsamkeit begünstigen. Gefährdet sind neben älteren Menschen mit eingeschränkter Mobilität auch Singles und Workaholics. Außerdem haben Männer ein höheres Risiko, zu vereinsamen. Sie verfügen in der Regel über ein kleineres Netzwerk als Frauen. Das macht sie verwundbarer in Krisenzeiten, z.B. wenn der Partner erkrankt oder stirbt.


In Deutschland gelten bis zu fünf Prozent der Bevölkerung als betroffen. Das Gefühl, von anderen Menschen abgeschnitten zu sein, kann Auswirkungen auf die seelische und sogar auf die körperliche Gesundheit haben.


In der Arbeitsfalle


Wegen des hohen Arbeitspensums auf den Höfen halten Fachleute auch Landwirte für eine Risikogruppe. In den letzten Jahren ist es durch Bürokratie-Vorgaben, Dokumentationspflichten oder unternehmerische Entscheidungen oft noch gewachsen.


Vermutlich würde sich kein Landwirt als „Workaholic“ bezeichnen. Doch die Aufgabenflut erreicht locker ähnliche Ausmaße. Oftmals bleibt den Betriebsleitern gar nichts anderes übrig, als sich aus dem sozialen Leben weitgehend auszuklinken – sie würden sonst ihre Arbeit nicht schaffen. Nach Feierabend haben viele zudem keine Kraft mehr, sich auch noch unter Leute zu mischen. Stattdessen wollen sie nur die Beine hochlegen – verständlicherweise. Die Tatsache, dass es für viele Betriebe kaum mehr geeignete Mitarbeiter auf dem Markt gibt, verstärkt die Arbeitsfalle für die Landwirtsfamilien.


Rückzug als Antwort


Dazu gesellt sich bei vielen Landwirten das Gefühl, für viele Probleme der heutigen Zeit fast allein verantwortlich gemacht zu werden: Ob Insektensterben, Antibiotikaresistenzen oder schlicht Lärmbelästigung während der Ernte – Druck bekommen Landwirte von allen Seiten zu spüren. Von Gesellschaft und Medien, aber auch von Politikern, Dorfbewohnern und Behörden.


Zudem beobachten viele Bauern und Bäuerinnen, dass die Gesellschaft zwar eine familiengeführte Landwirtschaft wünscht, mit ihrer Politik und ihren Forderungen den Strukturwandel jedoch eher noch beschleunigt. Viele spüren immer weniger Wertschätzung für ihre Betriebe und ihre Arbeit.


Damit einher geht die Erfahrung, dass die Verständigung mit Teilen der Gesellschaft zusehends schwieriger wird. „Viele Menschen verstehen nicht mehr, was wir Landwirte eigentlich tun. Sie zeigen wenig Interesse und sehen nur das Negative“, klagt ein Gesprächspartner. Umgekehrt gibt es im Berufsstand wenig Verständnis für die Sorgen anderer Berufsgruppen. „Wir sehen oftmals nur, wie gut es denen geht, und wie oft sie frei haben“, gibt Juliane Vees, Vizepräsidentin des Deutschen Landfrauenverbandes aus Baden-Württemberg, selbstkritisch zu bedenken.


Ein Auseinander-Driften gesellschaftlicher Gruppen, bis eine Verständigung nicht mehr möglich ist, beobachten Experten auf vielen Ebenen. Das gilt offenbar auch für die Landwirtschaft und ihr Umfeld. „Ich erlebe, dass sich etliche Kollegen regelrecht ausgeschlossen und ausgestoßen fühlen, ja total unverstanden“, sagt Juliane Vees.


Das löst Frust und Hilflosigkeit aus und führt dazu, dass viele Landwirte mauern. Sie gehen Begegnungen und Konfrontationen so gut wie möglich aus dem Weg – und haben dadurch immer weniger Kontakte.


Kurzfristig kann das eine sinnvolle und logische Strategie zum Selbstschutz und gegen Anfeindungen sein. „Nach dem dritten Bier werde ich nur wieder gefragt, was ich da neulich für Gift gespritzt habe. Das setzt mir zu, also gehe ich gar nicht mehr los“, beschreibt ein jüngerer Landwirt.


Auf lange Sicht ist es jedoch ein Trugschluss. Denn der Verzicht auf Kontakte und der soziale Rückzug stehen oft am Beginn von „Einsamkeitskarrieren“, wie Forscher es bezeichnen. Niemand wird über Nacht so einsam, dass es wehtut. Oftmals verstreicht eine Vielzahl von Gelegenheiten, die man aus Unsicherheit, Selbstschutz oder Bequemlichkeit nicht wahrnimmt, bis man isoliert ist.


Der Berufsstand ist gespalten


Auch die Kollegen sind vielen Landwirten nicht unbedingt eine Hilfe. Der Berufsstand ist tief gespalten, in Ökos und Konventionelle, Verbandsmitglieder und Freigeister, Ackerbauern und Tierhalter. Hinzu kommt die Konkurrenz der Betriebe, z.B. um Pachtflächen oder Mitarbeiter. „Meistens reden wir mit angezogener Handbremse miteinander“, erklärt ein Landwirt. „Das ist ziemlich bitter.“


Bauern, die sich gegen Sprach- und Verständnislosigkeit wehren, dürfen indes oft nicht mit Dankbarkeit oder gar Begeisterung ihrer Berufskollegen rechnen. Wer Initiativen gründet, sich vernetzt und z.B. seinen Hof für Besuchergruppen öffnet, erntet oftmals eher Spott und Missgunst (siehe Reportage, Seite 163).


Die Veränderung der Dorfstruktur macht es zudem introvertierten und scheueren Persönlichkeiten schwer, ungezwungen mit Nachbarn oder anderen Betriebsleitern ins Gespräch zu kommen.


Während es früher in jedem Ort mehrere Hofstellen gab, sind Landwirte heute oft „der letzte Mohikaner“. „Alle fahren zur Arbeit in den nächsten Ort. Wir sind der einzige Hof hier. Da ist weiter niemand zum Quatschen“, bringt es ein Landwirt auf den Punkt.


Übrigens: Auch wer in einer Mehrgenerationen-Familie lebt, kann sich alleine fühlen. „Ob ich einsam bin, hängt auch davon ab, ob ich mich verstanden fühle. In Familien gibt es oft Tabu-Themen, die gar nicht zur Sprache kommen. Manchmal herrscht auch eine generelle Sprachlosigkeit, z.B. zwischen Vater und Sohn“, erklärt Anne Dirksen. ▶


Welche Rolle spielt die Digitalisierung bei der aktuellen Entwicklung? Fest steht: Sie hat das Kommunikationsverhalten regelrecht umgepflügt. In vielen Bereichen sind Internet und Smartphone ohne Frage segensreich. Soziale Netzwerke helfen auch stark beschäftigten Landwirten und Bäuerinnen, sich mit Gleichgesinnten zu vernetzen.


Gleichzeitig hemmen SMS, WhatsApp und Co. alle Altersgruppen, auch mal persönlich den Kontakt zu suchen. Denn von Angesicht zu Angesicht oder durch das einstündige Telefonat mit dem Freund, zu dem man sich aufgerafft hat, entsteht eindeutig mehr Nähe. Gespräche hallen oft noch tagelang nach. Ein Like, z.B. auf Facebook, zeigt nicht in Ansätzen so viel Wirkung.


Freundschaften pflegen


Was kann man diesem Gefühl, allein und unverstanden zu sein, also entgegensetzen? Ein erster Schritt hin zu mehr Geselligkeit ist es bereits, wenn man immer mal wieder den unbequemen, vielleicht fordernden Weg geht, und den Kontakt zu anderen sucht. „Sich überwindet, jemanden anzusprechen, ihn anzurufen oder anzuschreiben“, erklärt Ludger Rolfes.


Außerdem sei es wichtig, dass man bestehende Freundschaften pflegt, auch wenn die Personen nicht vor Ort wohnen. Eine Postkarte mit Weihnachtsgrüßen zu verschicken oder sich mal wieder zu verabreden. Zeit finden, mit der Nachbarin gemütlich einen Kaffee zu trinken, auch wenn eigentlich andere Dinge zu tun wären.


Ein weiterer Ansatz: „Den Austausch mit gleichgesinnten Berufskollegen suchen“, ist Anneken Kruse von der Landwirtschaftskammer Niedersachsen überzeugt. Exakt dies organisiert sie für Betriebsleiter und ihre Partner in einem Arbeitskreis. Einmal pro Monat sprechen sie dort über zwischenmenschliche Themen. „Es ist sehr entlastend, sich mit Menschen auszutauschen, die die gleichen Probleme haben“, erklärt Kruse (siehe Reportage unten).


Um neue, verbindliche und langfristige Kontakte zu knüpfen, empfehlen Experten ein Ehrenamt. „Ob Feuerwehr oder Landfrauenverein: Eine gemeinsame Aufgabe verbindet und ist in jeder Hinsicht bereichernd“, bestätigt Juliane Vees. Auch so manche Nachbarschaftsinitiative hat schon Freundschaften gestiftet.


Ein positiver Effekt solcher Aktivitäten ist dabei die Überwindung sogenannter „Echokammern“. Man kommt wieder stärker mit anderen Berufsgruppen in Kontakt und entwickelt Verständnis füreinander, z.B. für die Schwierigkeiten bei der Maisernte oder im Lehrerjob. „Das ist ein gutes Mittel gegen die Hilflosigkeit, die einen angesichts vieler öffentlicher Debatten befällt“, sagt ein Landwirt. Denn dabei merkt man: Die persönliche Begegnung macht eben doch oft den Unterschied.


kathrin.hingst@topagrar.com

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